„Die Armee hat die Macht“

Jungle World, 27. Oktober 1999

Interview mit dem Südostasien-Wissenschaftler Ingo Wandelt über die neuen Kräfteverhältnisse

Jungle WorldNach seinem Wahlsieg ist der Zivilist Abdurrahman Wahid neuer Präsident von Indonesien. Und nicht der Armeechef Wiranto, sondern Megawati Sukarnoputri bekleidet den Posten der Vize-Präsidentin. Kann man sagen, dass die indonesische Armee nun der politischen Sphäre untergeordnet ist?

Nein, sicher nicht. Auf den ersten Blick könnte ein solcher Eindruck zwar entstehen, doch zumindest zwei wichtige Entscheidungen müssen noch getroffen werden. Zum einen ist die Regierung noch nicht gebildet, wobei da von großer Bedeutung ist, wer die für die Sicherheit des Landes wichtigen Funktionen übertragen bekommt. Da geht es zum einen um den Posten des Innenministers – traditionell ein Zivilist, aber mit einer gewissen Affinität zum Militär. Außerdem muss der Verteidigungsminister noch ernannt werden, der traditionell vom Militär gestellt wird. Ein Zivilist auf dieser Position wäre schon fast eine Revolution.

Die zweite, weitaus wichtigere Frage jedoch ist, wer den Oberbefehl über die Armee erhält, den Posten des panglima TNI, des Chefs aller Teilstreitkräfte also. Das war bislang Wiranto, und ich nehme an, dass er es auch bleiben wird.

Unklar ist auch, ob der panglima zugleich Verteidigungsminister wird, wie es unter Suharto und auch unter Habibie der Fall war. Wenn in dieser Frage alles beim Alten bleibt, werden die Streitkräfte wahrscheinlich auch in Zukunft politisch eine sehr starke Rolle spielen.

Warum hat Armeechef Wiranto den Schwenk weg von Ex-Präsident Habibie vollzogen?

Habibie hat sich in seiner Regierungszeit gegenüber den Streitkräften zwar sehr gefügig gezeigt und sich kaum in ihre Kriegsaktivitäten eingemischt – angefangen bei Aceh über Irian Jaya bis Ost-Timor. Für das Militär war er ein sehr pflegeleichter Partner.

Doch Habibie war politisch schwach und stieß auf viel Widerstand – am letzten Tag seiner Amtszeit selbst aus Kreisen der Wirtschaft, der Börse. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war für Wiranto klar, dass die Streitkräfte von Habibie sehr schnell Abstand nehmen müssen. Ich denke allerdings, dass er diesen Schritt schon länger geplant hatte.

Welche Rolle könnte dabei der gescheiterte Versuch Habibies gespielt haben, die Notstandsgesetze einzuführen – eine seiner letzten Amtshandlungen?

Es ist bis heute nicht klar, was sich wirklich in den Tagen ereignet hat, als das Gesetz verabschiedet wurde. Angeblich sollen sich west-timoresische und islamische Milizverbände in Jakarta gesammelt haben. Außerdem kursierten Gerüchte, dass ein Staatsstreich bevorstünde. Dem ist die Bevölkerung zuvorgekommen, angeführt von den Studenten. Bei den Massenprotesten gegen das Notstandsgesetz wurden sieben Demonstranten von den Streitkräften erschossen. Angesichts dieser Proteste musste es eventuellen Anhängern eines Staatsstreiches – innerhalb der Armee, aber auch aus anderen Kreisen – klar werden, dass sie damit nicht durchkämen.

Das Notstandsgesetz hätte den Streitkräften die Möglichkeit eröffnet, jederzeit legal die Macht zu übernehmen – was in den letzten Tagen Habibies, um den 23., 24. September herum, durchaus möglich war. Unter dem neuen Präsidenten aber ist das kaum denkbar.

Wie hat die Armee seit Suhartos Sturz im Mai letzten Jahres ihre lange Vergangenheit der Massaker aufgearbeitet?

Sie hat sich auf das Phänomen der so genannten Suhartoisierung der Armee beschränkt. Dieser Begriff geht darauf zurück, dass der Präsident Indonesiens zugleich der Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist – und dem der Armeechef damit untersteht. Suharto hat seit 1988/89 dafür gesorgt, dass nur ihm hörige Offiziere nach oben kamen. So war es ihm z.B. möglich, Wiranto zu befördern, der lange Zeit als sein Adjutant gearbeitet hatte. Und viele andere mehr – im Grunde genommen die Leute im Führungskorps der Armee, die auch heute noch dort sitzen.

Nach dem Sturz Suhartos haben die Streitkräfte das als Argument benutzt, um zu sagen, sie seien von Suharto missbraucht worden. Womit sie ihm die ganze Verantwortung für die Massaker in den vergangenen Jahrzehnten zugeschoben haben.

Mit der Umbenennung der Armee von Abri in TNI wurde ja auch eine Trennung von Militär und Polizei angekündigt …

Die Abtrennung der Polizei von den Streitkräften ist real noch nicht erfolgt. Neu ist lediglich, dass die Polizei nicht mehr dem Führungsquartier, sondern dem Verteidigungsministerium unterstellt ist. Aber die drei Teilstreitkräfte und die Polizei unterstehen weiterhin militärischem Oberbefehl. Das ist also bislang nur ein Täuschungsmanöver.

Hintergrund dieser Maßnahme sind aber auch interne Konflikte, beispielsweise zwischen Heer und Polizei, die ja gleichermaßen für die Innere Sicherheit zuständig sind und sich häufig in die Quere kommen. Vor etwa zwei Wochen hat sich das auf den Molukken gezeigt, wo Polizisten wahrscheinlich von Armeescharfschützen erschossen wurden.

Zugleich wurde diese Pseudo-Trennung von Streitkräften und Polizei und die Neubenennung der Armee in TNI zur Imagepflege benutzt. Die Bezeichnung Abri ist erst unter Suharto entstanden – als Einheit von Heer, Marine, Luftwaffe und Polizei. Zuvor agierte die Polizei eigenständig. Mit ihrer Abtrennung soll auch eine Abkehr von der „Neuen Ordnung“ und von Suharto signalisiert werden.

Welche Rolle spielt der Konflikt um Ost-Timor für die Armee?

Ost-Timor ist das Vietnam Indonesiens. Ost-Timor als Teil Indonesiens war ein Projekt der Streitkräfte, so etwas wie Indonesiens Kriegslabor – mit all den Folgen, die wir kennen. Dieses Experiment, aus Ost-Timor ein Prestige-Objekt der indonesischen Entwicklung zu machen, ist vollständig gescheitert. Ost-Timor wird nun zu einem eigenständigen Staat, der als Enklave mitten im indonesischen Archipel liegt.

Realistisch ist, dass Ost-Timor einfach vergessen und verdrängt wird, nach dem Motto: Indonesien hat sich jetzt um sich selbst zu kümmern, vergessen wir Ost-Timor und vergessen wird damit auch die Schande, die es den Streitkräften gebracht hat.

Die Probleme mit den pro-indonesischen „Milizen“ sind damit nicht gelöst …

Die so genannten Milizen sind para-militärische Verbände, die direkt in die Führungsstruktur der Armee integriert sind. In den letzten Wochen sind sie fast handzahm gemacht worden. Doch schon im Laufe des nächsten Monats wird sich herausstellen, ob die von West-Timor ausgehenden Konflikte in Ost-Timor wieder aufflackern werden. Wichtig ist darüber hinaus, ob den Flüchtlingen in West-Timor und anderen Teilen Indonesiens erlaubt wird, nach Hause zurückzukehren.

Jedenfalls haben die Streitkräfte durch ihr Oberkommando über die „Milizen“ Mittel in der Hand, erneut Konflikte anzufachen und damit auch politischen Einfluss in Indonesien auszuüben. Man wird sehen, ob die neue Regierung in der Lage sein wird, die Befehlsgewalt über die Streitkräfte zurückzugewinnen, die die Regierung Habibie niemals hatte.

Eines aber ist klar: Wiranto trägt die volle Verantwortung für das Agieren der Milizen. Und die Streitkräfte sind natürlich die Kraft in Indonesien, die die tatsächliche Macht hat: Sie verfügen über die Waffen und über die größte Organisation mit klarer Befehlskette im Land.

Interview: Carlos Kunze


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