Zwischen Zentralismus und Zerfall

Berliner Zeitung, 17. August 2001

Hannah Wettig

BerlinerZeitungDie indonesischen Provinzen Aceh und Irian Jaya, so kündigte die neue Staatspräsidentin Megawati Sukarnoputri am Donnerstag an, sollen einen Autonomiestatus bekommen. Eine Unabhängigkeit der beiden Regionen lehnte sie zugleich nachdrücklich ab, Megawati beschwor die Einheit des Landes. Damit folgt die Präsidentin einem Traum ihres Vaters Sukarno, der am 17. August 1945 die Unabhängigkeit von den Niederlanden erklärte und 1950 aus dem Archipel mit seinen 13.000 Inseln eine zentralistische Republik machte. Doch die später auch von Diktator Suharto beschworene Einheit des Landes hat sich nicht eingestellt. Vielmehr haben alle Versuche, sie zu erzwingen, die Konflikte nur geschürt.

Erst Anfang dieser Woche riegelte Indonesiens Marine die Provinz Aceh an der Nordspitze Sumatras ab. Man wolle die Separatisten der „Bewegung Freies Aceh“ von ihren Nachschublinien abschneiden, hieß es. Erst im April startete das Militär eine vor allem gegen die Bevölkerung gerichtete Offensive in der seit den 70er-Jahren für ihre Unabhängigkeit kämpfenden Provinz. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen gab es seither rund 1.00 Tote unter den vier Millionen Einwohnern Acehs. In den vergangenen zehn Jahren forderten die Kämpfe 6.000 Opfer.

360 verschiedene Sprachen

Seit dem Sturz des Diktators Suharto 1998 brechen auf dem Archipel immer mehr regionale Konflikte aus. Anfang des Jahres erschreckten Bilder der mit Macheten mordenden Dayak auf der Insel Borneo. Ihre Wut richtete sich gegen die zugewanderten Maduresen. Die 60.000 Maduresen, Zuwanderer und ihre Kinder, waren durch das Umsiedlungsprogramm „Transmigrasi“ unter dem Diktator Suharto nach Kalimantan gekommen, wie der indonesische Teil Borneos heißt. Suharto wollte mit dem Umsiedlungsprogramm die dicht besiedelten Inseln entlasten. Zudem sollte durch eine stärkere Mischung der Bevölkerung die nationale Einheit verwirklicht werden. Angesichts von 300 verschiedenen ethnischen Gruppen, die rund 360 Sprachen sprechen, schien „Transmigrasi“ die sinnvollste Möglichkeit, eine kulturelle Angleichung zu erreichen. Das fand auch die Weltbank, die das Programm bis vor 15 Jahren mit finanzierte.

Doch schon unter dem Diktator Suharto kam es zu ersten Konflikten. Viele ethnische Gruppen sahen ihre Kultur bedroht. Auch boten sich den Zugezogenen häufig bessere wirtschaftliche Möglichkeiten. So waren etwa viele der maduresischen Zuwanderer auf Borneo zwar vormals Arbeitslose aus den übervölkerten Metropolen. Doch sie kamen aus einer modernen Welt. „Sie konnten mit Geld und mit Behörden umgehen“, sagt Alex Flor, Mitarbeiter der Berliner Organisation „Watch Indonesia“. Mit ihnen kamen die großen Plantagen, Bergbaufirmen und Holzunternehmen, deren Besitzer oft in der fernen Hauptstadt Jakarta sitzen. Die einheimischen Völker fühlten sich oftmals an den Rand gedrängt.

Auch bei den schweren Unruhen, die zum Sturz Suhartos führten, richtete sich der Zorn der Bevölkerung häufig gegen Minderheiten. Auf der Insel Java kam es zu blutigen Ausschreitungen gegen die chinesischen Kaufleute. 1999 riefen auf Java islamische Fundamentalisten zum Heiligen Krieg gegen die Christen auf. Blutige Konflikte entbrannten in West-Papua und Osttimor. Bei Unruhen auf den Molukken kamen seit Anfang 1999 mindestens 5.000 Menschen ums Leben. Dort versuchen die christlichen Bewohner, die muslimischen Zuwanderer zu vertreiben. Doch um Glaubensfragen geht es bei dem Konflikt nicht, betont der Präsident der Exilregierung der „Freien Republik der Südmolukken“. Die Konflikte würden von Jakarta geschürt, um die Präsenz der Armee auf den Molukken zu rechtfertigen.
Dass das Militär Konflikte anheizt, meint auch der „Indonesia Watch“-Mitarbeiters Alex Flor. Die Anhänger Suhartos wollten so ihre frühere Bedeutung zurückerlangen. Außerdem geht es um Geld. Nur 30 Prozent des Militäretats zahlt der Staat. Den Rest müssen die Soldaten selbst erwirtschaften, etwa indem sie sich als Schutztruppen mieten lassen. Nur wenn es Unsicherheit gebe, könne man auch Sicherheit verkaufen, sagt Flor.

Halbherzige Reformversuche

Nach Ansicht von Flor kann nur eine konsequente Dezentralisierung das Problem lösen: „Dazu würde auch eine Art Länderfinanzausgleich gehören müssen.“ Doch dafür fehlt nach der Asienkrise von 1997 in Indonesien das Geld. 150 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden hat das Land. Der Internationale Währungsfonds (IWF), der längst die Politik diktiert, fordert ebenfalls eine Dezentralisierung. Präsident Abdurrahman Wahid, der im Juli abgesetzt wurde, hatte zwar einige halbherzige Versuche in dieser Richtung unternommen. Im Januar traten zwei Gesetze zur Dezentralisierung in Kraft.

Kurz vor Wahids Absetzung verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das der muslimischen Provinz Aceh erlaubt, das islamische Recht anzuwenden, und das ihr 70 Prozent der Erlöse aus dem Gas- und Ölgeschäft zusichert. Präsidentin Megawati überreichte das Gesetz Politikern aus Aceh am Mittwoch. Auch hat sich die Präsidentin nun erstmals für Übergriffe des Militärs gegen die Bevölkerung der Provinzen Aceh und Irian Jaya auf West Papua entschuldigt.

Trotzdem scheint es unwahrscheinlich, dass Megawati die Politik der Dezentralisierung fortsetzt. Ihre Partei ist abhängig von der Unterstützung der 38 von den Streitkräften ernannten Parlamentarier und von Golkar, der Partei des früheren Diktators Suharto. In deren Interesse liegt der Erhalt der eigenen Macht, und die wird durch die Autonomiebestrebungen gefährdet. <>


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