„Hört das Weinen meines Herzens“: Von Zementfabrik bedrohte Bäuerin Gunarti aus Indonesien schreibt Brief an HeidelbergCement
Berlin, 08. Februar 2018, Mitteilung für die Medien
Fast ein Jahr ist es her, dass die indonesische Aktivistin Gunarti in Deutschland zu Besuch war. Anfang dieser Woche traf sie in Jakarta den UNO-Hochkommissar für Menschenrechte Zeid Ra’ad Al Hussein, der Indonesien vom 5. bis zum 7. Februar besuchte.
Als Vertreterin der Bürgerinitiative JMPPK, der Gemeinschaft der um das Kendeng-Gebirge Besorgten, hatte sie in Deutschland auf die drohende Zerstörung der Umwelt in Indonesien durch ein Tochterunternehmen von HeidelbergCement aufmerksam gemacht. Gunarti war auf Einladung der Südostasien-Informationsstelle, Watch Indonesia! und der Heinrich-Böll-Stiftung nach Deutschland gekommen. Sie begleitete die Vorführung des Dokumentarfilms „Samin vs Semen“, der die Bedrohung der Umwelt und des sozialen Gefüges der lokalen Bevölkerung thematisiert, in zehn deutschen Städten (siehe auch hier). Gunarti besuchte auch Heidelberg, wo sie auf der Aktionärsversammlung von HeidelbergCement direkt zu den Verantwortlichen sprach (Link zur Rede). Ihre Worte, die sie an die Aktionäre, den Vorstand und den Aufsichtsrat richtete, haben viele Menschen sehr bewegt. Viele Medien berichteten über ihre Worte und über eine Einzementierungsaktion, die deutsche Aktivist*innen in Heidelberg als Ausdruck ihres Protests gegen Umweltzerstörung und Zeichen ihrer Solidarität mit den indonesischen Betroffenen durchführten.
Dem UNO-Hochkommissar für Menschenrechte Zeid Ra’ad Al Hussein erzählte sie am Montag davon, dass unter anderem ein deutsches Unternehmen ihre Umwelt und ihren sozialen Frieden mit Plänen für eine Zementfabrik seit mehreren Jahren stört. Sie berichtete ihm auch, dass sie und ihre Mitmenschen in ständiger Angst durch diese Bedrohung leben und unentwegt dafür kämpfen, Mutter Natur und alles was sie schenkt zu erhalten und nicht für kurzfristigen Profit eines Zementunternehmens auf Spiel zu setzen. Dass Hussein diese Berichte ernst nimmt, zeigt sich daran, dass er in seinem Statement zum Abschluss seines Besuches auf die Gefahren von Ekstraktivismus für ökonomischen Profit verweist (Link zum Hussein-Statement).
Wie akut die Bedrohung der Anwohner am Kendeng-Gebirge nach wie vor ist, schildert Gunarti in einem aktuellen Brief. Dieser Brief ist gerichtet an Bernd Scheifele, Vorstandsvorsitzender von HeidelbergCement und an die Aktionäre des Unternehmens.
Dies ist eine gemeinsame Erklärung von Watch Indonesia! e.V. und der Südostasien Informationsstelle
Brief von Gunarti an Herrn Scheifele und die Aktionäre von HeidelbergCement
Friede sei mit euch, meine Brüder und Schwestern in Heidelberg, Deutschland.
Wie geht es euch?
Ich bete immer dafür, dass ihr gesund seid, so wie ich, wie meine Familie und all eure Brüder und Schwestern hier am Kendeng Gebirge. Mit diesem Brief möchte ich, Gunarti, Angehörige der indigenen Gruppe der Sedulur Sikep [auch Samin genannt], folgendes mitteilen:
Für meine Brüder und Schwestern, die Aktionäre von HeidelbergCement:
Indocement, das Unternehmen, das mit eurer Unterstützung versucht, in unserem Gebiet Fuß zu fassen, verbreitet zunehmend Unruhe und sorgt dafür, dass eure Brüder und Schwestern hier am Kendeng-Gebirge leiden.
Brüder und Schwestern, die ihr Aktionäre von HeidelbergCement seid: Hört mich an und versucht, den Schmerz und die Tränen unserer Herzen nachzuempfinden, die aufgrund eurer Aktionen entstehen. Diese Aktionen, obwohl bisher nur im Planungsstadium, haben schon so viel Zerstörung gebracht.
Alles Geld auf der Welt kann diese Zerstörung nicht wieder gut machen. Ich möchte euch nicht erniedrigen. Aber ich muss euch die Wahrheit mitteilen.
Ich bin ein Mensch. Ihr seid Menschen. Wir sind alle Menschen und damit Geschwister, auch wenn unsere Sprachen und die Farbe unserer Haut unterschiedlich sind. Auch die Orte, an denen wir leben, sind verschieden.
Um zu überleben brauchen wir alle die gleichen Dinge. Ich und auch ihr braucht Leben. Um zu leben brauchen wir: Gesundheit, Ruhe, das Lebensnotwendige:, Kleidung, Essen, einen Ort zum Wohnen, wir müssen säen und ernten.
Geld kann uns nicht zufrieden machen. Geld können wir nicht essen. Was wir essen können sind Pflanzen die uns Mutter Erde schenkt. Meine Mutter Erde und deine Mutter Erde ist dieselbe. Der Ort an dem ich lebe, was ich esse und trinke, stammen von dieser Mutter Erde.
Das Wasser, welches ihr trinkt ist auch das gleiche Wasser das ich trinke und das gleiche Wasser, das andere Menschen trinken. Ich brauche genau wie ihr einen Ort zum Leben.
Ich habe euch nie gestört und euch nie gedroht. Daher möchte ich euch bitten, auch mich nicht zu bedrohen. Ohne Mutter Erde und die Luft die euch umgibt, könnt ihr nicht sein. Ich atme, ihr atmet. Wir brauchen Luft zum Atmen in unserem Lebensraum um leben zu können.
Ich und ihr habt Familie, für die wir an die Zukunft denken sollten. Eure Familien und meine Familie brauchen gleichermaßen lebensnotwendige Dinge. Die Dinge, die unsere Familien in Zukunft zum Leben brauchen werden sind die gleichen Dinge, die wir jetzt zum Leben brauchen. Aber, all diese Dinge werden nicht mehr zur Verfügung stehen, wenn wir nicht jetzt damit beginnen, an die Zukunft unserer Kinder und Enkel zu denken.
Das Wasser, das lebt und unser Leben sichert, wird versiegen, weil das Gebirge, dem es entspringt, für die Zementherstellung abgebaut werden soll. Die Flächen auf denen wir jetzt leben und Landwirtschaft betreiben, sollen der Zementproduktion weichen. Und das, obwohl Zement nicht schmeckt. Unsere Kinder und Enkel werden sich nicht von Zement ernähren. Was sie essen werden, sind Reis, Gemüse, Fisch, Brot und andere Nahrungsmittel die wir aus der Natur erhalten. Was wir trinken werden, was wir zum Waschen verwenden werden ist klares Wasser, nicht Abwasser. Was wird das Schicksal unserer Enkel sein, wenn wir nur arroganten und protzigen Wünschen gehorchen?
Die Zementfabrik, die ihr in Pati/Zentraljava zu errichten plant, bedroht Tausende Hektar Land, hunderte Wasserquellen und die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen. Wie viele Opfer soll es noch geben? Habt ihr jemals darüber nachgedacht? Wie würdet ihr euch fühlen, wenn dieses Schicksal euren Familien drohen würde?
Wenn ich zum Beispiel plötzlich täte, was ihr tut? Würdet ihr einfach aufgeben? Oder würdet ihr euren Familien helfen?
Ich und ihr, wir sind Brüder und Schwestern! Ich weiß, dass ihr an eurem Sieg vor Gericht festhaltet. Von mir aus, haltet daran fest.
Aber, erinnert euch daran, dass das Land und das Wasser am Kendeng Gebirge nicht dem Gericht gehört. Es gehört mir und den Menschen, die am Kendeng-Gebirge leben. Und mein Land, meine Natur und mein Wasser verkaufe ich nicht! Ich erhalte es – jetzt und für meine Enkel. Deshalb bitte ich Sie in Kendeng keine Fabrik zu errichten. Das ist meine erste Bitte.
Die zweite Bitte die ich habe: ich erinnere euch als meine Brüder und Schwestern daran, dass eure Betriebsgenehmigung [die des indonesischen Tochterunternehmens] bis zum 08. Dezember 2017 lief. Ich bitte euch, euer Tochterunternehmen aufzufordern, sich diese Erlaubnis nicht bei den lokalen Behörden verlängern zu lassen. Die Planung eures Vorhabens hat hier schon genug Konflikte ausgelöst. Wir sind Brüder und Schwestern und ihr als meine Geschwister werdet mitleiden, wenn einer von uns leidet.
Herr Scheifele und meine Brüder und Schwestern, die Aktionäre: Hört das Weinen meines Herzens. Es weint um Mutter Natur, die uns gibt, was wir zum Leben brauchen.
Meine Geschwister….befreit mich und meine Geschwister in Kendeng von diesen lebensbedrohlichen Ungeheuern. Eure Pläne haben hier schon viele Ungeheuer hervor gebracht.
Bitte zieht euer Tochterunternehmen zurück. Bitte gebt eure Absichten auf, mich und eure Brüder und Schwestern und alle anderen Lebewesen in Kendeng zu töten.
Auch wenn die Fabrikpläne in Kendeng annulliert werden sollten, so werde ich dafür beten, dass ihr keinen Geldmangel erleidet. Ich werde auch dafür beten, dass ihr immer genug Geld für Essen und Kleidung habt.
Meine Geschwister, bevor es zu spät ist, erzwingt euer Vorhaben nicht weiter. Ich weiß nicht welche Last eure Enkel eines Tages tragen werden, wenn ihr entscheidet, hier ein Zementwerk zu erbauen. Jedes Jahr erzielen eure Fabriken Überschüsse. So viel, dass es kaum noch gezählt werden kann. All dieser Zement-Überschuss kann nicht gegessen werden. Auch euren Enkeln wird er nicht schmecken.
Versucht, euer Herz zu fragen, möchtet ihr zu etwas gezwungen werden? Ihr wünscht euch doch auch, eine nachfolgende Generation zu haben, oder? Ich wünsche mir das auch. Ich wünsche mir eine nachfolgende Generation.
Es gibt nur eine Erde. Lasst sie uns gemeinsam bewahren. Dann wird die Erde auch uns Menschen bewahren.
Bitte gebt euer Kapital nicht her für Indocement in Pati. So dass euer Geld nicht vergebens investiert wird und von Menschen benutzt wird, die euch berauben.
Es gibt noch viel, was ich auf dem Herzen habe und euch hier schreiben möchte, aber es scheint erst einmal genug hier.
Ibu bumi telah memberi. Mutter Erde gibt uns.
Ibu bumi jangan disakiti. Verletzt sie nicht.
Ibu bumi agar lestari. Damit sie ewig bleibt.
Bumi yang lestari pemberian Tuhan. Mutter Erde wurde uns von Gott gegeben.
Manusia wajib mengelola dan merawatnya. Der Mensch hat die Pflicht, sie zu erhalten.
Tidak boleh merusak pemberian Tuhan. Gottes Gabe dürfen wir nicht zerstören.
Mari kita jaga bersama. Lasst sie uns gemeinsam bewahren.
Ich hoffe, ihr könnt mich verstehen.
Ich hoffe, ihr zieht in Erwägung, euch sofort aus Pati (Zentraljava, Indonesien) zurückzuziehen“
Montag, 01.01.2018
Gunarti