Osttimor: US-Außenministerin besucht junge Demokratie

explizit.net, 10. September 2012

 von Michaela Koller

Explizit-logo(explizit.net) Hillary Clinton hat während ihrer Asienreise in der vorigen Woche den südostasiatischen Staat Osttimor besucht. Auch wenn die Inselhälfte hierzulande wenigen bekannt ist: Aufgrund seines Rohstoffreichtums und seiner geostrategischen Lage zwischen dem indonesischen Archipel und der Nordküste Australiens, wird Timor Leste, so der offizielle Name, zunehmend attraktiver für staatliche wie private Investoren. China finanzierte schon den Bau von Regierungsgebäuden, darunter des Präsidentenpalastes in der Hauptstadt Dili. Nun ringen die Vereinigten Staaten dort um Einfluss.

Revolte stürzte Osttimor in eine Staatskrise

Im vergangenen Jahrzehnt hat Osttimor eine enorme Entwicklung durchlaufen: Anfang 2008 nannten Beobachter die ehemalige portugiesische Kolonie noch einen „failed state“, infolge eines Attentates auf den damaligen Präsidenten José Ramos-Horta am 11. Februar desselben Jahres, bei dem dieser schwer verletzt wurde. „2006 war es zu einer ersten tiefen Krise mit Straßenkämpfen. Im Gesundheits- und Bildungssystem hapert es noch und auch Arbeitsplätze sind rar. Die meisten Menschen in Osttimor leben von dem, was sie selbst um ihr Haus herum anpflanzen können. Vielerorts fehlt es zudem an der Infrastruktur: feste Straßen, Strom, Wasser, Handynetz.

Friedliche Wahlen 2012

Trotz allem ist der Staat, in dem sich mehr als 90 Prozent der Bevölkerung zum Katholizismus bekennt, nicht gescheitert. In diesem Jahr gelangen zunächst die dritten Präsidentschaftswahlen weitgehend friedlich, aus denen Taur Matan Ruak, einst Kommandant des bewaffneten Widerstands gegen die indonesischen Besatzer, als Sieger hervorging. Im Juni wählten die Osttimoresen ihr Parlament. Xanana Gusmão, der den CNRT, den Nationalkongress für den Wiederaufbau Timors, anführt, kam mit seiner Partei auf mehr als 36 Prozent der Stimmen. Er bildete danach eine Regierungskoalition zusammen mit zwei kleineren Parteien, der PD (Demokratische Partei) und der Frenti-Mundanca, einer Abspaltung der von 2001 bis 2007 regierenden Fretilin, der nun größten Oppositionspartei. Sie kam auf knapp unter 30 Prozent. Nach der Präsentation der Koalition kam es Mitte Juli zu Gewaltausbrüchen, die aber nach kurzer Zeit abebbten.

Kampf um Unabhängigkeit nach Annektion durch Indonesien

Osttimor, das Land mit dem höchsten christlichen Bevölkerungsanteil in Asien, feierte zudem am 20. Mai mit Staatsgästen die Amtsübergabe des alten an den neuen Präsidenten und mit einem pompösen Feuerwerk den zehnten Jahrestag seiner Unabhängigkeit. „Dieses Vaterland, das Gott euren arbeitsamen Händen anvertraut, muss sich auf diejenigen Werte stützen, ohne die es keine echte Demokratie geben kann“, hatte 2002 der nun selige Papst Johannes Paul II. als Botschaft anlässlich der Unabhängigkeit gesandt. Die Worte verlas Bischof Carlos Ximenes Belo (Friedensnobelpreisträger von 1996) während einer Messe, mit der die Feierlichkeiten nach einem langen steinigen Weg damals eingeleitet wurden. Am 7. Dezember 1975 waren indonesische Truppen in das Land eingefallen. Auf die Annexion Osttimors folgten 24 Jahre Unterdrückung jeglicher Freiheitsbestrebungen mittels Polizei und Militär. Mindestens 102.800 Osttimoresen kamen durch Verfolgung und Vertreibung ums Leben. Nachdem am 30. August 1999 mehr als 78 Prozent der osttimoresischen Wähler für die Loslösung von Jakarta stimmten, erreichte die Gewalt ihren Höhepunkt. Die indonesische Armee und pro-indonesische Milizen töteten dabei rund 1.500 Zivilisten, Hunderttausende Osttimoresen wurden vertrieben. Die Indonesier zerstörten zudem mehr als drei Viertel der gesamten Infrastruktur. Die Gewaltexzesse wurden beendet, als der UNO-Sicherheitsrat Mitte September 1999 eine internationale Truppe entsandte. Voraussichtlich wird die aktuelle UNO-Mission in Timor Leste Ende dieses Jahres auslaufen. José Ramos-Horta, der 1996 auch den Friedensnobelpreis erhielt und in diesem April als Staatspräsident abgewählt wurde, dankte noch im Februar in einer Rede vor den Vereinten Nationen der internationalen Staatengemeinschaft, die von September 1999 bis Mai 2002 das Land regierte. 

Neuaufbau des Staates nach der Unabhängigkeit

„Vieles ist in Osttimor in den jüngsten Jahren erreicht worden, das Land hat unzweifelhaft Fortschritte gemacht“, resümiert Osttimor-Expertin Monika Schlicher. Sie überwacht als Hauptamtliche für die Organisation Watch Indonesia! Menschenrechte, Demokratie und Umwelt in Indonesien und Osttimor. Schließlich habe Osttimor seinen Staat ganz neu aufbauen müssen. „Die Politiker haben verstanden, dass die Bevölkerung Sicherheit und Frieden sucht.“ Aber es gebe noch keinen Anlass, mit Superlativen um sich zu werfen, warnt Schlicher. Sie sieht vor allem einen Mangel an Gerechtigkeit als Stolperstein auf dem Weg zu einem stabilen demokratischen Rechtsstaat. Die schwersten Verbrechen vom September 1999 sind noch nicht gesühnt. Das ist etwas, was die osttimoresische Kommission für Annahme, Wahrheit und Versöhnung (CAVR), nicht leisten konnte, vor der immerhin ehemalige Führer des Freiheitskampfes eindrückliche Geständnisse über ihren Anteil an der Gewalt ablegten. 

Keine Aufarbeitung der Gewalt

Die Hauptverantwortlichen für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Jahren 1975 bis 1999 sind ebenso niemals vor ein Gericht gestellt worden; sie sitzen in Indonesien und werden nicht ausgeliefert. „Die beiden Regierungen haben sich darauf verständigt, dass es für diese Leute keine weitere Strafverfolgung gibt, weil ihnen gute nachbarschaftliche Beziehungen vielversprechender erscheinen.“ Die indonesische Regierung sollte aber aufgefordert werden, Osttimor bei der Suche nach Verschwundenen zu helfen, Hinweise auf Massengräber etwa weiterzuleiten. Die Gesetzesvorlage für die Errichtung eines Instituts des Erinnerns mit einer Abteilung für die Suche nach Verschwundenen liegt dem Parlament schon seit zwei Jahren vor. „Es macht sich Unmut in der Bevölkerung breit, weil viele das Gefühl haben, dass ihr Einsatz für die Unabhängigkeit im unabhängigen Osttimor nicht anerkannt wird.“

Beitrag der katholischen Kirche führte zu starkem Wachstum

Um der Wahrheit zur Ehre zu verhelfen, ist die Kirche des Landes selbst stark für Gerechtigkeit eingetreten. Priester und Bischöfe waren während der indonesischen Zeit unmittelbar Zeugen geworden, wie die Besatzungsmacht die Unabhängigkeitsbewegung durch Einschüchterung, Folter und Mord verfolgte. So ereignete sich etwa bereits 1981 an einer Pilgerstätte in Lacluta im Zentrum des Landes, die dem Heiligen Antonius geweiht war, ein Massaker an 500 Frauen und Kinder. Der damalige Bischof von Dili, Martinho da Costa Lopes, beschuldigte die indonesischen Streitkräfte des Massenmordes und trug dies auch dem damaligen indonesischen Diktator Suharto vor. Durch seinen Einsatz fühlten sich viele Timoresen von der Kirche verstanden, ebenso wie durch das mutige Eintreten seines Nachfolgers Carlos Ximenes Belo, der Beweise für die Menschenrechtsverletzungen in seiner Heimat sammelte und dafür mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde: Der Anteil der Katholiken stieg in dieser Zeit von 30 Prozent im Jahr 1975 auf 98 Prozent im Jahr 1999. Die Menschen suchten in den Kirchen Zuflucht vor den Übergriffen pro-indonesischere Milizen und indonesischem Militär, waren aber letztlich auch dort nicht sicher. Am 6. April 1999 hielten sich 2.000 Timoresen in der Kirche der Ortschaft Liquica auf. Mit Tränengas trieben die Milizen sie zunächst vom Gelände, um sie dann anzugreifen. Bei dem Massaker kamen 60 bis 100 der Schutzsuchenden ums Leben. Das Militär schaffte die Leichen fort. „Bis heute wissen Angehörige nichts über deren Verbleib, und – wie Angehörige anderer Opfer der Verfolgung – warten sie noch auf Reparationen“, sagt Schlicher. Ein Gesetzesentwurf über die Entschädigung von zivilen Opfern harrt noch seiner Abstimmung im Parlament. Derweil ist es die Kirche, die den Menschen wieder nahe ist: Die Jahrestage von Gräueltaten begehen die Menschen mit heiligen Messen im Gedenken an die Toten. „Die Menschen erwarten jedoch mehr, sie brauchen auch ein deutliches politisches Wort der Kirche zur Unterstützung ihrer Forderungen.“ Hillary Clinton sicherte jetzt während ihres Besuchs Unterstützung bei der Behandlung von Opfern der blutigen Vergangenheit des Landes zu.


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