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Verpasste Chancen, unerfüllte Versprechen

KontraS / Watch Indonesia!, September 2008

J. Fabian Junge

Der ad hoc-Menschenrechtsgerichtshof zu den Verbrechen in Tanjung Priok 1984

1 Einleitung Verpasste Chancen, unerfüllte Versprechen. Der ad hoc-Menschenrechtsgerichtshof zu den Verbrechen in Tanjung Priok 1984Indonesien im Jahr 1998. Hunderttausende von Menschen aus allen Lebensbereichen – Studenten, Künstler, Arbeiter, städtische Arme, Angestellte usw. – füllen die Straßen der Großstädte: Unnachgiebig fordern sie den Rücktritt des Autokraten Suharto. Die reformasi-Bewegung ruft nach Demokratie, Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit. Sie fordern die Demilitarisierung von Gesellschaft und Politik sowie die Bekämpfung von Korruption, Kollusion und Nepotismus. Auch verlangen sie: „Adili Suharto, Keluarga dan Kroninya (stellt Suharto, seine Familie und seine Klienten vor Gericht)“ für Korruption und die unzähligen unter seiner Ägide verübten Menschenrechtsverletzungen. Damit einher ging der Wunsch nach einer Neuinterpretation der unter Suharto zu ideologischen Zwecken missbrauchten jüngeren Geschichte und der Etablierung eines Imperativs des „Nie Wieder!“: Der Wunsch, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, sollte zur neuen Basis eines friedvolleren Zusammenlebens und einer freiheitlichen politischen Ordnung werden. Die gewaltsame Unterdrückung jeglicher Opposition war ein zentraler Bestandteil von Suhartos 33 Jahre währendem autoritärem Regime, der Neuen Ordnung, gewesen. Bereits der Beginn seiner Herrschaft wurde von einem der größten Massenmorde seit dem zweiten Weltkrieg markiert: Damals, im Oktober 1965, entführten fünf junge Militäroffiziere eine Gruppe hochrangiger Generäle, so dass ein Machtvakuum entstand. Suharto nutzte diese Gelegenheit und entriss die staatliche Macht Indonesiens erstem Präsidenten Sukarno. Er gab die Schuld an der Ermordung der Generäle der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) und stürzte das Land in einen antikommunistischen Blutrausch. Über die Zahl der Todesopfer gibt es bisher nur Schätzungen: waren es 500.000, eine Millionen, oder mehr? Zahllose weitere verschwanden für Jahrzehnte in Gefängnissen oder wurden aufgrund ihrer Assoziation mit der PKI diskriminiert und vom gesellschaftlichen und politischen Leben ausgeschlossen. Ursachen und Hintergründe der Ereignisse sind bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Die unbewiesene Geschichte vom kommunistischen Verrat und der Rettung der Nation durch die Armee unter der Führung Suhartos wurde jedoch zum Gründungsmythos der Neuen Ordnung. Die Neue Ordnung erhob politische Stabilität und eine von oben gelenkte wirtschaftliche Entwicklung zu den Zielen des Regimes. Eine Ideologie, laut derer die weise staatliche Führung gleich einem Familienvater das Wohl des unreifen Volkes bestimmt, begründete den uneingeschränkten Herrschaftsanspruch Suhartos. Die herrschende Elite aus Militärs, Technokraten und Großunternehmern wurde vor allem durch die Möglichkeit der Selbstbereicherung zusammengehalten. Menschen, die diesen Interessen im Weg standen oder den Herrschaftsanspruch der Neuen Ordnung zu gefährden schienen, wurden als Kommunisten, als Gefährdung der öffentlichen Ordnung, als Feinde der Staatsphilosophie Pancasila oder auf andere Art stigmatisiert. Sie wurden ermordet oder verschwanden in den Folterkammern und blieben jahrzehntelang eingesperrt, manchmal nachdem sie in Schauprozessen verurteilt wurden, manchmal gänzlich ohne Anklage. Für die gewaltsame Unterdrückung des kritischen Potentials waren die Sicherheitskräfte, allen voran die Armee und ihre Spezialeinheiten sowie die Geheimdienste zuständig. Die Massaker von 1965/66, die gewaltsame Niederschlagung studentischer Proteste 1974, das Massaker an muslimischen Demonstranten in Tanjung Priok 1984, die „mysteriösen Erschießungen“ zu Beginn der 1980er, das Massaker an Mitgliedern einer islamischen Sekte in Talangsari 1989, die Entführung oppositioneller Aktivisten 1997 und 1998, die Erschießung studentischer Demonstranten an den Universitäten Trisakti und Atmadjaya 1998 sowie die Unruhen im Mai 1998 sind nur ein Teil der langen Liste von Menschenrechtsverletzungen, die auf ihr Konto gehen. Neben der gewaltsamen Unterdrückung von islamischen oder demokratieorientierten Regimekritikern wurden auch Arbeiter, die gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen protestierten und Bauern, die sich gegen Landvertreibung im Interesse wirtschaftlicher Großprojekte wehrten, immer wieder Opfer von Gewalt. Die von separatistischen Konflikten gekennzeichneten Regionen Aceh, Papua und das völkerrechtswidrig besetzte Osttimor standen de facto unter der Herrschaft des Militärs. Mord, Vergewaltigung, Folter und Vertreibung wurden dort zu Alltagsphänomenen. Heute, zehn Jahre nach dem Rücktritt Suhartos, muss diese sicherlich unvollständige Aufzählung der Gräueltaten um die Aufzählung der unerfüllten Hoffnungen und verpassten Chancen erweitert werden. Zwar hat es entsprechend der Forderungen von Opfern und Menschenrechtlern zahlreiche Maßnahmen zur Aufklärung und Bestrafung einzelner Fälle staatlicher Gewalt gegeben. Doch die verschiedenen Untersuchungen wurden abgebrochen oder von Staatsanwalt und Parlament blockiert, die Justiz verhängte minimale Urteile, sprach die Angeklagten trotz belastender Beweise frei oder versäumte die Anklage der immer noch mächtigen Hintermänner. Maßnahmen zum Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit wurden zu Instrumenten nicht der Gerechtigkeit, sondern der Zementierung der Straflosigkeit für staatliche Gewalt. Sie sind bislang gekennzeichnet von Stagnation, Blockade oder Sabotage. Nicht nur wurde den Opfern dadurch das Recht auf Aufklärung, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für erlittenes Leid verwehrt. Indonesien verpasste auch immer wieder die Chance, Impulse zu geben für eine demokratische Neuordnung des politischen Systems, für die Etablierung des Rechtsstaates und die Unterordnung der Sicherheitskräfte unter zivile Kontrolle. Entscheidend wäre die Aufarbeitung der Vergangenheit auch für die Entstehung einer politischen Kultur, die einen ehrlichen und undogmatischen Umgang mit der eigenen Geschichte ermöglicht. Die folgende Untersuchung widmet sich dem ad hoc-Menschenrechtsgerichtshof für die Verbrechen in Tanjung Priok 1984. Denn das Tanjung Priok-Tribunal bildet bis heute das einzige abgeschlossene Gerichtsverfahren für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die noch während der Herrschaft Suhartos verübt wurden. Überlegungen zu den Ursachen für das Scheitern des Tribunals beziehen sich vor allem auf institutionelle und politische Faktoren im Bereich des Justizwesens und der zivilmilitärischen Beziehungen. Die Untersuchung ist wie folgt aufgebaut: Zunächst wird der Begriff der Vergangenheitspolitik erläutert und die Fragestellung vorgestellt. Der darauf folgende Teil bietet einen kurzen Überblick über den Umgang mit vergangenen Menschenrechtsverletzungen seit dem Rücktritt Suhartos. Die sich anschließende Fallstudie des Tanjung Priok-Tribunals bildet das Kernstück der Arbeit. Danach werden Überlegungen über die Ursachen für das Scheitern des Tribunals angestellt. Ein letzter Teil fasst die Ergebnisse zusammen und zieht allgemeine Schlüsse für das vergangenheitspolitische Engagement zu Indonesien. lesen Sie hier den vollständigen Bericht (PDF, 904 kB)


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