Der Druck wächst
19. Mai 2001
Eine kurze Analyse der militärinternen Vorgänge der beiden vergangenen Wochen
von Ingo Wandelt
Abdurrahman Wahid hat in den beiden vergangenen Wochen ein sehr geschicktes Spiel mit der ihm zunehmend distanziert gegenüber stehenden Militärführung gespielt. Die offenen Andeutungen einer Parlamentsauflösung und einer anschließenden Sicherheitslage, in der die TNI (indon. Militär) Farbe bekennen müsste, hätte die TNI vor schwierige Probleme gestellt. Einerseits hätte sie in einem solchen Fall den verfassungsgemäß gegebenen Gehorsam zum Präsidenten und Oberbefehlshaber Gus Dur demonstrieren müssen, indem sie die danach angeheizte Sicherheitslage militärisch hätte absichern müssen, und andererseits hätte sie auf ihre selbst formulierte neue Position, keine Rolle in der „praktischen Politik“ mehr spielen zu wollen und stattdessen eine abgehobene, quasi neutrale Rolle im innenpolitischen Geplänkel des Inselstaates zu spielen, verzichten und sich damit auch politisch hinter den Präsidenten stellen müssen. Die TNI hätte sich nach einer Auflösung des Parlaments als reines Instrument der Wünsche Gus Durs zeigen müssen. Der damit verbundene Verlust an militärischer Ehre wäre für die sich gerade regenerierende Seele der TNI vernichtend gewesen.
Doch dazu wird es, zumindest auf die von Wahid geplante Weise, sicherlich nicht kommen.
Wahids stärkster Hebel in seinem politischen Ränkespiel mit der TNI ist in einer momentanen strukturellen Schwäche des Militärs begründet.
Die zuletzt vorgenommene interne Postenverschiebung (Mutasi) geschah im April 2000. Damals wurden an die zweihundert Stellen führender Offiziere und Generäle in den drei Teilstreitkräften neu vergeben.
Die TNI benötigt mittlerweile den raschen Durchlauf ihrer führenden Kommandeure durch die Ränge und Positionen. Der Sessel eines Generals darf nicht warm werden. Nach spätestens einem Jahr muss sein Nachfolger nachrücken. Entsprechendes gilt auch für die Stühle der untergeordneten Offiziere. Wenn die Generäle nicht wegrücken, müssen sie auf ihren Plätzen verharren. Das führt zu einer Vielzahl von Frustrationen, funktionalem Kompetenzwirrwarr und zu einer gespannten Stimmung in den Rängen.
Gus Dur blockiert offenkundig seit Wochen die notwendige Neubesetzung der Position des Heeresstabschefs (Kasad oder KSAD). Zwar besagen Berichte (und Gerüchte), dass er den jetzigen Positionsinhaber Endriartono Sutarto nicht besonders schätzt – über die Gründe wurde in der Presse berichtet – und ihn gerne absetzen würde. Aber gerade das bietet ihm den Anlass, Sutarto in Amt und Würden zu behalten: der militärinterne Druck setzt zuallererst Sutarto zu, und nicht dem Präsidenten.
Der Versetzungsdruck betrifft nicht die führenden Positionen im Heer. Endriartono wurde Kasad im Oktober 2000, sein Stellvertreter Kiki Syahnakri wurde im November ernannt. Kostrad-Chef Ryamizard (Kostrad = strategische Heeresreserve, eine Elitetruppe der TNI) sitzt neun Monate auf seinem Sessel. Auf der Top-Ebene besteht somit kein akuter Handlungsbedarf.
Wohl aber auf der Ebene der Kodam (Wehrbereichskommandos) mit ihren Zwei-Sterne Generälen und ebenso auf all den Posten der mittleren Führungsetage. Dort schmoren seit über einem Jahr viele Top-Leute als Pati Mabes (hoher Offizier im Hauptquartier) im eigenen Saft. Zum Beispiel Tyasno Sudarto, Suaidi Marasabessy, Sugiono, Kivlan Zein. Und nicht zuletzt Agus Wirahadikusumah, der höchste Drei-Sternler unter den Park-Generälen.
Die Zwei-Sternler können aber nur dann aufrücken, wenn ihre Vorgesetzten ebenfalls nach oben rücken. Dort aber blockiert Endriartono die Spitze. Er muss weg, die sich ergebenden Fragen sind, wohin? und wann?
Gus Durs Problem ist der Mangel an ihm loyal gesonnenen Generälen. TNI-Befehlshaber Widodo, ein Mann der Marine, ist ihm nicht mehr so wohlgesonnen wie einst. Er sucht die Nähe zum Heer, auch um seinen Posten zu sichern. Auch die drei Stabschefs der Teilstreitkräfte haben sich von Wahid distanziert. Einzig verbliebener Wahid-Loyalist scheint Agus Wirahadikusumah zu sein.
Widodo hat sich seit einem Jahr als unfähiger Panglima (Oberbefehlshaber) erwiesen. Er hat nichts bewirkt und die Führungsspitze der TNI in ein Vakuum verwandelt. Die TNI muss bemüht sein, an Stelle dieser Leernummer einen fähigen Mann zu setzen, vorzugsweise aus dem Heer. Endriartono ist der einzig geeignete Mann dafür. Er besitzt bereits vier Sterne und ist damit der zur Zeit einzige geeignete Kandidat. Indem ihn Wahid auf seinem Posten als Kasad belässt, hält er das Heer an seiner Kandare.
Sollte es Wahid gelingen, die Rundum-Mutasi noch drei Monate hinauszuzögern, wird die TNI ihre nach außen gezeigte gelassene Ruhe verlieren und schwach werden. Sein Risiko besteht darin, dass Megawati als Ersatzkandidatin für das Präsidentenamt ihre Amtsübernahme mit dem Versprechen an die TNI verbindet, die Mutasi schnellstmöglich durchzuführen.
Das sich daraus ergebende Problem betrifft die innere Balance der TNI.
Es ist keineswegs als gesichert anzunehmen, dass alle Teilstreitkräfte mit der führenden Rolle der Kostrad Boys und ihrem Übervater Wiranto einverstanden sind. Die Kostrad Boys stehen dem Wohlwollen der USA entgegen, den Boykott ihrer Rüstungslieferungen aufzuheben. Solange Wirantos Schatten allzu präsent ist, kommen erneute Rüstungslieferungen – die sicher kommen werden!! – einem Gesichtsverlust der USA gleich. Ein Endriartono als Panglima TNI schadet der TNI selbst.
Die gerüchteweise ins Spiel gebrachte Alternative Agus Wirahadikusumah macht Sinn. Er ist als Drei-Sternler bestens geeignet, sowohl Kasad als auch Panglima TNI zu werden. Er ist auch den USA genehm und seine Ernennung würde in Washington sicherlich begrüßt werden.
Eine wichtige Zwischenposition stellt Ryamizard Ryacudu, der Chef der Kostrad dar. Auch er wäre für einen Aufstieg geeignet. Allerdings ist er einziger Vertreter der Abschlussklasse 1974 der Militärakademie und seine Ernennung würde seiner Altersklasse der in den Startlöchern stehenden Klassen von ´72 und ´73 einen Vorrang geben. Sein Aufstieg brächte Verbitterung bei den übergangenen Generälen der Jahre ´72 und ´73, was sich die TNI zur Zeit nicht leisten kann und darf.
Der gestern als Ersatz für Ryamizard ins Spiel gebrachte Kivlan Zein (nicht „Zen“, wie berichtet) ist eine interessante, aber eigentlich abwegige Figur. Sollte er Ryamizard tatsächlich ersetzen, wäre die „grüne“ (islamische) Fraktion der TNI wieder im Spiel. Zein steht nicht nur Prabowo Subianto nah, sondern ist einer der Hardliner-Generäle, die Indonesiens Heil in reformislamischem Gedankengut und der Hinwendung zu Gruppen wie Laskar Jihad usw. sehen. Zein und die ihm nahe stehenden Generäle sind, wie er, zur Zeit geparkt und somit machtlos.
In einer kurzfristigen (und kurzsichtigen) Perspektive machte Zein für Wahid durchaus einen Sinn: Mit Agus Wirahadikusumah als Reformgeneral (ein vorsichtig zu bewertender Begriff!) und Zein als „Grünem“ wären die Kostrad Boys in der Zange. Zumal Zein selbst ein Kostrad-Mann ist und also kein Außenseiter, was dem Eindruck einer Zurückstufung des Kostrad-Netzwerkes entgegenwirken könnte. Dennoch wären mit einem solchen Führungsduett die Spannungen zwischen Wahid und dem Heer keineswegs beendet.
So bleibt die vorläufige Schlussfolgerung, dass Abdurrahman Wahid keine realistische Chance auf Unterstützung durch die TNI mehr besitzt. Was immer er tun wird, wird ihn in noch größere Opposition zur TNI bringen. <>