Der mutige Anwalt der Verschwundenen

taz, 06. Oktober 2000

Der indonesische Menschenrechtsanwalt Munir klärt die Verbrechen von Suhartos Generälen auf und dringt auf Reformen

Von Sven Hansen

taz BERLIN taz Er habe „Mut und Hingabe beim Kampf für die Menschenrechte und die Kontrolle des Militärs“ in seinem Land bewiesen, heißt es in der Begründung für die Auszeichnung des indonesischen Menschenrechtsanwalts Munir. Der aus Malang in Ostjava stammende 35-jährige Anwalt, der wie viele Indonesier nur einen Namen hat, ist der Vorsitzende der „Kommission für Verschwundene und die Opfer von Gewalt“, kurz Kontras. Die Organisation wurde im März 1998 gegründet, als sich der langjährige Diktator Suharto eine weitere fünfjährige Amtszeit gönnte.

Die Menschenrechtler um Munir reagierten auf die wachsende Repression, die Suhartos Machtzerfall während der Asienkrise begleitete und in dessen Folge immer mehr Oppositionelle entführt und ermordet wurden. Kontras kümmert sich nicht nur um das Schicksal Entführter, sondern sammelt auch Material, um den Machtmissbrauch des Militärs zu dokumentieren und so den Druck für Reformen zu erhöhen.

Politisiert wurde Munir in den 80er-Jahren. Als Jurastudent beschäftigte er sich mit Arbeitskonflikten und engagierte sich darauf beim unabhängigen Menschenrechtsinstitut LBH in dessen Büro in Surabaya. Munir landete selbst im Gefängnis, wechselte nach Jakarta und konzentrierte sich auf die Gewalt staatlicher Organe. Bis zum erzwungenen Rücktritt Suhartos im Mai 1998 war Kritik am Militär tabu.

Die Generäle verteidigen ihre Macht mit allen Mitteln. „Das Militär versucht, sich durch den Konflikt auf den Molukken, der nur oberflächlich religiös ist, vor den Auswirkungen der gesellschaftlichen und politischen Reformen zu schützen und eine neue Legitimität zu verschaffen“, sagte Munir in einem taz-Interview.

Als Mitglied der staatlichen Kommission untersuchte er auch die Gräuel des Militärs und proindonesischer Milizen in Osttimor. Er zähle das Militär nicht zu seinen Feinden, könne aber nachvollziehen, dass einige Generäle dächten, er sei ihr Feind, sagte Munir kürzlich. Entsprechend gefährlich lebt er. Letzte Woche explodierte vor dem Kontras-Büro in Jakarta eine Bombe. Zum Glück kam niemand zu Schaden. Munirs Kollege Jafar Siddique Hamzah hatte in Medan weniger Glück. Der Menschenrechtler, der die Morde des Militärs in der nach Unabhängigkeit strebenden Provinz Aceh untersuchte, wurde ermordet. Munir meint: „Es war eine Warnung für uns.“

Erfreut über die Auszeichnung des schmächtigen Munirs, den schon das Magazin Asiaweek zu den „20 jungen asiatischen Führern für das neue Millennium“ zählte, sagt Monika Schlicher von der Berliner Organisation Watch Indonesia: „Ich hoffe, die internationale Aufmerksamkeit schützt ihn und stärkt den Druck für Reformen.“ <>

Frankfurter Rundschau, 06. Oktober 2000

Auf der Blutspur der Suharto-Clique Indonesier Munir erhält Alternativen Nobelpreis

Von Brigitte Spitz (Frankfurt a. M.)

frankfurter_rundschauDer Name wird in Zukunft häufiger zu hören sein. Mit dem Indonesier Munir erhält ein Mann den Alternativen Nobelpreis, den das Magazin Asiaweek zu einem der „zwanzig jungen asiatischen Führungspersönlichkeiten des neuen Millenniums“ erkoren hat. Der 35-Jährige ist Indonesiens führender Experte zum Thema Menschenrechte. Einer der sich nicht einschüchtern lässt.

Als der junge Rechtsanwalt Munir im März 1998 Kontras, die Kommission für die Verschwundenen und Gewaltopfer, gründete, waren die Straßen der indonesischen Hauptstadt Jakarta von „Reformasi“-Rufen erfüllt. Studenten, junge Intellektuelle und Gewerkschafter wollten das Ende des Autokraten Suharto. Munir gehörte zu einer urbanen Elite, die demokratische Reformen in dem mehr als 200 Millionen Einwohner zählenden Land verlangte. Doch das alte Regime setzte den Oppositionellen Gewalt entgegen. In den Wochen vor Suhartos Rücktritt am 21. Mai 1998 verschwanden hunderte Menschen. Militärische Sondereinheiten folterten die, die aufbegehrten. Für Munir, 1965 in Malang im Osten Javas geboren, war das der Zeitpunkt, die Menschenrechtsverstöße der Regierung und der Uniformierten systematisch nachzuweisen. Der Jurist, selbst stets in Gefahr, Opfer staatlicher Willkür zu werden, stellte sich vor andere und spürte „Verschwundenen“ nach.

Für „Mut und Hingabe“ zeichnet die „Stiftung für richtiges Leben“ Munir nun mit dem Alternativen Nobelpreis aus – und Mut und Hingabe spürt, wer mit Munir spricht. In einem FR-Interview während seines Deutschland-Besuchs im Juli berichtete Munir über Menschenrechtsverstöße auf den Molukken. Dort wie in allen anderen Teilen des indonesischen Archipels ermittelt Kontras mit seinen inzwischen über hundert Mitarbeitern. Von den Molukken berichtete Munir über die Verwicklungen von Teilen der indonesischen Armee in die Gewaltexzesse und appellierte: „Die internationale Gemeinschaft darf dort nicht wegschauen.“ Die Verbindungen von Militärs und Unruhestiftern zu benennen, ist auch nach dem Ende der Ära Suharto gefährlich. Teile der alten Elite versuchen den demokratischen Wandel zu verhindern und Menschen wie Munir einzuschüchtern.

Wie weit sie gehen, musste er vor kurzem erfahren, als nahe Medan, der Hauptstadt Sumatra, einer seiner Kollegen, der 36-jährige Siddique Hamzah, ermordet aufgefunden wurde. Hamzah hatte in den Monaten zuvor auf die von der Regierung geduldeten Menschenrechtsverstöße in Aceh aufmerksam gemacht.

Munir will dennoch nicht schweigen. „Manchmal bin ich entmutigt und werde zynisch, aber ich lasse es nicht wirklich an mich ran kommen“, sagte er jüngst in einem Interview: „Wenn man wirklich Veränderungen will, muss man weitermachen.“ Mut und Motivation schöpft er, wenn er Eltern sagen kann, dass ihr verschollener Sohn oder ihre Tochter gefunden wurden. „Dann liebe ich meine Arbeit.“ Es sind diese Augenblicke für die Munir seine Sicherheit aufgibt. Auf die große politische Bühne will der Anwalt angeblich nicht. Aber klare Denker und mutige Menschen wie ihn könnte Indonesien gerade dort gebrauchen. <>


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