Pressespiegel indonesische Streitkräfte
Mai 2000
Der „Pressespiegel indonesische Streitkräfte“ befindet sich zur Zeit in einer schöpferischen Sommerpause. Zwei Gründe sind dafür maßgeblich:
Der Umfang der Berichterstattung in den indonesischen Medien mit einer militärischen Relevanz ist in den letzten Monaten kontinuierlich auf ein Maß gestiegen, der meinen Zeitrahmen überstiegen hat.
Die Berichterstattung in Indonesien ist nicht zuletzt durch den Überfall der dem Präsidenten nahestehenden Milizverbände, und nachträglich von ihm gedeckt, erkennbar zurückhaltend geworden. Bereits jetzt werden heikle Themen wie die Unterstützung der Laskar Jihad durch die indonesischen Streitkräfte, an der ich wenig zweifle (andere schon, aber die Beweislage pro oder kontra ist schlecht), und die eine erschreckende Ähnlichkeit mit dem Einsatz der pro-indonesischen Milizen in Osttimor zu Jahresbeginn 1999 aufweist, in der indonesischen Presse kaum noch aufgegriffen.
Für eine möglichst umfassenden Darstellung der militärisch relevanten Vorgänge und Sachverhalte mussten für den Mai verstärkt nicht-indonesische Pressemedien herangezogen werden. Die größeren, d.h. über den Berichtsmonat hinaus reichenden Zusammenhänge müssen eingebracht werden, ebenso ein gewisses Maß an Spekulation. Der Pressespiegel erfordert deshalb eine neue Konzeption. Die Sommerpause dient dazu, diese zu entwickeln.
Anstelle des Pressespiegels, aber keinesfalls als ein gleichwertiger Ersatz, folgt eine erweiterte Fassung eines journalistischen Beitrages. Er gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder.
Ingo Wandelt
Militär im Steigflug
Indonesien ist weiterhin in der Krise. Gewalt prägt das Land. Die Streitkräfte kündigen der zivilen Führung schrittweise die Gefolgschaft. Der demokratische Konsens zwischen zivilen und militärischen Kräften ist gefährdet. Steht Indonesien vor einer kalten Machtübernahme des Militärs?
von Ingo Wandelt
Indonesien im Mai bietet ein Bild des Grauens. Eine unaufhörliche Welle von Gewalt überflutet das Inselreiches von West nach Ost. In Aceh bringt die Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens zwischen der Regierung in Jakarta und der Unabhängigkeitsbewegung Freies Aceh (GAM) am 12. Mai nicht einmal für einen Tag ein Abflauen der Gewalt. Täglich melden die Medien Schreckenszahlen von ermordeten Opfern dieses sich über Jahrzehnte erstreckenden Konfliktes.
Auf den Molukken (Ambon und Halmahera) sind nach Schätzungen allein im Mai über 200 Menschen durch Kampfhandlungen zwischen den muslimischen und christlichen Bevölkerungsgruppen umgekommen. Die Gewalt scheint militärisch geplant und strategisch organisiert zu sein. Verteidigungsminister Sudarsono vermutet Anhänger des ex-Diktators Suharto im Hintergrund. Die Regierung scheint unfähig, etwas dagegen tun zu können.
Bombenanschläge auf christliche Kirchen in Medan (28.-30.5.), Nordsumatra, zeugen von einer Ausweitung des Konflikts. Das Wort von der „Ambonisierung“ Medans macht bereits die Runde (Tempo Interaktif, 29.5.). In der Ortschaft Poso in Zentralsulawesi flammen immer wieder Kämpfe zwischen christlichen und muslimischen Bewohnern auf. In Westtimor halten die ehemaligen pro-indonesischen Milizen, die im September 99 Osttimor verwüsteten, immer noch an die einhunderttausend osttimoresische Flüchtlinge in Lagern zurück. Milizen attackierten am 28. Mai einen Posten der UN-Schutztruppe an der Grenze zu Osttimor und verwundeten dabei einen australischen Soldaten.
Auch das Zentrum der Hauptstadt Jakarta wurde im Mai zweimal von Unruhen heimgesucht. Eine Polizeirazzia gegen illegale Straßenhändler von Videoraubkopien am zweiten Jahrestags der Erschießungen von Studenten der Trisakti-Universität 1998, der den Sturz des Diktators Suharto einleitete, führte zu Ausschreitungen, im Verlauf derer, wie vor zwei Jahren, erneut Geschäfte der chinesischen Händlerminderheit brannten. Zwei Wochen darauf (27./28.5.) brachte das harte Einschreiten von Polizei und Militär die Studenten in Harnisch, die eine Verurteilung des seit seinem Rücktritts in seinem Haus unbehelligt lebenden ex-Präsidenten Suharto wegen Korruption und Amtsmissbrauch forderten. Fünf Militärlastwagen gingen in Flammen auf.
Hinter diesen singulär erscheinenden Gewaltakten vermuten Beobachter lenkende Kräfte, die auf einen Sturz der Regierung Abdurrahman Wahid aus sind. Die Presse zeigt sich zurückhaltend, zitiert aber diese Einzelmeinungen. Die politischen Kreise hat längst Untergangsstimmung befallen. Die Regierung hat keine Lösungen für die zahlreichen Probleme des Landes anzubieten. Die Wirtschaft liegt am Boden, benötigte Investitionen kommen wegen Sicherheitsbedenken und fehlender Rechtssicherheit nicht ins Land. Die Landeswährung Rupiah rutscht mit jeder Unruhe weiter ins Nichts. Reformen des Rechtssystems und der staatlichen Bürokratie stagnieren, weil ihr aus der Suharto-Ära stammende Personal und die zerstrittene Politikelite die Unterstützung fehlen lässt. Die breite Regierungskoalition droht zu bröckeln. Politiker des reformislamischen „Mittelachse“-Parteienbündnisses, ihnen voran der Führer der PAN-Partei und zugleich Vorsitzender des Volkskongresses (MPR), beschwören offen die Absetzung des Präsidenten auf der anstehenden MPR-Versammlung im August.
Das Militär im Aufwind
Die indonesischen Streitkräfte (TNI) nutzen die politische Führungsschwäche Wahids, um den verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Am 24. Mai forderte Generalleutnant Agus Widjojo, Chef des Territorialstabes der TNI, in der Business Times aus Singapur den Fortbestand der parlamentarischen Vertretung von TNI und Polizei im Volkskongress über den gesetzlich vereinbarten Zeitrahmen von 2004 hinaus (South China Morning Post, 25.5., Kompas, 27.5.). Ein entsprechender Gesetzesentwurf war am Vortage dem zuständigen parlamentarischen Arbeitsgremium vorgelegt worden. Die erste öffentliche Unterstützung kam von Amien Rais (Suara Pembaruan, 25.5). Tags drauf schloss sich die Militär- und Polizeifraktion in der MPR diesem Vorstoß an (Kompas, 27.5.). Der Vorstoss Widjojos bezieht sich nur auf die Präsenz der TNI und der Polizei im Volkskongress, nicht im Parlament (DPR). Ob dies im Rahmen einer gemeinsamen Fraktion oder in getrennten Repräsentanzen erfolgen soll, ist insoweit relevant, als der Verteidigungsminister Sudarsono über Monate hinweg die endgültige Trennung von den Streitkräften (Heer, Marine und Luftwaffe als Tentara Nasional Indonesia, TNI) und der Polizei (POLRI) angekündigt hat. Es ist möglich, dass sich die TNI diesem Ansinnen widersetzen wird.
Seit dem Niedergang Suharto-Indonesiens im Zuge der Wirtschafts- und Währungskrise 1997/98 und dem Rücktritt Suhartos war die TNI, die sich damals noch ABRI nannte und die Polizei einschloss, unter den Zwang zur Demokratisierung Indonesiens gekommen. Schrittweise musste sie sich aus Positionen in Verwaltung und Wirtschaft zurückziehen und interne Reformen einleiten. Im September 1998 verkündete der damalige Befehlshaber der Streitkräfte, General Wiranto, mit den „Vier Neuen Paradigmen“ den demokratischen Gesinnungswandel des Militärs. Die Streitkräfte, die sich ab April 1999 zu TNI umbenannten und die Polizei verwaltungstechnisch ausgliederten, versprachen die Anerkennung der neuen demokratischen Ordnung Indonesiens und seiner gewählten Regierung, und kündigten ihren Rückzug aus der aktiven politischen Beteiligung an. Im Gegenzug forderten sie die Nichteinmischung der Regierung in ihre inneren Angelegenheiten. Die Übergangsregierung Habibie hielt sich an diese vorgeschriebene Rollenteilung, sogar als die von Heereseinheiten ausgebildeten und teilweise sogar geführten Verbände pro-indonesischer Milizen Osttimor im Verlauf des Unabhängigkeitsreferendums im Herbst 1999 verwüsteten, Tausende ermordeten und Hunderttausende zwangsevakuierten. Der im Oktober gewählte Präsident Wahid fuhr einen aggressiven Kurs. Gestützt auf die in Parlament und MPR verabschiedete Gesetze, die eine Parlamentsvertretung der TNI nur noch bis 2004 vorsahen, regierte er energisch in die Streitkräfte hinein. Er löste Wiranto als Befehlshaber der Streitkräfte ab und ersetzte ihn, einmalig in der Militärgeschichte Indonesiens, durch einen Admiral der Marine. Er beförderte reformorientierte Offiziere in Führungspositionen und tauschte fast die gesamte Stabsebene des Heeres aus. Die TNI zog, unerwartet für viele Beobachter, mit. Wiranto, der starke Mann der Nach-Suharto-Jahre, verlor sogar seinen Posten als Koordinierungsminister für Sicherheit und fiel in die Bedeutungslosigkeit. Doch die Hoffnung auf zivile Vorherrschaft über das Militär ist voreilig. Alle Reformmaßnahmen der Regierung Wahid, ob vollzogen oder geplant, sind durch das Erstarken der Streitkräfte in Gefahr geraten.
Rückkehr der alten Strukturen
Die Position des General Agus Widjojo sollte es eigentlich nicht mehr geben. Neben seinem Rückzug aus der Politik versprach das Militär auch die Auflösung des landesumspannenden militärischen Kontrollapparates, der unter dem Akronym Sospol (sozio-politische Angelegenheiten) bekannt war und über dreißig Jahre hinweg die Beherrschung von 200 Millionen Indonesiern durch eine halbe Million Soldaten ermöglicht hatte. Unter Suharto besaßen alle Heeresverbände einen Sospol-Stab, die vom Sospol-Führungsstab in Jakarta geführt wurden. Er bestimmte das Vorgehen des Militär gegen die Bevölkerung. Der Name Sospol wurde 1999 offiziell abgeschafft, nicht jedoch der Führungsstab, der seither als Territorialstab der TNI firmiert. Sein Chef wurde im November 1999 eben jener General Agus Widjojo. Sein Vorgänger wurde Minister für Bergbau und Energie im Kabinett Wahid. Über ein Jahr hinweg blieb unbekannt, was dieser Stab eigentlich tat, wo doch die TNI laut den Erklärungen aus Militärkreisen jegliche Sospol-Tätigkeit eingestellt habe. Jetzt erscheint er wieder aus der Versenkung.
Widjojos erstes Auftreten in der Presse geschah am 14. Mai im Rahmen eines nicht näher bezeichneten Seminars, in dem er eine Parallele zwischen Indonesien und Pakistan zog. Hier ein Textausschnitt nach AFP:
„The military takeover in Pakistan because of the failure in democracy there should be a warning to Indonesia, an Indonesian general involved in the reform of the armed forces said. ‘We are reminded by various cases of democratization failure, the most recent one in Pakistan,’ Lieutenant General Agus Widjojo told a regional seminar on democracy here on Sunday, the text of which was obtained here Tuesday. ‘It is to be hoped that the fate of civilian rule in Pakistan will serve as a warning to the new democracies in Indonesia,’ said the general, a US-educated staff expert on politics and security to the country’s armed forces commander. Widjojo said that in Pakistan ‘most civilians seem to have welcomed the military … that relieved them of a corrupt and inefficient regime.’ ‘There is no reason to say that what happened in Pakistan serves as an opening to possibilities of (the Indonesian) military’s return to politics, but it is better to learn from the mistakes of others than to suffer from the same mistakes oneself.’”Widjojos Äußerungen lassen sich als Anspielungen auf die von Korruptionsfällen geschüttelte Regierung Wahids interpretieren. Widjojo selbst wurde nicht von seinen Vorgesetzten korrigiert oder gemaßregelt, sondern er gewann geradezu an Statur. Er warnte vor einem indonesischen Föderalismus (Straits Times, 24.5.) und bekundete die ungebrochene Loyalität der TNI zum Präsidenten (Media Indonesia, 30.5.). Sein Statement zur parlamentarischen Präsenz der TNI ist ein Ausdruck des Misstrauens gegen die zivile Führung und kündigt nicht nur den parlamentarisch-demokratischen Konsens zwischen zivilen und militärischen Kräften der Nach-Suharto Zeit auf. Interessant ist auch die Frage nach der Wertigkeit seiner Position in den Streitkräften. Wird mit Widjojo auch Sospol bzw. Territorialangelegenheiten wieder wichtig, und falls ja, in welcher Funktion? Wie unter Suharto als Führung der Gesellschaft, oder als Think Tank für Militärpolitik vis-a-vis der Regierung? Wie auch immer, Widjojo ist aus dem scheinbaren Nichts zum Machtfaktor indonesischer Politik geworden. Daneben gibt es zwei weitere.
Das Heer rückt vor
Heeresstabschefs Tyasno Sudarto baut an seinem Profil als struktureller Reformator der Streitkräfte. Er gilt als reformorientiert und wurde deswegen von Wahid in seine Position berufen. Tyasno betreibt die schrittweise Abschaffung der beiden unteren der insgesamt fünf Ebenen territorialer Präsenz des Heeres in Indonesien schrittweise, was aber nichts an der Stationierung von Heereseinheiten in jeder Region des Landes ändern soll. Darin wurde er von Widjojo unterstützt (The Straits Times, 22.5.). Beide wollen das Heer als einen präsenten Machtfaktor in der Gesellschaft. Ein Zurück in die Baracken, wie es zivile demokratische Kreise in großer Übereinstimmung fordern, lehnen Tyasno und Widjojo weiterhin ab.
Generalleutnant Tyasno Sudarto profiliert sich als führender Mann des Militärs. Er leitete im März und April, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, die Annäherung Wahids an die TNI ein. Er nutzte den politischen Anspruch Wahids, der Garant der Einheit Indonesiens sein zu wollen und mit seiner Regierung vorrangig den Zerfall des Landes zu verhindern. Damit gewann Wahid zu Beginn seiner Amtszeit die Unterstützung des Auslands. Tyasno zeigt Wahid wiederholt (wie in den Pressespiegeln nachzulesen), dass nur die TNI angesichts der unübersehbaren Spannungen in der Lage ist, dieses Ziel für ihn zu verwirklichen. Im März knickte Wahid ein, gab den Befehl zur „Polizeiaktion“ Sadar Rencong III, gegen die GAM in Aceh, begann das Militär zu hofieren, besuchte die Eliteeinheiten Kostrad und Kopassus und änderte seine Rhetorik. Höhepunkt der Annäherung war die Kommandeurtagung im April, in der Wahid ein Ende der öffentlichen Kritik an der TNI forderte und sich zur TNI in ihrer reformierten Struktur bekannte. Er versprach ein deutliches Plus an Haushaltsmitteln für die Verbesserung des Wohlfahrt der Soldaten und für Rüstungsmaßnahmen. Tyasno seinerseits bekräftigte die demokratische Gesinnung der TNI, ihre Loyalität zur Regierung und ihre Orientierung auf die Landesverteidigung im Zeichen der Wahrung der nationalen Einheit. Weil eine äußerer Bedrohung nicht gegeben ist, übersetzen sich seine Worte zum harten Durchgreifen gegenüber Tendenzen regionaler Autonomie und Unabhängigkeit von Jakarta. Ganz im Sinne Wahids.
Imagepolitur
Tyasno bemüht sich um die Verbesserung des Ansehens der Streitkräfte. Einem Plan Suhartos aus 1997 folgend, werden Unruhen in Jakarta nun von der paramilitärischen Bereitschaftspolizei Brimob (Brigade Mobil) bekämpft. Auch in Aceh führt die Brimob den schmutzigen Krieg an vorderster Front, unterstützt vom Strategischen Heereskommando, Kostrad. Auf den Molukken ist eine bunt aus allen Truppengattungen und Heeresverbänden zusammengesetzte Truppe im Einsatz, bei der jedoch, wie im gesamten Osten Indonesiens, Kostrad die Fäden zieht. Kostrad wird seit drei Monaten von Agus Wirahadikusumah geführt, einem von Wahid beförderten General mit dem Ruf eines Reformers. Er ist der dritte Mann im Triumvirat militärischer Macht der post-Suharto Zeit.
Der dritte Mann
Immer mehr in den Hintergrund rückt Verteidigungsminister Juwono Sudarsono. Es wird in der politischen Szene Jakartas keinen Mann geben, der in den letzten Monaten mehr an Gesicht verloren hat als er. Jedes Mal, als er für die weite Zukunft fundamentale Reformen in den Beziehungen Regierung und Militär ankündigte, folgte wenige Tage später ein gegenteiliges Statement aus Streitkräftekreisen. So auch bei seinem Vorschlag, einen gemischten Generalstab für die Streitkräfte zu bilden und diesen später dem Verteidigungsminister zu unterstellen (Kompas, 24.5.). Zur Zeit untersteht der gemeinsame Führungsstab dem Befehlshaber der TNI, Admiral Widodo.
Es war Agus Wirahadikusumah, der am 25. Mai die Unterstellung seines Verbandes, Kostrad, unter den Heeresstab vorschlug, mithin unter die Kontrolle Tyasnos. Bislang untersteht es dem Marineadmiral Widodo. Mit diesem Schachzug unterläuft Agus eine zentrale Zielsetzung der Regierung Wahid, die Verringerung der Macht des Heeres innerhalb der TNI. Setzt er sich damit durch, ist das Heer wieder die mächtigste Teilstreitkraft, weil ihr mit Kostrad der schlagkräftigste Verband wieder unterstellt würde. Zugleich ramponiert Agus damit zwar seinen Ruf als Reformer, was ihm aber angesichts seiner neuen Machtposition eher nebensächlich erscheinen mag.
Tyasnos Trumpfkarte gegenüber Wahid sind die militärischen Konflikte an sich. Sie brechen nun fast überall aus. Die Propagierung eines Jihad oder Heiligen Krieges gegen die Christen auf den Molukken im Dezember führte im April zur paramilitärischen Ausbildung von dreitausend Mitgliedern der Laskar Jihad (Miliz Heiliger Krieg) in Bogor bei Jakarta für den Kampf auf den Molukken. Weder das Trainingslager noch die Ausreise wurden von den Sicherheitskräften behindert. In den letzten Maitagen (Kompas 31.5., dpa 30.5., Detikworld 30.5.) musste der Wehrbereichskommandeur der Molukken, Max Tamaela, zugeben, dass die offenbar generalstabsmäßig durchgeführten Überfälle gut ausgerüsteter „Mobs“ von See aus auf christliche Dörfer auf Halmahera von der Laskar Jihad und beteiligten „oknum“ (Schurken) der TNI durchgeführt werden. Tamaela ist die undankbare Aufgabe übertragen worden, die Bevölkerung mit seiner aus schlecht ausgerüsteten und aus verschiedenen Territorialeinheiten zusammengewürfelten „militärischen Unterstützungseinheit“ (Satuan Banmil) zu schützen. Das Sagen in seinem Gebiet haben aber Kostrad und Brimob – oder wer auch immer! Die Art der Überfälle von See aus auf christliche Wohngebiete in den gesamten Molukken mit speed boats, bemannt mit militärischen Standardwaffen ausgerüsteten paramilitärischen Gruppen, sprechen nicht für die spontane „Mobs“. Dahinter muss eine zumindest quasi-militärische Führung stehen, die in diesem Gebiet von Kostrad zumindest geduldet wird. Dem Ein-Sterne-General Tamaela, der seit über einem Jahr noch nicht wie seine Kameraden zum Generalmajor in den anderen Wehrbereichen befördert worden ist, mag man zugestehen, dass er damit nichts zu tun hat.
Zu ihrer Entschuldigung, warum sie nicht gegen diese Verbände vorzugehen vermag, verweist die TNI auf Disziplinlosigkeit in der Truppe, geringe Haushaltsmittel und eine veraltete Ausrüstung. Daran ist eine Menge wahr. Dennoch sind die einsatzfähigen Einheiten und Verbände sind in der Lage, die Unruhen auf einer Ebene geringer Intensität halten können, was von der größeren Schwache ihrer Gegner zeugt. Zeugt es auch von verdeckter Komplizenschaft zumindest von einigen Einheiten und Verbänden? Oder schauen die Einheiten oft weg, um sich selbst nicht in Gefahr zu bringen (es darf nicht untersehen werden, dass fast täglich Soldaten zu Opfern von Kampfakten oder Anschlägen werden), oder gar um höhere politische Ziele zu verfolgen, wie die der Schwächung der Zentralregierung in Jakarta?
Ein militärisch schwaches Militär bedeutet nicht zwangsläufig ein verarmtes Militär. Besonders die Eliteverbände besitzen florierende Wirtschaftsunternehmungen, die heute dank der mutigen indonesischen Presse kein Geheimnis mehr sind. Ausländische Beobachter, und auch die Institutionen aus dem Westen, die sich jetzt um Aufdeckung der Finanzmachenschaften der TNI bemühen, hatten über dreißig Jahre hinweg nicht den Mut gefunden dies zu tun. Sie profitieren von der mutigen Vorarbeit indonesischer Journalisten, Wissenschaftler und auch Wissenschaftsinstitute zur Aufdeckung des wahren Militärhaushaltes. Jedoch kann die bemerkenswerte und erstaunlich umfassende Aufdeckung wirtschaftskrimineller Aktivitäten von TNI-Angehörigen, wie die eines landesumspannenden Geldfälscherrings mit Beteiligung ehemaliger hochrangiger Generäle, ebenso wenig wie die im Mai angelaufenen Prozesse zur Aufdeckung militärischer Verbrechen in der Vergangenheit, die Streitkräfte aus der Macht drängen. Wenn es zu Prozessen kommt, wie gegen TNI-Angehörige in Aceh im Mai wegen Menschenrechtsverletzungen (mit Verurteilungen von 24 Soldaten und einem Zivilisten), werden nur Soldaten der unteren Ränge, Offiziere bis zum Dienstgrad Oberst, oder pensionierte Offiziere angeklagt. Die angelaufenen strafrechtlichen Ermittlungen zur Aufdeckung der Hintergründe des militärischen Sturms auf die Zentrale der Partai Demokrasi Indonesia im Juli 1996, die Massenmorde an Muslimen in Tanjung Priok 1984, und schließlich das Verfahren zur Aufdeckung der Hintergründe der geplanten und fast vollzogenen Vernichtung Osttimors im letzten Jahr, schwächen das Ansehen der TNI, aber nicht wirklich ihre Strukturen und ihre Macht. Offiziere und Generäle im aktiven Dienst scheinen weiterhin tabu zu sein. Solange nicht ein aktiver Stabsoffizier begangener Verbrechen durch staatliche Organe beschuldigt wird, ist die wahre Macht der Streitkräfte nicht wirklich gebrochen.
Papua
Die zuvor skizzierten Strukturen zeigen sich auch in der ersten Woche des Juni. Der Beschluss des Papua-Volkskongresses zur Unabhängigkeit des Gebietes von Indonesien führte auf offiziell-militärischer Seite zu den voraussehbaren Reaktionen. Offen drohte Präsident Wahid mit militärischer Gewalt, und Agus Wirahadikusumah preschte mit dem Angebot vor, diese mit seinen Kostrad-Truppen auszuführen (Kompas und Suara Pembaruan, 5.6.). Wahid bediente sich dabei einer neuen Sprachregelung, militärische Gewalt gegen Papua-Separatisten auf der Grundlage bestehender Gesetze und unter Beachtung der Menschenrechte anzuwenden (Jakarta Post, 6.6.). Der Menschenrechtsminister, Konteradmiral Freddy Numberi, sagte es so: „.. Gus Dur (d.h. Präsident Wahid, IW) wünscht, dass der (Militär-)Apparat nicht länger die alten Paradigmen anwendet. Mit dem Austausch der alten Paradigmen sollen die Soldaten nicht weiter die falschen Handlungen begehen“ (Kompas, 6.6.). Wie diese an Menschenrechtsmaßstäben ausgerichtete Kampfführung aussehen wird, bleibt abzuwarten. Agus Wirahadikusumah äußerte sich deutlicher: „Separatistische Bemühungen oder Bewegungen im Gebiet (von Papua) werden von der TNI begegnet werden, in diesem Fall von der Kostrad. (…) „Kostrad ist bereit zu leben oder zu sterben gemeinsam mit dem Volk zur Verteidigung des Staates der Einheit der Republik Indonesien gegenüber denjenigen, die sich abspalten wollen.“ (Suara Pembaruan, 5.6.). Für die Unruhegebiete in Ostindonesien kündigte er militärische Ernstfallpläne an (Kompas, 5.6.). Zur Zeit läuft auf dem Truppenübungsgelände Purboyo in Ostjava ein dreiwöchiges Trainingsprogramm der Marineinfanterie (Korps Marinir), in der Seelandemanöver mit voller Bewaffnung, Einzelkampf, Kampfschwimmen und Angriffe auf Bergstellungen vorbereitet werden (Suara Pembaruan, 4.6.). Bemühungen um politische Maßnahmen zur Lösung dieser neuen Krise sind in der indonesischen Presse bislang nicht auszumachen.
Schattenmänner
Ein anderes, fast vergessenes Kapitel der Macht öffnete Prabowo Subianto, als er am 9. Mai seinen ersten öffentlichen Auftritt auf indonesischem Boden vor versammelter Presse vollzog. Fast beiläufig schlug er ein parlamentarisches Aufsichtsgremium zur Kontrolle der Nachrichtendienste vor, wie es in Indonesien nicht besteht. Der „Intel-“ (Nachrichtendienst-)Komplex ist immer noch eine Macht im Hintergrund, über die Beobachter fast nichts wissen. Unter Habibie fand zwischen April und Juni 1999 die Umstrukturierung des Militärnachrichtendienstes statt, der sich von BIA zu BAIS umbenannte. Der neue Name, Agentur für strategische Erkenntnisse, ist in Wirklichkeit der alte, ehemalige Name und deutet auf den operativen Charakter dieses Dienste hin, der sich, wie der staatliche Koordinierungsdienst Bakin, nicht mit Nachrichtengewinnung begnügt. Ihre Verquickungen in militärische Operationen, wie z.B. in Osttimor in 1999, sind bekannt. BAIS vergrößerte die Zahl seine „Direktorate“ von fünf auf acht. Wozu? Gehören Auslandseinsätze, die unter dem BIA (1994-1999), (fast?) unbekannt waren, jetzt, wie früher, wieder zum Repertoire? Hängt die Ermordung des Aceh-Separatistenführers Teuku Don Zulfahri mit BAIS zusammen? Zumal einige Vertraute ihn als ex-BAIS Informanten bezeichnen? Oder wurde er Opfer einer rein internen Auseinandersetzung innerhalb der GAM?
Prabowo, als damaliger Chef des Kostrad für die Unruhen vom Mai 1998 verantwortlich gemacht, tut gut daran, zu seiner Verteidigung auf diesen immer noch schattenhaft agierenden Machtkomplex zu weisen. Hat doch Abdurrahman Wahid seine Macht auf Bakin und BAIS gestützt, ja, gelten diese Dienste doch heute als pro-Wahid. Wer die Macht in Jakarta will, kommt an Intel nicht vorbei. Was innerhalb des Intel-Komplexes vor sich geht, ist aus den Medien kaum zu entnehmen.
Abhängigkeiten
Die Regierung Wahid gerät mit jedem Konflikt in engere Abhängigkeit von den Uniformträgern. Dennoch ist eine offene Machtübernahme der TNI unwahrscheinlich. Ihr desolater innerer Zustand spricht dagegen. Es gibt keine die Teilstreitkräfte oder die Heeresverbände übergreifenden Führungsstrukturen. Ein Putsch wäre militärisch nicht durchzuhalten. Marine und Luftwaffe zögen voraussichtlich nicht mit, die Polizei wohl schon. In Aceh wurden kürzlich Feuergefechte zwischen Militärpolizei und Brimob bekannt. So geschah es auch in Westsumatra.
Eine kalte Machtübernahme des Militärs ist möglich. Sie benötigt keinen Putsch. Ein schwacher Präsident, der zwar viel redet, aber in seinen Taten nicht die vom Militär gezogenen Grenzen überschreitet, reicht aus. Die Fraktionen der TNI/POLRI in Parlament und MPR sind wichtige Machtgrößen und werden politisch nicht nur von Amien Rais hofiert. Auch Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri gilt als militärnah. Am Militär kommt in Indonesien immer noch keiner vorbei.
In der ersten Woche des Juni scheint eine Annäherung von Regierung und Militär um die Papua-Krise wahrscheinlich. Beide unterscheiden sich in ihren Aussagen zur Krisenreaktion kaum noch voneinander. Auch die Golkar-Fraktion in Parlament und Volkskongress äußert harte Worte gegen die Unabhängigkeitserklärung, ebenso Amien Rais als Vorsitzender des Volkskongresses. Eine große Koalition der Politik um das Militär als Retter der nationalen Einheit wird wahrscheinlich. Eine Unterscheidung zwischen zivil und militärisch wäre dann aufgehoben.