Frau Gunartis Kampf gegen Zement
n-tv, 10. Mai 2017
„Ein Haus aus Bambus reicht!“
Von Diana Dittmer
Zementkonzerne wittern in Indonesien das große Geschäft. Auch HeidelbergCement mischt mit und bedroht damit die Existenzgrundlage von Kleinbauern. Eine von ihnen verfolgt den Dax-Konzern bis zur Hauptversammlung nach Deutschland.
Wenn die Bäuerin Gunarti aus Indonesien ihren Kindern das Essen bereitet, fürchtet sie um den Boden auf dem sie lebt und der sie ernährt. Die 42-jährige Mutter von drei Kindern lebt in einem kleinen Haus am Fuße des Kendeng-Gebirges in Zentraljava. Ihre Familie gehört der indigenen Minderheit der Samin an. Die „freundlich Gesinnten“, wie Samin übersetzt heißt, leben ausschließlich von Landwirtschaft, Handel lehnen sie ab. 140 Euro im Monat haben Gunarti und ihre Familie im Monat. Ihre Kinder unterrichtet sie selbst, so wie ihre Mutter sie unterrichtet hat. Es ist ein bescheidenes Leben, große Ansprüche hat sie nicht. Gunarti lebt seit Generationen auf dem fruchtbaren Land ihrer Vorfahren. Es verkaufen oder wegziehen will sie nicht.
Doch bald könnte sie dazu gezwungen sein. Die Zementindustrie droht ihr und ihrer Gemeinde buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzuschaufeln. Großkonzerne wie Semen Indonesia, der französische Lafarge-Konzern oder die deutsche HeidelbergCement haben in Gunartis Karstgebirge etwas gefunden, das auf dem Weltmarkt Milliarden Dollar wert ist: Kalkstein. Zusammen mit Sand ist er der Grundstoff für Zement, die Basis von Beton.
Jahrhundertelang interessierte sich niemand für diese Vorkommen. Die Familien in Gunartis Gebirge lebten völlig unbehelligt. Doch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in Asien wuchs der Hunger nach Baustoff. Und der Staub unter Gunartis Füßen wurde zu Gold. Die Bagger der Industrie begannen die Bergspitzen abzutragen und dort, wo vorher Häuser und Felder waren, entstanden Tagebaue und Zementfabriken.
Von Java nach Heidelberg
Auch HeidelbergCement will bald vor Gunartis Haustür nach dem Boom-Rohstoff schürfen. Die entsprechende Genehmigung liegt vor. Seit 2001 ist der Dax-Konzern Mehrheitsaktionär von Indonesiens zweitgrößtem Zementhersteller Indocement. HeidelbergCement selbst ist der drittgrößte Produzent der Welt. Die Bauern im Kendeng-Gebirge, die seit Generationen im Einklang mit der Natur leben, haben Angst: vor der irreparablen Zerstörung der Natur, vor Landverlust und vor Umsiedelungen – und vor HeidelbergCement.
Was passiert, wenn die Bagger kommen, schildert der Dokumentarfilm „Samin vs. Semen“ des indonesischen Journalisten Dandhy Dwi Laksono. Die Vogelperspektive auf den Norden von Zentraljava zeigt ein gesundes fruchtbares Gebirge. Die Kamera fliegt über dichten Regenwald, Äcker und Viehwiesen. Es sind Bilder aus dem Jahr 2006. Plötzlich sind acht Jahre vergangen und es ist vorbei mit der Idylle. Dort, wo gerade noch sattes Grün war, klafft nackte braungraue, von Baggern zerfurchte Erde. Der Tagebau des staatlichen Zementkonzerns Semen Indonesia hat sich tief ins Kendeng-Gebirge gefressen. Die Landschaft hat sich dramatisch verändert, mit katastrophalen Folgen für die Menschen.
Frau Gunarti hat entschieden, nicht untätig zu bleiben. Auf Einladung der deutschen Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) Watch Indonesia! ist sie 11.000 Kilometer weit bis nach Heidelberg gereist, um dem Konzern auf der heutigen Hauptversammlung die Leviten zu lesen. In Kooperation mit dem Dachverband der Kritischen Aktionäre wird sie dort sprechen und eine Petition von Rettet den Regenwald überreichen.
Gunarti und die anderen Bauern wollen ihr Gebirge schützen, nicht nur aus Respekt vor der Natur, sondern auch aus religiösen Gründen: Dies ist ihre „Mutter Erde“. „Wir müssen sehen, dass sie gesund bleibt“, sagt Gunarti.“Der Berg ist für die Ewigkeit. Wir sind reich.“ Dabei drückt sie ein traditionelles indonesisches Wasserbehältnis an sich. Sie hat eine Schleife drum herumgebunden. Ihr Gesicht ist regungslos. Es verrät weder Angst noch Hoffnung, nur Konzentration. Sie hofft, dass sie mit ihrer Mission in Heidelberg Gehör finden wird. Ob HeidelbergCement auf ihre Kritik eingehen wird, wollte der Konzern auf Anfrage von n-tv.de nicht sagen.
Hunger nach Zement und Beton
„Lieber eine Zementkrise, als eine Lebensmittelkrise“, sagt Gunarti, die sich von ihrem Land ernährt. Der Rest der Welt sieht es jedoch genau umgekehrt. Weltweit werden 4,6 Milliarden Tonnen Zement pro Jahr produziert, drei Mal so viel wie 2001. Der größte Teil kommt aus China, Indonesien ist der fünftgrößte Produzent.
Entwicklungsbanken, Regierungen und private Investoren pumpen große Summen in die ASEAN-Staaten. Deshalb ist Südostasien für die Zementhersteller wirtschaftlich eine besonders große Verlockung. Indonesiens Präsident Joko Widodos will sein Land zu einer „globalen maritimen Achse“ machen. Dafür braucht er Zement – für Seehäfen, Straßen, Staudämme und neue Städte. Zwischen 2009 und 2013 ist die Produktion bereits um rund 50 Prozent gestiegen. Das Land produziert inzwischen mehr, als es selber braucht. Sogar Australien kann noch seinen Bedarf mit indonesischem Zement decken
Die Leidtragenden jedoch sind die Menschen wie Gunarti. Für sie steht fest: „Land bleibt. Geld nicht.“ Die Erfahrung hat es die Menschen hier bereits gelehrt. In Dandhys Film klagen die Bauern aus dem Nachbardistrikt Pudang, die Polizei habe sie bedroht, verspottet und beleidigt, damit sie ihr Land an die Zementfirmen verkaufen. Das Geld hätte Zank und Streit unter den Nachbarn und in den Familien gesät. Zudem sei es auch viel zu schnell wieder weg gewesen. Die Zementfirmen hätten ihnen Arbeit versprochen, doch bekommen hätten sie keine. Mit dem Ergebnis, dass sie heute immer noch ohne Geld und nun auch noch ohne Land dastehen. „Die Zementfabrik macht uns zu armen Leuten“, sagt ein Bauer.
Viele haben ihr Land bereits an die Zementindustrie verkauft. Aber auch an Menschen, die wie Gunarti ihr Land nicht verkaufen, gehen die Veränderungen durch die Industrie nicht spurlos vorbei. Der Kalkabbau gefährdet den sensiblen Wasserhaushalt im Gebirge. Das Karstgebirge ist durchzogen von Höhlen, Quellen und unterirdischen Flüssen, es funktioniert wie ein Schwamm. Trägt die Zementindustrie die Gesteinsschichten ab, versiegt auch das Wasser und damit die Lebensquelle für Mensch, Tier und Felder. Der Grund verdörrt. Das Land ist nicht mehr zu bewirtschaften – und auch nicht mehr zu verkaufen. Alle stehen am Ende mit leeren Händen da.
Gunarti protestiert mittlerweile seit vielen Jahren in der Bürgerinitiative „Netzwerk der Menschen, denen das Kendeng-Gebirge am Herzen liegt“ (JMPPK) gegen die Bauvorhaben der Zementindustrie. Die meisten von ihnen sind Frauen. Um Umweltverträglichkeitsprüfungen und Baugenehmigungen anzufechten, sind sie bis vor das Oberste Gericht in Indonesien gezogen. Erst im März haben sie sich vor dem indonesischen Präsidentenpalast in Jakarta die Füße einbetoniert.
Schürfen in der juristischen Grauzone
Doch sie und die anderen Aktivistinnen kämpfen gegen Windmühlen. Denn Regierung und Gerichte sind auf der Seite der Industriekonzerne, obwohl die Rechtslage unklar ist. Präsident Joko Widodo gab vor sieben Jahren die 5000 Hektar ursprünglichen Naturschutzgebietes im Kendeng-Gebirge für Bergbau und Industrie frei. Und Semen Indonesia ließ sich selbst durch ein Gerichtsurteil nicht vom Bau seiner Fabrik im Karstgebirge im Distrikt Rembang stoppen. Der zuständige Gouverneur setzte sich über die richterliche Anweisung hinweg und erteilte dem Konzern eine eigene Genehmigung.
Auch die HeidelbergCement-Tochter Indocement ist für ihre Baugenehmigung im Nachbardistrikt Pati bereits durch alle Instanzen gezogen und hat am Ende vor dem Obersten Gericht gewonnen. Indocement hat bisher drei Fabriken in Indonesien, noch liegt keine davon im sensiblen Kendeng-Gebirge. Doch wie es aussieht, soll der nächste Tagebau genau hier vor Gunartis Haustür entstehen, auch wenn es seit April eine neue Umweltstudie der Regierung gibt, die empfiehlt, im Kendeng-Gebirge keinen Bergbau mehr zu betreiben.
HeidelbergCement weist alle Vorwürfe der Bauern und Umweltschützer in einer Pressemitteilung zurück. Der Konzern beabsichtige nicht, der lokalen Bevölkerung im Distrikt Pati „durch den Abbau des Kendeng-Karstgebirges die Lebensgrundlage zu entziehen“, heißt es. Das Projekt sei umweltverträglich und die Wasserversorgung der Anwohner nicht beeinträchtigt. Man bohre nicht tiefer als bis zum Grundwasser.
Die Umweltschützer Watch Indonesia! halten das für Augenwischerei. „Auch wenn man an der Oberfläche etwas abbaut, verändert sich weiter unten etwas“, sagte Yvonne Kunz der Deutschen Welle. Und irgendwann werde auch der Rest der Welt den Raubbau zu spüren bekommen, warnen Umweltschützer. Die Zementherstellung gilt als Klima-Killer. Die Produktion, die enorm viel Energie verbraucht, ist für fünf Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.
Auch Gunarti glaubt nicht an die Versprechen von HeidelbergCement. Auch nicht daran, dass die Menschen im Umkreis der bereits bestehenden Fabriken von insgesamt 300 verschiedenen sozialen Projekten profitieren, wie HeidelbergCement sagt. Gunarti und ihre Mitstreiterinnen hoffen, dass sie den vierten Tagebau verhindern können. „Für mich reicht ein Haus aus Bambus“, sagt Gunarti.