Die Situation in Ost Timor ist extrem angespannt
30. August 1999
Bericht von Silke Blum
(der Artikel erschien leicht verändert im Neuen Deutschland vom 30.8.1999)
23. August, Namaleso, 25 km von der Hauptstadt Dili. Plötzlich blockieren zwei Dutzend Milizen die Strasse, drohen mit Macheten, einer selbstgemachten Flinte und einem halbautomatischen Gewehr. Die Milizen stoppen den Wagen der internationalen Wahlbeobachter, sagen, sie würden das Fahrzeug anzünden, die timoresischen Insassen umbringen. Schließlich droht der Dorfvorsteher, auch die Wahlbeobachter zu erschießen – zehn Polizisten beobachten die Szene, greifen nicht ein.
Die Wahlbeobachter der Internationalen Förderation für Osttimor (IFET-OP), darunter zehn Deutsche, sind nicht überall gern gesehen. In Liquisa, eine Fahrtstunde von Dili entlang der malerischen Küste, teilten die Behörden den freiwilligen Helfern mit, sie wären überflüssig , weil hier „100 Prozent der Bevölkerung“ gegen ein unabhängiges Osttimor seien.
Die ehemalige portugiesische Kolonie war 1975 von Indonesien völkerrechtswidrig besetzt worden. Als im Zuge der Asienkrise zunächst Indonesiens Wirtschaft und in der Folge die Diktatur Suhartos zusammenbrach, konnten die Karten in der Osttimorfrage neu gemischt werden. Präsident Habibie willigte in einem Vertrag mit Portugal ein. Die Vereinten Nationen sollen in Osttimor eine Volksabstimmung abhalten, die über den Status des Landes entscheiden soll. Nachdem indonesische Sicherheitskräfte die Bevölkerung nahezu 25 Jahre brutal unterdrückten – etwa ein Drittel der Bevölkerung fiel den Kriegsfolgen zum Opfer – erwarten Beobachter, dass sich die Mehrheit der Osttimoresen für einen eigenen Staat entscheiden wird. Das wissen auch diejenigen, die Osttimor als Teil Indonesiens betrachten: Sie werden bei der nächsten Montag geplanten Wahl für die Autonomie stimmen, die vorsieht, dass Osttimor in den indonesischen Staatsverband eingegliedert wird.
Dass sie eigentlich auf verlorenem Posten stehen, wissen sie, umso energischer versuchen sie, das Abstimmungsergebnis zu beeinflussen. Auf dem Land weht vor nahezu jeder Hütte eine rotweiße Fahne, die die Zugehörigkeit zu Indonesien bekunden soll. Oft ist sie wertvoller, als die Behausung selbst.
Milizen ziehen bewaffnet von Haus zu Haus, verlangen Unterstützung für die Autonomie, zünden Häuser an, verwüsten die Büros der Unabhängigkeitspartei CNRT (Nationalrat des osttimoresischen Widerstandes), verschleppen osttimoresische Nationalisten. Vor wenigen Tagen fand man die Leiche des 20 jährigen Studenten Agosto Marques: Die linke Hand fehlte, vier Finger der rechten waren abgehackt worden, die Stirn und der Kiefer zertrümmert.
Menschenrechtsverletzungen und Verstösse gegen die UN-Wahlverordnung sind an der Tagesordung, viel Arbeit also für die über hundert Wahlbeobachter von IFET-OP, die das grösste internationale Kontingent stellen. IFET-OP eröffnete am 22. Juni sein Hauptquartier in der Hauptstadt Dili und hat heute 14 Teams in den verschiedenen Distrikten Osttimors. Deutsche Wahlbeobachter sind in Oekussi,Viqueque, Maubisse und Suai stationiert. „Es ist eine grosse Herausforderung für uns“, sagt Volker Stapke , der Leiter der deutschen Delgation, „Die Vorbereitungen der deutschen Wahlbeobachtergruppe mussten genauso wie die ganze UN Mission unter einem enormen Zeitdruck ablaufen. Unser Projekt soll einen zukünftig mittel- bis langfristigen zivilen Friedensdienst in Osttimor vorbereiten helfen.“ Mit Unterstützung der deutschen Kirchen hatte die Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia! vor sechs Wochen in Deutschland die Federführung über das Projekt übernommen, geeignete Fachkräfte mit Erfahrung in Asien und Arbeit in Krisenregionen ausgewählt und auf ihre schwierige Aufgabe vorbereitet. Bis auf den Leiter sind alle neun Deutschen ehrenamtlich tätig, ein zehnter Deutscher reist nach der Abstimmung an, um die Lage auch dann noch weiter zu beobachten, wenn die meisten anderen internationalen Kräfte Osttimor bereits längst den Rücken gekehrt haben.
„Wenn wir hier über die Strasse gehen, kommen die Menschen auf uns zu, umarmen uns, bedanken sich dafür, dass wir hier sind“, berichtet Volker Stapke.“ Es ist sehr bewegend, besonders an Tagen wie vorgestern, als zehntausend hier an unserem Büro vorbeizogen, um für die Unabhängigkeit zu demonstrieren. So etwas wäre vor der Ankunft internationaler Beobachter undenkbar gewesen.
Doch allein dass sich die indonesischen Sicherheitskräfte zurückhalten, garantiert in Osttimor keinen angstfreien Wahlgang. Nach der erfolgreichen Registrierung bleibt das Problem, ein zweites Mal ungehinderten Zugang zu finden. Man kann nur dort wählen, wo man registriert ist. Mittlerweile wurden viele Ausweispapiere entwendet oder zerstört. Am Donnerstag zogen nach Augenzeugenberichten schätzungsweise mehr als 300 Anhänger der Aitarak-Miliz wild um sich schiessend durch Dili. Mindestens zwei Menschen, vermutlich aber mehr, kamen ums Leben.
Milizen umringten am Donnerstag abend ein Haus der IFET-Wahlbeobachter in einem Vorort von Dili und versuchten, auf das Grundstück einzudringen. Am Freitag Mittag konnten IFET-Beobachter aus einem anderen Haus nur noch mit Hilfe einer Polizeieskorte evakuiert werden, nachdem die Miliz angekündigt hatte, alle jungen Osttimoresen in der Strasse zu töten und paramilitärische Truppen auf der Suche nach politischen Gegnern von Haus zu Haus zogen.
In Dili macht das Gerücht die Runde, die indonesische Armee habe sechs grosse Gruben ausgehoben, für die Leichen zukünftiger Massaker, die selbst der Nobelpreisträger Bischof Belo nach der Abstimmung befürchtet. Informierte Kreise vermuten zudem, das indonesische Westtimor werde das osttimoresische Grenzland zwischen Suai, (hier sind auch zwei deutsche Wahlbeobachter stationiert ) und Maliana besetzen. Weiterhin wird berichtet, in den letzten Tagen seien 400 M16 Gewehre geliefert und zum Teil bereits an Milizen ausgegeben worden. Die wiederum haben ihre Familien in die westtimoresische Grenzstadt Atambua evakuiert. In Dili kamen unterdessen die ersten von Hunderten indonesischer Wahlbeobachter, denen die UNO zunächst die Akkreditierung verweigerte, mit einem indonesischen Marineschiff an. Nach einem vertraulichen UN-Papier ist darunter auch „ein nationaler Jugendverband , der Verbindungen zur Miliz unterhält, üblicherweise zu politischen Zwecken eingesetzt wird und seit vielen Jahren weithin verdächtigt wird , politische Gewalt provoziert zu haben.“ Unter den Anführern wären auch Personen, die in kriminelle Aktivitäten verstrickt seien. Provokateuere spielten bei den blutigen Unruhen in Jakarta eine Schlüsselrolle.
Die Angst ist allgegenwärtig, aber die Befürworter der Unabhängigkeitsbewegung hoffen – allen Einschüchterungen zum Trotz – auf einen Abstimmungssieg, auch wenn viele aus Angst vor Repression die indonesische Flagge vor der Hütte gehisst haben. Was soll aber mit der Fahne passieren, wenn Osttimor unabhängig wird?
Herman, der seine besten Tage unter der Herrschaft der Portugiesen hatte, lacht verschmitzt. Der Stoff sei doch auch bei den Partisanen begehrt: Sie zerrissen die Fahne und benützten den roten Teil als Stirnband. <>