Fehde in Fernost
DER SPIEGEL 20/2017, 12. Mai 2017
von Nils Klawitter
Umwelt: Die Zementherstellung ist ein schmutziges Geschäft. HeidelbergCement produziert deshalb gern dort, wo kaum Protest zu erwarten ist.
Als die Vorstandsriege des Baustoffkonzerns HeidelbergCement am vergangenen Mittwoch Jahreszahlen und Gewinnprognosen durchgeleiert hatte, meldete sich auf der Hauptversammlung eine schmale Frau zu Wort. Sie sei Landarbeiterin am Fuße des Kendeng-Gebirges auf Zentraljava in Indonesien, sagte sie, ihr Name sei Gunarti.
Sie sprach nicht von Sondereffekten oder Synergiezielen, sondern erzählte von Höhlen und Wasserquellen in ihrem Gebirge. Von den Reisfeldern, die bedroht seien. Dann fragte Gunarti, deren Familie mit 140 Euro im Monat auskommen muss, Konzernchef Bernd Scheifele, der zehn Millionen Euro im Jahr bekommt: „Wann wird sich Ihr Tochterunternehmen endlich aus unserer Heimat zurückziehen?“
Der Auftritt der Reisbäuerin vor den Aktionären in der Heidelberger Stadthalle erscheint harmlos. Aber er wirft ein Schlaglicht auf einen massiven Konflikt, in dem sich der Konzern in Indonesien befindet.
Ein paar Kilometer von Gunartis Dorf entfernt plant die Konzerntochter Indocement ein riesiges neues Werk. Indonesien gilt als boomender Baumarkt, die drei bestehenden Fabriken mit 13 Produktionslinien reichen den Heidelbergern offenbar nicht mehr aus: Das Unternehmen, das inzwischen fast 60 Prozent seiner Erlöse außerhalb Europas einfährt, will auch in dem asiatischen Land weiter wachsen – trotz aktueller Zement-Überproduktion. Der indonesische Ableger trägt rund zehn Prozent zum Konzernergebnis bei. Allerdings auch zur Umweltzerstörung vor Ort, denn die Herstellung von Zement ist ein dreckiges und energieintensives Geschäft. Kalk, Ton, Sand und Eisenerz werden vermahlen, und dann extrem erhitzt. Der Sud wird zu Klinker gebrannt, der später mit Gips zu Zementmehl verarbeitet wird. Oft dienen alte Autoreifen und anderer Müll als Brennstoff. Während dieser Köchelei entstehen jede Menge giftiger Stickstoffoxide und klimaschädliches CO2.
Die Zementindustrie gilt als wichtiger Treiber des Klimawandels. Vom Emissionshandel in Europa blieb sie aber dank massiver Lobbyarbeit quasi verschont.
Gern produziert die Branche inzwischen dort, wo die Umweltauflagen dürftig sind – unterstützt durch die deutsche Regierung: So sichert etwa das Bundeswirtschaftsministerium Investitionen deutscher Firmen in die Zementindustrie in Indonesien mit Hermes-Bürgschaften ab; beispielsweise Anlagen von ThyssenKrupp, die der Schweizer Baustoffriese LafargeHolcim bezog.
Fragen etwa zur Einhaltung von Umweltauflagen beantwortet das Ministerium von Brigitte Zypries (SPD) nicht. Diese würden ja das grundgesetzlich gesicherte Geheimhaltungsrecht von Unternehmen gefährden, heißt es in präventiver Servilität. Informationsrechte von Bürgern seien ihr sehr wichtig, hatte Brigitte Zypries mal verlauten lassen. Als Justizministerin, vor Jahren.
Aktivisten vom Menschenrechtsverein Watch Indonesia! und der Heinrich-Böll-Stiftung, die Gunarti und ihre Bürgerinitiative unterstützen, verweisen auf zunehmende Kollateralschäden, die die Branche in dem asiatischen Land verursacht. Wichtige unterirdische Wasserspeicher gingen verloren. Um das Indocement-Werk in Westjava soll der Nitratwert im Grundwasser stark angestiegen sein. Bei voller Auslastung lässt das Werk 12 Millionen Tonnen CO2 in die Luft ab, mehr als doppelt so viel wie Albanien. Ein HeidelbergCement-Sprecher sagt, alle Grenzwerte würden eingehalten; Schäden am Grundwasser bezweifelt er.
Ähnlich überzeugt klingt auch Bernd Scheifele, als er am Mittwoch versichert, bei dem geplanten Werk im Kendeng-Gebirge laufe alles vorbildlich, inklusive einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Zudem sei eine Repräsentanz vor Ort eingerichtet worden, um die Bevölkerung einzubinden.
An den Vertreter kann sich Gunarti gut erinnern. „Er hat hohe Preise für Land, Arbeitsplätze, ein Krankenhaus und Wohlstand versprochen.“ Das Geld des Konzerns hält sie „für eine Waffe, die unser Land zerstört und die Leute auseinanderreißt“. Wohlstand sei etwas anderes, nämlich die Felder zu bestellen, „die uns seit Generationen ernähren“. Zwar behauptet der Konzern, der Abbau von Rohstoffen im vorgesehenen Gebiet werde das Karstsystem und den Grundwasserfluss nicht beeinträchtigen. Indonesische Geologen kommen zu einem anderen Ergebnis – die Bewässerung der Felder wäre in Gefahr.
Außerdem wurde das ursprünglich rund 12.000 Hektar große Schutzgebiet am Kendeng-Gebirge vom Energieministerium um fast 5.000 Hektar verkleinert. Ein Geschenk an die Deutschen?
Tatsächlich kritisiert der Dachverband Kritischer Aktionäre Indocement dafür, sich bei staatlichen Stellen um entsprechende Unterstützung bemüht zu haben. Fragen zu Treffen mit indonesischen Regierungsvertretern vermag der Konzernsprecher nicht zu beantworten. Der Abbau, behauptet er, sei sogar in Teilen des alten Schutzgebietes möglich gewesen.
Den OECD-Leitsätzen für Unternehmen würden solche Treffen widersprechen. Die Regeln stellen Investitionen nicht nur unter den Vorbehalt des wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Fortschritts. Sie schreiben auch vor, nicht um Ausnahmen zu buhlen. Extrawürste wie das Schrumpfen von Schutzgebieten für bestimmte Klienten sind in den Leitsätzen nicht drin.