Halal – ein islamisches Marketinginstrument
25. Januar 2008
von Alex Flor
Dem Autor Michael Sauermost vom bfai gebührt Anerkennung für seinen im Handelsblatt veröffentlichten Beitrag „Halal im Einkaufswagen“. Sauermost greift ein bislang von westlichen Medien weitgehend unbeachtetes Thema auf und macht an den Beispielen Nestlé und Carrefour die wirtschaftliche Tragweite deutlich, die das Halal-Labelling namentlich für Importeure hat.
Die im Handelsblatt aufgeworfenen Probleme sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs einer weit umfassenderen Entwicklung. Denn längst hat die Praxis des Halal-Labellings eine Eigendynamik entwickelt, die mit den ursprünglichen Absichten nur noch bedingt in Zusammenhang zu bringen ist. Der Islam unterscheidet Nahrungsmittel in „rein“ (halal) und „unrein“ (haram). Klassischerweise bedeutet dies, dass Muslimen – außer in bestimmten Ausnahmesituationen – der Verzehr von Schweinefleisch und der Konsum von Alkohol verboten ist. Es ist daher verständlich, wenn ein gläubiger Moslem sich fragt, ob wohl das griechische Gyros ebenso „halal“ ist wie seine türkischen und arabischen Artverwandten Döner und Schwarma. Eine entsprechende Kennzeichnung ist somit als eine völlig legitime Aufklärung des Konsumenten zu begrüßen.
Für wie dumm werden muslimische Konsumenten jedoch gehalten, wenn in Indonesien selbst Mineralwasser als „halal“ gekennzeichnet wird? Wasser ist Wasser. Wenn es Bier oder Schnaps wäre, würde dies auf dem Etikett stehen, einschließlich des Prozentgehaltes an Alkohol. Wie muss man sich wohl Mineralwasser vorstellen, welches „haram“ ist?
In Indonesien wird das „halal“-Label vom MUI (Majelis Ulama Indonesia), dem Rat der Religionsgelehrten Indonesiens vergeben. Für jedes auf ein Produkt gedrucktes Label sind ein paar Rupiah Lizenzgebühr an den MUI abzuführen. Bei Millionen von täglich gelehrten Wasserbechern, können da ganz stattliche Summen zusammenkommen. Der sanfte Druck auf Anbieter von Lebensmitteln, ihre Produkte als „halal“ kennzeichnen zu lassen, dürfte damit nicht ganz frei von wirtschaftlichen Interessen sein – obwohl doch eigentlich Gewinnstreben im Islam als „haram“ gilt.
Möglich gemacht wird die Anwendung besagten „sanften Druckes“ im Zuge des seit Jahren zu beobachtenden Trends hin zu einer „Rückbesinnung“ auf die Religion, die landläufig als eine Aufwertung konservativer Werte im Sinne einer buchstabengetreuen Auslegung des Koran verstanden wird. Anstelle einer zeitgemäßen Auslegung der heiligen Schriften propagieren konservative Gremien wie der MUI einen Islam, der sich an den Gegebenheiten des siebten Jahrhunderts im heutigen Saudi-Arabien orientiert. Die genaue Befolgung der Regeln dominiert bei weitem die Auseinandersetzung mit den eigentlichen Inhalten und Lehren der Religion.
Auf die Minute genau werden täglich die Gebetszeiten berechnet und kaum jemand wagt sich der Frage zu stellen, ob es im Sinne Allahs und des Propheten war, die Gläubigen in aller Welt auf den Tagesablauf in Medina festzulegen. Viele in Europa lebende Muslime unterwerfen sich kritiklos den althergebrachten Regeln und befolgen sie buchstabengetreu. Das bringt große Opfer mit sich. Denn im Fastenmonat soll von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gefastet werden, so die Regel. In Medina bedeutet dies relativ konstant, ca. 12 Stunden täglich auf Essen, Trinken, Rauchen und Sex zu verzichten. Bei konsequenter Anwendung heißt dies jedoch in Europa oder Nordamerika, dass die Gläubigen 18 Stunden oder länger fasten müssen, wenn der Monat Ramadan in den Sommer fällt. Und in Schweden, Finnland oder Norwegen nördlich des Polarkreises müssten regelmäßig alle Muslime verhungern, weil Sonnenaufgang und Sonnenuntergang dort im Sommer um Monate auseinander liegen. Ob es wohl deswegen so wenige Muslime in Narvik gibt?
Dieses – zugegebenermaßen etwas polemische – Beispiel mag die Unsinnigkeit der buchstabengetreuen Befolgung der religiösen Regeln verdeutlichen. Es ist jedoch keineswegs ein fiktives Beispiel. In ähnlicher Weise werden auch andere Regeln überhöht, beispielsweise das Alkoholverbot. Keinen Alkohol zu trinken mag ein Konzept sein, das einiges für sich hat. Aber verbietet der Islam wirklich die äußerliche Anwendung von Alkohol, beispielsweise als Desinfektionsmittel, Rasierwasser oder Parfum? In zunehmendem Maße verweigern sich pietistische Muslime der Anwendung solcher Flüssigkeiten. Als „halal“ gelabelte Parfums, die dennoch „Original Pariser Duft“ verbreiten, verkaufen sich in Indonesien prächtig.
Nachdem es konservativen islamischen Organisationen wie dem MUI gelungen ist, große Teile der Gesellschaft für solche Äußerlichkeiten empfindlich zu machen, kennt die weitere Entwicklung kaum noch einen Halt. Restaurants und Essensstände in Jakartas Shopping Malls fühlen sich bemüßigt, ihre Speisen als „halal“ zu kennzeichnen. Spezialitäten aus Manado, einer christlich geprägten Region in Nordsulawesi, machen dabei keine Ausnahme. Auf unzählige Gerichte, die traditionell Schweinefleisch enthalten, wird im Angebot bereitwillig zu Gunsten des „halal“-Labels verzichtet.
Selbstverständlich lässt sich auf der Grundlage des neo-islamischen Bewusstseins auch Politik betreiben. Mittels der Nichterteilung des „halal“-Labels kann der Verkauf bestimmter Produkte massiv beeinträchtigt werden. Es gibt zu denken, wenn die Produkte westlicher Fast-Food-Ketten oder der in Indonesien beliebte Geschmacksverstärker Aji-No-Moto (Natriumglutamat), ein rein anorganisches Salz, als möglicherweise nicht „halal“ problematisiert werden. Man darf vermuten, dass religiös oder nationalistisch geprägter Protektionismus in solchen Fällen eine Rolle spielt. Aji-No-Moto ist ein japanisches Produkt, wird jedoch – vielleicht aufgrund seiner Beliebtheit in der chinesischen Küche (Stichwort China-Restaurant-Syndrom) – fälschlicherweise oft für ein chinesisches Erzeugnis gehalten. Die Rivalität islamischer Kreise mit erfolgreichen Unternehmern chinesischer Abstammung dürfte eine Rolle gespielt haben, als 2001 die Reinheit („halal“) von Aji-No-Moto in Zweifel gezogen wurde. Es bedurfte nicht weniger als der Einmischung des damaligen Präsidenten Abdurrahman Wahid, um das Halal-Label für Aji-No-Moto sicher zu stellen. Gesund ist es dennoch nicht. Aber danach hat hat ja niemand gefragt. <>
Handelsblatt, Mittwoch, 23. Januar 2008
Logo bei Muslimen immer wichtiger
Halal im Einkaufswagen
Von Michael Sauermost, bfai
Hersteller von Lebensmitteln werben in der islamischen Welt damit, dass ihre Produkte „halal“ sind. Ist das Logo auf der Verpackung Pflicht oder Kür?
JAKARTA. Ob Grüner Punkt oder Biosiegel: In Deutschland sind Logos auf den Lebensmittelverpackungen gang und gäbe. Doch sie alle verblassen gegenüber der Wirkung des Halal-Logos in der muslimischen Welt. In der Republik Indonesien ist die Zertifizierung zwar keine Pflicht, doch gerade ausländische Produkte werden sehr genau kontrolliert. Ein Teil der Marketingbudgets fließt daher in die Halal-Zertifizierung von Produkten.
Der arabische Begriff „halal“ bedeutet: „rein“ und bezeichnet Dinge, die nach islamischem Recht erlaubt sind. In erster Linie dürfen die Produkte nichts mit Schweinefleisch oder Alkohol zu tun haben. Hygiene ist genauso wichtig wie die Art der Schlachtung bei Fleischerzeugnissen. „Ganz so einfach ist es jedoch nicht“, weiß Kartika Adiwilaga, Sprecherin von PT Nestlé Indonesia. Wer wie Nestlé Indonesia sämtliche Produkte mit dem Halal-Logo versehen will, muss nachweisen, dass auch alle Zulieferer entsprechend zertifiziert sind. Die Zuckerraffinerie kann sich beispielsweise als „haram“, also unrein, entpuppen. Der gesamte Produktionsablauf wird deshalb geprüft – inklusive Verpackungen. Selbst Transportunternehmen gliedern sich mittlerweile in den Zertifizierungsprozess ein.
Ein Halal-Zertifikat wird in Indonesien für zwei Jahre erteilt. Bei importiertem Fleisch nehmen die Behörden jede Lieferung unter die Lupe. Die offiziellen Kosten des Logos für Standardprodukte liegen bei 50 bis 250 US-Dollar. „Bei ausländischen Erzeugnissen können aber hohe Nebenkosten anfallen“, betont Adiwilaga. Müssen Zulieferer aus dem Ausland überprüft werden, entstehen Reise- und Unterbringungskosten für die Inspektoren.
Gerade bei neuen Produkten aus dem Ausland schauen die Kunden ganz genau auf das Logo. In den lokalen Restaurants fragt kaum jemand nach, woher zum Beispiel das Speiseöl stammt. In Fünfsternehotels sieht das ganz anders aus. Während in Indonesien gefertigte Instantnudeln automatisch in den Einkaufswagen wandern, muss der Camembert aus Frankreich erst dem Röntgenblick des Konsumenten standhalten. Die US-amerikanischen Fast-Food-Ketten stehen besonders stark in der Pflicht, neben ihren Kassen einen Halal-Schriftzug zu platzieren.
Halal steigert den Wert
Dass die Hypermarktkette Carrefour ihre neuen Produkte noch nicht mit einem Halal-Logo versehen konnte, hat geschäftspraktische Gründe. Ein Großteil der rund 3.000 Lieferanten von Carrefour sind kleinere Unternehmen. „Diese können sich das oft nicht leisten, wenngleich wir selbstverständlich unsere Hilfe anbieten“, sagt Irawan Kadarman, Unternehmenssprecher von Carrefour Indonesia. Erst ab einem gewissen Volumen lohne sich der Deal für Lieferant und Auftraggeber. Der Supermarkt bemühe sich jedoch, sämtliche Produkte zu zertifizieren, da das Halal-Logo ihren Wert erheblich steigere. Auch der Marketingeffekt ist groß. Viele Unternehmen werben mit dem Slogan „100 Prozent halal“. „Das ist natürlich Blödsinn“, schmunzelt Kadarman. „Ein Produkt ist entweder halal oder nicht. 50 Prozent halal gibt es nicht.“ <>