Tanja Hummel hat keine Angst vor dem großen Knall auf Bali
Kurz belichtet, 29. November 2017
von Yvonne Kunz
Gibt man diese Woche das Wort Indonesien in gängige Internetsuchmaschinen ein, so springen einem folgende Meldungen entgegen: »Indonesien – Flughafen auf Bali bleibt geschlossen« oder aber »Mount Agung in Indonesien: Vulkanasche legt Flughafen von Bali lahm« oder, fast noch besser »Noch hat Tanja Hummel auf Bali keine Angst«.
Indonesien schafft es nicht häufig in die deutschen Mainstream-Nachrichten. Es muss schon etwas Außergewöhnliches passieren, damit Fernsehen und Printmedien über Indonesien berichten. Etwa, wenn dort riesige Waldflächen brennen und der entstehende Rauch bis ins benachbarte Singapur zieht und den Menschen dort das Atmen schwer macht. Oder aber, wenn wie in diesen Tagen deutsche UrlauberInnen im »Paradies« festsitzen, weil der Flughafen von Bali wegen eines Asche speienden Vulkans geschlossen bleibt. Wegen bislang rund 400 gestrichener Flüge wird die Zahl der betroffenen Urlauber auf 60.000 Menschen geschätzt. Für die deutschen Medien irgendwie wichtig ist auch die Schätzung, wie viele von diesen im Urlaubsparadies gefangenen Menschen wohl die deutsche Staatsbürgerschaft haben.
Konnten diese Zahlen ausfindig gemacht werden, gilt es im Anschluss daran eventuell noch die Auskunft zu vermelden, dass rund 100.000 Menschen, die am Fuße des Vulkans leben, evakuiert werden mussten. Und dass bereits im September 120.000 Menschen das Umland verlassen haben, aber im Oktober wiederkehrten. Diese Menschen verlassen ihren Grund und Boden nur ungern. Sie gehen ohne Gewissheit, was von ihrem Haus, von ihrem bewirtschafteten Land und von ihrem Dorf noch übrig sein wird, wenn sie irgendwann zurückkehren. Auf der Flucht müssen Tiere wie Kühe, Ziegen oder Schweine sich selbst überlassen werden. Werden sie überleben, bis ihre Besitzer wieder nach Hause kommen können? Aus welchen Mitteln werden diese bis dahin ihren Lebensunterhalt bestreiten?
Den auf Bali festsitzenden Deutschen wünsche ich Durchhaltevermögen und eine hoffentlich baldige, gute Heimreise.
In der Flut der Pressemeldungen dieser Tage gab es erfreulicherweise auch einige Artikel, die einen differenzierten Blick auf die Situation in Bali werfen. Zwei davon seien hier dokumentiert:
Tages-Anzeiger, 27. November 2017
www.tagesanzeiger.ch/wissen/natur/bali-wartet-auf-den-grossen-knall/story/16604006
Bali wartet auf den großen Knall
Von Patrick Illinger
»400 Grad heisse Felsblöcke, groß wie Garagen, schießen an den Hängen herunter«: Ein Geophysiker beschreibt, was beim Ausbruch des Vulkans Agung zu erwarten ist.
Agung und Batur sind ungleiche Zwillinge. Beide befinden sich auf der indonesischen Insel Bali, beide sind Vulkane, und beide werden von derselben unterirdischen Magmaquelle gespeist. Und doch könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Wenn Batur ausbricht, dann quellen heiße, aber dünnflüssige Lavaströme hervor, die vergleichsweise gemächlich an den Bergflanken herabfließen. Nur wenig Material gelangt in höhere Luftschichten; herabfallende Gesteinsbrocken sind also selten.
Der etwa 3140 Meter hohe Agung hat ein ganz anderes Naturell: Seine Eruptionen sind hoch explosiv. Er speit enorme Mengen glühendes Gestein aus, welches die Umgebung niederwalzt und erstickt. Indonesiens Behörden fürchten, ein solcher Ausbruch könne unmittelbar bevorstehen. Für den Agung wurde soeben die höchste Warnstufe 4 ausgegeben. Die Bevölkerung der Umgebung ist aufgerufen, sich in Sicherheit zu bringen.
Agung ähnelt dem Vesuv
Wenn Agung ausbricht, dann wälzen nicht nur glühende, fast flüssige Lavaströme an den Bergflanken hinunter, denen man im Ernstfall entkommen kann. Aus seinem etwa 200 Meter tiefen Krater schleudert der Vulkan mit extremer Gewalt Gestein in die Atmosphäre. Darunter ist vergleichsweise kaltes Material, das nach kurzer Zeit auf die Umgebung herabregnet. Aber auch glühend heiße Gesteinswolken speit der Berg aus, die kollabieren und buchstäblich an den Bergflanken hinunterrasen. Diese sogenannten pyroklastischen Ströme fegen alles in der Umgebung hinweg und bedecken das Land mit heißer Asche.
»400 Grad heiße Felsblöcke, groß wie Garagen, schießen bei einem solchen Ausbruch mit 150 bis 200 Kilometern pro Stunde an den Hängen herunter«, beschreibt der Geophysiker Joachim Wassermann von der LMU München die Vorgänge beim Ausbruch eines solch explosiven Vulkans. »Da bleibt dann von der Umgebung nichts mehr übrig.«
In dieser Hinsicht ähnelt Agung eher dem Vesuv bei Neapel, der einst Pompeji verschüttete, als Batur, seinem Zwillingsberg. In den 1960er-Jahren ist der Agung zuletzt ausgebrochen, damals starben mindestens 1.200 Menschen. 2010 kam es auf der indonesischen Insel Java durch den Vulkan Merapi zu ähnlich gewaltsamen Eruptionen. Dank verbesserter Warnsysteme konnten die meisten Menschen rechtzeitig fliehen, es waren insgesamt 38 Todesopfer zu beklagen. Dass nun auch der Agung unter Beobachtung steht, zeige, dass die Seismologie vor Ort Fortschritte mache, sagt Joachim Wassermann.
Keine Gefahr für Touristen
Touristen können hingegen entspannt bleiben, meint der Physiker, der selbst lange Zeit die Vulkane in Indonesien erforscht hat. Denpasar und die anderen Urlaubszentren seien weit entfernt und außerhalb der Reichweite des Vulkans. Trekkingtouren in dem landschaftlich reizvollen Gebiet seien natürlich nicht angeraten. Allerdings könne es ähnlich wie 2010, als auf Island der Eyjafjallajökull ausbrach, zu Einschränkungen im Flugverkehr kommen, falls große Mengen Vulkanasche in die Atmosphäre gelangen.
»Das Schlimmste wäre jetzt«, sagt Wassermann, »wenn der Berg wieder einschläft, ein bisschen vor sich hin brodelt, die Anwohner der Umgebung wieder zurückkehren und es dann plötzlich knallt.« Dass die Menschen ungern weggehen und sobald wie möglich an ihre Wohnorte zurück wollen, könne man ihnen nicht verdenken, viele Bauern betreiben Plantagen oder halten dort Tiere, die versorgt werden müssen.
Neben Japan ist Indonesien die geologisch aktivste Zone der Welt. Von den rund 550 als aktiv geltenden Vulkanen weltweit sind etwa 120 auf den Inseln Indonesiens zu finden. Mindestens 75 dieser Vulkane sind in den vergangenen 1.000 Jahren ausgebrochen. 1815 zum Beispiel explodierte der Vulkan Tambora auf der östlich von Bali gelegenen Insel Sumbawa. Damals starben auf dem umgebenden Archipel um die 100.000 Menschen. 1883 tötete der Krakatau Zehntausende Menschen. Und 2004 kam es vor der Küste Indonesiens zu dem gewaltigen Seebeben, das einen Tsunami auslöste, der fast 300.000 Menschen getötet hat. Die hohe seismische Aktivität ist eine Folge davon, dass in der Region die Indisch-Australische Erdplatte auf die Eurasische Platte stößt. Entlang solcher tektonischer Grenzen kommt es üblicherweise zu heftigen Erdbeben wie auch verstärktem Vulkanismus. (Tages-Anzeiger)
Telepolis, 27. November 2017
Gunung-Agung-Ausbruch in Indonesien: 100.000 Menschen müssen Umgebung verlassen
Von Peter Mühlbauer
Große Vulkanausbrüche beeinflussen auch das Weltwetter
Der Gunung Agung (übersetzt: »Hochberg«) ist ein 3.142 Meter hoher Vulkan auf der zu Indonesien gehörigen Insel Bali. Weil er nach 53 Jahren Ruhe erneut ausbricht, haben die Behörden heute etwa 100.000 Menschen in einem Umkreis von zwölf Kilometern Entfernung zum Vulkan dazu aufgefordert, das zur Sperrzone erklärte Areal umgehend zu verlassen. Erdbeben und andere Anzeichen dafür, dass der Gunung Agung wieder ausbricht, gibt es bereits seit dem 18. September. Am 21. September hatten deshalb bereits 120.000 Menschen das Umland des Berges verlassen – viele in ihnen waren im Oktober aber wieder zurückgekehrt, weil man die Alarmstufe zwischenzeitlich von Vier auf Drei heruntergesetzt hatte.
Wegen der vier Kilometer hohen Rauchsäule des Vulkans wurde außerdem der Flughafen in der Nähe der etwa 50 Kilometer vom Vulkan entfernten Inselhauptstadt Denpasar geschlossen, weshalb etwa 60.000 Reisewillige, die einen der über 400 ausgefallenen Flüge gebucht hatten, auf der Urlaubsinsel festsitzen.
Einheimische suchen die Schuld bei menstruierenden Touristinnen
Der Heidelberger Ethnologin Anette Hornbacher nach sehen viele Einheimische die Ursache des Ausbruchs nicht in unterirdischen Magmakammern, sondern in Touristinnen, die den »heiligen Berg« während ihrer Monatsblutung besteigen und dadurch oder durch Geschlechtsverkehr verunreinigen. Diese bereits 1963 beliebte Erklärung »dominiert« der Ethnologin nach »bis heute«, weshalb Priester und Gläubige trotz der angeordneten Evakuierung in der Nähe des Berges blieben, Prozessionen abhielten, und Ziegen und andere Tiere im Vulkankrater opferten. 1963 hatte dieser Glaube fast 1.200 Opfer gefordert, weil die Bezirksregierung in Bali aus Rücksicht auf die Religion eine vom Vulkanologischen Dienst geforderte Evakuierung nicht rechtzeitig anordnete.
Wie stark der Ausbruch des Gunung Agung auf der neunstufigen Vergleichsskala sein wird, steht noch nicht fest. Auf ihr entspricht jede Stufe nach oben einer Verzehnfachung der Ausbruchsstärke. Der isländische Vulkan Eyjafjallajökull, der 2010 dafür sorgte, dass europaweit 7000 Flüge gestrichen wurden (vgl. Eyjafjallajökull! Ab ins Auto!), war mit der ihm zugewiesenen Stufe Vier nur ein Ausbruch von mittlerer Stärke. Zehn mal stärker explodierte 79 nach Christus der Vesuv, der die römischen Städte Herculaneum und Pompeji unter seinen Auswürfen begrub. Ein Ausbruch der Stufe Sechs war der des indonesischen Krakatau 1883.
Der Ausbruch des ebenfalls indonesischen Tambora im Frühjahr und Sommer 1815, dessen Explosion Zeitzeugen selbst 1.800 Kilometer entfernt hören konnten, erreichte sogar die Stufe Sieben und zeigte, dass ein Vulkanausbruch an einer einzigen Stelle der Erde genügt, um das Wetter auf der ganzen Welt massiv zu beeinflussen. An den direkten Folgen – also den von ihm freigesetzten Gas- und Aschewolken – starben geschätzt gut 10.000 Menschen. Durch die indirekten Auswirkungen verloren sehr viel mehr ihre Leben.
Jahr ohne Sommer
Der Tambora-Ausbruch sorgte nämlich mit seinem bis zu 40 Kilometer hoch in die Atmosphäre geblasenen Rauch dafür, dass sich im Jahr darauf das Wetter auf der ganzen Welt änderte: Im noch relativ nahe gelegenen Indien blieb erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen der Monsun aus, ein Jahr darauf wütete die Cholera. Im weiter entfernten Europa freuten sich romantische Maler zwar über ein ungewöhnlich prächtiges Abendrot (das an den Staubpartikeln lag) – aber gewöhnliche Leute verhungerten in großer Zahl, weil der zweitkälteste Sommer seit 1400 das Getreide nicht reif werden und Kartoffeln auf den Feldern faulen ließ. Auch in Nordamerika litten in diesem Sommer, in dem es häufig schneite, viele Menschen Hunger.
Die Folgen der in die Stratosphäre und Atmosphäre gelangten Partikel können die Erdoberfläche einer Studie von 2014 nach bis zu fünf Jahre lang merklich abkühlen. Würde sich ein Ausbruch der Stärke Acht (wie es ihn vor ungefähr 26.500 Jahren im neuseeländischen Taupo-Vulkan und vor etwa 74.000 Jahren im indonesischen Toba-Vulkan gab) das Weltwetter so lange verschlechtern, könnten möglicherweise auch die landwirtschaftliche Technologie des 21. Jahrhunderts und der entwickeltere Welthandel nicht ausreichen, um auch in weiter vom Ausbruch entfernten Weltgegenden katastrophale Folgen zu vermeiden.