Information und Analyse

Geflüchtete in Indonesien – in ständiger Schwebe?

von Annika Püfke und Antje Missbach

Geflüchtete demonstrieren vor den Büros von UNHCR/IOM in Makassar.

Im Dezember 2021 sahen sich die indonesischen Behörden zum vierten Mal innerhalb der letzten zwei Jahre gezwungen, eine Rettungsaktion zu unterstützen, um 105 Rohingya, zumeist Frauen und Kinder, aus tödlicher Gefahr auf See zu retten. Die Rohingya, die vor der Verfolgung in Myanmar geflohen waren und anschließend in Flüchtlingslagern in Bangladesch festsaßen, hatten mehr als einen Monat auf einem seeuntüchtigen Boot ausgeharrt, das nur unzureichend mit Wasser, Lebensmitteln und Treibstoff ausgestattet war. Die indonesischen Behörden, die ihnen zunächst die Einreise in das Land verweigerten und einen Pushback in malaysische Gewässer vorbereiteten, mussten dem öffentlichen Druck von Nichtregierungsorganisationen und örtlichen Fischern nachgeben, als das Boot vor der Küste von Aceh zu kentern drohte. Nachdem das Boot nach Lhokseumawe geschleppt und die Passagiere medizinisch versorgt worden waren, wurden sie in einem provisorischen Lager untergebracht (UNHCR 2021; Llwellyn 2021). Nicht einmal zwei Monate später, bevor die Behörden sie planmäßig nach Medan umsiedeln konnten, war mehr als die Hälfte von ihnen aus dem Lager geflohen: Die Aussichten auf ein Leben als Geflüchtete in Indonesien sind zu düster (Nasution 2022).

Die Rohingya sind nicht die einzigen, die in Indonesien vorübergehend Schutz suchen. Das Land hat seit den 1990er Jahren eine beträchtliche Zahl von Flüchtlingen aufgenommen. Im November 2021 lebten nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) 13175 Geflüchtete und Asylbewerber:innen in Indonesien. Ihr Großteil kam aus Afghanistan, gefolgt von Somalia und Myanmar (UNHCR 2021). Indonesien verfügt über nur wenige formelle Schutzangebote für Geflüchtete. Dennoch wird es kontinuierlich von Asylbewerber:innen angesteuert. 

Obwohl Indonesien weder der Flüchtlingskonvention von 1951 noch dem dazugehörigen Protokoll von 1967 beigetreten ist, gewährt es verfassungsmäßig das Recht, Asyl zu beantragen. Die Präsidialverordnung (PR) 125/2016 bietet darin den Rechtsrahmen für die Behandlung von Asylbewerber:innen und Geflüchteten. Nicht die indonesischen Regierungsstellen, sondern das UNHCR ist für die Registrierung der Asylbewerber:innen und die Prüfung ihrer Anträge auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus zuständig. Für diejenigen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt wird, bemüht sich das UNHCR dann um eine dauerhafte Lösung, von denen es drei gibt: Umsiedlung in einen Drittstaat, Rückführung oder lokale Integration. Das UNHCR bietet auch Unterstützung für unbegleitete Kinder und finanzielle Zuschüsse zum Lebensunterhalt für die am meisten gefährdeten Personen. Darüber hinaus übernimmt die Internationale Organisation für Migration (IOM) die Kosten für Unterkunft, medizinische Versorgung, Bildung und gewährt, zumindest einigen der mehr als 13 000 beim UNHCR registrierten Personen, Bargeldzahlungen zur teilweisen Deckung der Lebenshaltungskosten. Während der Covid-19-Pandemie haben das UNHCR und die IOM Impfkampagnen für Flüchtlinge durchgeführt (UNHCR 2021).

Indonesien gilt gemeinhin als Transitland. Die meisten, die den Archipel erreichen, betrachten es lediglich als eine Zwischenstation auf dem Weg in ein Drittland wie Australien oder Kanada, wo sie hoffen, sich dauerhaft niederlassen zu können. Allerdings entscheiden die Drittländer selbst, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen; das UNHCR hat nicht die Befugnis, ihnen eine bestimmte Zahl von Geflüchteten zuzuweisen (Mohammadi und Askary 2022).

Die meisten registrierten Flüchtlinge in Indonesien wurden früher von den USA, Kanada und Australien aufgenommen .In den letzten Jahren sind diese Zahlen aufgrund von Änderungen in der Einwanderungspolitik und – im Falle Australiens – der Umsetzung extrem harter und rechtlich fragwürdiger Grenzschutzmaßnahmen jedoch drastisch gesunken. Mit nur 403 erfolgreichen Umsiedlungen in ein Drittland im Jahr 2020 (UNHCR 2021) ist die Wartezeit für Flüchtlinge in Indonesien allmählich auf fünf Jahre und in einigen Fällen sogar auf zehn Jahre oder mehr gestiegen. Da die Rückführung in ihre Herkunftsländer in den seltensten Fällen eine realistische Option ist – viele Rückkehrer:innen wären dort Krieg oder Verfolgung ausgesetzt – hat sich Indonesien von einem Sprungbrett in eine Sackgasse verwandelt.

Behelfszelte von Geflüchteten vor dem Kalideres Internierungslager für Geflüchtete, Jakarta

Viele Geflüchtete stehen somit vor dem Dilemma, weder eigenständig weiterreisen noch zurückgehen zu können. Die indonesische Regierung indessen vertritt weiterhin offiziell den Standpunkt, dass Indonesien lediglich ein Transitland sei und entzieht sich so jeglicher Verantwortung. Dementsprechend ablehnend steht sie der dauerhaften Integration Geflüchteter in lokale Gemeinschaften gegenüber. Dies verdeutlichen besonders die in der Präsidialverordnung Nr. 125/2016 enthaltenen Bestimmungen, die darauf abzielen, die Freiheiten Indonesiens „temporärer Besucher:innen“ stark einzuschränken und so Kontrolle über sie ausüben zu können. Geflüchtete, die sich in Indonesien aufhalten, haben Probleme, eine angemessene Ausbildung zu erhalten, sich frei zu bewegen oder ein örtliches Bankkonto zu eröffnen. Die Arbeitsaufnahme ist ihnen ebenfalls verwehrt. Diejenigen, die nicht von Organisationen wie dem UNHCR oder der IOM finanziell unterstützt werden, sind daher gezwungen, einer illegalen Beschäftigung nachzugehen, wodurch sie anfälliger für Ausbeutung und (wiederholte) Inhaftierung werden (Mohammadi und Askary 2022).

Viele Geflüchtete in Indonesien führen ein Leben in der Schwebe: Da ihnen der Weg zur Umsiedlung in ein Drittland versperrt ist, sitzen sie jahrelang in einem Land fest, das ihnen die grundlegendsten Rechte verweigert, was wiederum zu einer dauerhaft hoffnungslosen Situation führt.

Wenn man bedenkt, dass ihr Leben von ständigen Herausforderungen, Unsicherheiten und Perspektivlosigkeit geprägt ist, sollte es nicht überraschen, dass psychische Probleme unter den Geflüchteten in Indonesien weit verbreitet sind. In den letzten drei Jahren wurden mindestens 13 Selbstmorde verzeichnet (Mohammadi und Askary 2022). Trotz des strikten Verbots politischer Betätigung versuchen Geflüchtete allerdings zunehmend, auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam zu machen. Anfang 2022 gingen afghanische Asylsuchende in Pekanbaru auf die Straße, nachdem sich ein Mitglied ihrer Gemeinschaft am 16. Januar das Leben genommen hatte (Allen 2022). Andere errichteten im November und Dezember 2021 ein Lager vor den Büros des UNHCR und der IOM in Jakarta und forderten mehr Soforthilfe (Tamer 2021). Die indonesische Regierung zeigte sich von diesen Aktionen weitgehend unbeeindruckt.

Der Aktivismus von Geflüchteten nimmt vielfältige Gesichter an. Das Spektrum reicht von öffentlichen Protesten über Petitionen und Kampagnen in den sozialen Medien bis zu  journalistischen Tätigkeiten und Advocacy. Dabei greifen Geflüchtete ob ihrer Verzweiflung vermehrt auch auf drastischere Formen des Protests zurück, die bis zur Selbstverletzung gereichen: Sie organisieren Hungerstreiks oder nähen sich die Lippen zusammen, um zu verdeutlichen, dass ihre Stimmen kein Gehör finden. Im Januar 2022 haben sich mehrere afghanische Flüchtlinge selbst angezündet (Allen 2022).

In den letzten zehn Jahren haben sich immer mehr indonesische Nichtregierungsorganisationen für Geflüchtete eingesetzt, humanitäre Hilfe und Lobbyarbeit für sie geleistet (z. B. SUAKA, Dompet Duafa). Diese Art von Aktivismus ist jedoch kaum geeignet, die allgemeinen strukturellen Defizite, mit denen Asylsuchende und Geflüchtete derzeit in Indonesien konfrontiert sind, zu beseitigen. Um den Status quo hinter sich zu lassen, müsste die indonesische Regierung akzeptieren, dass Indonesien nicht länger ein Transitland ist und viele Geflüchtete gekommen sind, um zu bleiben – und dass in den kommenden Jahren noch viel mehr kommen könnten.

Literatur

Allen, Sydney (2022) Police violently break up Afghan refugee protest in Indonesia. GlobalVoices. 20 January. https://globalvoices.org/2022/01/20/police-violently-break-up-afghan-refugee-protest-in-indonesia/.

Llewellyn, Aisyah (2021) Rohingya refugees brought ashore after dramatic Indonesia rescue. Al Jazeera. 31 December. https://www.aljazeera.com/news/2021/12/31/rohingya-refugees-brought-ashore-in-indonesia-after-navy-rescue.

Mohammadi, Sitarah, and Sajjad Askary (2022) Refugees live in destitution in Indonesia: Years of limbo and suffering lead refugees to protests for many weeks now for resettlement. Reliefweb. 10 January. https://reliefweb.int/report/indonesia/refugees-live-destitution-indonesia-years-limbo-and-suffering-lead-refugees.

Nasution, Rahmad (2022) Rohingya refugees in Aceh get second COVID-19 jab. Antara News. 18 February. https://en.antaranews.com/news/216113/rohingya-refugees-in-aceh-get-second-covid-19-jab.

Tamer, Rayane (2021) Why ‘abandoned’ refugees in Indonesia are sewing their lips together and self-immolating. SBS. 9 December. https://www.sbs.com.au/eds/news/why-abandoned-refugees-in-indonesia-are-sewing-their-lips-together-and-self-immolating/3d61331d-159d-45f6-922a-7854f3d52a7e.

UNHCR (2021) Fact Sheet Indonesia. November 2021. https://www.unhcr.org/id/wp-content/uploads/sites/42/2022/01/Indonesia-FactSheet-November-2021_FINAL.pdf.

 

Die Autorinnen:

Annika Püfke ist Studentin der Sozial- und Politikwissenschaften an der Universität Bielefeld.

Antje Missbach ist Professorin für Soziologie an der Universität Bielefeld und Autorin von The Criminalisation of People Smuggling in Indonesia and Australia: Asylum Out of Reach (Routledge, 2022).

 


Tags: , , , , , , , , , , ,


Share