Fragwürdig: Gerechtigkeit für Osttimor?
Neues Deutschland, 16. März 2002
Interview mit Alexander Flor
Der Sprecher der Menschenrechtsorganisation „Watch Indonesia!“ beobachtet in Jakarta den Prozessauftakt zu den Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Osttimor.
ND: Am Donnerstag hat in Jakarta der erste Prozess im Zusammenhang mit den Gräueltaten in Osttimor 1999 begonnen. Wer war der Initiator?
Der Initiator der Entwicklung war im Prinzip die internationale Staatengemeinschaft. Die hatte mit einem internationalen Tribunal gedroht, falls Indonesien nicht selbst die Täter vor Gericht brächte und Prozesse nach internationalen Standards durchführen würde.
ND: Hat Indonesien mit dem Prozessbeginn einen großen Schritt in puncto Wahrung der Menschenrechte getan, auch wenn der Druck von außen kam?
Indonesien hat sicherlich einen großen Schritt gemacht. Es gibt jetzt immerhin ein Gesetz, das Menschenrechtsprozesse ermöglicht. Und die Tatsache, dass dieser Prozess überhaupt stattfindet, ist ein gewisser Erfolg – trotz aller Mängel und trotz der sehr vagen Aussichten, dass dabei Urteile gesprochen werden, die mehr als nur symbolischen Charakter haben werden. Der Druck von außen, einmal die Drohung mit einem internationalen Tribunal, zum anderen die Einstellung der Waffenexporte und der militärischen Zusammenarbeit seitens der USA als Folge der Gräueltaten in Osttimor, waren jedoch unabdingbar.
ND: Aber auch intern scheint es doch Bemühungen in Indonesien zu geben, Vergangenheit aufzuklären. Zum Beispiel steht der Diktatorensohn Tommy Suharto vor Gericht. Ist eine neue Phase der Gerechtigkeit am Horizont zu erkennen?
Einige Beobachter mögen das so sehen. Ich bin etwas vorsichtig mit allzu schnellen Bewertungen in dieser Richtung. Der Fall Suharto jun. ist noch nicht unter Dach und Fach. In diesen Prozess sind viele verschiedene Anklagepunkte von Mord bis illegalem Waffenbesitz hineingepackt worden. Das führt nach Ansicht der Anwälte zu einer Schwächung und paradoxerweise zu einem niedrigeren Strafmaß, als wenn nur Mord verhandelt worden wäre. Ähnliches gilt für die Verhaftung des Parlamentspräsidenten und Golkar-Vorsitzenden Akbar Tandjung, die natürlich hier von der Bevölkerung sehr begrüßt wird. Er soll etwa 40 Milliarden Rupiah, rund 3,6 Millionen Euro, veruntreut haben, die für Lebensmittelhilfe für die Ärmsten der Armen gedacht waren. Diese Geschehnisse bewegen die Leute hier sehr viel mehr als die Prozesse wegen Osttimor.
ND: Wer steht dabei eigentlich vor Gericht?
Es stehen insgesamt 18 Angeklagte vor Gericht. Geplant waren 19, doch der Milizenführer Moruk ist in Westtimor im September 2000 gelyncht worden. Gegen die ersten beiden Angeklagten, Abilio Soares, den ehemaligen Gouverneur von Osttimor, und Timbul Silaen, den Polizeichef während des Referendums, wurde nun die Anklageschrift verlesen.
ND: Wie sieht es mit Zeugenschutz aus? Gibt es überhaupt Menschen, die sich trauen, gegen diese einflussreichen Leute auszusagen?
Im Moment ist noch weitgehend unklar, wer überhaupt als Zeuge berufen werden wird. Dazu ist der Prozess noch nicht weit genug fortgeschritten. Ansonsten wurde ein Zeugenschutzgesetz praktisch in allerletzter Minute am Mittwoch von der Präsidentin Megawati Sukarnoputri unterzeichnet. Damit wurde das letzte formale Hindernis für den Prozess aus dem Weg geräumt. Auf dem Papier mag dieses Zeugenschutzgesetz ganz gut sein. Was es in der Realität zu halten vermag, kann ich im Moment nicht einschätzen.
Fragen: Martin Ling (ND 16.03.02)