Die Ära Suharto geht zu Ende
FriedensForum 4/1997, Juli – August
Monika Schlicher
Nachdem das indonesische Militär im Dezember 1992 den osttimoresischen Widerstandsführer Xanana Gusmão gefangen genommen hatte, sprach ein Offizier im Vertrauen offen aus, was viele seiner Kollegen dachten: „Wir werden ihm den Prozeß machen und jede Menschenrechtsorganisation wird uns im Genick hängen. Was immer wir auch tun, wir ziehen den kürzeren. Sie hätten diesen Hurensohn erschießen sollen.“ (Sydney Morning Herald, 27.06.1997, David Jenkins: Death of fighter casts a shadow)
Nun, fünf Jahre später, gelingt der indonesischen Armee mit der Gefangennahme von David Alex, dem nach Konis Santana ranghöchsten Kämpfer des bewaffneten Widerstandes, zwar erneut ein Schlag gegen den Widerstand, sie bringt sich zugleich aber wieder in eine ausweglose Situation: Berichten indonesischer Militärs zufolge wurde David Alex bei der Gefangennahme getötet und sogleich begraben. Was die Umstände, Ort und Zeitpunkt anbelangt, so verstricken sie sich zur Zeit in Widersprüche: mal soll er an Ort und Stelle seinen Verletzungen erlegen sein, mal wurde er nach Dili geflogen und starb im Krankenhaus. Auch wurde vermeldet, seine Angehörigen hätten der Trauerfeier beigewohnt. Auf Rückfragen erwies sich auch das als nicht richtig. Offenbar setzt das Militär alles daran, schnellstmöglich Spuren zu beseitigen. Wir halten es für wahrscheinlich, daß David Alex ermordet wurde, weil das Militär sich nach den Erfahrungen mit Xanana Gusmão nicht erneut einen Prozeß leisten wollte, der das internationale Ansehen Indonesiens schmälert und den Verurteilten als moralischen Sieger dastehen läßt. Doch mit diesem vermeintlichen Schlag gegen den Widerstand hat das indonesische Militär die Aufmerksamkeit der engagierten Öffentlichkeit weltweit auf sich gezogen und trägt unfreiwillig dazu bei, daß der Druck auf die indonesische Regierung zu einer friedlichen Konfliktlösung wächst.
Der Zwischenfall ereignete sich wenige Wochen nach dem Überfall eines Guerillakommandos auf einen indonesischen Militärtransport, bei dem 18 Menschen ums Leben kamen. Bei den seither verstärkten Militäroperationen wurden mindestens 85 Menschen festgenommen, die nun von Folter bedroht sind. Die Situation sei hochexplosiv, berichten die Menschen aus Osttimor, die Spannungen nehmen massiv zu, die Menschen haben große Angst, bei Razzias und in der Nacht werden Leute willkürlich festgenommen und verschleppt
Indonesien führt Krieg in Osttimor. Die Osttimoresen wehren sich gegen die gewaltsame Einverleibung ihres Landes und fordern ihr Recht auf Selbstbestimmung. Nach indonesischer Sichtweise ist die Dekolonisation Osttimors mit der Integration in die Republik Indonesien als 27. Provinz abgeschlossen, aus Sicht der Vereinten Nationen gilt der Prozeß der Dekolonisation als unterbrochen und de jure ist noch immer Portugal die Verwaltungsmacht. Doch de facto beherrscht Indonesien den Ostteil der Insel. Die Menschen in Osttimor werden in ihren alltäglichen Bedürfnissen an Leib und Seele verletzt, es herrscht ein Klima der Unterdrückung.
Der Widerstand wächst
Der Widerstand gegen die indonesische Fremdherrschaft wächst und immer mehr Menschen stehen mutig auf und beziehen deutlich Position. Letzten November gingen ca. 60.000 Menschen in Osttimor friedlich auf die Straße, um ihre Sympathie für Bischof Belo zu bekunden. Nie zuvor hat es eine Kundgebung in dieser Größenordnung gegeben. Der Friedensnobelpreis hat den Menschen neue Hoffnung und neues Selbstvertrauen gegeben. Selbst OsttimoresInnen, die ursprünglich für die Integration eingetreten sind, stehen inzwischen auf und erklären, daß das, was Indonesien als Integration bezeichnet, nichts weiter als eine militärische Annexion sei. Osttimoresen in Verwaltung, Entwicklungsorganisationen und im universitären Bereich versuchen innerhalb des Systems einen Mittelweg aus der nahezu ausweglosen Situation zu beschreiten. Sie arbeiten in der von Bischof Belo einberufenen Justitia et Pax Kommission zusammen, bemühen sich um Vermittlung und einen größeren politischen Spielraum, der es ihnen ermöglicht, mit ihren Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte, einer drastischen Reduzierung der indonesischen Militärpräsenz und nach Autonomie Gehör zu finden. Doch die mit der Verleihung des Friedensnobelpreises verbundene Hoffnung auf Dialogbereitschaft der indonesischen Regierung und „Entspannung“ der Situation hat sich nicht erfüllt: im Gegenteil. Wie Bischof Belo jüngst festhielt, hat sich die Situation verschlimmert. Gerade um Dialogbereitschaft und Entspannung zu fördern, hatte sich der bewaffnete Widerstand seit der Verleihung des Friedensnobelpreises sehr zurückgehalten. Eine Zurückhaltung, die jedoch keine Früchte gebracht hat. Außer Gewalt und taktischen Spielchen auf internationalem Parkett hat die indonesische Regierung zur Lösung des Konflikts in all den Jahren nichts angeboten. Der militärische Schlag der Guerilla hat eine Welle der Gegengewalt und des Terrors ausgelöst. Leidtragend ist wieder einmal die Bevölkerung. Diese Spirale der Gewalt gilt es zu unterbrechen.
Die Ära Suharto geht zu Ende
Trotz der massiven Menschenrechtsverletzungen und der fortwährenden Verletzung internationalen Rechts fehlte es der internationalen Staatengemeinschaft bislang am politischen Willen, Indonesien zu einer Lösung des Konfliktes zu drängen. Dieser fehlende Druck machte es der indonesischen Regierung möglich, an ihrem bisherigen Kurs festzuhalten. Dies gilt im übrigen nicht nur für Osttimor, dies gilt auch für Indonesien selbst, wo Menschen, die sich für Demokratie, politische Partizipation und grundlegende Menschenrechte einsetzen, verfolgt und inhaftiert werden. Das Suharto-Regime verliert mehr und mehr den Rückhalt in der Bevölkerung – und reagiert darauf mit noch mehr Repression. Indonesien ist kein stabiles Land mehr. Es wird in den nächsten Jahren in Indonesien zu einem Machtwechsel kommen, und die Gefahr, daß dieser Machtwechsel nicht friedlich vollzogen wird, wächst. Über Suhartos NachfolgerIn oder über Veränderungen des politischen Kurses laut nachzudenken, ist tabu. Suharto wertet den hohen Sieg seiner Golkar Partei im letzten Monat als Sieg seiner politischen Führung und verschließt sich davor, daß die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen nehmen rapide zu: allein im Wahlkampf sind über 200 Menschen bei Ausschreitungen ums Leben gekommen. Intoleranz macht sich breit und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich schürt soziale Spannungen. Das hohe Wahlergebnis von Golkar läßt sich als ein Zementieren des Machtwillens deuten, nicht jedoch als ein Zementieren der Macht: je unsicherer sich das Suharto-Regime fühlt, um so höhere Wahlergebnisse muß es nach außen aufweisen. In Wirklichkeit ist das aber ein Eingeständnis von Schwäche. Im Grunde genommen verringert das Wahlergebnis die demokratische Legitimationsbasis der Regierung noch. Die Ära Suharto geht zu Ende.
Stop der Waffenlieferungen
Die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Vertreter Osttimors bietet den Regierungen weltweit die Chance, ihre Politik zu korrigieren. Politische Aufgabe und Verpflichtung muß es sein, die demokratischen Kräfte in Indonesien zu fördern und zu stärken, und es sollte im genuinen Interesse der deutschen Außenpolitik liegen, daß es zu einem friedlichen Wechsel in Indonesien kommt und zu einer Lösung des Osttimor-Konfliktes. Hierzu gibt es eine ganze Reihe von Ansatzmöglichkeiten. Dringlich sind im Moment die Forderungen nach einem ständigen UN-Beobachter in Osttimor und freien Zugang für internationale Menschenrechtsorganisationen und UN Sonderberichterstatter. Gerade Deutschland, mit seinen langjährigen und guten Beziehungen zur Suharto-Regierung könnte bei der Lösung des Konfliktes eine aktive und konstruktive Rolle spielen.
Die Menschen in Osttimor und in Indonesien brauchen politisches Engagement, das die indonesische Regierung auf eine einvernehmliche und friedliche Lösung des Konflikts in Osttimor und auf die Demokratisierung der politischen Strukturen in Indonesien drängt. Glückwünsche zum Friedensnobelpreis und ein unverbindliches Ansprechen der Menschenrechte bei Staatsbesuchen verpuffen zu netten Gesten, solange unsere Regierung das Regime in Indonesien mit Waffenlieferungen weiterhin politisch stützt. Die Forderung, keine Waffen an das Suharto-Regime zu liefern, wird von einer Vielzahl von Organisationen erhoben. Der Katholische Missionsrat hat letztes Jahr eine Resolution verabschiedet und an die Bundesregierung appelliert, jegliche Rüstungsexporte zu stoppen; auch beim Besuch des Friedensnobelpreisträgers Jose Ramos Horta beim Diakonischen Werk letzten Dezember wies der Vizepräsident Dr. Hans-Otto Hahn darauf hin.
Monika Schlicher ist aktiv in der Watch Indonesia! Arbeitsgruppe für Demokratie, Menschenrechte und Umweltschutz in Indonesien e.V.