Berichte von vielen Toten aus Ost-Timor
KNA, 05. September 1999
Dili, 5.9.99 (KNA) Aus Ost-Timor mehren sich Berichte über zahlreiche Morde pro-indonesischer Milizen an Zivilisten. Deutsche Beobachter berichteten am Sonntagabend (Ortszeit) von unbestätigten Meldungen, wonach es allein im Vorort Bekora der Hauptstadt Dili in der Nacht zum Sonntag 77 Tote gegeben habe. Durch die Straßen der Stadt zögen marodierende Horden; «es sind Zustände, die an Anarchie grenzen», sagte Sabine Hammer, die zu den deutschen Wahlbeobachtern auf Ost-Timor gehört, am Sonntag telefonisch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) aus Dili.
Nach Einschätzung der Beobachter ist nicht zu erkennen, dass indonesische Sicherheitskräfte gegen gewalttätige Milizen eingriffen. Vielmehr sei von den internationalen Beobachtern sogar ein Militärfahrzeug gesehen worden, dass machetenschwingende Milizen transportiert habe. «Der indonesische Staat hat das Machtmonopol umd muss für Gesetz und Ordnung sorgen», sagte Hammer, «davon können wir nichts feststellen.» Die pro-indonesischen Banden wirkten «äußerst gewaltbereit». Zu den derzeit nicht zu bestätigenden Berichten gehöre weiter, dass auf dem Land ganze Dörfer abgebrannt und vernichtet würden. Die medizinische Versorgung Verletzter in den Krankenhäusern auf dem Land sei dramatisch. «Die Ost-Timoresen setzen ihre ganze Hoffnung verzweifelt darauf, dass es doch noch zu einem bewaffneten Blauhelm-Einsatz kommt», unterstrich Hammer.
Belo trat nicht öffentlich auf
Entgegen einer vorherigen Ankündigung trat der katholische Bischof in Dili, Friedensnobelpreisträger Carlos Filipe Ximenes Belo, am Sonntag nicht öffentlich beim Gottesdienst in der Kathedrale der Hauptstadt auf. Die ansonsten sonntags meist überfüllte Kirche sei gerade halb gefüllt gewesen. Viele Menschen weinten, die Atmosphäre wirkte angstgeladen.
Die 115 Beobachter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus aller Welt, darunter noch acht Deutsche, bereiten sich angesichts der eskalierenden Lage und der schlechter werdenden Arbeitsbedingungen nach Angaben Hammers auf ihre Ausreise vor. Derzeit liefen noch Bemühungen, ein außerhalb Dilis stationiertes Team in die Hauptstadt zurückzuholen. – Den Einsatz der neun deutschen Teilnehmer unterstützen die Hilfswerke missio und Misereor, das Diakonische Werk und die Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia.
In der Nacht zum Samstag hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan in New York das Ergebnis der Volksbefragung vom vergangenen Montag mitgeteilt, wonach sich fast 80 Prozent der Ost-Timoresen für die Unabhängigkeit der 1975 von Indonesien besetzten und später annektierten Insel ausgesprochen hatten. Schon vor Bekanntgabe des Ergebnisses hatten die Gewalttätigkeiten mehrerer tausend pro-indonesischer Milizen deutlich zugenommen.
cst/twi 051338 SEP 99 nnnn