„Paramilitärs schüchtern in Osttimor ganze Dörfer ein“
Frankfurter Rundschau, 14. August 1999
Leiter der deutschen Beobachter-Delegation plädiert für Entsendung von mehr Polizisten zur Volksabstimmung
Die Menschen in Osttimor leben zwischen Hoffen und Bangen. Nach 25 Jahren indonesischer Besatzung dürfen die Menschen im Osten der Sandelholz-Insel am 30. August über ihre Zukunft abstimmen. Die UN haben bisher 400 Wahlhelfer und 280 Polizisten in die frühere portugiesische Kolonie geschickt. Die Internationale Föderation für Osttimor (IFET), ein Bund von 35 nichtstaatlichen Organisation aus 22 Ländern, wird mit rund 150 Beobachtern vertreten sein. Die deutsche Delegation, an der die beiden christlichen Kirchen und die Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia beteiligt sind, leitet Volker Stapke. FR-Redakteurin Brigitte Spitz sprach am Freitag am Telefon mit Stapke in Osttimors Hauptstadt Dili.
Frankfurter Rundschau: Angriffe von pro-indonesischen Milizen auf Osttimoresen lassen nicht nach. Eskaliert die Gewalt so kurz vor der Volksabstimmung?
Volker Stapke: Wir haben gerade heute nachmittag direkt bei Dili Schüsse gehört, wir wissen nicht, was passiert ist. Dann gab es den Angriff auf die Studenten in Viqueque, einige von ihnen wurden gefoltert. Vor einigen Tagen wurden auch Häuser niedergebrannt und wir mussten Opfer beklagen, die Täter konnten wir nicht identifizieren. Das spielt sich meistens in den Vororten von Dili ab. Wir Beobacher können nicht verhindern, dass gerade in der Dunkelheit Angriffe passieren.
Wie verhält sich das indonesische Militär?
Die Militärs sagen, dass sie alle Anstrengungen unternehmen, um Sicherheitsbedenken auszuräumen. Andererseits geben sie zu, dass sie die Paramilitärs ausgebildet, benutzt haben und das auch weiterhin tun. Sie sind nicht daran interessiert, sie im großen Stil zu entwaffnen. Jakarta ist weit weg von Dili. Das Problem ist auch die Polizei, die oft nicht eingreift.
Besteht denn da überhaupt die Chance auf eine relativ friedliche Abstimmung Ende August?
Wir haben immerhin mehr als 300.000 erfolgreiche Registrierungen für die Abstimmung, das ist schon mehr als erwartet wurde. Wir haben aber auch Zehntausende Leute, die nicht kommen konnten. Die Gründe dafür waren Einschüchterung bis hin zu Terror. Das ist nicht eben das, was man von einer freien und fairen Teilnahme an einer Wahl erwartet. Das Problem wird sein, dass die registrierten Leute ein zweites Mal kommen müssen – an die Wahlbox selbst. Und ob das möglich ist, bleibt fraglich.
Wie ist denn die Stimmung unter den Osttimoresen?
Sehr emotional. Sie kennen seit 25 Jahren Einschüchterung, gezielte Attacken und Exekutionen. Doch jetzt sagen die Leute, wir haben nur eine einzige Chance für Osttimor – eben jetzt zur Wahl zu gehen. Jeder will das tun. Ich habe Flüchtlinge getroffen, alte Menschen, junge Menschen, die alle gehen wollen. Ganz Gruppen von Nonnen sind hier angekommen. Für Osttimoresen, die nicht hier leben, hat Indonesien übrigens die Anreise bezahlt. Auch von der Kirche werden die Menschen unterstützt, dass sie diese Reisen machen können. Es gibt viele Leute, die in der Gegend bleiben und bei Familienmitgliedern unterkommen, aber gibt auch viele, die wegen ihrer Arbeit wieder abreisen mussten und erst wieder zur Volksabstimmung kommen. Und bei dem strategischen Wegenetz in Osttimor – über die Berge oder die Küsten – kann man die Abstimmung leicht boykottieren. Man muss nur Paramilitärs an bestimmten Wegkreuzungen postieren.
Angesichts dieser Lage, sind denn genug internationale Beobachter in Osttimor?
Das internationale Engagement ist enorm. Allein was hier in wenigen Monaten aufgebaut wurde. Die UN haben dort ihre Präsenz verstärkt, wo es wirklich heikel ist, also gerade an der Westgrenze. Wenn aber die Übergriffe der Paramilitärs zunehmen sollten, reicht es nicht mehr aus. Dem Vorschlag aus den Vereinten Nationen, bewaffnete UN-Truppen hierherzuschicken, die das indonesische Militär unterstützen bei der Entwaffnung der Paramilitärs und der osttimoresischen Widerstandbewegung, müsste man international Druck verleihen. Denn die Indonesier kommen dem Mandat wie es im Vertrag vom 5. Mai festgelegt wurde, im Grunde nicht nach. Der freie Zugang zur Wahl findet nicht statt. Die Paramilitärs marschieren auf, schüchtern ganze Dörfer ein und vertreiben die Leute – zu Hunderten, zu Tausenden.
Sie befürworten also den Vorstoß, dass bewaffnete UN-Truppen nach Osttimor geschickt werden müssen?
Die USA haben dem eine klare Absage erteilt. Es hieß: Wir stationieren keine Truppen. Das Ganze in Osttimor war bisher eine peacekeeping-Mission ohne peacekeepers. Wir brauchen nicht per se bewaffnete Friedenstruppen. Aber die Gewalt muss beendet werden. Auf jeden Fall muss die Präsenz ziviler Polizei-Einheiten hier verstärkt werden. Jedes beteiligte Land muss mehr Personen schicken. Wir können von unserer Erfahrung berichten: die Präsenz ist das Wichtigste – gerade in abgelegenen Gebieten. Von den Kirchen und der lokalen Bevölkerung wurde das mit Kusshand aufgenommen. Die Besetzung in den Distrikten reichten aus für die Registrierung, aber nicht für den Massenansturm – wenn also an einer Stelle am 30. August 6.000 Menschen erwartet werden. Es wird wahrscheinlich zu weiteren Verschiebungen kommen.
Angenommen, die Volksabstimmung geht wie geplant über die Bühne, ist damit das Schlimmste überstanden?
Nein, die kritischste Zeit wird die Bekanntgabe des Ergebnisses sein. Wir wissen absolut nicht, was geschehen wird. Paramilitärs kündigen Blutbäder an, falls für die Unabhängigkeit gestimmt wird. Es gibt natürlich viele Gerüchte, damit wird viel Druck gemacht und viel eingeschüchtert.
Die schlimmsten Befürchtungen werden aber dadurch bestätigt, dass weiterhin in allen Teilen Osttimors, besonders aber an der Grenze im Westen weiter Waffen eingeschmuggelt werden, illegal aber auch offiziell. Die Paramilitärs tragen diese Waffen ganz offen zu Schau, Schnellfeuerwaffen. Ich habe das selbst gesehen. <>