Regime der Angst

DER SPIEGEL, 52/1997

Grausige Fotos belegen Folter an Frauen in Osttimor: Dennoch expandieren Rüstungsgeschäfte – auch mit Deutschland.

SPIEGELlogoDer Name des Mädchens? Unbekannt. Herkunft und Familie? Ungewiß. Ihr Alter, ihr Beruf? Ungeklärt. Nicht einmal das genaue Datum ihres Todes – irgendwann Ende letzten, Anfang dieses Jahres – ist gesichert.

Verbürgt sind allein die grausamen Umstände, unter denen die junge Frau aus Osttimor die letzten Stunden ihres Lebens verbringt: als hilfloses Opfer in den Händen von Folterknechten – vermummten Gestalten in Turnschuhen und Trainingshosen und Männern mit Tarnanzügen der indonesischen Sicherheitskräfte.

An den Händen gefesselt schleppen diese Schergen sie in einen Keller. Die Uniformierten stülpen der Frau einen schwarze Binde über den Kopf, entblößen ihren Oberkörper, schlagen und treten auf sie ein, bis sie blutend am Boden liegt. Dann zerren sie ihr Rock und Schlüpfer vom Körper, verletzen sie mit brennenden Zigaretten an Brustwarzen und Scheide.

Die Peiniger beschmieren das Opfer mit höhnischen Parolen: „Das passiert mit euch Helden aus Timor, die ihr gegen den Staat seid.“ Wohl in Anspielung auf die Religion der gequälten Frau zeichnen die Folterknechte ihr ein Kreuz auf den Bauch. Und neben einem Christusbild lästert die Inschrift: „Wenn das ein Kind Gottes ist, dann komm doch runter und rette deine Gläubige.“

Die Tortur haben die Militärs selbst dokumentiert, auf 24 Farbfotos sind die Soldaten oft neben ihrem Opfer zu sehen. „Offensichtlich wollten sie damit gegen über ihren Vorgesetzten beweisen, wie sie ihre Arbeit verrichten“, meint ein Vertreter des Internationalen Hilfszentrums für Osttimor, ETISC.

Die Organisation mit Sitz in Darwin, Australien, erfuhr Anfang des Jahres von der Serie der Folteraufnahmen, die brutale Übergriffe gegen insgesamt fünf verschiedene Frauen zeigen. Die „unumstößlichen Beweise“ (ETISC) belegen, was die Regierung in Jakarta geleugnet hat: Auch heute, 22 Jahre nach dem Einmarsch der indonesischen Streitkräfte, herrscht in der ehemaligen portugiesischen Kolonie ein Regime der Angst. Trotz der Kritik durch die Uno, die die völkerrechtswidrige Annexion und Menschenrechtsverletzungen verurteilte, sind Mißhandlungen und Folter an der Tagesordnung.

Die einheimische Bevölkerung von offiziell 842.000 Menschen, überwiegend katholische Melanesen und Mestizen, hat den gewaltsamen Anschluß an das zu fast 90 Prozent muslimische Indonesien nie akzeptiert. Sie organisierte sich gegen die Fremdherrschaft, seit 1975 führt der bewaffnete Arm der Befreiungsorganisation Fretilin einen aussichtslosen Guerrilakrieg.

Den Widerstand der Osttimoresen gegen die neuen Kolonialisten unterdrückte Jakarta stets mit brachialer Gewalt. Bei einer friedlichen Demonstration im November 1991 wurden in Dili, der Hauptstadt von Osttimor, mindestens 100 Menschen von den Militärs erschossen. „Völkermord“ nennt die Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia! die Folgen von Bürgerkrieg und Okkupation. Nicht einmal die Verleihung des Friedensnobelpreises an den katholischen Bischof von Osttimor, Carlos Filipe Ximenes Belo, der zusammen mit seinem Landsmann José Ramos-Horta im Oktober 1996 geehrt wurde, brachte eine politische Wende – im Gegenteil.

„Eine Welle der Verhaftungen und Folter erschüttert die jungen Leute im Territorium“, konstatierte Belo im Mai, auch Amnesty International äußerte sich besorgt über die Eskalation der Gewalt. Alles „Unsinn“, behaupten dagegen Regierungsvertreter Indonesiens zu den Vorwürfen. Nach den offiziellen Verlautbarungen wie den „News from East Timor“, die Indonesiens Botschaft in Bonn verteilt, herrscht auf der Insel Eintracht – die Störenfriede sind die Fretilin-Aktivisten und die frühere Kolonialmacht Portugal. Indonesische Truppen, so Jakartas Vertreter bei der Uno-Menschenrechtsorganisation, würden „niemals zu Praktiken wie Folter greifen“.

Trotz wiederholter Uno-Resolutionen, die den Rückzug Indonesiens aus Osttimor forderten, gedeihen international Handel und Kooperation. Und obwohl das Europäische Parlament in 16 Entschließungen Menschenrechtsverletzungen anprangerte und 1988 die EU-Regierungen aufforderte, jede militärische Hilfe und jeden Waffenverkauf an Indonesien zu stoppen, entwickelte sich die Inselrepublik zum bedeutendsten Abnehmer deutscher Rüstungsgüter in Südostasien.

Die Bonner Haltung, beklagen Menschenrechtsgruppen, sei typisch für das „unglaubwürdige Engagement“ der gesamten EU-Regierungen: Statt mit ihrem wirtschaftlichen und politischen Einfluß Druck auf das Suharto-Regime auszuüben, belassen sie es bei kraftlosen diplomatischen Noten.

Jakarta, das vor über einem Jahr schockiert auf die Verleihung des Nobelpreises reagierte, hat längst aufgehört, die Auftritte und Protestschreibcn von Ramos-Horta oder Bischof Belo zu fürchten. „Ein Jahr nach der feierlichen Ehrung“, klagt ein ETISC-Sprecher „sind die internationalen Appelle ungehört verhallt, ja, das Suharto-Regime hat seine drakonischen Okkupationspolitik sogar noch verschärft.“

Selbst die Soldateska vor Ort mockiert sich mittlerweile über die Ohnmacht der in Oslo gekürten Vorkämpfer für den Frieden. Die Militärs, die an einem unbekannten Ort eine unbekannte Frau ihren Martern unterwerfen, rücken auch ein Plakat mit einem entlarvenden Slogan vor den nackten, blutigen Leib ins Bild; „Hidup hadia Nobel“, so der zynische Hinweis, „Lang lebe der Nobelpreis.


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