Wahlen: Allah hilft nicht jedem
Watch Indonesia! – Info und Analyse, 22. Mai 2019
von Alex Flor
Es ist schwer eine Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren. Allah hilft nicht jedem.
Einen Tag früher als geplant gab die indonesische Wahlkommission (KPU) das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vom 17. April dieses Jahres bekannt. Mit der vorzeitigen Bekanntmachung wollte man offenbar geplanten Protestaktionen zuvor kommen.
Selbige fanden gestern aber dennoch statt. Massen von Leuten demonstrierten vor dem Gebäude der Wahlkommission. Sie protestierten gegen mutmaßliche Wahlfälschungen aufgrund derer das von ihnen favorisierte Kandidatenpaar Prabowo/Sandiaga mit 11% Rückstand gegenüber dem amtierenden Präsidenten Joko Widodo und seinem Vize Ma’aruf Amin die Wahl verloren hat.
Kleinere Unkorrektheiten mögen bei allen Wahlen auf der Welt beobachtet werden. Aber um aus einem Rückstand von 11% eine Wahlfälschung abzuleiten bedürfte es mehr als nur eines Verdachts oder ein paar wenigen Indizien. 11%, das sind rund 14,5 Millionen der abgegebenen Stimmen. Es bedarf sicher ein bisschen mehr Stoff, als ein paar Tausend aufgebrachter DemonstrantInnen, um eine Wahlfälschung in dieser Höhe glaubhaft zu machen. Aus Sicht von BeobachterInnen verlief die Stimmabgabe frei und fair.
Ohne Zweifel stand diese Wahl unter dem zunehmenden Einfluss des politischen Islam. Beide Kandidatenteams versuchten sich diesem Trend anzubiedern. Ex-General Prabowo zehrte vom Erfolg der Gouverneurswahlen in Jakarta, wo es ihm gelang seinen Favoriten Anies Baswedan und dessen Vize Sandiaga Uno mit Hilfe radikalisierter islamischer Massen zum Wahlsieg zu verhelfen. Eine gefälschte Äußerung des damals amtierenden Gouverneurs Ahok, christlichen Glaubens und chinesischer Abstammung, brachte Hunderttausende auf die Straßen Jakartas. Ahok verlor die Wahl und landete im Gefängnis.
Um an diesen Erfolg anzuknüpfen, wählte Prabowo den schwer reichen Investor Sandiaga Uno zum Vize seines Kandidatenteams. Beide verstanden es islamistische WählerInnen zu mobilisieren, vor allem auf Sumatra. Ex-General Prabowo wird zahlreicher Menschenrechtsverletzungen beschuldigt. Er träumt von einer Rückkehr Indonesiens zu einem diktatorischen System wie unter Suharto, freilich mit ihm selbst an der Spitze. Er gefällt sich in Posen hoch zu Pferde wie einst Italiens „Duce“ Mussolini. Er vereint fast alles, was fortschrittlich denkende Menschen abstoßend finden werden. Nur eines ist weder er, noch sein Vize Sandiaga: ein Radikalislamist!
Prabowo hat eine christliche Mutter. Und dass sein Sohn schwul ist, gilt in Indonesien als offenes Geheimnis. Das passt so gar nicht in das Bild der Klientel, um die er warb.
Sein Konkurrent, der amtierende Präsident Joko Widodo alias „Jokowi“ sah sich nicht anders zu helfen als ebenfalls die islamische Karte zu spielen. Es war ein wahltaktisch sicher kluger Schachzug den erzkonservativen Islamisten Ma’aruf Amin als Partner im Wahlkampfteam zu wählen. Ma’aruf Amin war als Vorsitzender des Rats der Islamgelehrten (MUI) maßgeblich für Fatwas gegen religiöse und sexuelle Minderheiten verantwortlich. Doch als Repräsentant der größten muslimischen Vereinigung der Welt, der NU (Nahdlatul Ulama), die in den bevölkerungsstarken Provinzen Zentral- und Ostjava die dominierende Kraft ist, konnte er die islamistischen WählerInnen in Westjava, Banten und Sumatra, die anderen islamischen Schulen folgen und mehrheitlich Prabowo wählten, locker übertrumpfen.
Vizepräsident Ma’aruf Amin wird den auf Entwicklung der Infrastruktur ausgerichteten Kurs von Präsident Jokowi gewiss mittragen. Warum auch nicht? Er hat keine Ahnung von Wirtschaft und interessiert sich auch nicht dafür. Punkt für Jokowi.
Präsident Jokowi verstand es, nach einigen eher symbolischen Handlungen wie zum Beispiel einer Pilgerreise nach Mekka unmittelbar vor den Wahlen, die islamische Gemeinschaft näher an sich zu ziehen. Neuerdings sieht er in der Entwicklung eines an der Scharia orientierten Wirtschaftszweigs eine aussichtsreiche Zukunftsstrategie.
Das macht ihn freilich nicht zum Islamisten. Lange zuvor haben auch europäische Großbanken wie beispielsweise die Deutsche Bank erkannt, dass sich mit dem Modell „Sharia Banking“ gutes Geld verdienen lässt.
Westliche PolitikerInnen und Medien mögen sich mit dem in wenigen Tagen zu erwartenden Ergebnis der Parlamentswahlen zufrieden geben: Islamische oder gar offen islamistische politisch Parteien sind weiterhin zersplittert und bleiben auch als gemeinsame Kraft weit von einer Mehrheit der Parlamentssitze entfernt.
Klingt beruhigend, ist es aber nicht. Denn ebenso wie die AfD in Deutschland einen Rechtsruck in allen im Bundestag vertretenen Parteien hervorrief, so hat der Virus des politischen Islam längst alle scheinbar „säkularen“ Kräfte Indonesiens infiziert. Angefangen vom Reformpräsidenten Jokowi, der sich einen homophoben Islamisten zum Vize wählen musste, bis hin zu den Parteiorganen der nicht religiösen politischen Parteien, die in den Provinzen und Kommunen dafür sorgten, dass scharia-konforme Regeln wie zum Beispiel die Pflicht zum Tragen eines Kopftuchs oder nächtliche Ausgangsverbote für Frauen eingeführt wurden.
Frankfurter Rundschau, 21. Mai 2019
https://www.fr.de/politik/indonesien-joko-widodo-bleibt-praesident-12306851.html
Wahl gewonnen: Joko Widodo bleibt Präsident
von Willi Germund
Indonesier erteilen dem radikalislamischem Kandidaten eine Absage
Vier Wochen nach dem Ende der Präsidentschaftswahlen in Indonesien hatte es die Wahlkommission des Landes plötzlich eilig. Einen Tag früher als geplant verkündete sie das Resultat: Amtsinhaber Joko Widodo wurde mit 55,5 Prozent der Stimmen für weitere fünf Jahre bestätigt. Sein einziger Widersacher, der frühere General Prabowo Subianto, erhielt 44,5 Prozent. Der Grund der plötzlichen Hast: Prabowo will sich nicht geschlagen geben. Die Regierung fürchtete, der Verlierer würde seine Verbündeten von den radikalislamischen Milizen zum Proteststurm ausrücken lassen.
Tatsächlich weigerte sich Prabowo am Dienstag, das offizielle Ergebnis zu unterzeichnen. Seine Mannschaft verkündete, man wolle beim Verfassungsgericht Beschwerde einlegen. Der Ex-General, der schon bei seiner ersten Präsidentschaftskandidatur 2014 gescheitert war, hatte während der vergangenen Wochen mehrfach verkündet, er setze im Fall einer Niederlage auf die „Macht der Leute“ auf den Straßen. Prabowo, Sohn einer Christin, war im Wahlkampf mit Vertretern der radikalislamischen Milizen aufgetreten, die in Indonesien die Scharia, das juristische Regelwerk des Islam, einführen wollen.
Die Regierung Indonesiens, der nach Einwohnern gerechnet drittgrößten Demokratie der Welt, reagierte auf solche Drohungen mit polizeilichen Einsätzen. Ein Sprecher von Prabowos Team wurde am Montag nach einem Protestaufruf unter dem Vorwurf des „Verrats“ festgenommen. Zuvor hatte bereits der Polizeichef des Landes gewarnt, man werde mit drakonischen Mitteln gegen Anti-Wahl-Proteste vorgehen.
Die Bevölkerungsmehrheit scheint für die Proteste gegen die Wahl des 57 Jahre alten Widodo wenig übrigzuhaben. „Das Wahlergebnis zeigt, die Indonesier wollen Demokratie und keine islamische Herrschaft“, sagt der Journalist Tommy Suryopratomo vom Fernsehsender Metro TV.
Seit zwei Jahrzehnten erst ist Indonesien eine Demokratie. Rund 260 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählt das Land, 90 Prozent von ihnen sind muslimisch. Sie scheinen entschlossen, ihre vergleichsweise junge Demokratie gegen deren Feinde zu verteidigen.
„Ich bin der Präsident aller Indonesier“, erklärte der wiedergewählte Widodo in einem Interview der „New York Times“, „Demokratie schützt Pluralismus. Meine Regierung stellt Harmonie und die Bekämpfung des Extremismus an die oberste Stelle.“
Widodo, ein ehemaliger Möbelhändler, verzichtet auf Visionen. Er spricht lieber über die 1100 Kilometer Straßen, die unter seiner Ägide neu gebaut wurden. Dennoch holte seine Regierung während des vergangenen Jahres häufig „Pancasila“ aus der Mottenkiste, die alte Staatsphilosophie des Diktators Suharto. Das Ziel: Der alte und neue Präsident will dem wachsenden Einfluss konservativer oder dogmatischer islamischer Gruppen ein eigenes Gesellschaftsmodell entgegensetzen. Im Wahlkampf reiste er nach Mekka, um dem Gerücht zu begegnen, er sei klammheimlich Christ.
Doch „Jokowi“, wie Widodo in Indonesien genannt wird, verdankt seinen Wahlsieg auch einem Zugeständnis an die religiösen Wähler. Als Vize-Präsidenten musste er sich Ma’ruf Amin ins Boot holen. Der 76-jährige Amin vertritt den konservativen Flügel der größten islamischen Vereinigung Indonesiens, der Nahdlatul Ulama. Sie zählt nach eigenen Angaben 40 Millionen Mitglieder und ist unter anderem berüchtigt für ihre Hetze gegen Homosexuelle.
Vor allem aber sorgte Amin mit einer Fatwa, einer islamischen Rechtsauskunft, und einer zweifelhaften Zeugenaussage dafür, dass der chinesisch-stämmige Christ Ahok Basuki Tjahaja Purnama, ein Schützling des Präsidenten und Kandidat für den Gouverneursposten von Jakarta, wegen Blasphemie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.
Sorgen über den künftigen Einfluss Amins versuchen Anhänger Widodos zu zerstreuen. Der TV-Journalist Suryopratomo verweist auf den beschränkten Aufgabenbereich des Vize-Präsidenten: „Er wird nur für islamische Wirtschaft zuständig sein, um unseren Rückstand gegenüber Malaysia aufzuholen.“
taz, 21. Mai 2019
http://www.taz.de/Wahl-in-Indonesien/!5593888/
Die islamische Rechnung geht auf
von Michael Lenz
Indonesiens Präsident Widodo sichert sich zweite Amtszeit durch Anbiederung an islamistische Kräfte. Sein Herausforderer protestiert.
MANILA taz | Jetzt ist es amtlich: Joko Widodo ist der Sieger von Indonesiens Präsidentschaftswahl vom 17. April und kann gestärkt in seine zweite Amtszeit starten. Laut Wahlkommission stimmten 55,5 Prozent der WählerInnen für ihn. Sein Herausforderer Prabowo Subianto kam nur auf 44,5 Prozent. Die Verkündung des amtlichen Endergebnisses war aus Furcht vor Terroranschlägen und Unruhen unangekündigt um einen Tag vorgezogen worden. Die Innenstadt von Jakarta glich am Dienstag einem Heerlager. Tausende Polizisten sicherten den Sitz der Wahlkommission, das Nationaldenkmal und die Thamrinstraße, an der viele Behörden, Ministerien, Botschaften und Bürogebäude liegen.
Mächtige radikale Gruppen wie die „Islamische Verteidigungsfront“ (FPI) und die salafistische Hizbut-Tahrir Indonesia (HTI) waren für Prabowo und ein Kalifat in den Wahlkampf gezogen. Mit ihrer erfolgreichen Kampagne zum Sturz des christlichen Ex-Gouverneurs von Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama, hatten sich FPI und HTI schon 2016/17 als Machtfaktor etabliert.
Schon am Wahlabend hatte Prabowo den von Meinungsforschungsinstituten aufgrund von Nachwahlbefragungen verkündeten Sieg von Widodo als Fake News und seine eigene zweite Niederlage seit 2014 als Wahlfälschung abgetan. Er habe laut eigener Zählung mit satten 60 Prozent gewonnen, verkündete der 67-Jährige. Jetzt will Prabowo vor dem Verfassungsgericht gegen das Wahlergebnis klagen.
Nach einhelliger Meinung von Wahlbeobachtern ist die Wahl – abgesehen von einer Reihe kleinerer Unregelmäßigkeiten – ordentlich über die Bühne gegangen. „Die Wahl war im Großen und Ganzen fair und frei“, sagt Andreas Harsono, der für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Indonesien forscht, der taz.
Masterplan mit Schariaökonomie
Schon vor Verkündung des offiziellen Wahlergebnisses hatte Widodo politische Schwerpunkte seiner zweiten Amtszeit, die im Oktober beginnt, verkündet. Mit 412 Milliarden US-Dollar soll die marode Infrastruktur des Landes auf Vordermann gebracht werden. Zudem legte der ehemalige Möbelfabrikant einen „Masterplan zur Entwicklung einer schariakonformen Wirtschaft“ vor. Indonesien soll demnach bis 2024 vor allem in der Nahrungsmittelbranche, in der Mode und im Finanzsektor zu einem führenden Produzenten von Halal-Waren und -Dienstleistungen werden. „Eines der Schlüsselelemente zur Erreichung des Ziels der Schariawirtschaft ist unsere Identität als weltweit größte muslimische Nation“, hatte Widodo gesagt, als er den Masterplan vorstellte.
Im Kampf um WählerInnen und den Erhalt der Republik Indonesien als säkularen Staat hatte Widodo den erzkonservativen Kleriker Ma’ruf Amin als Vizepräsidentschaftskandidaten ausgewählt. Widodos islamische Rechnung ist mit seinem Wahlsieg einerseits aufgegangen. Andererseits ist die Gesellschaft gespaltener denn je. 13 der 34 Provinzen sind überwiegend religiös intolerant, allen voran Sumatra und das islamistische Aceh. Dort stimmten 84 Prozent für Prabowo.
Für die Einführung einer Schariaökonomie hatte der Religions- und Wirtschaftsexperte Ma’ruf schon als Vorsitzender des Rats der Ulemas geworben, der höchste theologischen Instanz des indonesischen Islam, sowie als Chef der Nahdlatul Ulama (NU), der weltgrößen islamischen Massenorganisation. Der „Masterplan für die Schariawirtschaft“ ist für den Politologen Boni Hargens der Preis für Ma’rufs Wahlkampfhilfe. „Das ist der Kompromiss zwischen dem säkularen Nationalismus von Widodo und dem religiösen Nationalismus von Ma’ruf.“