Aufruf zur Kundgebung: Menschenrechte und Demokratie schützen – Straflosigkeit beenden!
Solidarität mit Menschenrechtsverteidiger:innen, Journalist:innen und den Opfern und Überlebenden von staatlicher und politischer Gewalt in Indonesien!
Wann: 21. März 2024 um 11:00 Uhr
Wo: gegenüber der Indonesischen Botschaft, Lehrter Straße 63, 10557
Am 14. Februar 2024 fanden in Indonesien die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Noch am Wahltag verkündeten Prabowo Subianto, Verteidigungsminister und Generalleutnant während der Suharto-Diktatur (1966-1998), und sein Vize Gibran Rakabuming Raka, der älteste Sohn des amtierenden Präsidenten Widodo, ihren Wahlsieg. Die Wahlergebnisse verheißen eine noch weitergehende Aushöhlung der Menschenrechte.
Prabowo, 1998 nach einem Militärtribunal unehrenhaft aus der Armee entlassen, wird mit einer Vielzahl von schweren Menschenrechtsvergehen in Verbindung gebracht. Sie reichen bis in die Suharto-Diktatur zurück. Im Februar ehrte Joko Widodo seinen voraussichtlichen Nachfolger mit der Verleihung des zweithöchsten militärischen Rangs im Land.
Sein Sieg kam nicht überraschend. Eine bereits seit Jahren vorangetriebene Aushöhlung von Demokratie und Menschenrechten bereitete ihm und seinem Wahlbündnis den Boden. Das Bündnis steht für nichts anderes als die Fortsetzung eines seit Jahren brachial verfolgten Kurs des Wirtschaftswachstums, von dem die Bevölkerung, besonders aber marginalisierte Bevölkerungsgruppen, wenig profitieren.
Dessen Elemente sind unter anderem
- die Stärkung der zivilen Rolle des Militärs,
- die unilaterale Durchsetzung von Gesetzen mit repressivem Charakter oder Inhalten, wie das neue Strafgesetzbuch oder das sogenannte Onmibusgesetz zur Schaffung von Arbeitsplätzen,
- die Schwächung bzw. Vereinnahmung von Kontrollinstanzen wie Gerichten oder die Anti-Korruptionsbehörde,
- die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit durch juristische, polizeiliche und digitale Bedrohung von Kritiker:innen.
Die Verschmelzung von Militär, Oligarchen und Politik bestimmt dabei den politischen Alltag.
Wer ist Prabowo
Prabowo, Jahrgang 1951, gehört zu einer der mächtigsten Familien Indonesiens.
Das niedliche Opa-Image, das er während seiner Kampagne erfolgreich nach vorne brachte, sollte nicht über die Tatsachen hinwegtäuschen.
Prabowo vertritt einen autoritären Nationalismus und betrachtet die Demokratie in Indonesien als “sehr anstrengend, chaotisch und teuer” (Rede am 5. Februar 2024 auf dem Mandiri Investment Forum).
Während seiner gesamten Laufbahn zeigte er sich stets bereit, hochrangige militärische und rechtsextreme Verbindungen zu nutzen, um seine Interessen und seine Karriere zu bedienen – auch auf Kosten von Menschenleben und der Menschenrechte.
Gewalt hat einen großen Teil seines Berufslebens ausgemacht.
Prabowo diente während der Besatzung mindestens vier Mal in Osttimor. Als Offizier und späterer Kommandeur der indonesischen Elitetruppen (Kopassus) nutzte er seine enge familiäre Verbindung zu Suharto, um unabhängig vom regulären Militär zu operieren. Er wurde einmal aus Osttimor abgezogen, weil er Befehle nicht befolgte. Prabowo war 1976, kurz nach der Invasion, in Osttimor aktiv; er befehligte die Einheit, die 1978 den legendären Führer Osttimors, Nicolau Lobato, tötete. 1983 umging er einen vorgesetzten Offizier und untergrub einen Friedensprozess und wird für Massaker in Kraras im selben Jahr beschuldigt; 1986-87 entwickelte er eine Aufstandsbekämpfungsstrategie, die dazu diente, einen verdeckten Stellvertreterkrieg zu führen, indem Einheimische gegen Einheimische ausgespielt wurden; Er wird mit der Verschleppung timoresischer Kinder in Verbindung gebracht, zog eine Reihe der übelsten Straftäter, wie zum Beispiel Eurico Guterres, heran und nutzte in den 1990er Jahren Kopassus, um Milizen auszubilden und anzuleiten und schuf sog. „Ninja“-Banden, die die osttimoresische Zivilgesellschaft terrorisierten.
In der Endphase der Diktatur soll er 1998 mit Spezialeinheiten Pro-Demokratie Aktivist:innen verfolgt haben. Das Schicksal von mindestens zwölf von ihnen ist bis heute ungeklärt.
Prabowo wurde für die Taten in Osttimor und in Jakarta nie angeklagt, geschweige denn zur Rechenschaft gezogen, aber Untergebene aus seinen Einheiten wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Mehrere unabhängige Untersuchungen, einschließlich einer Untersuchung der indonesischen Menschenrechtskommission, stellten fest, dass es sich bei den vom indonesischen Militär begangenen Verstößen um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verstöße gegen indonesisches Recht handelt, für die die Täter zur Verantwortung gezogen werden sollten. Prabowo indessen leugnet seine Beteiligung und lehnt bis heute jede Verantwortung ab.
Als aktiver Beteiligter, Planer und Offizier mit Befehlsverantwortung trägt er jedoch eindeutig die Verantwortung für diese Exzesse. Sie sind der Grund dafür, dass ihm bis zu seiner Ernennung als Verteidigungsminister die Einreise in die USA verweigert wurde.
Bis zur Klärung durch ein unabhängiges Tribunal muss seine Eignung für das Amt des indonesischen Präsidenten ernsthaft in Zweifel gezogen werden!
Die Gefahr für die Demokratie wächst
Prabowo und sein Wahlsieg fallen nicht vom Himmel. Es steht zu vermuten, dass die Weichen für seinen Sieg und den seines Wahlbündnisse bereits im Vorlauf zu den Wahlen gestellt wurden: Wahlrechtsmanipulation durch Wahlkreisänderungen, Ernennung sympathisierender Funktionsträger:innen in den kritischen Provinzen, die Schaffung von neuen Provinzen in Westpapua, Stimmenkauf, der Missbrauch von staatlichen Ressourcen für den Wahlkampf und weitere Vorwürfe stehen im Raum.
Auch das Verfassungsgericht spielt eine Rolle. Unter dem Vorsitz des Schwagers von Präsident Joko Widodo fällte das indonesische Verfassungsgericht vergangenen Oktober zwei bemerkenswerte Urteile. Das erste gestattete dem Sohn Jokowis, Gibran Rakabuming Raka, als Prabowos Vizepräsidentschaftskandidat in den Wahlkampf zu ziehen, obwohl die Verfassung ein Mindestalter von 40 Jahren festlegt. Die Urteilsbegründung beruft sich auf seine Erfahrung als Bürgermeister von Solo. Die Entscheidung wurde erst getroffen, nachdem Gibrans Onkel, der Oberste Richter, bei der Abstimmung anwesend war.
Das Gericht wies ebenso die von Menschenrechtsverteidiger:innen vorgebrachte Verfassungsklage ab, Prabowo habe gegen Artikel 169 des Wahlgesetzes verstoßen. Artikel 169 schließt diejenigen von einer Kandidatur aus, die Staatsverrat, oder andere schwere Straftaten begangen oder sich der Korruption schuldig gemacht haben. Die Antragsteller:innen beantragten eine Präzisierung des Artikels, die Menschenrechtsverletzung einschließt und argumentierten, die Entführung der Pro-Demokratieaktivist:innen von 1997/1998 stelle eine Straftat dar. Der Antrag wurde abgelehnt.
Mit einem Präsidenten an der Spitze, der Blut an den Händen hat und eine Vita der Skrupellosigkeit in der Verfolgung eigener Interessen aufweist, wächst die Gefahr für die indonesische Demokratie und ihre Verteidiger:innen.
Die Zustimmung zu Prabowos autoritärem Nationalismus ist jedoch kein Zufall. Sie ist auch Ausdruck einer besorgniserregenden, internationalen Entwicklung, der wir uns entgegenstellen müssen.
Die Unterdrückung nimmt zu
Wer sich gegen soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung oder Umweltzerstörung engagiert lebt schon jetzt gefährlich.
Anhaltende Straflosigkeit für schwere Menschenrechtsverletzungen, ein Strom an demokratiefeindlichen Gesetzesreformen während der letzten fünf Jahre und eine immer weiter fortschreitende Verschmelzung von Oligarchen, Militär und Politik schränken den zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum zunehmend ein. Der unter Joko Widodo verfolgte Kurs des schnellen Wirtschaftswachstums mit seinen massiven Infrastruktur- und Bergbauprojekten bedroht die Lebensgrundlagen von zahllosen Menschen unmittelbar und zerstört einzigartige Naturlandschaften unwiderruflich.
Straflosigkeit muss aufhören!
Wir fordern die umfassende Untersuchung und vollständige Aufarbeitung, einschließlich einer juristischen, aller Menschenrechtsverbrechen zwischen den 1960er Jahren und den 2000ern. Dazu gehören:
- Die Massaker von 1965/66 gegen Mitglieder und Sympathisant:innen der kommunistischen Partei und ethnische Chines:innen von Teilen der indonesischen Armee und eigens dafür gebildete Milizen unter dem Kommando des Generals und späteren Präsidenten Suharto,
- Die Entführungen von Demokratieaktivist:innen 1998,
- Die Erschießung friedlicher Demonstrant:innen, die Verfolgung ethnischer Chines:innen und Massenvergewaltigungen während der pro-demokratischen Proteste 1998/99,
- Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in Osttimor, Aceh und Westpapua,
- Die heimtückische Ermordung des Menschenrechtsverteidigers Munir 2004.
Ebenso fordern wir
- Die Einhaltung
- von internationalen Abkommen zur Bürger:innenbeteiligung,
- von verbrieften Indigenenrechten,
- eine verfassungskonforme Revision des neuen Strafgesetzbuchs und dem sogenannten Gesetz zur Schaffung von Arbeitsplätzen,
- Zugang für unabhängige internationale Beobachter:innen zum Konfliktgebiet Westpapua.
In Solidarität mit den Kamisan-Mahnwachen, die seit 17 Jahren jeden Donnerstag um 16 Uhr vor dem Präsidentenpalast in Jakarta das Ende der Straflosigkeit für Menschenrechtsvergehen fordern, tragen wir schwarze oder dunkle Kleidung. Bitte verzichtet auf Nationalflaggen und parteipolitische Statements.