Die katholische Kirche in Ost-Timor ein Jahr nach der Unabhängigkeit
Deutsche Welle, 07. August 2003
Treibende Kraft der Demokratisierung
Von Dorit-F. Becker
Seit einem Jahr ist es unabhängig, das kleine Land Ost-Timor, das sich geographisch einreiht in den Inselstaat Indonesien. Gerade mal so groß wie Thüringen und mit einer Einwohnerzahl von ca. 800.000 Menschen ist es nur ein kleiner Punkt auf der Weltkarte. Aber hier wurde Geschichte geschrieben. Eine Geschichte des gewaltlosen Widerstandes gegen die indonesischen Besatzer. Tragende Säule dieses Widerstandes war die katholische Kirche in Ost-Timor, vor allem die Person ihres Bischofs Belo. Der ist jedoch vor einem halben Jahr aus Krankheitsgründen zurückgetreten. Welche Rolle die Kirche während der indonesischen Besatzungszeit gespielt hat und wie sie sich in die neue Situation der Unabhängigkeit heute einbringt, berichtet Dorit Becker:
Sprecherin:
Ost-Timor ist auf dem Weg. Und der Weg ist lang. Rund 500 Jahre hat die portugiesische Kolonialzeit gedauert, gleich darauf folgten 25 Jahre indonesischer Besatzung. Dieses letzte Vierteljahrhundert war es, das Ost-Timors nationale Identität und das kämpferische Profil der katholischen Kirche geprägt hat. Die stand nicht auf der Seite der Besatzer, sondern hat sich eingesetzt für Gerechtigkeit und Frieden in Ost-Timor.
Daniel Bogner von der katholischen Friedensbewegung Justitia et Pax betont
O-Ton 1 Daniel Bogner:
„dass es hier eine ganz große Übereinstimmung zwischen Kirchenleitung und Kirchenbasis gibt, was eben aus der Zeit der Besatzung herrührt, wo die Kirche sich als sehr solidarisch gezeigt hat, teilweise fast so etwas wie Guerillakirche war. Und das ist auch der Grund, weshalb die Kirche nach der Unabhängigkeitswerdung als glaubwürdige Stimme wahrgenommen wird.“
Sprecherin:
Diese Stimme gehörte bis vor kurzem Carlos Belo, dem Bischof der ost-timoresischen Hauptstadt Dili und Friedensnobelpreisträger von 1996. Im November vergangenen Jahres ist er zurückgetreten. Aus gesundheitlichen Gründen, wie es offiziell heißt. Aber zwischen Belo und dem Vatikan gibt es Spannungen, besonders jetzt zur Zeit der Unabhängigkeit. Grundsätzliche Uneinigkeiten über die Art und Weise des Vorgehens sind die Ursache.
Monika Schlicher von Watch Indonesia!, der Menschenrechtsorganisation für Indonesien.
O-Ton 2 Monika Schlicher:
„Vom Vatikan wird eben gesagt, in Ost-Timor sind schwere Verbrechen begangen worden, aber man muss jetzt nach vorne blicken, wichtig ist jetzt die Aussöhnung der Menschen in Timor selbst. Vom Vatikan wird auch jetzt ausdrücklich kein Tribunal gefordert. Das mag möglicherweise auch dazu geführt haben, dass es Differenzen zwischen Bischof Belo und dem Vatikan gab.“
Sprecherin:
Ein neuer Bischof ist allerdings noch nicht ernannt. Heute, im zweiten Jahr der Unabhängigkeit verlangt Bischof Belo Gerechtigkeit für die Opfer. Für ihn ist es wichtig, dass nicht glatt gebügelt wird und unter den Tisch fällt, was in 25 Jahren Besatzung durch Indonesien geschehen ist. Engagierte Unabhängigkeitskämpfer wurden ermordet, das Militär war permanent präsent.
Nach der Unabhängigkeit verpflichtete sich Indonesien selbst, gegen das Militär und die Drahtzieher des Terrors vorzugehen. Das, was das Ad-Hoc-Tribunal in Jakarta leistet ist, hohe Militärs freizusprechen oder Höchststrafen von 2-3 Jahren zu vergeben. Gegen diese Art der Rechtsprechung setzt sich Bischof Belo zur Wehr.
Daniel Bogner.
O-Ton 3 Daniel Bogner:
„Die Kirche hat eben immer gesagt, da muss der Finger in die Wunde gelegt werden. Es wird für diese Gesellschaft, für diesen neuen Staat keinen inneren Frieden geben, wenn diese Unheilstaten nicht auch aufgedeckt werden, und letztendlich so etwas wie Versöhnung geschehen kann.“
Sprecherin:
Und diese wichtige Rolle, die sie in den Jahren der Besatzung eingenommen hat, gilt es nun beizubehalten. Monika Schlicher von Watch Indonesia!.
O-Ton 4 Monika Schlicher:
„Heute ist eine der wesentlichen Aufgabe von Kirche, die Selbstbefähigung der Menschen. Das heißt, einen Beitrag dazu zu leisten, dass man diese Kultur der Gewalt umkehrt.“
Sprecherin:
Die Kirche in Ost-Timor steht somit vor großen Aufgaben. Wenn sie die Erfahrungen der Vergangenheit nutzt, um unter veränderten Bedingungen die Gegenwart maßgeblich mitzugestalten, dann kann sie auch in Zukunft beispielhaft zeigen, wie Kirche sein sollte: Ein Ort, an dem Menschen Unterstützung finden – geistlich und politisch. <>