Offiziell kein Schatten auf der „strahlenden Epoche“

Frankfurter Rundschau, 15. Mai 1994

Berlin hofiert Peking und Jakarta / Menschenrechts-Aktivisten nennen Diepgen „IM“ der indonesischen „Stasi“

Von Stephan Hebel (Berlin)

frankfurter_rundschauEberhard Diepgen war nicht dabei, als er den Titel „IM“ bekam. Berlins Regierender Bürgermeister saß im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses und hörte seinen Kollegen zu. Die lasen ihre Statements über „Städtisches Wachstum in der Region“ vom Blatt. Da war Diepgen als Gastgeber der vierten Gipfelkonferenz der Weltmetropolen natürlich unabkömmlich.

Da, wo sie ihn „IM“ schimpften, wäre er wohl eh nicht hingegangen. Da saßen die Leute, die immer so laut „Menschenrechte“ rufen, wenn er den Kontakt zu Peking oder Indonesiens Hauptstadt Jakarta, den umstrittensten Berliner Partnerstädten, pflegt. „Er hofft sich Berlin aus der Städtepartnerschaft nur den wirtschaftlichen Vorteil“, so werde der Regierende dadurch zum „Inoffiziellen Mitarbeiter“ der „Stasi“ Indonesiens, schimpfte Pipit Kartawidjaja von der Menschenrechtsgruppe „Watch Indonesia!“ vor der für die Abwechslung dankbaren Schar der Konferenz-Beobachter — und wies auf die Unterdrückung von Minderheiten etwa in Ostttimor durch jene Staatspartei hin, die auch die Hauptstadt Jakarta regiert.

Dirk Pleiter, China-Experte von amnesty international, klagte das Pekinger Regime willkürlicher Verhaftungen, Mißhandlungen und Hinrichtungen an, nannte es einen Skandal, daß das Thema Menschenrechte bei der Konferenz offiziell nicht vorkomme. Er schloß gerade so rechtzeitig, daß seine Zuhörer zwei Etagen tiefer der Rede des Pekinger Stadtoberhaupts Li Qiyan über Stadtbegrünung und Infrastruktur lauschen konnten. Da blieb die Tagesordnung gewahrt, und die 90er Jahre durften, mit den Worten des Chinesen, als „strahlende Epoche einer rasch voranschreitenden Entwicklung“ erscheinen.

Diepgen, der seinen Kritikern später säuerlich „Nachholbedarf“ beim „richtigen Weg zwischen Nachdrücklichkeit und Verzicht auf Provokation“ ankreidete, hat Li einen Brief von Menschenrechtlern übergeben. Doch „Menschenrechte“, sagte Sebastian Pflugbeil vom Neuen Forum, „sind ein öffentliches Thema“ — bei allem „Verständnis für diskrete Verhandlungen“. Nicht Diepgen müsse laut darüber reden — aber „Leute in die Delegationen zu bringen, die sich speziell mit Menschenrechten befassen“, das wünscht sich der Bürgerrechtler schon. Es müsse auch mal auf einen Geschäftsabschluß verzichtet werden.

Apropos Geschäftsabschluß: Da immerhin geschah am Rande der Konferenz Greifbares. Siemenswill Elektronik verkaufen — und vereinbarte ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem chinesischen Partner. Andere Unternehmen nutzten die Gelegenheit, ebenfalls zum geschäftlichen Kontakt. Auch bei ihnen dürfte die nach drei Tagen verabschiedete, dünne „Berlin-Deklaration“ nur begrenzte Faszination ausgelöst haben: Vom fruchtbaren „Erfahrungsaustausch“ der 25 Millionen-Städte in aller Welt ist da die Rede, von Energiekonzepten, Arbeitsplatzsicherung, von „lebenswerter Umwelt“ und „bezahlbarem Wohnraum“.

Eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen, nicht viel anders als die Reden der Stadtoberhäupter in den Tagen zuvor. Da hatte der Gouverneur von Tokio festgestellt, die Zukunft der Metropolen liege darin, gemeinsam Probleme zu diskutieren, und Moskaus Verwaltungschef verstieg sich zu der Ankündigung, „die Müllabfuhr völlig neu zu organisieren“. Am konkretesten war noch der Vertreter von Abidjan (Elfenbeinküste) geworden: Er hatte Berlin um ausrangierte Bücher und überzählige Medikamente gebeten.

Eines bescheinigten sich die Stadtoberhäupter ganz konkret: einen „überwältigenden Erfolg“. Ein Spielverderber, wer das 750.000 Mark teure Ereignis so tituliert wie die Berliner Bündnisgrünen: »Weltstadttreffen in Provinzmilieu“.


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