Jakartas Armee will Aceh-Rebellen »ausrotten«
Neues Deutschland, 20. Mai 2003
Indonesiens Präsidentin Megawati Sukarnoputri gab grünes Licht für einen Militärschlag
Von Jochen Reinert
Unmittelbar nach Scheitern der Tokioter Friedensgespräche am Sonntag verhängte Indonesiens Präsidentin Megawati Sukarnoputri das Kriegsrecht über die Provinz Aceh und gab den Angriffsbefehl auf die Camps der bewaffneten Kräfte der Bewegung Freies Aceh (GAM).
Die Regierung in Jakarta ließ keine Zeit verstreichen. Nur wenige Stunden, nachdem die Friedensgespräche mit GAM-Vertretern in Tokio ergebnislos endeten, landeten 500 Fallschirmspringer in der Nähe des Flughafens der Provinzhauptstadt Banda Aceh. Militärtransporter setzten weitere Truppenkontingente ab. Zugleich griffen Kampfflugzeuge Stellungen der Rebellen mit Raketen an, mehrere Kriegsschiffe bezogen Position vor der Küste. Indonesiens Militärchef General Endriartono Sutarto erklärte mit brutaler Offenheit, die Soldaten hätten die Anweisung, die Aceh-Rebellen »auszurotten«. Zunächst sei man jedoch darauf aus, die Führungskader – mit denen Jakarta gerade noch in Tokio verhandelt hatte – zu zerschlagen.
Als Grund für den Militärschlag nannte Präsidentin Megawati die Weigerung der Rebellen, die Souveränität Indonesiens in Aceh anzuerkennen und auf der Unabhängigkeit der Provinz zu beharren. Dies habe ihr keine andere Möglichkeit gelassen, als das Kriegsrecht anzuwenden.
»Damit hat sich die Hardliner-Fraktion im indonesischen Militär durchgesetzt, der der am 9. Dezember mit dem Genfer Abkommen über die Einstellung der Feindseligkeiten zwischen den Regierungsstreitkräften und der Bewegung Freies Aceh eingeleitete Friedensprozess von Anfang missfallen hat«, erläuterte die Sprecherin der Berliner Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia!, Monika Schlicher, gegenüber ND. Dieses Abkommen, das neben einer Waffenruhe die Abhaltung von Wahlen im kommenden Jahr vorsah, sei ein wichtiger positiver Schritt zu Lösung des Aceh-Konflikts gewesen – zumal die Regierung in Jakarta in Gestalt des Genfer Henri-Dunant-Zentrums (HDC) einer Vermittlung Dritter zugestimmt hatte. Daraufhin sei es zur Bildung von Tripartite Monitoring Teams aus Vertretern von Regierung, GAM und internationalen Beobachtern vor allem aus Thailand und den Philippinen gekommen.
Nicht zuletzt diese Beobachterteams waren den Hardlinern in der Armee ein Dorn im Auge. Deshalb wurden deren Büros immer häufiger Angriffsziele der nach dem Vorbild Osttimor aufgestellten proindonesischen Milizen. Diese Attacken nahmen derart zu, dass die internationalen Beobachter Mitte letzter Woche aus Aceh abreisten – das indonesische Militär hatte nun freie Hand. Unterdessen hatte die Führung in Jakarta auf Druck der Hardliner bereits zusätzliche Streitkräfte mit einer Stärke von 6.000 Mann in die Unruheprovinz verlegt und damit die vorhandene indonesische Präsenz von 25.000 Armeeangehörigen und 8.000 Polizisten erheblich verstärkt.
»Aber auch die Bewegung Freies Aceh«, so Monika Schlicher, »hat die Eskalation des Konflikts mitverschuldet.« Dort gebe es ebenfalls Kräfte, die an der Erhaltung eines Krisen- und Kriegszustandes interessiert seien. Die 1976 von dem heute im schwedischen Exil lebenden Politiker Hasan di Tiro (nach eigener Darstellung ein Nachkomme des letzten Sultans von Aceh) gegründete GAM knüpft an die lange Selbständigkeit des Sultanats Aceh und den 30-jährigen Befreiungskrieg der Aceh-Bewohner von 1873 bis 1903 gegen die holländische Kolonialmacht an. Nach der Unabhängigkeit Indonesiens wurde Aceh dem neuen Zentralstaat angegliedert – wobei schon in den 50er Jahren erste Erhebungen gegen die Zentralmacht aktenkundig sind. GAM wurde indes erst zu einer bedeutenden politischen Kraft, nachdem Ende der 70er Jahre bedeutende Öl- und Gasvorkommen in Aceh entdeckt wurden und die Provinz von den Gewinnen nahezu nichts erhielt. Seither ist die Forderung nach einer höheren Beteiligung an den Öleinnahmen eine der zentralen GAM-Positionen, auf die Jakarta mit der Einführung eines besonderen Autonomiestatus für Aceh und Westpapua vor zwei Jahren teilweise eingegangen war.
Nachdem das Genfer Abkommen nicht zuletzt wegen der Angriffe der Milizen auf die Beobachter-Teams zu scheitern drohte, übten verschiedene Regierungen starken Druck auf beide Seiten aus, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Doch die daraufhin vereinbarten Tokioter Gespräche standen unter denkbar schlechten Vorzeichen: Die indonesische Polizei in Aceh nahm fünf GAM-Unterhändler fest und ließ sie erst nach vielen Stunden Haft nach Tokio fliegen. Schließlich mochten sich die Rebellen – die Stärke ihrer bewaffneten Kräfte wird auf 4.000 Mann geschätzt – nicht dem Ultimatum Jakartas beugen, sofort auf die Unabhängigkeitsforderung zu verzichten.
»Die Großoffensive der Armee auf Sumatra«, glaubt die Sprecherin von Watch Indonesia!, »hat Bedeutung weit über Aceh hinaus. Damit kehrt die Führung in Jakarta zu den alten Instrumentarien zurück – der Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln. Doch das wird nicht funktionieren.«
Provinz Aceh
Die im Nordwesten Sumatras gelegene indonesische Provinz ist mit rund 60.000 Quadratkilometer fast so groß wie Bayern. Die Provinz verfügt u.a. über große Erdöl- und -gasvorkommen. Die 4,3 Millionen Bewohner sind konservative Moslems. In den langjährigen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und der Bewegung Freies Aceh (GAM) starben bisher etwa 11.000 Menschen. <>