Rot-grüne Asienpolitik in der Kritik

Das Parlament, Nr. 24, 09. Juni 2000

Thema: Deutsche Asienpolitik

Sabine Hammer: Mit der „Musterknabenmasche“ wird bei den Diktatoren nichts erreicht

DasParlamentDer Protokollchef wischt sich die Schweißperlen von der Stirn. Die Limousine kann nicht vorfahren, denn vor der EU-Kommission in Brüssel demonstrieren im Herbst 1998 aufgebrachte Tibeter gegen Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Besatzer. Joschka Fischer, gerade zum Außenminister ernannt, lässt seine Leibwächter kurzerhand stehen, geht auf die Demonstranten zu, fängt ein Gespräch an. Die Tibeter staunen nicht schlecht, war doch Fischers Vorgänger Kinkel zurückgewichen, bevor ihm der Dalai Lama einen traditionellen Glücksschal umlegen konnte. Kinkel hatte Protestnoten aus Peking gefürchtet. Als der neue Außenminister Fischer gar noch den chinesischen Dissidenten Wei Jingsheng empfing, schien es, als habe Rot-Grün einen Wechsel in der Menschenrechtspolitik zu Asien vollzogen. Doch dann schickte sich Bundeskanzler Gerhard Schröder samt deutscher Wirtschaftsdelegation im Mai vergangenen Jahres an, die Koffer zu packen, um nach China zu reisen. Einer durfte nicht mit: der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Gerd Poppe, gerade mit dem neugeschaffenen Amt des Menschenrechtsbeauftragten betraut. „Angeblich sind doch die Menschenrechte Bestandteil der Chinapolitik der Bundesrepublik“, wunderte sich der chinesische Dissident Wei, „Zugeständnisse zu machen, bevor man überhaupt miteinander redet, ist falsch. Aber man glaubt offenbar wirklich, dass man mit dieser Musterknabenmasche bei den Chinesen etwas erreichen kann.“

Im Oktober 1993 hafte der damalige Kanzler Kohl für das Asienkonzept der Bundesregierung verantwortlich gezeichnet. Dabei hatte er die boomenden Tigerstaaten Südostasiens und die Wachstumsmärkte in Japan, Südkorea, Taiwan und China im Blick gehabt: Der deutsche Mittelstand sollte vom Asienboom profitieren, obwohl der Zug eigentlich längst abgefahren war. Um Versäumtes auszugleichen, legte die damalige Bundesregierung den Akzent auf die Stärkung der „persönlichen Beziehungen zu den maßgeblichen Führungskräften“, eine Strategie, die schließlich in der „Männerfreundschaft“ zwischen dem indonesischen Diktator Suharto und Helmut Kohl gipfelte. Menschenrechtsfragen konnten da nur störend wirken. Die Devise lautete „Wandel durch Handel“.

Kinkels „kritischer Dialog“

Besonders Augenmerk wandte Außenminister Kinkel dem Verband südostasiatischer Staaten ASEAN zu. Dessen Mitglieder verbaten sich jede Einmischung in vermeintlich innere Angelegenheiten. Stattdessen offerierten sie einen „konstruktiven Dialog“, eine Idee, die Kinkel unter dem Label „kritischer Dialog“ bald zum Allheilmittel weltweiter Menschenrechts-Probleme erkor. Der frühere BND-Chef ließ sich dabei nicht gern in die Karten sehen, der kritische Dialog finde am besten als stille Diplomatie unter dem Mantel der Verschwiegenheit statt. Kritiker spöttelten damals, Menschenrechtsfragen seien für die Regierung nichts als „Kinkellitzchen“.

Fischers Politik-Kosmetik

Die Asienkrise kam, die Regierung Kohl ging, doch an der Stelle des alten Asienkonzeptes gähnt heute ein schwarzes Loch. „Die Konturen der Asienpolitik hinsichtlich der Menschenrechte fehlen“, kritisiert Johannes Brandstäter vom Menschenrechtsreferat des Diakonischen Werkes. Die im Forum Menschenrechte organisierten Verbände sagen zwar, es sei leichter geworden, auch schon mal mit dem Außenminister persönlich über Asien ins Gespräch zu kommen, doch auch das Schlagwort von der „Polit-Kosmetik“ macht die Runde. Delegationen regimekritischer Kräfte etwa aus Kambodscha, Burma, China und dem malaiischen Archipel werden zwar wie eh und je im Auswärtigen Amt empfangen, doch die Gespräche gehen selten über den Austausch von Höflichkeiten hinaus. Und in Asien selbst wird manches Mal die Frage laut, ob sich denn an den deutschen Botschaften und Konsulaten die Kunde vom Regierungswechsel überhaupt schon herumgesprochen hat. „Man schmückt sich mit Besuchen, empfängt, verspricht“, sagt Monika Schlicher von der Menschrechtsorganisation Watch Indonesia, „aber das führt nicht zu einer aktiven Politik. Unter Rot-Grün hat sich nichts geändert. Ohne politisches Handeln bleibt alles nur Alibi, Rhetorik.“ Enttäuscht zeigten sich Vertreter des Forums Menschenrechte auch von der deutschen Asienpolitik bei der diesjährigen Sitzung der UN-Menschenrechtskommission in Genf. Bei einem Treffen in der deutschen Botschaft hätten beide Seiten es nicht geschafft, ihre Redebeiträge über die Kaviarhäppchenmauer hinweg in einen kooperativen Dialog münden zu lassen. „Menschenrechte stehen jetzt hoch im Kurs“, so ein Mitarbeiter im Auswärtigen Amt, „da muss man jetzt Pluspunkte machen.“ Dazu hätte die Bundesregierung Ende vergangenen Jahres Gelegenheit gehabt. Die Ost-Timoresen hatten sich im August unter Aufsicht der UNO in einer Volksabstimmung für die Unabhängigkeit ihres vor 24 Jahren von Indonesien besetzten Landes entschieden ein Entschluss, den indonesische Militärkreise mit einem Vernichtungsschlag gegen die ost-timoresische Bevölkerung quittierten. Überraschend kam dies für die deutsche Bundesregierung nicht. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hatte bereits lange vor dem Referendum vor dem geplanten Völkermord gewarnt. Im Zuge der Kontroverse um eine bewaffnete Intervention im Kosovo waren im Frühjahr letzten Jahres die Schlagworte Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung in aller Munde. Doch Flagge zeigen wollte die deutsche Regierung auf der verarmten Tropeninsel nicht, sondern auf dem indonesischen Zukunftsmarkt mit seinen 200 Millionen potentiellen Kunden. Bereits in den siebziger Jahren hatte der SPD-Kanzler Helmut Schmidt Indonesien zum Schwerpunktland deutscher Asienpolitik gekürt, eine Tradition, der Helmut Kohl nur allzu gerne gefolgt war. Im März letzten Jahres nun, als sich auf der deutschen Messe Technogerma in Indonesiens Hauptstadt Jakarta die schwarz-rot-goldenen Fähnlein am kühlenden Lufthauch der Klimaanlagen wie von selbst ausrichteten, appellierte der Friedensnobelpreisträger Bischof Belo an die Bundesregierung, sich für eine bewaffnete internationale Schutztruppe in Ost-Timor auszusprechen, um den drohenden Völkermord zu verhindern. Unnötig, befand die Bundesregierung und sah sich gar außerstande, ihren vorgesehenen Beitrag zur UN-Mission, die Entsendung von fünf unbewaffneten Polizisten, zu leisten, auch, weil die Sicherheitslage dies nicht erlaube.

Spätes Engagement

Politischer Druck, gerade aus Deutschland, hätte die Tragödie Ost-Timors vielleicht mildern helfen können. Gerhard Schröder hatte sich schon als Ministerpräsident Niedersachsens um gute Beziehungen zur indonesischen Führung bemüht etwa bei seiner umstrittenen Einladung Suhartos zur Hannovermesse 1995. Schröder wird auch ein guter Draht zu Suhartos Nachfolger im Präsidentenamt, Habibie, nachgesagt; der Ex-MBB-Vizechef ist Träger des Großen Verdienstkreuzes Niedersachsens und unterhält einen Zweitwohnsitz in Buxtehude. Ein Luxus, den Habibie sich leisten kann: Geschäfte rund um den Verkauf von 39 ausgemusterten Kriegsschiffen aus NVA-Beständen durch die Regierung Kohl haben ihn noch reicher gemacht. Auf Bitten Clintons habe Kanzler Schröder schließlich den indonesischen Präsidenten Habibie angerufen und ihm gesagt, „dass das in Ost-Timor nicht so weiter gehen kann“, so ein Bericht des Spiegels. Doch da lag Ost-Timor längst in Schutt und Asche. Unter massivem öffentlichen Druck reagierte schließlich zunächst die Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul und machte sich für eine internationale Schutztruppe stark da begann plötzlich die Schönheitskür der Bundesressorts um die Menschenrechte in Ost-Timor. Spät, fast zu spät, kündigte Außenminister Fischer vor der UN-Vollversammlung ein deutsches Engagement in Ost-Timor an. Doch im Bundestag geriet die Debatte um die Entsendung eines deutschen Sanitätstrupps zum parteipolitischen Schlagabtausch: Die Not der Ost-Timoresen trat dabei ebenso in den Hintergrund wie die deutsche Verantwortung: Der BND hatte den Diktator Suharto 1965 mit in die Steigbügel gehievt und so den Grundstein für die besonderen deutsch-indonesischen Beziehungen gelegt. Während die Bundesregierung in den vergangenen Wochen gegenüber der deutschen Presse die Strafverfolgung der indonesischen Täter forderte und dabei auch internationale Maßnahmen wie ein Kriegsverbrechertribunal nicht ausschloss, beklagt die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mitglied der UN-Untersuchungskommission für Ost-Timor, die mangelnde Unterstützung der Bundesregierung bei der Verfolgung der schweren Völkerrechtsverstöße.

Waffenembargo

Immerhin rang sich die Bundesregierung in der EU bereits im Vorgriff auf die verschärften deutschen Rüstungsexport-Richtlinien durch, für ein Waffenembargo gegen Indonesien zu plädieren. Doch der Vorstoß scheiterte, und auch ein neues deutsches Gesetz wird kaum noch etwas daran ändern, dass eine ganze Produktpalette deutscher Waffen von Landungsbooten, über Hubschrauber bis zu Sturmgewehren auch weiterhin zur Bekämpfung angeblicher „innerer Unruhen“ in Westpapua und Aceh benutzt wird oder bei den blutigen Auseinandersetzungen auf den Molukken und beim fortgesetzten Terror pro-indonesischer Milizen gegen ost-timoresische Flüchtlinge weiter zum Einsatz kommen. <>


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