Humanitäre und andere Fronten
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Deutsche Welle, 03. Januar 2005
In der indonesischen Katastrophen-Provinz Aceh im Norden Sumatras laufen die Hilfsmaßnahmen nur mühsam an. Es fehlt an allem. Aber welche Prioritäten setzen die indonesischen Streitkräfte?
Noch immer sind viele von der Flutwelle verwüstete Dörfer an der Westküste von der Außenwelt abgeschnitten und allenfalls aus der Luft erreichbar. Es fehlt an Gerät und Logistik, um die inzwischen auf dem Flughafen von Banda Aceh stündlich eintreffenden Hilfslieferungen an die Bedürftigen zu verteilen. Bis jetzt verfügt vor allem die indonesische Armee über die notwendige Logistik und Infrastruktur – wie Lastwagen, Hubschrauber, Flugzeuge und Funkgeräte, Gerätschaften – die bis zum Tag der Katastrophe im Bürgerkrieg zum Einsatz kamen. Jetzt gibt es Informationen, dass die Militär-Maßnahmen gegen Rebellen trotz Katastrophe weitergehen.
Humanitäre Hilfe und Sicherheitsoperationen
Einen Tag nach der Flutkatastrophe hatte Indonesiens Militärchef General Endriartono Sutarto der Rebellen-Bewegung Freies Aceh (GAM) einen begrenzten Waffenstillstand angeboten, der auch umgehend akzeptiert wurde. Die GAM kämpft seit 1976 um die Unabhängigkeit der rohstoffreichen Provinz Aceh. Seit 2003 steht Aceh unter Kriegsrecht – weit mehr als 12.000 Menschen sind den blutigen Auseinandersetzungen inzwischen zum Opfer gefallen. Die indonesische Armee war schon vor der Katastrophe mit etwa 50.000 Soldaten vor Ort.
Nicht alle von ihnen kämpfen offenbar zur Zeit an der humanitären Front. Die angesehene Tageszeitung „Jakarta Post“ berichtet, die militärischen Aktionen gegen die GAM-Rebellen würden fortgesetzt und zitiert Armeesprecher Oberstleutnant Nachrowi mit den Worten „Wir müssen hier zwei Pflichten erfüllen: humanitäre Hilfe und Sicherheitsoperationen“. Auf Nachfrage der Nachrichtenagentur AFP erklärte Nachrowi: „Wir setzen unsere Angriffe auf Verdächtige im Rebellengebiet fort und unsere Wachsamkeit ist weiter hoch.“ Gleichzeitig würden die Soldaten in Aceh aber einen wichtigen Teil ihrer Zeit für die Katastrophen-Hilfe einsetzen. Wie die „Jakarta Post“ und die Nachrichtenagentur ANTARA übereinstimmend berichten, gab es im nicht von der Flut betroffenen Osten der Provinz Aceh größere Militär-Operationen, bei denen drei Rebellen getötet und Häuser verbrannt wurden.
Öffentlichkeit ändert alles
Direkt nach der Katastrophe hob die Regierung in Jakarta den Ausnahmezustand in Aceh auf und ermöglichte damit internationalen Hilfsorganisationen den ungehinderten Zutritt ins Krisengebiet. Auch ausländische Journalisten sollen mittlerweile ohne Sondererlaubnis aus Aceh berichten dürfen. Bis zu den Soldaten in Aceh hat sich die neue Politik aber offenbar noch nicht herumgesprochen. Trotzdem hat die Flut die Lage in Aceh vollkommen verändert.
Alex Flor, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation „Watch Indonesia“, weist darauf hin, dass mit der Anwesenheit von einigen Tausend amerikanischen Soldaten, mit der Anwesenheit des Flugzeugträgers Abraham Lincoln, mit australischen Soldaten, mit Soldaten aus Singapur und jetzt auch der Bundeswehr ein Bann gebrochen sei. „Jetzt ist eine Öffentlichkeit in Aceh hergestellt worden, die seit Jahren versucht wurde zu verhindern. Ob sich da angesichts dieser massenhaft vorhandenen, auch fachkundigen Beobachter die ‚kleinen Schweinereien‘ fortführen lassen, wage ich zu bezweifeln“, sagt Flor.
Sybille Golte
Das vollständige Interview der Deutschen Welle mit Alex Flor vom 02. Januar 2005 können Sie hier anhören (MP3).
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