Dili erwartet UNO-Blauhelme
01. Februar 2000
Der folgende Artikel erschien in leicht gekürzter Form im Neuen Deutschland
Dili erwartet UNO-Blauhelme
Alex Flor, Watch Indonesia!
Nachdem sich die Einwohner Ost-Timors in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit von Indonesien entschieden hatten verwandelten pro-indonesische Milizen mit Unterstützung der regulären Armee das Land in ein Flammenmeer. Um Mord und Vertreibung zu beenden entschlossen sich die Vereinten Nationen letztlich zu einer militärischen Intervention unter dem Oberkommando Australiens, die in Indonesien seinerzeit für heftige nationalistische Ausbrüche sorgte. Wie konnten ausgerechnet die Australier, die die indonesische Besatzung Ost-Timors jahrelang gebilligt hatten, einen solchen Schritt wagen?
Der Verdacht, dass hinter Australiens humanitärem Einsatz noch andere Motive eine Rolle spielten, erhielt Nahrung durch die von einigen Landsleuten in Ost-Timor unter Beweis gestellte Geschäftstüchtigkeit. Im Gefolge der INTERFET-Truppen kamen mittlerweile etwa 12.000 Mitarbeiter der UN und rund 60 Organisationen aus aller Welt, die humanitäre Hilfe leisten und fast sämtlich den Anspruch erheben, koordinierend tätig zu werden. Nachdem die wenigen noch intakten Gebäude in der Hauptstadt Dili für Verwaltungszwecke in Beschlag genommen wurden, liegen nun zwei Hotelschiffe vor Anker, auf denen die Helfer Unterkunft finden. Die Versorgung dieser finanzkräftigen Klientel mit Mietwagen, Hamburgern und Dosenbier stellt ein einträgliches Geschäft dar, zumal Einkünfte bislang nicht versteuert werden müssen. Die Preise orientieren sich an der Kaufkraft der ausländischen Helfer. Doch auch die einheimische Wirtschaft erholt sich ein wenig. Auf dem im September völlig zerstörten Markt von Dili hat längst wieder ein reges Treiben Einzug gehalten, wenngleich Grundnahrungsmittel wie Reis und Fisch nun doppelt so teuer sind wie vor dem Referendum. Es entstand eine duale Wirtschaft: während Hamburger und Bier in australischen Dollar bezahlt werden, ist die Währung der Einheimischen noch immer die indonesische Rupiah. Die UN-Verwaltung (UNTAET) hat kürzlich beschlossen, für die Übergangsperiode bis zur völligen Unabhängigkeit den US-Dollar als Währung einzuführen. Vertreter des ost-timoresischen Nationalrates, CNRT, hätten lieber den portugiesischen Escudo als Übergangswährung gesehen. Um sie zu überzeugen wurde das Argument bemüht, der Escudo werde demnächst durch den Euro abgelöst, womit sich erneute Umstellungsprobleme ergäben. Angesichts der Einführung der DM als Leitwährung auf dem Balkan eine wenig überzeugende Begründung.
Mit der Entscheidung sollte in Wirklichkeit eine vorzeitige Anbindung an die ehemalige Kolonialmacht Portugal verhindert werden, die von Führungspersönlichkeiten des CNRT favorisiert wird. Um die langjährige Unterstützung Portugals für die Zukunft abzusichern, sprechen sie sich auch für die Einführung von Portugiesisch als Landessprache aus. Sie stehen damit jedoch in Konflikt mit der Generation der jungen timoresischen Intellektuellen, die unter der indonesischen Herrschaft groß geworden sind. Sie waren es, die durch gewaltlose Aktionen immer wieder auf das Unrecht in Ost-Timor aufmerksam gemacht haben und damit dem Widerstand eine breite Basis verschafft haben. Während der CNRT sich einerseits beklagt von UNTAET nicht ausreichend in Entscheidungen einbezogen zu werden, wird andererseits zunehmend die Frage gestellt, über welche Legitimation der CNRT selbst eigentlich verfügt, um als Schattenregierung unter Aufsicht von UNTAET zu fungieren. Neben teilweise wieder aufbrechenden Differenzen zwischen den im CNRT vereinten Parteien sehen die jungen Leute vor allem in der Dominanz der aus dem Exil zurückgekehrten Elite und der FALINTIL, des ehemaligen bewaffneten Widerstandes, ein Problem.
Hauptproblem bleiben jedoch die sozialen Verhältnisse. 80% der Ost-Timoresen sind arbeitslos, Nahrungsmittel und medizinische Versorgung sind spärlich. Unter noch schlimmeren Bedingungen warten ca. 100.000 Flüchtlinge und Vertriebene in Lagern im benachbarten, zu Indonesien gehörenden, West-Timor auf ihre Rückführung. 500 Menschen, zum überwiegenden Teil Kinder, sind in den letzten Monaten aufgrund der miserablen sanitären Verhältnisse in den Lagern gestorben. Milizen verweigern oder erschweren Hilfskräften weiterhin den Zugang zu den Lagern und terrorisieren die Insassen. In Erwartung der bevorstehenden Ablösung der Interventionstruppe INTERFET durch UN-Blauhelme lieferten sich die Milizen vor knapp zwei Wochen an der Grenze zur Exklave Oekussi wieder kleinere Scharmützel mit den verhassten Australiern. Oekussi ist eines der am schlimmsten zerstörten Gebiete Ost-Timors. Erst kürzlich wurde dort ein neues Massengrab mit ca. 50 Leichen entdeckt. Dass in Oekussi demnächst ausgerechnet 720 jordanische Blauhelmsoldaten für Sicherheit sorgen sollen, wird in Ost-Timor mit Argwohn gesehen. Jordanien ist Zufluchtsort des berüchtigten Generals Prabowo, dem ehemaligen Kommandeur der indonesischen Elitetruppe Koppassus, den eine persönliche Freundschaft mit dem jordanischen König verbindet.
Die Ablösung der australischen Truppen durch philippinische Einheiten in den übrigen Gebieten Ost-Timors könnte dagegen zur Entschärfung des Konfliktes zwischen Einheimischen und den „neuen Kolonialherren von der UN“, wie sie von einigen schon betitelt werden, beitragen. Vielleicht gelingt es den Philippinos, emotionsgeladene Ausbrüche wie sie sich kürzlich zwischen arbeitssuchenden Ost-Timoresen und UN-Mitarbeitern in Dili abspielten, besser in den Griff zu bekommen. Die größere kulturelle Nähe bedeutet allerdings auch eine potentielle Schwäche, sollte es zu weiteren Provokationen seitens der pro-indonesischen Milizen im Grenzgebiet kommen.
Weitaus schwieriger dürfte langfristig die Wahrung des inneren Friedens in Ost-Timor werden. Gewaltausbrüche zwischen rivalisierenden Gruppen auf dem Markt von Dili, wie sie sich Mitte Januar ereigneten, könnten sich angesichts der katastrophalen Versorgungslage häufen. UN-Generalsekretär Kofi Annan warnte bereits vor sozialen Unruhen und appellierte an UNTAET, mehr Jobs für arbeitssuchende Ost-Timoresen zu schaffen. Bisherige Planungen sehen allerdings vor, die Zahl der öffentlichen Bediensteten auf 7.000 bis 9.000 zu beschränken. Unter der indonesischen Besatzung standen noch 28.000 Menschen beim Staat in Lohn und Brot. <>