Flucht vor der dunklen Vergangenheit

Deutsche Welle, 13. November 2013

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Gero Simone

Die Ermordungen von Kommunisten sind ein grausames Kapitel indonesischer Geschichte. Bis heute fehlt jede Vergangenheitsbewältigung. Der Film „The Act of Killing“ fordert auf ungewöhnliche Weise zur Aufarbeitung heraus.
 

deutsche-welle„Zuerst haben wir sie zu Tode geprügelt, aber dabei ist zu viel Blut geflossen. Das hat angefangen zu stinken. Wir haben dann ein besseres System entwickelt“, sagt Anwar Congo und führt bereitwillig vor, wie er seinen gefesselten Opfern statt sie tot zu prügeln eine Drahtschlinge um den Hals legte und so fest zuzieht, bis sie sich nicht mehr regen. Etwa 1.000 Mal hat er auf diese Weise gemordet.

Diese Szene stammt aus dem mehrfach ausgezeichneten und verstörenden Film „The Act of Killing“, der heute in den deutschen Kinos startet. Darin lässt Regisseur Joshua Oppenheimer Täter wie Anwar Congo in dem Glauben, mit ihnen einen Film zu produzieren, der ihre Version der Massenmorde von 1965 bis 1966 widerspiegelt. Es entsteht ein halb dokumentarisches, halb fiktionales Werk, das die ganze Grausamkeit der Mörder entblößt, da diese in aller Offenheit mit ihren Taten prahlen. Sie inszenieren sich als Nationalhelden, die Indonesien vor der „Roten Gefahr“ beschützt haben.

Morde mit System

Auslöser der Gewaltexzesse war die Nacht zum 1. Oktober 1965, in der sechs indonesische Generäle erschossen wurden. Obwohl bis heute nicht bekannt ist, wer tatsächlich hinter den Morden stand, wurden sie noch in der gleichen Nacht den Kommunisten angelastet. Angeblich hätten sie einen Putsch geplant.

General Suharto führte fortan die Bekämpfung der Kommunisten an, die aus Sicht des Westens und prowestlicher Teile des Militärs zu einflussreich geworden waren. Mitte der 1960er Jahre kam die kommunistische Partei Indonesiens (PKI) mit all ihren Untergruppen auf etwa 20 Millionen Anhänger und war nach China und der Sowjetunion die drittgrößte kommunistische Partei der Welt.

In den Folgemonaten wurden zwischen 500.000 und drei Millionen PKI-Mitglieder, angebliche Kommunisten und Linke umgebracht. Die hohen Opferzahlen waren möglich, weil das Militär systematisch vorging. Mit der Verteilung von Todeslisten wurden auch normale Bürger und paramilitärische Gruppen dazu ermächtigt, sich an den Ermordungen zu beteiligen. Vielerorts ergab sich daraus eine unkontrollierbare Eigendynamik. Jeder, der in irgendeiner Weise kommunistische Verbindungen besaß, wurde entweder getötet oder inhaftiert.

Bis heute ungesühnt

Sämtliche bisherigen staatlichen Ansätze der Aufarbeitung waren allenfalls halbherzig. Der erste gewählte Präsident Indonesiens Abdurrahman Wahid entschuldigte sich im März 2000 öffentlich, allerdings nicht im Namen der indonesischen Regierung, sondern nur für die Taten der muslimischen Organisation Nahdlatul Ulama, die in die Massaker der späten 60er Jahre tief verstrickt war. Ebenfalls 2000 wurde eine Wahrheits- und Versöhnungskommission einberufen, die 2006 ergebnislos aufgelöst und für verfassungswidrig erklärt wurde.

Auch der Bericht der indonesischen Menschenrechtskommission von 2012 blieb bisher ohne Folgen. Zwar erkannte man die Verbrechen zwischen 1965 und 1966 an und empfahl, gegen die damaligen Kommandeure des Militärs zu ermitteln. Doch Parlament und Präsident Susilo Bambang Yudhoyono müssten einem Gerichtsverfahren vor einem Ad-hoc-Menschenrechtsgerichtshof zustimmen. Das gilt jedoch als unrealistisch, weil sich Yudhoyono damit gegen seinen Schwiegervater und Mentor Sarwo Edhie Wibowo stellen würde, der bei der Kommunistenverfolgung eine entscheidende Rolle spielte.

„Innerhalb staatlicher Strukturen gibt es immer noch viele Verbindungen zu den Tätern oder deren Familien. Das sind starke persönliche Interessen, die eine Aufarbeitung verhindern. Vor allem das Militär stellt sich dagegen, weil es ansonsten zum Haupttäter erklärt würde“, sagt Douglas Kammen, Indonesienexperte an der Nationaluniversität Singapur.

Kein Blick zurück

„Ich bedaure sehr, dass es Indonesien bis heute nicht geschafft hat, seine Vergangenheit zu bewältigen“, sagt der in Berlin lebende Autor und Zeitzeuge Pipit Kartawidjaja. „In Deutschland wurden die Täter zur Rechenschaft gezogen – in Indonesien nicht. Niemand wurde vor Gericht gebracht, niemand hat Verantwortung übernommen, für das, was 1965 passiert ist.“ Dies liege zum einen an der vorherrschenden Meinung: wer über die Vergangenheit grübelt, stört die Harmonie. „Was geschehen ist, ist geschehen“ ist ein oft benutzter Ausdruck des Militärs, der die Angelegenheit für beendet erklären soll.

Zum anderen gebe es in Indonesien kein Verantwortungsbewusstsein, so Kartawidjaja. In der Tat blieb Gewalt auch nach 1965 ein oft genutztes Mittel staatlicher Akteure und Verantwortungslosigkeit ein wiederkehrendes Muster: die mysteriösen „Petrus Ermordungen“ von bis zu Zehntausend angeblichen Kriminellen in den 1980ern, die Erschießung von Studenten 1998 und die weitreichenden Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor wurden nie aufgeklärt.

Hoffnung der Opfer

„Für uns wäre es sehr wichtig, dass die Täter verurteilt, die überlebenden Opfer entschädigt werden und ihr Ansehen zurückbekommen. Für viele sind sie immer noch die Bösen“, klagt der Vorsitzende des Opferverbands YPKP 65 Bedjo Untung, der zwischen 1970 und 1979 im Gefängnis saß, weil sein Vater PKI-Mitglied war. „Die Wahrheit wird oft verzerrt“, sagt Untung. So kommen die Massenmorde in Schulbüchern nicht vor oder werden als spontane Racheakte von Zivilisten an Kommunisten dargestellt.

Geht es nach Regisseur Joshua Oppenheimer hat sich zumindest nach Erscheinen von „The Act of Killing“ etwas an der öffentlichen Diskussion geändert: „Ich habe den Eindruck, dass die indonesischen Medien den Film als Anlass genommen haben, ihr Schweigen zu brechen. Mittlerweile wird immer mehr darüber berichtet, was 1965 wirklich geschehen ist.“

Was dennoch bleibt, ist Angst. Radikale Gruppen, die an den damaligen Massenmorden beteiligt waren, verüben immer wieder Attacken gegen diejenigen, die sich um Aufarbeitung bemühen. Auch Oppenheimers Film war davon nicht ausgenommen. Die Uraufführung in Jakarta im Dezember 2012 fand unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Oppenheimer selbst kann aus Angst vor Bedrohungen nicht mehr nach Indonesien reisen. Erst Ende Oktober stürmten Mitglieder der Anti-kommunistischen Front (FAKI) eine Veranstaltung ehemaliger politischer Häftlinge in Yogyakarta und verprügelten mehrere Teilnehmer.

Pipit Kartawidjaja befürchtet, dass Indonesien seine Vergangenheit nicht verarbeiten wird: „Dabei wäre das so wichtig. Denn wenn niemand Verantwortung übernimmt und die Taten von damals nie für falsch erklärt werden, besteht die Gefahr, dass sich Geschichte wiederholt.“ Bedjo Untung von YPKP 65 gibt die Hoffnung auf Aufarbeitung nicht auf: „Wir sind im Recht, wir kämpfen für Anerkennung und wir glauben daran, dass eines Tages die Wahrheit ans Licht kommt. Das wäre wie eine Therapie für uns.“
 
 DW.DE | Redaktion Rodion Ebbighausen
 


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