„Es ist ein Albtraum“

05. September 1999

Milizen in Osttimor verstärken Terror nach Bekanntgabe des Votums für die Unabhängigkeit von Indonesien

Von Jutta Lietsch (epd)

epd Jakarta (epd). Die pro-indonesischen Milizen in Osttimor haben ihren Terror am Sonntag verstärkt. „Eine Dunstglocke der Angst liegt über der Stadt“, berichtet die deutsche Wahlbeobachterin Sabine Hammer aus Dili. Tausende versuchen vor den bewaffneten Banden zu fliehen, die durch die Straßen ziehen und Gebäude in Brand setzen. Vielfach stehen Polizisten und Soldaten laut Augenzeugen untätig dabei, lachen und plaudern mit Miliz-Angehörigen. Männer, Frauen und Kinder suchen zu Tausenden Zuflucht in Kirchen, Priesterseminaren und Schulen. „Es ist ein Albtraum“, sagt die diplomatische Vertreterin Portugals in Indonesien, Ana Gomes, in Jakarta. Sie warnt vor einem „neuen Völkermord“ und fordert die internationale Gemeinschaft auf, sofort einzugreifen, um das Drama zu stoppen. Zugleich übt sie scharfe Kritik an der Haltung der UN, die bislang keine Anstalten macht, internationale Friedenstruppen nach Osttimor zu schicken: „Die Untätigkeit des Weltsicherheitsrats ist kriminell.“

Gomes wirft der indonesischen Armee vor, das Chaos in der früheren portugiesischen Kolonie Osttimor „provoziert, geplant und inszeniert“ zu haben, um UN-Mitarbeiter, internationale Beobachter und Journalisten zu vertreiben und „die Osttimoresen zu massakrieren.“ Die Milizen, deren Zahl auf 8.000 bis 10.000 Mann geschätzt wird, waren immerhin einst von der indonesischen Armee trainiert worden, um Unabhängigkeitsbestrebungen in Osttimor zu ersticken. Die Situation hat sich am Wochenende verschärft, seit UN-Generalsekretär Kofi Annan das Ergebnis des Referendums bekannt gab: 24 Jahre nach der Besetzung durch Indonesien votierten 78,5 Prozent der Wähler für einen eigenen Staat Osttimor. Indonesiens Präsident Bacharuddin Jusuf Habibie und Armeechef Wiranto erklärten zwar, das Resultat zu respektieren. Doch obwohl Wiranto inzwischen weitere Truppen nach Dili schickte, beherrschen die Milizen weiter große Teile der Stadt und andere Regionen.

Eine Delegation der indonesischen Regierung, von Armee und Polizei traf am Sonntag zu Gesprächen mit dem Chef der UN-Mission in Osttimor, Ian Martin, in Dili ein. Das Treffen fand am Flughafen statt, der von Polizisten, Soldaten und Milizen umringt war. Die Situation sei „völlig unberechenbar“, erklärt Wahlbeobachterin Hammer. Nicht immer sei zu erkennen, wer gegen wen kämpfe. Nach ihren Informationen haben sich auch Angehörige von Milizen zum Hafen begeben, um Dili per Fähre zu verlassen.

Auf den Straßen sammeln sich Konvois, die mit Hunderten Flüchtlingen in Richtung zur Grenze nach Westtimor fahren, eskortiert von der Polizei. Andere flüchteten sich an den Hafen, um eine der Fähren zu erreichen. Herkules-Flieger, die zuvor neue Truppeneinheiten nach Osttimor gebracht hatten, flogen Dutzende Menschen nach Jakarta aus. Vier Chartermaschinen wurden bereitgestellt, um ausländische Journalisten, internationale Beobachter und Diplomaten aufzunehmen. Auch das Beobachterteam von Menschenrechtsorganisationen, darunter Sabine Hammer und acht weitere Deutsche, bereitet seine Abreise vor.

Im Garten der Residenz des katholischen Bischofs Carlos Belo drängen sich inzwischen 2.000 Menschen, die Schutz vor den Milizen suchen. Während einer Messe appellierte der Friedensnobelpreisträger eindringlich an die Staatengemeinschaft, Friedenstruppen zu schicken. „Die Menschen sind in Panik“, sagt ein Pater: „Beten Sie für uns.“ (6315/5.9.99)


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