Das gescheiterte Experiment
Westpapua-Netzwerk, Rundbrief 3/2017, Dezember 2017
Transmigration und ihre Auswirkungen in Westpapua
von Alex Flor und Chad White
Seit mehr als hundert Jahren wird in Indonesien mit Umsiedlungsprogrammen experimentiert. Ebenso wie die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterlagen auch die Motive dazu dem Wandel der Zeit: mal wurde ein Ausgleich zwischen den übervölkerten Regionen Javas und Balis mit den dünn besiedelten „Außeninseln” angestrebt, mal ging es um die Erschließung landwirtschaftlicher Ressourcen. Mal stand im Vordergrund verarmten Bauern eine bessere Zukunft zu verschaffen, mal wurde durch die Umsiedlungsprogramme beabsichtigt die extrem diverse Bevölkerung des Vielvölkerstaates zu vereinheitlichen, um das nationale Bewusstsein zu stärken. Und nicht selten vermischten sich die genannten Motive, was eine umfassende Analyse nicht einfacher macht.
Die Geschichte gescheiterter Transmigrationsprojekte ist lang und vielfältig. In vielen Regionen des Archipels legten sie den Grundstein für soziale Konflikte, die sich nach dem erzwungenen Rücktritt von Diktator Suharto 1998 zum Teil in blutigen Auseinandersetzungen manifestierten.
Der vorliegende Beitrag erhebt nicht den Anspruch, die Transmigrationspolitik in ihrer Gänze zu darzustellen. Die zum Teil dramatischen Folgen in Kalimantan und anderen Zielgebieten der Umsiedlung bleiben ebenso ausgeblendet wie das traurige Schicksal tausender Migranten aus Java und Bali, die vor Ort nicht das vorfanden, was sie sich erhofft hatten und was ihnen versprochen worden war.
Exemplarisch werfen wir hier das Licht auf die Auswirkungen der Transmigration auf die Region Papua, wohl wissend, dass auch diese Darstellung nur an der Oberfläche einer sehr viel komplexeren Problematik kratzen kann.
Die Anfänge des Transmigrationsprogrammes in der Kolonialzeit (vor 1945)
Der Ursprung des „Transmigrasi Programms” der indonesischen Regierung liegt in einem Umsiedlungsprogramm, welches unter der holländischen Kolonialherrschaft ins Leben gerufen wurde und unter dem Namen „Kolonisatie” bekannt war. Im Rahmen des Programms wurden 1905 erstmals 155 Familien aus dem Landkreis Bagelen (heute bekannt unter dem Namen Purworejo) aus dem Kolonialbezirk Karesidenan Kedu in Zentraljava nach Gedongtataan (heute in der Provinz Lampung in Südsumatra) gebracht um dort eine Pioniersiedlung zu gründen. Allerdings fanden erste Umsiedlungen bereits vor Beginn des „Kolonisatie Programms” statt. 1902 wurden erstmals Familien aus Java in das damaligen Nederlands Nieuw Guinea (heute Westpapua) geschifft, um im Landkreis Merauke angesiedelt zu werden. Die javanischen Familien sollten in Merauke Felder für den Anbau von Reis, Gemüse und Früchten anlegen. (1)
Transmigration nach der Staatsgründung Indonesiens (1945-1967)
Der offizielle Beginn des „Transmigrasi Programms” kann auf den 12. Dezember 1950 datiert werden. Die neue indonesische Regierung unter Präsident Sukarno erkannte den Nutzen des „Kolonisatie Programms” für den Aufbau der indonesischen Republik und setzte es unter dem neuen Namen „Transmigrasi Programm” fort. Die Hauptziele des „Transmigrasi Programms” waren die Anhebung des Wohlstands von Migranten und der ansässigen Bevölkerung in isolierten Provinzen, Beschleunigung der Entwicklung mit gleichmäßiger Verteilung in ganz Indonesien und die Stärkung der nationalen Einheit.(2) Das Vorhaben blieb unter Präsident Sukarno jedoch auf wenige ostindonesische Provinzen beschränkt. Dennoch gab es bereits in den 1960er Jahren andere Umsiedlungsprogramme mit Zielorten in den heutigen Provinzen Papua und Westpapua, welche jedoch bei weitem nicht die gleichen Ausmaße erreichten. Ein Beispiel waren die „Pionierprogramme für die Entwicklung von West Irian“ (3) (TPPSG / PPIB), welche 1964 die Ansiedlung javanischer Familien in das heutige Manokwari, Merauke und Jayapura vorsahen.(4)
Das Transmigrationsprogramm während der „Neuen Ordnung“ unter Präsident Suharto (1967 – 1998)
Zwischen 1969 und 1974 wurde die Umsetzung des „Transmigrasi Programms” erstmals unter die Aufsicht des Ministeriums für Transmigration und Genossenschaften gestellt. Das verantwortliche Ministerium wurde 1974 in das Ministerium für Arbeitskräfte, Transmigration und Genossenschaften umgetauft. Auch die rechtlichen Grundlagen des Programms wurden erst ab den 1970er Jahren geschaffen und später stetig weiterentwickelt. (5) Vor 1987 beschränkte sich das „Transmigrasi Programm„ auf Empfängerprovinzen Südsumatra, Kalimantan und West-Nusatenggara. Mit dem Präsidentialdekret Nr. 7/1987 wurde das „Transmigrasi Programm” schließlich auf Nordsumatra und ostindonesische Provinzen ausgeweitet. Das Dekret legte die Provinzen Aceh, Nordsumatra, Nordsulawesi und Irian Jaya (die heutigen Provinzen Papua und Papua Barat) als Hauptzielregionen für die Ansiedlung von Transmigranten fest. (6) Allerdings konnte das großangelegte „Transmigrasi Programm” zur Blütezeit der Suharto Regierung ab Mitte der 1980er Jahre nicht weiter umgesetzt werden, nachdem internationale Geldgeber wie die Weltbank die Gelder für das Programm gestrichen hatten. Die Weltbank unterstützte zwischen 1976 bis Mitte der 1980er Jahre sieben Projekte im Rahmen des staatlichen Programms auf den Inseln Sumatra und Kalimantan mit insgesamt 560 Millionen US-Dollar (7). Auch die deutsche GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) war an dem Programm bis 1983 beteiligt.
Transmigration ab der Reformation bis heute (1998 – 2017)
Da es der indonesischen Regierung nun an Fördergeldern zur Umsetzung einer großflächigen Transmigration fehlte, wurde das Programm umstrukturiert und auf kleinerer Flamme am Leben erhalten: Das Konzept wurde im Laufe der Reformation von einem Top-Down Ansatz unter der Federführung Jakartas hin zu einem Programm interregionaler Zusammenarbeit zwischen Entsendeprovinzen und Nehmerprovinzen umgestaltet, welches den Namen „Kerja sama Antar Daerah” (KSAD) bekam. (8)
Mit der Umstrukturierung des Programms kam es auch zu einer wesentlichen Verlagerung der Zielsetzung: Die Transmigration sollte in erster Linie die wirtschaftliche Nutzung verfügbarer Ressourcen in entlegenen Teilen des Archipels beschleunigen. Die veränderte Zielsetzung von einem Umsiedlungs- zu einem entwicklungsorientierten Programm spiegelt sich unter anderem im Wandel der verantwortlichen Ministerien in Indonesien wider. Transmigrationszentren wie Tanah Miring und Arso in der heutigen Provinz Papua wurden zu Hauptstandorten von Plantagen und Agrarindustrie für die Reis- und Palmölproduktion. Neben der wirtschaftlichen Komponente des Programms blieb die Förderung der nationalen Einheit ein wesentliches Ziel der Transmigrationspolitik. (9) Im Rahmen des Programms entstanden ab 2008 die ersten „Transmigrantenstädte”, so genannte „Kota Terpadu Mandiri” (KTM). Transmigrantenstädte gibt es in Papua in Senggi (Landkreis Keerom), Salor und Muting (Landkreis Merauke). (10)
Die folgende Tabelle zeigt eine Gesamtfläche von 2.100.760 ha, welche für die Umsetzung des „Transmigrasi Programms” in zehn Landkreisen bis 31. August 1999 von der Provinzregierung Papuas zur Verfügung gestellt wurde. Rechtliche Grundlage für die Transmigrationssiedlungen in den Landkreisen bildeten Dekrete welche durch den Gouverneur erlassen wurden.
Nr
Landkreis
Fläche für Umsetzung des „Transmigrasi Programms”
1
Jayapura
201.150 Hektar
2
Manokwari
598.500 Hektar
3
Sorong
214.530 Hektar
4
Nabire
135.610 Hektar
5
Jayawijaya
1.500 Hektar
6
Merauke
155.000 Hektar
7
Mimika
146.075 Hektar
8
Fakfak
388.025 Hektar
9
Biak Numfor
100 Hektar
10
Yapen Waropen
260.250 Hektar
Quelle: Kantor Wilayah Transmigrasi Provinsi Papua 2000
In den Provinzen Papuas gab es mehrere Typen von Transmigrationsprogrammen, die sich bei der Vergabe von Land und anderen staatlichen Vergütungen unterschieden. Der Großteil der Transmigrationssiedlungen (ca. 90%) wurde für die Erschließung und Bewirtschaftung von Agrarnutzflächen errichtet. Bei diesem Typ erhielt jeder Haushalt zwei Hektar Land, bestehend aus 0,25 Hektar für den Hof, 0,75 Hektar für agrarwirtschaftliche Nutzung und ein Hektar bewaldeter Agrarnutzfläche. Die agrarischen Nutzflächen wurden für den Anbau von Gemüse, hauptsächlich aber für den Reisanbau genutzt. Ein weiterer Transmigrationstyp steht in engem Zusammenhang mit der Errichtung von großflächigen Plantagen zur Produktion von Palmöl, wie man sie in Westpapua in Arso (Landkreis Keerom) und Perafi (Landkreis Manokwari) findet. Bei diesem Typ erhielt jeder Haushalt drei Hektar Land, bestehend aus 0,25 Hektar für den Bau eines Wohnhauses, 0,75 Hektar für den Anbau von Nutzpflanzen und zwei Hektar für den Anbau von Ölpalmen. (11)
Neben den zuvor genannten Haupttypen finden sich weitere Varianten von Transmigrationskonzepten, deren Verbreitung in Westpapua jedoch nur auf wenige Regionen beschränkt blieb. Eine dieser Varianten sollte die Ausbeutung lokaler Fischressourcen steigern. Zu diesem Zweck wurden Transmigranten mit Fischereifertigkeiten in Wimro im Landkreis Bintuni angesiedelt. Auf der Insel Waigeo im Landkreis Raja Ampat stellte die Regierung 10.000 Hektar Land für Transmigrationssiedlungen diesen Typs zur Verfügung. Ein weiteres Transmigrationsmodell mit lokaler Beschränkung wurde für die kommerzielle Nutzung von Wirtschaftswaldflächen geschaffen. Transmigrationssiedlungen diesen Typs wurden in Aranday I und Aranday II im Landkreis Manokwari erbaut. In Westpapua beschränkte sich forstwirtschaftliche Nutzung in den zuvor genannten Siedlungen zu einem Großteil auf die Ausbeutung wilder Sagopalmbestände. (12)
Seit 2016 versuchen die Provinzregierungen der Provinzen Papua und Papua Barat eine neue Form des „Transmigrasi Programms” umzusetzen, welches sich auf lokale Umsiedlung innerhalb der Provinzgrenzen beschränkt. Nach Angaben des Amtes für Bevölkerung, Arbeit und Transmigration der Provinz Papua Barat sollen im Rahmen des neuen Programms 350 sozial schwache Familien in Dörfern der Landkreise Manokwari, Fakfak, Maybrat und Südmanokwari angesiedelt werden. Das Programm wird finanziell von der Provinzregierung und den Landkreisen getragen, die an dem Programm teilnehmen. Neben einem Stück Land und einem Haus werden alle Haushalte mit Werkzeugen für den Feldbau und Solarzellen für die Stromerzeugung ausgestattet. (13) Im gleichen Jahr baute die Provinzregierung Papuas im Zuge des Programms 200 Häuser in den Transmigrationssiedlungen im Landkreis Keerom (Senggi) und Merauke (Muting). (14)
In den letzten Jahren machten hochrangige Regierungsvertreter in Indonesien widersprüchliche Aussagen hinsichtlich der Fortsetzung bzw. Einstellung des „Transmigrasi Programms”. Nach Angaben von Natalius Pigay, bis 2017 Mitglied der nationalen Menschenrechtskommission (Komnas HAM), der früher zum Beraterstab des damaligen Transmigrationsministers Ir. Alhilal Hamdi gehörte, wurde die staatlich geförderte Transmigration nach Papua bereits im Jahr 2000 eingestellt. (15) Diese Aussage steht im Widerspruch zu verschiedenen Angaben, die seit seit dem Zusammenbruch des Suhartoregimes von verschiedenen hochrangigen Regierungsvertretern gemacht wurden. Im Februar 2010 traf der Gouverneur der Provinz Westjava, Ahmad Heryawan, eine Abmachung mit der Provinzregierung von Papua Barat, in welcher beide Seiten festlegten, dass 700 Familien aus Westjava pro Jahr in der Provinz Papua Barat angesiedelt werden sollten. Nach Angaben der Provinzregierung Papua Barat wurden zu diesem Zeitpunkt bereits 5,8 Millionen Hektar Land für die Umsetzung des Programms bereitgestellt. (16) Im Jahr 2013 gab der Minister für Arbeitskräfte und Transmigration, Muhaimin Iskandar, bekannt, dass sein Ministerium die Transmigration nach Papua Barat durch den Ausbau von 271 Transmigrationssiedlungen in den Provinzen Papua und Papua Barat gefördert habe. Unter den geförderten Siedlungen nannte der Minister die „Transmigrantenstädte” (KTM) Salor und Muting im Landkreis Merauke. (17) Im Jahr 2014 wurde das Ministerium für Entwicklung von Dörfern, Entwicklung in abgelegenen Regionen und Transmigration dazu beauftragt, das „Transmigrasi Programm” fortzusetzen. (18)
Zumindest der Standort Salor deckt sich mit einer vom Ministerium für Dörfer, Entwicklung in abgelegenen Regionen und Transmigration veröffentlichten Karte aus dem Jahr 2014. Auf der Karte wird die Provinz Papua (Transmigrationssiedlung Salor) im Rahmen des „Transmigrasi Programmes” weiterhin als Nehmerprovinz aufgeführt (siehe Karte, Standort Salor [23]). Der Transmigrationsstandort Merauke steht in engem Zusammenhang mit dem unter Präsident Susilo Bambang Yudhoyono ins Leben gerufene MIFEE-Projekt (Merauke Integrated Food and Energy Estate), welches unter Präsident Jokowi unter dem neuen Namen MIRE (Merauke Integrated Rice Estate) fortgeführt wird.
(Quelle: Biro Humas dan Kerjasama Kementerian Desa, Pembangunan Daerah Tertinggal, dan Transmigrasi dan Tim Komunikasi Pemerintah Kemkominfo)
Im Jahr 2015 unterschrieben 25 Provinzen eine Vereinbarung bezüglich der Fortsetzung des „Transmigrasi Programmes”. Der zu diesem Zeitpunkt verantwortliche Minister Marwan Djafar gab in einem Interview am 22. September 2015 die folgenden zehn Entsendeprovinzen bekannt: Lampung, Banten, DKI Jakarta, Westjava, Zentraljava, Ostjava, Yogyakarta, Bali, NTB und NTT. Als die 15 unterzeichnenden Nehmerprovinzen nannte Djafar die Provinzen Aceh, Riau, Kepulauan Riau, Bengkulu, Südsumatra, Gorontalo, Zentralsulawesi, Südostsulawesi, Südsulawesi, Bangka Belitung, Westkalimantan, Nordkalimantan, Zentralkalimantan, die Molukken und Nordmolukken. (19) Obwohl weder die Provinz Papua noch Papua Barat unter den 15 Nehmerprovinzen genannt werden, erklärte Marwan Djafar die Absicht das Transmigrationsprogramm nach Papua auszuweiten. (20) Auch hier widerspricht sich die Aussage Marwans mit der des amtierenden indonesischen Präsidenten. Joko Widodo erklärte am 4. Juni 2015 bei einer Pressekonferenz die Einstellung des „Transmigrasi Programms” nach Papua auf unbestimmte Zeit. Als Grund für den Stopp gab Jokowi sozialen Neid zwischen indigenen Papuas und Transmigranten an, welchen das Programm in der Vergangenheit verursacht hatte. (21)
Der Gouverneur der Provinz Papua, Lukas Enembe, äußerte sich ebenfalls kritisch zu einer Fortsetzung des „Transmigrasi Programms” in der Provinz Papua und stellte in einem Interview am 16. August 2016 klar, dass die Provinzregierung Papuas als Nehmerprovinz bereits aus dem „Transmigrasi Programm” ausgestiegen sei. Dennoch zeigte er sich hinsichtlich der zunehmenden spontanen Migration besorgt und kündigte an die gesetzlichen Richtlinien für Zuwanderung nach Papua in Zusammenarbeit mit den Landkreisregierungen verschärfen zu wollen. (22) Gesetzliche Grundlage für die Regulierung der Zuwanderung nach Papua ist die Sonderregulierung der Provinz (PERDASI) Nr. 11/2013 hinsichtlich Bevölkerungskontrolle. Die Sonderregulierung verbietet eine weitere Umsetzung des „Transmigrasi Programms” solange die Gesamtbevölkerung der Provinz Papuas unter einer Einwohnerzahl von 20 Millionen bleibt. (23) Bis dahin ist noch ein weiter Weg: 2014 zählte die Provinz rund 3,5 Mio. Einwohner. Des Weiteren sieht die Regulierung den Besitz eines Personalausweises mit Wohnort in Papua (Domisili Papua) als Voraussetzung für eine dauerhafte Ansiedlung in der Provinz Papua vor. Doch trotz dieser rechtlichen Grundlage nimmt die unkontrollierte Zuwanderung in die Provinz Papua weiter zu, da die Sonderregulierung von Landkreisregierungen und verantwortlichen Regierungsbehörden nicht konsequent umgesetzt und kontrolliert wird. (24)
Auswirkungen des „Transmigrasi Programms” in Westpapua
Das „Transmigrasi Programm” hatte in den Provinzen Papua und Papua Barat gravierende Auswirkungen, die sich bis heute in sozialen Konflikten und der Demographie Westpapuas niederschlagen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Fälle von Landrechtskonflikten zwischen indigenen Gemeinschaften und staatlichen Behörden.
Demographische Folgen
Nach der indonesischen Übernahme in den Jahren 1962-63 setzten schwerwiegende demographische Veränderungen in Westpapua ein. Nach Angaben eines offiziellen Berichts der niederländischen Kolonialregierung betrug die Bevölkerung in Niederländisch-Neuguinea im Jahr 1960 736.700 Einwohner. (25) Eine Volkszählung im Jahr 1971 ergab bereits eine Gesamtbevölkerung von 923.000 Einwohnern, bestehend aus 96% Papuas und nur 4%, bzw. 36.000 Einwohnern, nicht-papuanischer Abstammung. Bei der darauf folgenden Volkszählung im Jahr 2000 nahm die Gesamtbevölkerung auf 2.213.830 zu, bestehend aus 68 % Papuas und 32 % Nicht-Papuas. Im Jahr 2010 ergab die Volkszählung nach Angaben des indonesischen Statistikamtes eine Gesamtbevölkerung von 3.612.854 Einwohnern für die Provinzen Papua und Westpapua. Laut der Volkszählung waren 1.730.336 (47,89%) Papuas und 1.882.517 (52,10%) nicht-papuanisch (26). Aufgrund der politischen Brisanz dieser Zahlen wurden die Ergebnisse nach ethnischer Zugehörigkeit nur kurzzeitig veröffentlicht und später aus allen Statistiken entfernt (27). Heute gibt es zwölf Landkreise in Westpapua, in denen indigene Papuas bereits zur Minderheit geworden sind. (28)
In den vergangenen Jahren äußerten sich indonesische Regierungsvertreter wiederholt zu demographischen Veränderungen in Westpapua. Der Generaldirektor der Behörde für die Gemeindeentwicklung und Transmigration, SE Wibowo, gab im Jahr 2008 an, dass etwa 17% der Bevölkerung in der Provinz Papua Transmigranten seien. Er merkte dabei an, dass diese Zahl nicht die Nachfolgegeneration von Transmigranten miteinschließe.(29) Der Minister für Dörfer, Entwicklung in abgelegenen Gebieten und Transmigration, Djafar Marwan, gab im Jahre 2015 in einem Interview an, dass in der Provinz Papua Migranten etwa 62% der Gesamtbevölkerung ausmachten. (30)
Auch wenn man anhand der Zahlen nur Rückschlüsse auf die momentane demographische Zusammensetzung in Westpapua ziehen kann, ist unumstritten, dass der prozentuale Anteil nicht-papuanischer Bevölkerungsgruppen weiter ansteigt. Die unkontrollierte Zuwanderung schürt den Konflikt in Westpapua und führt zwangsweise zu wirtschaftlichem Wettbewerb und Konflikten hinsichtlich des Zugangs zu Ressourcen wie Land, Wäldern und Mineralien. (31)
Soziale Konflikte
Zuwanderer aus anderen Regionen Indonesiens bringen eine andere Kultur und andere Lebensgewohnheiten mit. Sie haben andere Umgangsformen und andere Nahrungsgewohnheiten wie die indigenen Papua. Ihr Grundnahrungsmittel Reis verändert die Strukturen des Konsums, des Marktes und der Landwirtschaft. Die Erzeugnisse traditioneller Kleinbauern sind auf dem Markt nichts wert, während die Preise für die dort gehandelten Lebensmittel für indigene Papua fast unerschwinglich sind. Sozialer Neid macht sich breit.
Viele der Migranten gehören dem islamischen Glauben an, der unter den indigenen Einwohnern Papuas vergleichsweise wenige Anhänger findet. Der für viele Papua rituell wichtige Verzehr von Schweinefleisch, der Schutz vor Kälte ihrer halbnackten Körper durch Einreiben mit Schweinefett und viele andere Gewohnheiten mehr erscheinen den Zugewanderten fremd und abstoßend. In ihren Augen sind die Papua unkultiviert, ja: primitiv! In ihrer ursprünglichen Heimat als verarmte landlose Bauern selbst marginalisiert, dürfen sich hier viele vielleicht zum ersten Mal im Leben als etwas Besseres fühlen. Soziale Diskriminierung ist an der Tagesordnung.
Die lokalen Regierungen haben es versäumt, interreligöse Toleranz sowie soziale und kulturelle Integration durch staatliche Programme zu fördern. So verwundert es nicht, dass sich ein Großteil horizontaler Konflikte zwischen indigenen Papuas und Migranten in unmittelbarer Nähe von Transmigrationssiedlungen entflammt.
Eine weitere Konfliktquelle wurzelt in sozialen Ungerechtigkeiten im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung und Bildung. Die ungleichmäßige Verteilung von Lehrern ist nur eines von vielen Beispielen, die zu Vorwürfen einer diskriminierenden Entwicklungspolitik in Papua geführt haben. Eine Feldforschungsstudie von Pfarrer John Jongga und Dale Cypri im Landkreis Keerom zeigte, dass ungleiche Bildungsvoraussetzungen zwischen Transmigrantensiedlungen und traditionellen Dörfern bestehen. In Dörfern wie Towe, wo die Mehrheit der Bevölkerung indigene Papuas sind, unterrichtete ein Lehrer bis zu 52 Grundschüler. In den Transmigrationssiedlungen Arso und Skanto waren es hingegen im Durchschnitt nur 11 Schüler pro Lehrer. (32)
Das wachsende Potential horizontaler Konflikte zwischen Migranten und indigenen Papuas zeigt sich unter anderem in der Formierung von migrantischen Verbindungen, welche einen nationalistischen Gegenpol zu politischen Unabhängigkeitsorganisationen in Westpapua bilden sollen. Nationalistische Gruppen wie ‚Barisan Merah Putih‘, ‚Milisi Merah Putih‘ und ‚Kelompok Nusantara‘ organisierten am 2. Juni 2016 eine Massendemonstration in Jayapura. An der Demonstration nahmen fast ausschließlich Migranten teil. Die Demo war unter dem Namen ‚Volksfront zur Verteidigung der Einheit Indonesiens‘ (Barisan Rakyat Pembela NKRI) angemeldet worden und forderte das Verbot der Organisationen KNPB (Westpapua Nationalkomitee) und ULMWP (Vereinte Befreiungsbewegung für Westpapua).(33)
Landrechtskonflikte
Einer der größten Kritikpunkte am „Transmigrasi Programm” in Westpapua sind Landrechtskonflikte. Bis heute gibt es dutzende von indigenen Gruppen die keine bzw. unzureichende Kompensationszahlungen für Land erhielten, welches für die Ansiedlung von Transmigranten verwendet wurde. Fälle solcher Landrechtsverletzungen sind aus allen großen Transmigrationszentren in den Landkreisen Keerom, Sarmi, Jayapura, Manokwari, Sorong und Merauke bekannt. Unter dem totalitären Regime Suhartos galt kollektiver Grund ohne rechtlichen Nachweis als staatseigenes Land, das von der Regierung ohne Einbeziehung indigener Gesellschaften genutzt werden konnte.
Im Landkreis Jayapura wurden bereits 1975 die ersten Transmigrationssiedlungen in den Distrikten Nimbokrang und Namblong (Besum) angelegt. In Namblong (Besum) wurden ca. 500 Hektar Land für Transmigrationssiedlungen und Felder verwendet. Indigene Kommunen in beiden Distrikten fordern bis heute Kompensation in Form von Geld oder staatlichen Entwicklungsprogrammen für diesen Grund. (34) Ähnliche Landrechtskonflikte bestehen bis heute in Arso im Landkreis Keerom, wo 1982 eine Palmölplantage unter staatlicher Leitung errichtet wurde. Die Mehrheit der Plantagenmitarbeiter waren Transmigranten. Indigene Landrechtsbesitzer befinden sich bis heute im Streit mit der lokalen Regierung. In dem Streit geht es um tausende Hektar Land, welche für die Palmölplantage und den Bau der Transmigrationssiedlungen in Arso vereinnahmt wurden. (35)
Ob staatlich gelenkt, gefördert oder einfach nur geduldet: Der Zustrom von Migranten nach Papua hält unvermindert an und gefährdet von Tag zu Tag mehr das friedliche Zusammenleben aller Menschen in Papua.
(1) Dominggus Mampioper (2008): Dari Kolonisasi sampai Transmigrasi di Tanah Papua, aufrufbar unter:http://www.kabarindonesia.com/berita.php?pil=20&dn=20080721134337
(2) Kementerian Desa, Pembangunan, Daerah Tertinggal dan Transmigrasi (2005): Transmigrasi, Masa doeloe, Kini dan Harapan Kedepan, aufrufbar unter: http://pkp2trans.kemendesa.go.id/resources/files/a2e27404a080382134857e7ef4874c6f.pdf
(3) Der Begriff ‚West Irian‘ entstand unter dem ersten indonesischen Staatspräsidenten Sukarno und bezieht sich auf den Westteil der Insel Neuguinea, welcher bis 1963 unter niederländischer Kolonialherrschaft stand. Die Niederlande gaben der Kolonie den Namen ‚Niederländisch Neuguinea‘.
Unter Präsident Suharto wurde ‚West Irian‘ schließlich in ‚Irian Jaya‘ umgetauft. Erst nach dem Fall des Suharto Regimes wurde die Provinz ‚Irian Jaya‘ in ‚Papua‘ umbenannt. Unter Verletzung des Sonderautonomiegesetzes spaltete die indonesische Regierung unter Präsidentin Megawati Sukarnoputri ‚Papua‘ in die Provinzen ‚Papua‘ und ‚West Papua‘ (Papua Barat). Heute sorgt die Bezeichnung ‚West Papua‘ oft für Verwirrung, da sich der Begriff im internationalen Kontext meist nicht auf die indonesische Provinz ‚West Papua‘, sondern auf den Westteil der Insel Neuguinea unter indonesischer Herrschaft bezieht.(4) Dominggus Mampioper (2008): Dari Kolonisasi sampai Transmigrasi di Tanah Papua, aufrufbar unter: http://www.kabarindonesia.com/berita.php?pil=20&dn=20080721134337
(5) Die wichtigsten Gesetze, welche die staatlich geförderte Transmigration in Indonesien bis heute regeln sind Gesetz 3 / 1972 bzgl. Grundlegender Bedingungen der Transmigration, Gesetz 15 / 1997 bzgl. Umsiedlung, Gesetz 2 / 1999 bzgl. Praktischer Umsetzung von Umsiedlungen (zuvor Durchführungsbestimmung 42 / 1973) sowie Gesetz 3 / 2014 bzgl. der Umsetzung von Gesetz 15 / 1997 bzgl. Umsiedlung
(6) Kementerian Desa, Pembangunan, Daerah Tertinggal dan Transmigrasi (2005): Transmigrasi, Masa doeloe, Kini dan Harapan Kedepan, aufrufbar unter: http://pkp2trans.kemendesa.go.id/resources/files/a2e27404a080382134857e7ef4874c6f.pdf
(7) Independent Evaluation Group (IEG) of the World Bank Group: Transmigration in Indonesia, aufrufbar unter: http://lnweb90.worldbank.org/oed/oeddoclib.nsf/DocUNIDViewForJavaSearch/4B8B0E01445D8351852567F5005D87B8
(8) Kementerian Desa, Pembangunan, Daerah Tertinggal dan Transmigrasi (2005): Transmigrasi, Masa doeloe, Kini dan Harapan Kedepan, aufrufbar unter: http://pkp2trans.kemendesa.go.id/resources/files/a2e27404a080382134857e7ef4874c6f.pdf
(9) Kementerian Desa, Pembangunan, Daerah Tertinggal dan Transmigrasi (2005): Transmigrasi, Masa doeloe, Kini dan Harapan Kedepan, aufrufbar unter: http://pkp2trans.kemendesa.go.id/resources/files/a2e27404a080382134857e7ef4874c6f.pdf
(10) Antara News (29.11.2011): 12 kota transmigrasi akan dibangun di perbatasan, aufrufbar unter: http://www.antaranews.com/berita/286869/12-kota-transmigrasi-akan-dibangun-di-perbatasan
(11) Dominggus Mampioper (2008): Dari Kolonisasi sampai Transmigrasi di Tanah Papua, aufrufbar unter: http://www.kabarindonesia.com/berita.php?pil=20&dn=20080721134337
(13) Cahaya Papua (19.02.2016): 4 Kabupaten, Target Transmigrasi Lokal Tahun ini, aufrufbar unter: http://www.cahayapapua.com/11355-2/
(14) Kabar Papua (01.09.2016): Pemerintah Papua Bangun Ratusan Rumah untuk Transmigrasi Lokal, aufrufbar unter: http://gubernurlukasenembe.com/2016/09/05/pemerintah-papua-bangun-ratusan-rumah-untuk-transmigrasi-lokal/
(15) Kompas (07.06.2015): Upaya Hentikan Transmigrasi ke Papua Sudah Dilakukan 15 Tahun Lalu, aufrufbar unter: http://nasional.kompas.com/read/2015/06/07/15520261/Upaya.Hentikan.Transmigrasi.ke.Papua.Sudah.Dilakukan.15.Tahun.Lalu
(16) VIVA News (01.02.2010): 5 Juta Ha Lahan Transmigrasi di Papua Bara, aufrufbar unter: http://nasional.news.viva.co.id/news/read/128406-5-juta-ha-lahan-transmigrasi-di-papua-barat
(17) VIVA News (01.12.2013): Kemenakertrans Kembangkan 271 Pemukiman Transmigrasi di Papua, aufrufbar unter: http://www.viva.co.id/prancis2016/read/462588-kemenakertrans-kembangkan-271-pemukiman-transmigrasi-di-papua
(19) CNN Indonesia (23.09.2015): Kementerian Desa Kerja Sama Transmigrasi dengan 25 Provinsi, aufrufbar unter: http://www.cnnindonesia.com/nasional/20150922153651-20-80330/kementerian-desa-kerja-sama-transmigrasi-dengan-25-provinsi/
(20) CNN Indonesia (13.05.2015): Menteri Marwan Akui Transmigrasi Picu Adanya Konflik, aufrufbar unter: http://www.cnnindonesia.com/nasional/20150512164252-20-52850/menteri-marwan-akui-transmigrasi-picu-adanya-konflik/
(21) Kompas (09.05.2015): Jokowi Hentikan Transmigrasi ke Papua, aufrufbar unter: http://nasional.kompas.com/read/2015/06/04/18471741/Jokowi.Hentikan.Transmigrasi.ke.Papua
(22) Kabar Papua (16.08.2016): Lukas Enembe: Saat ini Terjadi Migrasi Luar Biasa ke Papua, Ini Transmigrasi Gelapkah?, aufrufbar unter: http://kabarpapua.co/lukas-enembe-saat-ini-terjadi-migrasi-luar-biasa-ke-papua-ini-transmigrasi-gelapkah/
(23) Tabloid Jubi (30.10.2014): Transmigrasi Lagi, Tabrak Perdasi No. 11 Tahun 2013, aufrufbar unter: http://tabloidjubi.com/16/2014/10/30/transmigrasi-lagi-tabrak-perdasi-11-tahun-2013/
(24) Tabloid Jubi (20.06.2016): OAP Kian Tersingkir, Papua Butuh Pengendalian Penduduk, aufrufbar unter: http://tabloidjubi.com/16/2016/06/20/oap-kian-tersingkir-papua-butuh-pengendalian-penduduk/
(25) Dominggus Mampioper (2008): Dari Kolonisasi sampai Transmigrasi di Tanah Papua, aufrufbar unter: http://www.kabarindonesia.com/berita.php?pil=20&dn=20080721134337
(26) Jim Elmslie: The Great Divide: West Papuan Demographics Revisited; Settlers Dominate Coastal Regions but the Highlands Still Overwhelmingly Papuan, in: The Asia-Pacific Journal: Japan Focus (January 2017), aufrufbar unter: http://apjjf.org/2017/02/Elmslie.html
(27) Sowohl die alte als auch die neue Regierung Indonesiens betonen die nationalen Einheit Indonesiens als wichtiges Fundament des Staates. Die Ergebnisse der Volkszählung von 2010 bzgl. der tatsächlichen ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung könnten zu sozialer und politischer Instabilität in den Provinzen Papua und Westpapua führen.
(28) Jim Elmslie: The Great Divide: West Papuan Demographics Revisited; Settlers Dominate Coastal Regions but the Highlands Still Overwhelmingly Papuan, in: The Asia-Pacific Journal: Japan Focus (January 2017), aufrufbar unter: http://apjjf.org/2017/02/Elmslie.html
(29) Dominggus Mampioper (2008): Dari Kolonisasi sampai Transmigrasi di Tanah Papua, aufrufbar unter: http://www.kabarindonesia.com/berita.php?pil=20&dn=20080721134337
(30) CNN Indonesia (13.05.2015): Menteri Marwan Akui Transmigrasi Picu Adanya Konflik, aufrufbar unter: http://www.cnnindonesia.com/nasional/20150512164252-20-52850/menteri-marwan-akui-transmigrasi-picu-adanya-konflik/
(31) Jim Elmslie: The Great Divide: West Papuan Demographics Revisited; Settlers Dominate Coastal Regions but the Highlands Still Overwhelmingly Papuan, in: The Asia-Pacific Journal: Japan Focus (January 2017), aufrufbar unter: http://apjjf.org/2017/02/Elmslie.html
(32) ICP (2015): Human Rights in West Papua 2015, The fourth report of the International Coalition for Papua (ICP) covering events from April 2013 until December 2014, aufrufbar unter: http://www.humanrightspapua.org/images/docs/HumanRightsPapua2015-ICP.pdf
(33) Warta Plus (02.06.2016): Ribuan Pendemo di Jayapura Turun Jalan Bawa Bendera Merah Putih, aufrufbar unter: http://www.wartaplus.com/ribuan-pendemo-di-jayapura-turun-jalan-bawa-bendera-merah-putih/
(34) Antara News Papua (01.05.2015): Penyelesaian lahan transmigrasi Jayapura diproses di kementerian, aufrufbar unter: http://antarapapua.com/berita/449997/penyelesaian-lahan-transmigrasi-jayapura-diproses-di-kementerian
(35) Pasifik Post (02.12.2015): Masyarakat Adat Merasa Dibohongi Pemerintah Keerom, aufrufbar unter: https://www.pasificpos.com/headline/6585-masyarakat-adat-merasa-dibohongi-pemerintah-keerom