Aceh akzeptiert Hilfe – aber die kommt nicht an
Netzeitung, 29. Dezember 2004
Die am stärksten von dem Seebeben betroffene indonesische Region Aceh ist von der Außenwelt abgeschnitten. Hilfe gelange schwer zu den Überlebenden, sagte eine Sprecherin der Menschenrechts-Organisation Watch Indonesia der Netzeitung.
Von Domenika Ahlrichs
Das Seebeben vom Sonntag, dessen Flutwelle Teile der indonesischen Provinzen Aceh im Norden Sumatras verwüstete, ist aus Sicht von Experten die größte Katastrophe in der Region seit Jahrzehnten. Hunderte Leichen säumen die Straßen der Hauptstadt Banda Aceh.
Marianne Klute von der Berliner Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia hat gleich nach dem Seebeben versucht, sich einen Überblick über das Ausmaß der Katastrophe zu verschaffen. Stromausfall und zusammengebrochene Telefonleitungen hätten das allerdings fast unmöglich gemacht, sagte sie der Netzeitung. «Wir haben in den ersten Tagen nach dem Seebeben nichts von unseren Kontaktleuten in Aceh gehört.» Endlich sei es am Mittwoch erstmals gelungen, telefonisch jemanden zu erreichen.
«Niemand überlebt»
«Was uns erzählt wird, ist schrecklich», sagte sie. Die Zahl der Toten steige stündlich, mittlerweile würden Bagger eingesetzt, um auch an Leichen zu gelangen, die unter Trümmern liegen. Allein im Bezirk Aceh Jaya an der Westküste kamen nach offiziellen Angaben bis zu 15.000 Menschen ums Leben. Das ist ein Drittel der insgesamt registrierten 45.000 Toten in ganz Indonesien. Das seien jedoch «immer nur die, die gezählt werden konnten», sagte Klute der «Netzeitung». In manchen Gebieten hätte die Flutwelle ganze Dörfer hinweggespült. «Dort hat niemand überlebt, der andere als vermisst melden könnte», so die Mitarbeiterin von Watch Indonesia.
Hoffnung auf Waffenruhe
Die Nachricht vom Dienstag, dass in der Bürgerkriegsregion Aceh als Reaktion auf die Flutkatastrophe eine Waffenruhe vereinbart worden sei, kommentierte Klute als «gutes Zeichen aber auch eine Notwendigkeit». Die Lage sei so chaotisch, dass das Militär für Aufräumarbeiten eingesetzt werden müsse und sich nicht mit Kämpfen gegen die Rebellen aufhalten könne. «Allerdings haben wir gehört, dass es kurz nach dem Seebeben noch heftige Gefechte gab», sagte Klute.
Mittlerweile gebe es jedoch Hoffnung, dass die Waffenruhe Bestand haben könne. «Es geht gar nicht anders bei den furchtbaren Zuständen.» Dennoch bleibe die Angst, dass «einige die unübersichtliche Situation ausnutzen» könnten.
«Wir weinen gemeinsam»
Die Nachrichtenagentur AP zitiert indes den Polizeichef von Aceh, Ali Tarunajaya, mit den Worten: «Wir weinen gemeinsam.» Rebellen suchten ebenso wie Polizisten und Soldaten nach vermissten Angehörigen. Der Oberstleutnant versicherte, die Polizei werde «keine Rebellen verhaften».
Wie Klute der «Netzeitung» sagte, ist das größte Problem in Aceh derzeit, dass Hilfsangebote und Helfer aus aller Welt zwar mittlerweile willkommen seien – am Dienstag wurde das Einreiseverbot für Aceh aufgehoben -, nur wenige jedoch in die von der Flutwelle betroffene Region gelangten. «Brücken und Straßen sind zerstört», sagte sie.
Decken, Nahrung, Wasser, Medikamente
Eine indonesische Hilfsorganisation sei bereits seit gut zwei Tagen auf dem Weg nach Aceh. Rettungskräfte, die in den Orten der Provinz eingetroffen seien, stammen demnach hauptsächlich aus benachbarten Landstrichen. «Die Menschen dort brauchen Decken, Nahrung, Wasser, Medikamente – und Geld», sagte Klute. Manchmal gehe es um so banale Vorgänge wie das Mieten eines Lastwagens zum Transport von Hilfsgütern.
Das Indonesische Rote Kreuz teilte am Mittwoch mit, es habe etwa 900 Freiwillige mobilisiert, um den Opfern in Aceh und Nord Sumatra zu helfen. Das Rote Kreuz habe zahlreiche Hilfszentren eingerichtet, die die Opfer mit Lebensmitteln, medizinischer Behandlung und Notunterkünften versorgen. Etwa 1000 Pakete mit Hygieneartikeln und 1000 Plastikplanen für Leichen seien in der Region bisher ausgegeben worden.
Ärzte ohne Grenzen eingetroffen
Als erste internationale Hilfsorganisation begann ein «Ärzte ohne Grenzen»-Team am Mittwoch mit der Versorgung von Verletzten im Katastrophengebiet Aceh. Acht Mitarbeiter seien mit 3,5 Tonnen Medikamenten, Wasseraufbereitungsgerät und Zelten in der schwer verwüsteten Region im Norden Sumatras eingetroffen.
Zwei weitere Hilfsflüge und die Entsendung von acht weiteren Mitarbeitern seien geplant. »Wir haben auch einen Hubschrauber gemietet, um die Situation in anderen Gebiete in Aceh zu erkunden«, sagte der Einsatzleiter. <>