Polizei, Militär und Milizen wüten an vielen Orten gemeinsam
Berliner Zeitung, 06. September 1999
Osttimor: Tausende auf der Flucht
Stefan Leifert
DARWIN/BERLIN, 6. September. Wegen der eskalierenden Gewalt in Osttimor haben fast alle internationalen Beobachter, die das Unabhängigkeits-Referendum vor einer Woche überwacht hatten, die Insel verlassen. Auch die acht Bundesbürger, die sich bis zuletzt in der Hauptstadt Dili aufgehalten hatten, brachten sich am Montag in Sicherheit und wurden mit australischen Militärmaschinen nach Darwin ausgeflogen. Ein Beobachter sitzt noch in Baucau fest. Von dort sei der Weg zum Flughafen in Dili noch zu gefährlich, hieß es.
Die Lage in Osttimor sei „katastrophal“, sagte Volker Stabke, Leiter des Beobachter-Teams der Menschenrechtsorganisation „Watch Indonesia“, nach seiner Ankunft in Darwin der „Berliner Zeitung“: „Überall brennt es, Heckenschützen lauern in Verstecken. Niemand ist mehr sicher.“ Es sei sogar riskant, sich den Evakuierungen der Sicherheitskräfte anzuschließen: „Keiner weiß, wohin die fahren.“
Tausende Menschen hätten ihre Häuser verlassen und seien in die Berge geflüchtet. Unter den Flüchtlingen herrsche schon seit Tagen der Kampf ums Überleben. „Die Leute sterben, weil es an Essen und trinkbarem Wasser fehlt“, so Stabke. Die pro-indonesischen Milizen hätten inzwischen auch das Krankenhaus von Dili unter Beschuss genommen.
Steuerung aus Jakarta
Die Polizei sei mit der Situation völlig überfordert. Die Organisation des Sicherheitsapparates sei konfus, viele Einheiten seien führungslos. Eine Unterscheidung zwischen Polizei, indonesischem Militär und Milizen sei oft nicht möglich, weil sie sich äußerlich kaum unterschieden und an vielen Orten gemeinsam aufträten. Lokale Einheiten hätten die Kontrolle über das Land übernommen. Diese seien aber ferngesteuert, deutete Stabke an: „Namen will ich nicht nennen, aber die Linien gehen bis nach Jakarta.“ Er forderte die Weltöffentlichkeit dringend auf, für internationale Präsenz in Osttimor zu sorgen. Was zurzeit auf diplomatischer Ebene geschehe, sei nur noch „eine Farce“.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt Ludger Volmer schloss am Montag Konsequenzen für das bilaterale Verhältnis nicht mehr aus, wenn die indonesische Regierung das Unabhängigkeitsvotum in Osttimor nicht anerkenne. Dann seien auch die wirtschaftlichen Beziehungen in Gefahr, „zumindest insoweit sie über staatliche Politik vermittelt“ würden. Die Entsendung bewaffneter UN-Friedenstruppen sei eine Variante, die „nicht ausgeschlossen“ werden dürfe.
Portugal drängt zur Intervention
Die Europäische Kommission verurteilte am Montag die Gewalt in Osttimor schärfstens und unterstützte Forderungen nach der Stationierung einer internationalen Friedenstruppe. Ein Stopp der Hilfsprojekte oder die Verhängung von Sanktionen gegen Jakarta würden aber gegenwärtig nicht erwogen. Die EU-Außenminister, die sich am Wochenende in Finnland trafen, forderten, die internationale Gemeinschaft solle „frühzeitig handeln“, um die Umsetzung des Abstimmungsresultats zu sichern.
Portugals Staatspräsident Jorge Sampaio befürwortete eine Eingreiftruppe auch dann, wenn Indonesien nicht zustimme, sagte er der BBC. Die internationale Gemeinschaft dürfe niemals hinnehmen, dass ein Referendum unter UN-Aufsicht „in Feuer, Mord und Chaos untergeht“.
Portugal sei darauf vorbereitet, sich mit Soldaten an einer Friedenstruppe zu beteiligen, die schnell aufgestellt werden könnte. Auch Malaysia erklärte sich zur sofortigen Entsendung von Soldaten bereit. (mit AP, epd)