Die Legionäre sollen es richten
Jungle World, 07. Juni 2006
Die Armee Osttimors ist gespalten, bewaffnete Jugendbanden ziehen durch die Straßen. Die Regierung sah sich dazu gezwungen, ausländische Truppen zur Hilfe zu rufen.
von Monika Schlicher
Wieder suchen Menschen vergeblich nach Sicherheit, wieder brennen Häuser, wieder wartet die Bevölkerung in Osttimors Hauptstadt Dili auf Rettung durch ausländische Truppen. »Schlimmer als 1999« nennen verängstigte Frauen in einem Flüchtlingslager die Situation. Damals legten Milizen mit Unterstützung des indonesischen Militärs das Land in Schutt und Asche. »1999 wusste die Bevölkerung, wer der Feind war. Doch wer ist es heute?« fragt Maria Tschanz, die für die Frauenorganisation Fokupers arbeitet.
Die Gewalt brach am 28. April aus, als 591 Soldaten gegen ihre Entlassung demonstrierten. Jugendliche Banden zogen anschließend randalierend durch die Straßen, demolierten Autos und Gebäude; vier Märkte gingen in Flammen auf. Ob die Randale politisch gesteuert war oder die Jugendlichen nur ihrem Frust über Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven freien Lauf ließen, ist unklar.
Die Regierung unter Premierminister Mari Alkatiri rief die Armee und erteilte Schießbefehl. Nach einem Feuergefecht mit den entlassenen Soldaten waren nach Angaben der Regierung sechs Tote und 80 Verletzte zu beklagen. Der Anführer der rebellierenden Soldaten, Salsinha Gastão, zog sich mit seinen Leuten in den Westen des Landes zurück. Aus Protest gegen den Schießbefehl verließ eine weitere Gruppe unter Major Alfredo Reinaldo die Armee und fordert seither den Rücktritt Alkatiris.
Bereits Anfang des Jahres beklagten demonstrierende Soldaten gegenüber Xanana Gusmão, dem Präsidenten und Oberkommandierenden der Streitkräfte, sie würden bei Beförderungen übergangen, weil sie aus dem westlichen Teil Osttimors stammten. Kameraden aus den Ostprovinzen würden bevorzugt. Der Osten galt als Hochburg des Widerstandes gegen die indonesischen Besatzer.
Osttimors 1.600 Mann starke Armee Falintil-FDTL (Forças de Defesa de Timor-Leste) wurde ins Leben gerufen, um ehemalige Guerilleros der Falintil zu integrieren, die gegen die indonesische Armee gekämpft hatten. 600 Soldaten wurden handverlesen von Xanana Gusmão aufgenommen. Etliche andere fühlten sich übergangen, einige von ihnen schlossen sich extremen Gruppen an. Unterstützt von Politikern wie dem jüngst entlassenen Innenminister Rogério Lobato, stellten sie immer wieder die Legitimität der Armee in Frage.
Der FDTL fehlt es an einem klaren Mandat und an Ressourcen, eine funktionierende Kontrolle durch das Parlament und die Regierung gibt es nicht. Ideologische und persönliche Differenzen aus den Zeiten des Widerstands werden nun in der Armee und der Polizei ausgetragen. Bereits mehrfach entluden sich diese Spannungen in bewaffneten Auseinandersetzungen.
Xanana Gusmão ist eine Symbolfigur für den Befreiungskampf, der vor vier Jahren zur Unabhängigkeit Osttimors führte. Er genießt hohes Ansehen in der Bevölkerung, hat aber wenig politische Macht. Sein Versprechen, sich der Beschwerden der Soldaten anzunehmen, konnte er nicht einlösen. So rückten diese erneut und in größerer Zahl aus. Premierminister Alkatiri wies Befehlshaber Taur Matan Ruak an, die »Deserteure« zu entlassen. Die Regierung ignorierte Kritiker, die darin keine Lösung sahen, genauso wie die zunehmende Verunsicherung in der Bevölkerung und die Angst vor einem Bürgerkrieg. Schlimmer noch, sie ließ zu, dass der von den Soldaten als Problem benannte Gegensatz zwischen dem Osten und dem Westen in der Gesellschaft zum Thema wurde.
Mari Alkatiri und andere Regierungsmitglieder sind weit weniger populär als Gusmão. Erst nach dem Referendum im Jahr 1999 kehrten sie aus ihrem Exil in Mosambik zurück und besetzten umgehend Schlüsselpositionen in der derzeitigen Regierungspartei Fretilin. Viele Menschen meinen, dass ihnen der Bezug zur Bevölkerung fehle und sie sich den drängenden Problemen nicht stellten. Osttimor ist einer der ärmsten Staaten der Welt, und die Armut nimmt weiter zu. Doch Alkatiri begnügt sich damit, arrogant den absoluten Führungsanspruch seiner Partei zu unterstreichen. Kritik begegnet er mit repressiven Methoden, die Opposition wird diffamiert.
Obgleich Außenminister José Ramos-Horta nach dem 28. April täglich melden ließ, die Lage sei unter Kontrolle, empfand die Bevölkerung, beunruhigt durch eine Vielzahl von Gerüchten, die Situation als bedrohlich. Aus Angst vor Übergriffen verließen die meisten der 120.000 Einwohner Dilis die Stadt. Tausende suchten Zuflucht in kirchlichen Einrichtungen und Botschaften. »Die Kinder sagen, sie können nicht mehr zur Schule gehen, weil Krieg sei«, sagt Maria Tschanz.
Eine eilends eingesetzte Kommission der Regierung, die die Gewalttaten vom 28. April untersuchen soll, wurde von den Aufständischen abgelehnt. Sie fordern eine internationale Untersuchung. Am 23. Mai kehrten sie nach Dili zurück. Umgehend eskalierte die Situation, Soldaten kämpften gegen Soldaten, Polizisten gegen Soldaten. Die Regierung und der Präsident sahen sich dazu gezwungen, das Ausland um Unterstützung zu bitten. Der Hilferuf kommt einer politischen Bankrotterklärung gleich.
Australien, Neuseeland, Malaysia und Portugal waren umgehend bereit, Soldaten und Polizisten zu schicken. Die Hoffnung, mit deren Ankunft werde sich die Lage schnell unter Kontrolle bringen lassen, erfüllte sich nicht. Milizen und Banden ziehen marodierend durch die Straßen, zünden Häuser an und lassen ihrer Zerstörungswut freien Lauf. Nur langsam gewinnen die inzwischen rund 2.400 ausländischen Soldaten die Kontrolle.
Solange die Regierung ihre Führungskrise nicht überwindet und keinen Weg zur Integration der verfeindeten Fraktionen findet, wird die Lage instabil bleiben. Nach Beratungen des Staatsrates am Dienstag der vergangenen Woche gab der Präsident bekannt, er werde für zunächst 30 Tage die Befehlsgewalt über die Sicherheitskräfte übernehmen, und forderte Alkatiri auf, die Minister für Verteidigung und Inneres zu entlassen. Den Premierminister kann der Präsident nicht ohne Zustimmung des Parlaments entlassen. Dieser wies Rücktrittsforderungen vehement zurück und betonte, er und Xanana würden die Befehlsgewalt gemeinsam übernehmen. Alkatiri spricht von einem gegen ihn betriebenen Staatsstreich in- und ausländischer Kräfte, ohne diese aber zu benennen. Damit sorgt er für eine weitere Verunsicherung der Bevölkerung.
Ramos-Horta, der inzwischen auch das Amt des Verteidigungsministers übernommen hat, und Xanana möchten die Konflikte in den Streitkräften und der Polizei mit Verhandlungen beilegen, alle Fraktionen entwaffnen und in eine Lösung einbeziehen. Premierminister Alkatiri lehnt dies bislang ab und fordert die umgehende Entwaffnung der Abtrünnigen.
»Eine fähige Regierung sollte nicht zulassen, dass Menschen in ihrem eigenen Land zu Flüchtlingen werden, dass sie leiden und Tote zu beklagen sind«, sagt die Aktivistin Filomena Diaz. Rund 150 Frauen und Kinder zogen am Donnerstag der vergangenen Woche vor den Regierungssitz und forderten Frieden und Sicherheit. Das ist ein Zeichen dafür, dass es eine zivile Opposition gegen die bewaffneten Fraktionskämpfe gibt. Die Demonstration konnte jedoch nur unter dem Schutz australischer Soldaten stattfinden. <>