Ein asiatisches Jugoslawien?
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 26. März 1999
Trotz Demokratisierung nimmt die Gewalt in Indonesien kein Ende. Oder gerade deswegen
RALF SÜDHOFF
Ambon ist überall: Auf Kalimantan massakrieren seit Tagen die Ureinwohner der Dayak die zugewanderten Maduresen. Mindestens 165 Tote, vielleicht auch schon über 200 sind bisher zu beklagen. Und seit Anfang des Jahres schwappt die Gewaltwelle immer wieder über die 13.000 Inseln des indonesischen Archipels, von der Provinz Aceh ganz im Nordwesten bis nach Irian Jaya, über 5.000 Kilometer weiter östlich. Der muslimische Oppositionsführer Amien Rais warnt mittlerweile: „Unser Land könnte zu einem indonesischen Jugoslawien werden.“
Das Szenario der Gewalt ist dabei allerorten gleich: Immer wieder berichten Augenzeugen von Gruppen fremder Männer, die Tage vor den Unruhen durch die Region ziehen und die Menge aufstacheln. Dayak gegen Maduresen, Muslime gegen Christen oder die verhassten Chinesen, Ureinwohner gegen Migranten. „Vielfach haben die Provokateure bereits der Polizei gestanden, dass sie für ihre Arbeit bezahlt werden“, sagt Alex Flor, Sprecher der Menschenrechtsorganisation „Indonesia Watch“.
Der Verdacht: Teile des Militärs wie der seit Jahrzehnten regierenden Golkar-Partei fürchten um ihre Pfründe. Denn noch halten die Armee wie der Clan des im vergangenen Mai zurückgetretenen Präsidenten Suharto die Zügel in Händen. Die schlecht bezahlten Militärs etwa besitzen einen beträchtlichen Teil einträglicher Unternehmen und halten 70 Sitze im bisher pseudodemokratischen Parlament. Die vier Millionen Staatsbediensteten wiederum sind eng mit der Golkar-Partei verbandelt.
Diese Verbandelung gerät durch die für den 7. Juni geplanten demokratischen Wahlen ebenso in Gefahr wie mit der jetzt ernsthaft diskutierten Unabhängigkeit für Osttimor. Seitdem diese bei den Gesprächen unter UNO-Aufsicht in greifbare Nähe rückt, nehmen Gewalt und Unruhen dort kein Ende. Gerade auf Osttimor besitzen zahlreiche Militärs viele der einträglichen Plantagen, und das Beispiel Osttimor könnte Schule machen. Das mögliche Kalkül der Unruhestifter: Je schlimmer das Chaos, desto lauter wird der Ruf nach dem Militär. Und Wahlen werden immer unwahrscheinlicher.
Provokateure können sich zugleich die seit langem latenten Konflikte zwischen den 300 verschiedenen Ethnien unter den 210 Millionen Indonesiern zunutze machen. Auch diese sind ein Erbe Suhartos: Der Exdiktator veranlasste einst die Umsiedlung Tausender Indonesier von. den stark bevölkerten Inseln Java und Sumatra, weshalb erst Muslime nach Ambon und Maduresen nach Kalimantan zogen.
Die Studentenbewegung, einst treibende Kraft der Demokratisierung gilt derweil als gespalten über der Frage, ob sie die Wahlen am 7. Juni unterstützen soll. Auch im neuen Parlament erhält das Militär 38 der 500 Sitze, und ursprünglich forderte die Bewegung auch den Rücktritt des neuen Präsidenten Habibie, der 20 Jahre lang ein treuer Vasall Suhartos war. Doch nun schwingt sich Habibie zum Reformer auf. Aus ganz pragmatischen Gründen, wie Alex Flor vermutet: „Der Präsident weiß, dass er nur mit Reformen auf Unterstützung des Auslands in der Wirtschaftskrise rechnen kann.“
So könnten die Wahlen in Indonesien zum Prüfstein werden, ob die Asienkrise letztlich Demokratisierung und Menschenrechten in der Region dient. Oder tatsächlich ein riesiges Jugoslawien droht. <>