Gewaltausbruch in Osttimor hält an

Deutsche Welle, 30. Mai 2006

deutsche-welleIn Osttimor, dem ärmsten Land Asiens, liefern sich regierungstreue Truppen seit Tagen heftige Kämpfe mit aufständischen Soldaten. Am Anfang der Unruhen stand ein Konflikt innerhalb der Armee. Der kleine südostasiatische Inselstaat Osttimor erlebt derzeit die blutigsten Ausschreitungen seit Jahren. In Osttimors Hauptstadt Dili flammte am Dienstag (30.5.2006) nach einer kurzen Ruhepause die Gewalt wieder auf. In mehreren Vierteln gab es Gefechte, Brandstiftungen und Plünderungen. Nur 100 Meter vom Präsidentschaftspalast entfernt setzten mit Buschmessern und Eisenstangen bewaffnete Jugendgangs Gebäude und Autos in Brand.
Die gefährliche Situation hält seit Ende April an. Viele Bewohner haben die Hauptstadt Dili verlassen, darunter vor allem Ausländer. Auch die Vereinten Nationen zogen einen Großteil ihrer Mitarbeiter aus Dili ab. Diejenigen, die nicht fliehen konnten, verbarrikadierten sich in ihren Häusern oder suchten in Flüchtlingslagern, Botschaften und anderen ausländischen Institutionen Schutz.

Ausländische Truppen greifen ein

Die Regierung hat angeordnet, dass alle osttimoresischen Sicherheitskräfte aus Dili abgezogen werden sollen. Stattdessen sollen nun rund 2200 Soldaten und Polizisten der internationalen Truppen unter Federführung des australischen Militärs die Regierung von Osttimor unterstützen und dabei helfen, Frieden und Sicherheit in der Hauptstadt wiederherzustellen. Ende vergangener Woche trafen die ersten Einheiten der internationalen Truppen in der osttimoresischen Hauptstadt ein. Sie bewachen wichtige Regierungsgebäude und sichern die Hauptstraßen Dilis. Trotzdem fühlen sich die Bewohner Dilis nicht sicher, sagt Manuel Monttero von der Nicht-Regierungsorganisation „Yayasan HAK“ in Dili. „Im Grunde können die internationalen Truppen nicht alle Banden, die plündernd durch die Stadt ziehen, aufhalten.“
Die Panik der Bürger gründet auf der tiefsitzenden Angst vor einem erneuten Krieg. Osttimor war jahrzehntelang in einen Unabhängigkeitskampf verwickelt. Portugal entließ das kleine Land 1975 in die Unabhängigkeit. Jedoch wurde der östliche Teil der Insel Timor kurz danach von Indonesien annektiert. In den folgenden 24 Jahren kamen mehr als 200.000 der 800.000 Einwohner Osttimors ums Leben. Erst 1999 kam es – auf Druck der internationalen Staatengemeinschaft, die Indonesiens Anspruch auf Ost-Timor nie anerkannt hat – zu einer Volksabstimmung. Als deutlich wurde, dass sich die Mehrheit für die Loslösung von Indonesien entschieden hatte, kam es zu heftigen Kämpfen zwischen den pro-indonesischen Milizen und der indonesischen Armee einerseits – und Unabhängigkeitskämpfern andererseits.

„Hausgemachte Regierungskrise“

Erst nachdem die Vereinten Nationen eine internationale Friedenstruppe – unter australischer Führung – in das kleine, vom Krieg gebeutelte Land entsandt hatte, beruhigte sich die Lage nach und nach. Am 20. Mai 2002 erlangte Osttimor schließlich die Unabhängigkeit, seit September 2002 ist die Demokratische Republik Timor Leste (so die offizielle Bezeichnung) Mitglied der Vereinten Nationen. Vier Jahre nach der Unabhängigkeit durchleben die Osttimoresen nun eine erschreckend ähnliche Situation wie zu Kriegszeiten. Der Ruf nun nach ausländischen Truppen komme einer politischen Bankrotterklärung der Regierung gleich, kritisiert die deutsche Aktivistin Monika Schlicher von der Menschenrechtsorganisation „Watch Indonesia“. Auslöser der jüngsten Unruhen sei eine hausgemachte Führungskrise der Regierung, sagt die Menschenrechtlerin.
In der 1400 Mann starken Armee des Landes herrschte Unzufriedenheit. Daraufhin demonstrierten 600 Soldaten. Armee-Chef Taur Matan Ruak wollte das nicht dulden und griff hart durch. Er entließ die Soldaten mit der Begründung, sie seien Deserteure. Daraufhin kam es zu zahlreichen Übergriffen, bei denen mindestens fünf Soldaten und ein Polizist getötet wurden. Als die Gewalt weiter eskalierte, bat die Regierung von Osttimor schließlich um internationale Unterstützung. Australien, Malaysia, Neuseeland und die ehemalige Besatzungsmacht Portugal erklärten sich bereit, Sicherheitskräfte zu schicken.

Präsident übernimmt Kontrolle über Armee

Viele Osttimoresen empfinden dies als Unfähigkeit der Regierung, soziale und politische Probleme intern zu lösen. Sie hätten das Vertrauen in die Regierung verloren, sagt der in Dili arbeitende Journalist Joaquin Fonseca.
Präsident Xanana Gusmão hatte am Montag die Bevölkerung gebeten, Ruhe zu bewahren – um zu verhindern, dass sich die Lage unnötig zuspitzt. Genützt hat der Appell wenig. Die Gewalt ist wieder aufgeflammt. Inzwischen hat Gusmão selbst die Kontrolle über die Armee des Landes übernommen. Dies teilte er am Dienstag nach Gesprächen mit dem Regierungschef Alkatiri mit, der bislang die oberste Befehlsgewalt inne hatte. Die Entscheidung sei mit Zustimmung des Regierungschefs gefallen, sagte Gusmão.
Gusmão wird nach eigenen Angaben zunächst für 30 Tagen gemäß des Notstandsgesetzes die Befehlsgewalt übernehmen. Gusmão hatte Alkatiri am Wochenende wegen der Entscheidung kritisiert, die Soldaten zu entlassen, was wiederum Regierungschef Mari Alkatiri als einen offenen Vorwurf gegen seinen Führungsstil interpretierte. Er warf dem Präsidenten vor, die Unruhen in Dili zum Vorwand zu nehmen, um ihn aus dem Amt zu drängen.
Ziphora Robina / (stl)


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