Sorge über starke Rolle des Militärs

Tagesschau.de, 20. Januar 2005

Von Harald Neuber

TagesschauOb Deutschland, die USA, Australien, Neuseeland, Taiwan, Malaysia, Indien oder Pakistan: Weit über ein Dutzend Staaten haben seit der verheerenden Flutkatastrophe in Süd- und Südostasien Ende Dezember Soldaten zur humanitären Hilfe in die Krisenregion entsandt. Doch auch wenn solche Militäreinsätze zur humanitären Hilfe an Normalität gewinnen, so werden sie auch kritisch gesehen. Zivile Organisationen fürchten, dass die Grenzen zwischen Helfern und militärischen Akteuren verwischen – mit unabsehbaren Folgen.

Deutlich wird das derzeit vor allem in der nordindonesischen Krisenprovinz Aceh. Hier stehen sich seit fast drei Jahrzehnten indonesische Soldaten und Aufständische der Rebellengruppe „Bewegung Freies Aceh“ (GAM) gegenüber. Während indonesische Soldaten die notleidenden Menschen in der von der Flutwelle schwer verwüsteten Provinz gemeinsam mit zivilen Helfern versorgen, erklärten Militärsprecher wiederholt, dass ein Drittel der in Aceh stationierten 35.000 Mann weiter an militärischen Operationen gegen die Separatisten beteiligt wären. Die Armee nimmt hier eine Doppelrolle ein: Sie ist Helfer und Kriegspartei zugleich.

Konflikt bestimmt Hilfsablauf

Die indonesischen Streitkräfte haben ein verständliches Interesse, die Sicherheitslage in der Unruheprovinz wieder in den Griff zu bekommen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Forderung der Regierung in Jakarta zu verstehen, die militärischen Helfer aus dem Ausland mögen Indonesien bis Ende März verlassen. Die Armeeführung warnte zugleich vor Angriffen der Rebellen „auf lebenswichtige Einrichtungen und Hilfsoperationen“; humanitäre Helfer aus dem Ausland dürfen sich inzwischen nur noch mit Begleitung der Armee ins Binnenland bewegen.

Schon wenige Tage nach der Katastrophe hatten internationale Hilfsorganisationen in Aceh auf die aus dem Konflikt entstehenden Probleme hingewiesen. Nach Auskunft der regierungskritischen Menschenrechtsgruppe Watch Indonesia „soll offensichtlich vermieden werden, dass auch Mitglieder der GAM-Guerilla von den Hilfslieferungen profitieren“.

Vor wenigen Tagen nun wandten sich auch Mitgliedsorganisationen des deutschen Bündnisses „Gemeinsam für Menschen in Not – Entwicklung hilft!“ an die Bundesregierung. Diese solle darauf drängen, dass die Flutopfer in der Provinz Aceh nicht in großen zentralen Auffanglagern untergebracht werden. Drei solcher Lager für jeweils 100.000 Menschen seien als „Teil der Strategie des indonesischen Militärs“ geplant, um „die Kontrolle über die Zivilbevölkerung aufrechtzuerhalten“, sagt Wolf-Christian Ramm, der Sprecher der Hilfsorganisation terre des hommes (tdh).

Unklare Grenzen zwischen Akteuren

Militärs, die kämpfen und helfen: Diese Situation ist nicht neu. In den vergangenen Jahren verfolgen Hilfsorganisationen mit Sorge ein Verwischen der Grenzen zwischen militärischen und humanitären Akteuren in Krisen- und Konfliktregionen. „Für die Zivilbevölkerung sind neutrale Helfer und Militär oft kaum mehr voneinander zu unterscheiden“, erläuterte tdh-Sprecher Ramm im Gespräch mit tagesschau.de. In Irak und Afghanistan seien humanitäre Helfer bereits Anschlägen zum Opfer gefallen, die US-Soldaten gegolten hatten.

Auf harsche Kritik von internationalen Hilfsorganisationen treffen daher militärische Strategien, die durch den gezielten Einsatz von humanitärer Hilfe die Akzeptanz der Zivilbevölkerung für die eigenen Truppenpräsenz zu steigern versuchen. Bei der Nato laufen entsprechende Aktionen unter dem Begriff „Force Protection“ – ein Vorgehen zum „Schutz der Streitkräfte“. Einen Schritt weiter ist man in den USA; dort soll die humanitäre Hilfe direkt den außenpolitischen Zielen untergeordnet werden.

Bekenntnis zur Regierung gefordert

Auf einer Konferenz von rund 160 Hilfsorganisationen äußerte sich Andrew Natsios, der Vorsitzende der US-Entwicklungsbehörde USAID im Mai 2003 „irritiert“, dass die Menschen in Irak oder Afghanistan nicht wüssten, dass die Hilfspakete aus Washington kämen. Nichtregierungsorganisationen sollten daher doch deutlich machen, dass sie „ein Arm der US-Regierung“ seien.

Die Sorge der zivilen Helfer ist in Anbetracht solcher Tendenzen, dass ihre Arbeit im Umkehrschluss im militärischen oder politischen Kontext wahrgenommen wird. So wäre der Anschlag auf die Zentrale des Internationalen Roten Kreuzes in Bagdad im Oktober 2003 zu erklären, bei dem zehn Mitarbeiter getötet wurden. Eine Sprecherin sagte damals, man könne nicht verstehen, „warum jemand das Rote Kreuz angreifen sollte“. Schließlich sei die Organisation seit 1980 in Irak und habe sich nie in die Politik eingemischt.

Bundeswehr: „Bieten nur Dienstleistungen an

Bei der Bundeswehr teilt man die Befürchtungen nicht, nach denen aus dem humanitären Engagement von Militärs Probleme für die zivilen Helfer entstünden. „Wir bieten im Katastrophengebiet schließlich nur Dienstleistungen an“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums auf Anfrage von tagesschau.de. Die Arbeit der deutschen Soldaten in Aceh werde „in enger Kooperation mit zivilen Organisationen wie dem Technischen Hilfswerk“ durchgeführt.

Zwar sei in Anbetracht des bewaffneten Konfliktes im Norden Indonesiens eine Doppelfunktion des nationalen Militärs als kriegsführende Partei und Aufbauhelfer nicht in Abrede zu stellen. „Doch sind unsere Soldaten deutlich von denen der nationalen Sicherheitskräfte zu unterscheiden“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. <>


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