SBYs Weihnachtsgeschenk undankbar empfangen
Information und Analyse, 04. März 2005
von Petra Stockmann
Warum das Regierungsdekret über den Papua Volksrat mehr Protest als Freude hervorrief
Am 26. Dezember 2004 besuchte Präsident Susilo Bambang Yudhoyono Papua. Als „Kado Natal“, Weihnachtsgeschenk, brachte er ein lang erwartetes Rechtsdokument mit: das Regierungsdekret über den Papua Volksrat. Der Volksrat (Majelis Rakyat Papua, MRP) ist ein spezielles, im Sonderautonomiegesetz vorgesehenes Organ, dem in Papua hohe Bedeutung beigemessen wird. Der einzurichtende Volksrat spielt eine wichtige Rolle bei zwei Themen, die zur Zeit die politische Agenda dominieren, nämlich bei der Frage nach der Teilung der Provinz Papua und bei den bevorstehenden Direktwahlen von Gouverneuren, Distriktvorstehern und Bürgermeistern.
Doch einige der Bedachten reagierten auf SBYs präsidiales Weihnachtsgeschenk mit Protest. Die Kritik, die in Teilen der Papuagesellschaft vorgebracht wurde, beschränkte sich dabei nicht nur auf Bestimmungen im Regierungsdekret selbst, es wurde sogar in Aussicht gestellt, dass nach einer deadline bis zum 15. August darauf gedrungen würde, dass Papua Provinzregierung und -parlament das gesamte Sonderautonomiegesetz an die Zentralregierung zurückgeben, wenn dieses nicht angemessen umgesetzt würde. Was nun ist der Stein des Anstoßes, und ist die Kritik gerechtfertigt? Bevor wir das Regierungsdekret Nr. 54/2004 über den Papua Volksrat einer genaueren Betrachtung unterziehen, sei ein kurzer Überblick über relevante Entwicklungen vorangestellt.
Hintergrund
Das erste speziell Papua betreffende Gesetz der era reformasi stellte eine Fortsetzung der Teile-und-Herrsche-Politik des alten Regimes dar: Im Jahre 1999 verabschiedeten die Habibie-Regierung und das scheidende Parlament der Suharto-Ära (DPR) das Gesetz Nr. 45/1999. Dieses sah unter anderem die Teilung von Irian Jaya, wie die Provinz zu dem Zeitpunkt noch hieß, in drei Provinzen vor, oder präziser: die Einrichtung der Provinzen West- und Zentral-Irian-Jaya. Ein Proteststurm brach in Papua los, und das Provinzparlament empfahl der Zentralregierung, das Gesetz zurückzunehmen. Im Oktober 1999 verabschiedete die neue Beratende Volksversammlung (MPR) in ihren für den Präsidenten bindenden Allgemeinen Staatspolitischen Leitlinien (GBHN) 1999-2004, dass Irian Jaya einen Sonderautonomiestatus erhalten möge und Menschenrechtsverletzungen juristisch aufgearbeitet werden sollten. Kurz nach ihrem Amtsantritt stoppte die Regierung Wahid die Umsetzung des Gesetzes 45/1999, welches jedoch formal in Kraft blieb.
Während ihrer nächsten Sitzung im August 2000 empfahl die Beratende Volksversammlung, dass spätestens bis zum 1. Mai 2001 eine Sonderautonomiegesetzgebung für Aceh und Papua herausgebracht sein sollte. Neben der Zentralregierung begannen auch führende Kräfte in Papua mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Gesetzentwurfes. Nach einstimmiger Unterstützung des Provinzparlaments wurde der Entwurf aus Papua schließlich Abdurrahman Wahid überreicht. Überraschenderweise entschied sich dann das nationale Parlament für den Entwurf aus Papua als Grundlage seiner parlamentarischen Lesungen. Im November 2001 wurde schlussendlich das Gesetz über eine Sonderautonomie für Papua, wie die Provinz nun offiziell heißt, verabschiedet. Das Gesetz trägt die Unterschrift von Präsidentin Megawati, die jedoch bald darauf beginnen sollte, einen deutlich nationalistischeren Kurs einzuschlagen.
Im Januar 2003 erließ Megawati eine Präsidialinstruktion über die Beschleunigung der Durchführung von Gesetz 45/1999. Sie konnte auf das Gesetz Bezug nehmen, da nur dessen Umsetzung auf Eis gelegt worden war, das Gesetz selbst aber weder außer Kraft gesetzt worden war, noch im Sonderautonomiegesetz irgendwie Erwähnung gefunden hatte. In den folgenden Monaten trieb die Zentralregierung die Einrichtung der zwei Provinzen unbeirrt voran. Während aber die Provinz West-Irian-Jaya im Februar 2003 offiziell etabliert wurde, sah die Zentralregierung im August 2003 nach blutigen Auseinandersetzungen zunächst davon ab, die Provinz Zentral-Irian-Jaya einzurichten; das Vorhaben wurde auf Eis gelegt.
Die Teilungspolitik der Zentralregierung ist vor Gericht angefochten worden. Im November 2003 wurde beim neu gegründeten Verfassungsgericht ein Antrag auf Überprüfung auf Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes 45/1999 eingereicht; offizieller Antragsteller war John Ibo, Präsident des Papua Provinzparlaments. In seinem Urteil, welches ein Jahr später verkündet wurde, erklärte das Gericht, mit Verabschiedung des Sonderautonomiegesetzes sei die Gültigkeit von Gesetz 45/1999 gegen die geänderte Verfassung, und letzteres Gesetz besitze somit ab dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung keine Rechtsgültigkeit mehr. In seinen rechtlichen Erwägungen erklärte das Gericht jedoch, die Existenz der Provinz West-Irian-Jaya sei eine Tatsache, und äußerte die Auffassung, dass „… das Bestehen der Provinzen und Distrikte/Städte, welche auf der Basis von Gesetz 45/1999 ins Leben gerufen wurden, … Gültigkeit [hat], es sei denn, das Gericht beschließt etwas Gegenteiliges.“
(Zu Details vgl. https://www.watchindonesia.de/3678/papua-special-autonomy-constitutional-court?lang=de)Dies bestätigte die Existenz der Provinz West-Irian-Jaya, ließ diese aber ohne notwendige Rechtsgrundlage. Durchführungsgesetzgebung aus der letzten Zeit und Debatten, die ihrem jeweiligen Erlass vorausgegangen waren, scheinen auf einen Versuch seitens der Zentralregierung zu weisen, wenn nicht für die gesamte umstrittene Provinz, dann doch zumindest für einige ihrer Organe quasi durch die Hintertür eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Dies gilt, wie wir sehen werden, auch für SBYs Weihnachtspräsent, das Regierungsdekret über den Papua Volksrat.
Der Papua Volksrat – ein Organ der politischen oder der kulturellen Vertretung?
Die Idee für die Einrichtung eines Papua Volksrates stammt aus dem Papua Entwurf für das Sonderautonomiegesetz. Darin ist der Volksrat explizit als Teil der Legislative konzipiert, in dem Sinne, dass das Provinzparlament aus dem Volksrat und dem DPRD (Dewan Perwakilan Rakyat Daerah, Regionaler Volksvertretungsrat, d.h. Regionalparlament) bzw. aus dem DPRP (Dewan Perwakilan Rakyat Papua), wie es darin genannt wird, bestehen sollte. Es war angedacht, dass sich der Volksrat aus Vertreterinnen und Vertretern von adat– (Gewohnheitsrechts-) Gemeinschaften, von Religionen und von Frauen zusammensetzte, wobei jeder Gruppe ein Drittel der Sitze zukäme. Die Mitglieder müssten indigene Papua sein, und ihre Amtszeit würde, wie die ihrer DPRP-Kollegen, fünf Jahre betragen. Als Aufgaben und Befugnisse des Volksrates bestimmte der Gesetzentwurf unter anderem: „… a) gemeinsam mit dem DPRP Gouverneur und Vize-Gouverneur zu wählen, zu ernennen und zu entlassen; b) gemeinsam mit dem DPRP die Grundlegenden Verordnungen und die Allgemeinen Politischen Leitlinien für die Entwicklung der Provinz Papua zu entwerfen und zu verabschieden“.
Das Konzept des Papua Volksrates hat Eingang in das Sonderautonomiegesetz gefunden. Während die Zusammensetzung des Rates aus dem Papua Entwurf übernommen wurde, ist jedoch dessen Status deutlich verändert worden. Der Volksrat ist nicht mehr als Teil des Parlaments konzipiert, letzteres besteht nur aus dem DPRP. Die Rolle des Volksrates ist wie folgt beschrieben: „Im Rahmen der Durchführung der Sonderautonomie in der Provinz Papua wird ein Papua Volksrat eingerichtet, der die kulturelle Vertretung der indigenen Papua darstellt, der eine bestimmte Autorität im Rahmen des Schutzes der Rechte der indigenen Papua hat, basierend auf dem Respekt für adat und Kultur, empowerment von Frauen und der Konsolidierung von Harmonie im religiösen Leben.“
Nichtsdestotrotz wird dem Volksrat dann erhebliche politische Autorität verliehen, einschließlich einer Rolle im Gesetzgebungsprozess. Die zwei Aufgaben und Befugnisse im Gesetz, die mit den genannten im Gesetzentwurf korrespondieren lauten: „a) Meinung und Zustimmung (pertimbangan dan persetujuan) zu den vom DPRP vorgeschlagenen voraussichtlichen Gouverneurs- und Vizegouverneurskandidaten zu geben; … c) Meinung und Zustimmung zu Perdasus-Entwürfen (Besondere Regionalverordnung), die vom DPRP zusammen mit dem Gouverneur unterbreitet werden, zu geben“.
Der Status des Volksrates ist umstritten. Zur Festlegung von Details bezüglich Zusammensetzung, Rolle und Funktion des Rates war Durchführungsgesetzgebung vonnöten, u.a. ein Dekret der Zentralregierung. Dieses hatte jedoch bis Dezember 2004 auf sich warten lassen.
Im Folgenden werden wir Schritt für Schritt betrachten, wie Bestimmungen des Sonderautonomiegesetzes im Regierungsdekret konkretisiert wurden. Da der Durchführungsgesetzgebung in der Hierarchie der Rechtsquellen ein untergeordneter Rang zukommt, muss das Regierungsdekret mit dem Sonderautonomiegesetz in Einklang stehen. Ist dies nicht der Fall, kann es vor dem Obersten Gerichtshof angefochten werden.
Zusammensetzung
Wie der Entwurf, so bestimmt auch das Sonderautonomiegesetz, dass sich der Volksrat aus indigenen Papua zusammensetzt; vertreten sind dabei zu jeweils einem Drittel adat-Gemeinschaften, Religionen und Frauen. Das Regierungsdekret ergänzt nun, dass die Anzahl der Mitglieder des Volksrates nicht mehr als drei Viertel der Anzahl der DPRP-Mitglieder (zur Zeit 56) betragen darf, d.h. nicht mehr als 42 Personen.
Das Regierungsdekret legt auch Bedingungen für Mitgliedschaft fest und konkretisiert, was unter den einzelnen genannten Gruppen zu verstehen ist:
- Indigene Papua: Wie im Sonderautonomiegesetz bezeichnet ‚indigene Papua’ Personen, die von der „Melanesischen Rassengruppe“ abstammen, welche aus indigenen ethnischen Gruppen in der Provinz besteht, und oder Personen, die von der adat-Gemeinschaft als indigene Papua anerkannt und akzeptiert worden sind.
- Adat-Gemeinschaft (masyarakat adat): Die Adat-Gemeinschaft sind indigene Papua-Bürgerinnen und –Bürger in einem Adat-Gebiet, die einem bestimmten adat angehören mit einer starken Solidarität unter Gruppenmitgliedern. Die Adat-Vertreterinnen und -Vertreter im Volksrat müssen von der Adat-Gemeinschaft anerkannt und akzeptiert sein.
- Religiöse Gemeinschaft (masyarakat agama): Die religiöse Gemeinschaft umfasst alle Einwohner der Provinz, die einer Religion angehören. Vertreter der Religionen im Volksrat benötigen eine Empfehlung von der betreffenden religiösen Institution.
- Gemeinschaft der Frauen (masyarakat perempuan): Die Gemeinschaft der Frauen umfasst alle weiblichen Einwohner der Provinz. Vertreterinnen der Frauen müssen aktiv und konsistent für Frauenrechte eintreten und von der Gemeinschaft der Frauen akzeptiert sein.
Viele Bedingungen für angehende Mitglieder des Volksrates gleichen denen für Parlamentsmitglieder. Nur eine weitere soll uns hier beschäftigen, nämlich die explizite Bedingung, dass ein Ratsmitglied zu keiner Zeit in makar-Handlungen gegen den Einheitsstaat der Republik Indonesien (NKRI) involviert gewesen sein darf. Die Bedeutung des Wortes makar, wie sie in Wörterbüchern zu finden ist, umfasst ‚Angriff’, ‚Angriff auf die Regierung’ und ‚Coup d’état’. Es mag jedoch interessant sein, die rechtliche Definition und die Verwendung des Begriffs im indonesischen Strafgesetzbuch nachzuschauen. In der offiziellen englischen Übersetzung des Strafgesetzbuchs wird makar mit ‚attempt’, also: ‚Versuch’, übersetzt. Und die Definition im Strafgesetzbuch lautet: „… Es wird von einem Versuch (makar), eine Tat zu begehen, gesprochen, wenn die Absicht dazu im Beginn der Durchführung deutlich geworden ist …“. Der Begriff makar findet dann nur im Kapitel „Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates“ Verwendung. Die für unseren Zusammenhang relevanteste Bestimmung, Artikel 106, lautet: „Der Versuch (makar) unternommen mit der Absicht, das Territorium des Staates ganz oder teilweise unter ausländische Herrschaft zu bringen oder einen Teil abzuspalten, wird mit lebenslänglicher Haftstrafe oder einer Haftstrafe von höchstens 20 Jahren bestraft.“
Für alle makar-Bestimmungen des Strafgesetzbuches ist ein so hohes Strafmaß angesetzt. Es stellt sich die Frage, mit welcher Absicht die Bedingung, niemals in eine makar-Handlung gegen den Staat involviert gewesen zu sein, explizit in die Liste der für Volksratsmitglieder zu erfüllenden Bedingungen aufgenommen wurde. Denn jeder oder jede, der oder die rechtskräftig zu einer Haftstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde, ist sowieso von einer Ratsmitgliedschaft ausgeschlossen. Legt dies nahe, dass in dieser Ausschlussbedingung eher eine weite Bedeutung des Begriffs „versuchte Handlungen gegen den Einheitsstaat der Republik Indonesien“ beabsichtigt ist?
In diesem Zusammenhang ist es interessant zu betrachten, bei wem die Entscheidungsgewalt in diesen Fragen liegt. Es ist der Innenminister, der bereits gewählte Volksratsmitglieder ablehnen kann, wenn er der Auffassung ist, dass eine Bedingung für Mitgliedschaft nicht erfüllt ist. Einspruch gegen eine derartige Entscheidung kann beim Minister eingelegt werden, dessen anschließende Entscheidung dann endgültig und bindend ist. Eine weite Interpretation des Begriffs makar könnte so zu einem Mittel für die Zentralregierung werden, unerwünschte – gewählte – Ratsmitglieder auszuschließen. Und dies nicht nur vor Amtsantritt, sondern auch während ihrer Amtszeit. Denn eine Anklage wegen makar-Handlungen ist ein Grund für eine Suspendierung, und meinem Verständnis nach – die Bestimmungen sind hier nicht ganz eindeutig – auch für die Entlassung eines Ratsmitgliedes durch denselben Minister. Andere Gründe für eine Suspendierung durch den Innenminister sind Anklagen wegen Terrorismus, Korruption oder Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates. Es ist zu begrüßen, dass die meisten Gründe für eine Entlassung – die vom Minister durchgeführt wird – ein Untersuchungs- und Verifikationsprozedere vor dem Ehrenrat des Volksrates erfordern. Wieviel Gewicht einer Entscheidung des Ehrenrates dann jedoch zukommt und welche Rolle der Vorsitz des Volksrates in dem Prozess spielt, ist dabei aber nicht eindeutig festgelegt. Entlassungsgründe schließen neben verschiedenen anderen in bekannter Manier Mangel an Loyalität gegenüber dem Einheitsstaat ein: Zum einen kann eine Verletzung des Amtseids zur Entlassung führen; der Amtseid beinhaltet ein Loyalitätsbekenntnis nicht nur zu Pancasila und der Verfassung, sondern auch zu Nation und Einheitsstaat der Republik Indonesien. Ferner verbietet das Regierungsdekret den Ratsmitgliedern explizit Verrat an Pancasila, der Verfassung, dem Einheitsstaat und der legitimen Regierung; ein Verstoß kann wiederum in Entlassung münden.
Die Bestimmungen, die als Mittel benutzt werden können, um unerwünschte Ratsmitglieder loszuwerden, scheinen somit vor allem die erwähnten makar-Bestimmungen zu sein, die dem Innenminister ein direktes Einschreiten ermöglichen. Sollten diese in einer ausschließenden Weise benutzt werden, wird dies wahrscheinlich nicht nur Rebellen und unverbesserlichen Unabhängigkeitsbefürwortern als Beweis dafür dienen, dass der Volksrat eine Institution von Regierungs Gnaden ist und Sonderautonomie keine unterstützungswerte Option darstellt.
Rolle bei der Gouverneurswahl
Die für die bevorstehenden Wahlen relevante Bestimmung im Sonderautonomiegesetz ist jene, die als Aufgabe und Befugnis des Volksrats festlegt: „a) Meinung und Zustimmung zu geben für voraussichtliche Gouverneurs- und Vize-Gouverneurskandidat/innen, welche vom DPRP vorgeschlagen wurden“. Die entsprechende Bestimmung im Regierungsdekret wiederholt die Klausel zunächst, beschränkt diese dann jedoch durch folgende Ergänzung: „Meinung und Zustimmung wie in Absatz 1 genannt (also besagte Wiederholung der Gesetzesbestimmung) beziehen sich nur auf die Bedingung, dass das voraussichtliche Kandidatenpaar von Gouverneur und Vize-Gouverneur indigene Papua sind.“
Mit diesem Zusatz wird die Autorität des Volksrates in diesem Zusammenhang ihrer Substanz beraubt, bestimmt doch schon das Sonderautonomiegesetz, dass Gouverneur und Vize indigene Papua sein müssen. Meinem Verständnis nach ist dies eine unzulässige Beschränkung, die durch das Sonderautonomiegesetz nicht gedeckt ist.
Rolle im Gesetzgebungsprozess
Eine zentrale Aufgabe und Befugnis, welches den Volksrat als ein politisches Organ ausweist, ist seine Rolle im Gesetzgebungsprozess. Wie erwähnt bestimmt das Gesetz folgende Aufgabe: „… Meinung und Zustimmung zu einem Perdasus-Entwurf zu geben, welcher von DPRP und Gouverneur eingebracht wurde …“. – Ein Perdasus, Akronym für ‚Besondere Regionalverordnung’, ist eine Regionalverordnung der Provinz Papua im Rahmen der Umsetzung des Sonderautonomiegesetzes. Die Rolle des Volksrates im Gesetzgebungsprozess wird in der Bestimmung über denselben wiederholt: „Ein Perdasus wird entworfen und verabschiedet vom DPRP zusammen mit dem Gouverneur mit Meinung und Zustimmung des Volksrates“ und in der Bestimmung, die als Pflicht des Gouverneurs festlegt:“… einen Perdasus-Entwurf einzubringen und diesen mit dem DPRP als Perdasus zu verabschieden nach Erhalt von Meinung und Zustimmung des Volksrates.“
Diese Bestimmungen sind hier so umfassend zitiert worden, um zu zeigen, dass obwohl der Volksrat im Sonderautonomiegesetz als Organ kultureller Vertretung beschrieben wird, selbigem trotzdem eine definitiv politische Rolle zugeschrieben wird. Ohne es explizit so zu benennen, ist dem Volksrat eine zentrale Rolle im Gesetzgebungsverfahren eingeräumt, wenn ein Perdasus, eine Besondere Regionalverordnung, ganz klar die Zustimmung des Rates benötigt, um in Kraft zu treten.
Eine noch stärkere gesetzgebende Rolle könnte gar aus der Erläuterung zum Artikel über die Rechtskommission abgeleitet werden, die besagt: „Die Einrichtung einer Ad Hoc-Rechtskommission ist beabsichtigt zur Unterstützung des Gouverneurs, des DPRP und des Volksrates bei der Vorbereitung von Entwürfen für Besondere und [andere] Regionale Verordnungen (Perdasus und Perdasi) …“. Hier wird dem Volksrat indirekt sogar die Befugnis, Gesetzentwürfe zu erstellen, zugesprochen – ein Hinweis darauf, in welche Richtung Durchführungsgesetzgebung gehen sollte?
Das Regierungsdekret nun enthält präzisierende Verfahrensvorschriften: Ein Perdasus-Entwurf von Provinzregierung und Parlament wird dem Volksrat überbracht. Dieser hat dann 30 Tage Zeit für Beratungen. „Beim Geben von Meinung und Zustimmung … unternimmt der Volksrat Konsultationen mit der Provinzregierung und dem DPRP. In dem Fall, dass der Perdasus-Entwurf für über 30 Tage keine Meinung und Zustimmung erhält …, wird der Perdasus-Entwurf angesehen, als habe er schon Meinung und Zustimmung durch den Volksrat erhalten“.
Meines Erachtens handelt es sich hierbei um eine weitere Klausel, die Bestimmungen des Sonderautonomiegesetzes aushöhlt. Zustimmung innerhalb von 30 Tagen ist gefordert, ansonsten gilt der Entwurf als angenommen. Dies scheint keinerlei Möglichkeit für eine offene Ablehnung des Entwurfs seitens des Volksrates zu lassen. Meinem Verständnis nach wird hiermit die Funktion des Volksrates zu einem Beratungsorgan herabgestuft, welches in Konsultationen mit den Gesetzgebern (Provinzregierung und DPRP) treten kann, aber seiner dezidierten Rolle im Gesetzgebungsprozess, wie im Sonderautonomiegesetz vorgesehen, beraubt ist.
Teilung Papuas
Eine andere zentrale Aufgabe, die dem Volksrat mit dem Sonderautonomiegesetz verliehen wurde, ist seine Rolle bei Entscheidungen über den Status der Provinz: „Die Teilung (pemekaran, wörtlich: die Erweiterung, Mehrung) der Provinz Papua wird durchgeführt mit der Zustimmung des Volksrates und des DPRP …“. Wie wir gesehen haben, hat sich die Zentralregierung in ihrer Teilungspolitik komplett über diese Bestimmung hinweggesetzt.
Das Regierungsdekret bestimmt nun als Prozedere, dass jeder Teilungsplan von Provinzregierung und DPRP dem Volksrat zur Erwägung vorgelegt wird. Der Volksrat bzw. dessen jeweilige Arbeitsgruppe hat dann Zeit für Beratungen, „… um spätestens in 30 Tagen nach Erhalt des Teilungsplans die Zustimmung des Ratsplenums zu erhalten“. Während dieser Beratungen können auch Erklärungen von Regierung und Parlament erfragt werden. Dann folgt eine analoge Bestimmung wie bei der Zustimmung zu Perdasus-Entwürfen: „Im Falle, dass der Teilungsplan für über 30 Tage keine Meinung und Zustimmung erhält …, wird der Teilungsplan angesehen, als habe er schon Meinung und Zustimmung durch den Volksrat erhalten.“ Einmal mehr sehen wir hier eine Bestimmung des Sonderautonomiegesetzes unterminiert und den Volksrat zu einem Beratungsorgan ohne substantielle politische Autorität reduziert.
Was die Teilungsproblematik betrifft, enthält das Regierungsdekret drei weitere Bestimmungen. Was wie ein Versuch aussieht, zumindest für einige Institutionen der umstrittenen neuen Provinz eine Rechtsgrundlage quasi durch die Hintertür zu schaffen, traf auf entschiedenen Widerstand u.a. auch von Seiten der Papua Provinzregierung. In Beratungen, die dem Erlass des Regierungsdekrets vorangingen, war es Berichten zufolge der Wunsch der Zentralregierung gewesen, auch Bestimmungen über einen Volksrat in der Provinz West-Irian-Jaya ins Dekret aufzunehmen. Die offizielle Delegation aus Papua, die bei den Gesprächen anwesend war, wies den Vorschlag entschieden zurück mit dem Argument, dass der zur Diskussion stehende Volksrat mandatiert sei durch das Sonderautonomiegesetz, welches für die Provinz Papua gelte, nicht für West-Irian-Jaya; letztere Provinz sei in dem Gesetz nicht einmal erwähnt. Die Delegation vertrat die Auffassung, es gäbe keine rechtliche Grundlage dafür, Bestimmungen über West-Irian-Jaya ins Regierungsdekret hinein zu nehmen. Wenn die Zentralregierung konsistent sei in der Umsetzung des Sonderautonomiegesetzes, könne sie nicht eine Aufnahme von Bestimmungen zu West-Irian-Jaya in das Regierungsdekret zum Volksrat forcieren.
In der endgültigen Version des Regierungsdekretes findet West-Irian-Jaya implizite Erwähnung: Während unterstrichen wird, dass es in der Verantwortung der Zentralregierung liege, das Teilungsproblem zu lösen, verleiht das Dekret unter anderem dem Volksrat eine unterstützende Rolle: „Der Volksrat zusammen mit der Provinzregierung und dem DPRP als der Mutterprovinz hat die Aufgabe und die Verantwortung, der Zentralregierung dabei zu helfen, das Problem der Teilung des Gebietes (Wilayah, will sagen: der Provinz Papua), die vor dem Erlass dieses Regierungsdekrets erfolgt ist, zu lösen, unter Berücksichtigung der Realität und im Einklang mit rechtlichen Regelungen, spätestens sechs Monate nach Einsetzung der Volksratsmitglieder.“ Ist Gouverneur Solossas kürzlich vorgebrachten Vorschlag, Papua in fünf Provinzen zu teilen, dies allerdings unter Berücksichtigung soziokultureller und geographischer Aspekte sowie natürlicher und Humanressourcen, vor diesem Hintergrund zu sehen?
Des Weiteren beinhaltet das Regierungsdekret zwei Klauseln, die die Einrichtung von Volksräten in neuen, aus Teilungsprozessen resultierenden Provinzen behandeln. West-Irian-Jaya wird nicht speziell erwähnt, aber es wird ganz allgemein bestimmt, dass ein Volksrat eingerichtet werden soll in dem Fall, dass der Teilungsprozess die Existenz einer neuen Provinz zur Folge hat. Interessanterweise überträgt das Regierungsdekret trotz der oben erwähnten Kritik des Teams aus Papua dem in Papua zu formierenden Volksrat die Verantwortung für die Einrichtung von Volksräten in neuen Provinzen, dies in Kooperation mit Provinzregierung und Parlament.
Wahl
Im Folgenden sollen nur zentrale Aspekte des Wahlvorgangs beschrieben werden. Verschiedene Punkte sind im Regierungsdekret noch nicht hinreichend klar ausgeführt, so dass einige wichtige Fragen offen bleiben. Diese werden hoffentlich in der Regionalverordnung (Perdasi), welche demnächst erlassen werden soll, geklärt werden; ein Entwurf für genannte Regionalverordnung ist derzeit bereits im Entstehen begriffen.
Das erste Problem, das sich stellt, ist die Frage nach dem Wahlvolk. Letzteres soll laut Dekret aus Mitgliedern der adat-Gemeinschaft, der Gemeinschaft der Frauen und der religiösen Gemeinschaft bestehen. Es ist jedoch nirgends deutlich gemacht, wer für welchen Kandidaten oder welche Kandidatin wählen kann. Hier herrscht noch erheblicher Klärungsbedarf.
Für die verschiedenen im Volksrat vertretenen Gruppen sind unterschiedliche Wahlmodi festgelegt – adat- und Frauenvertreterinnen und -vertreter auf der einen Seite, VertreterInnen von Religionen auf der anderen. Die Wahl von adat- und Frauenvertreterinnen und -vertretern soll in zwei Phasen stattfinden, auf der Ebene der Sub-Distrikte, wo auch die Registrierung der Kandidatinnen und Kandidaten stattfindet, und auf der Ebene der Distrikte (kabupaten) und Städte. Die Wahl der Religionsvertreter findet in nur einem Schritt und auf der Provinzebene statt.
Für die Wahl von adat- und Frauen-Vertreterinnen und -Vertretern ist der Wahlablauf wie folgt: Die Kandidatinnen und Kandidaten, die auf der Sub-Distrikt Ebene gewählt worden sind, werden dann auf der Ebene der Distrikte und Städte zwei Kandidaten aus ihrer Mitte durch musyawarah dan mufakat, Beratung und Konsens, auswählen. Wenn auf diese Weise kein Ergebnis erzielt wird, kann eine Abstimmung stattfinden. Nach meinem Verständnis wird dann der Name des Kandidaten bzw. der Kandidatin, der oder die die meiste Unterstützung im jeweiligen Distrikt auf sich vereinigen konnte, an den Innenminister weitergeleitet. Der zweite Kandidat mag als Alternative gedacht sein. Da Papua gegenwärtig aus 28 Distrikten und Städten besteht, werden mit diesem Wahlverfahren die 28 Sitze im Volksrat, die für adat- und Frauen-Vertreterinnen und -Vertreter vorgesehen sind, besetzt. Es ist jedoch nirgends eine Bestimmung niedergelegt, die eine gleichgewichtige Verteilung von 14 adat- und 14 Frauenvertreterinnen in den 28 Distrikten und Städten gewährleisten würde.
Für die Religionsvertreter ist das Prozedere wie folgt beschrieben: Alle Religionsgemeinschaften können so viele Kandidatinnen und Kandidaten vorschlagen, wie es Distrikte/Städte gibt, also 28. Wie dann der (Aus-)Wahlprozess vonstatten gehen soll, erschließt sich mir nicht: Das Regierungsdekret bestimmt: “Kandidat/innen für den Volksrat, die die Bedingungen für die Ratsmitgliedschaft erfüllen …, werden durch Beratung und Konsens (musyawarah dan mufakat) von der religiösen Gemeinschaft (masyarakat agama, Definition siehe oben) auf Provinzebene gewählt, wobei das Verhältnis der Zahl ihrer jeweiligen Anhänger in Betracht gezogen werden möge.“ Nur wenn dieses – meiner Ansicht nach recht unrealisierbare – Unterfangen nicht von Erfolg gekrönt ist, kann abgestimmt werden. Keine weitere Erklärung wird zum Vorgehen gegeben. Es wird nur noch erwähnt, dass das Verhältnis der Vertreter der verschiedenen Religionsgemeinschaften auf der Basis der Zahl ihrer Anhänger vom Provinzwahlkomitee festgelegt wird. Das Wahlergebnis wird dann dem Innenminister übermittelt.
Reaktionen
Das Regierungsdekret stieß in Papua auf Kritik und Protest. Bei Demonstrationen waren auf Transparenten Slogans zu lesen wie „Das Kado Natal (der Volksrat) bringt keinen Frieden und Wohlstand für die Menschen in Westpapua“, „Das Regierungsdekret über den Volksrat ist eine indonesische Strategie zur Zerstörung der Papua Nation“. Kritik von Vertretern der Koalition für den Kampf für bürgerliche Rechte der Papua beinhaltete zudem auch das Argument, dass 14 adat-Vertreter im Volksrat nicht angemessen die mehr als 250 adat-Gemeinschaften in Papua repräsentieren könnten.
Heftige Kritik wurde auch vom Dewan Adat Papua (Adat-Rat Papua, DAP) vorgebracht, einem Gremium, welches während des Zweiten Papua Kongresses im Jahr 2000 eingerichtet worden war. DAP war die Institution, die die eingangs erwähnte deadline vom 15. August 2005 gesetzt hatte; nach deren Ablauf würde die Organisation sich für ein Zurückgeben des gesamten Sonderautonomiegesetzes einsetzen, sollte selbiges nicht angemessen umgesetzt werden. DAP kritisierte, dass das Regierungsdekret unklar, ambivalent und diskriminierend sei und nicht den Geist des Sonderautonomiegesetzes widerspiegle; es stelle eine Verletzung der politischen Rechte der Papua dar. DAP’s Auffassung zufolge müssten verschiedene Artikel in der entsprechenden Regionalverordnung revidiert werden, u.a. die makar-Bestimmung und die Artikel zu Kandidaten, Wahlvolk, Wahlablauf und Teilung der Provinz.
Schlussbetrachtung
Man kann sicher darüber streiten, wie demokratisch eine Institution wie der Volksrat ist – meines Erachtens sollte es Leitprinzip bei der Ausarbeitung der Bestimmungen zum Wahlverfahren sein, dieses so demokratisch wie möglich zu gestalten. Um jedoch Sonderautonomie als Konfliktlösungsmechanismus attraktiv zu machen, kommt dem Volksrat eine erhebliche Bedeutung zu. Mit dem Regierungsdekret hat die Zentralregierung den Volksrat zu einem zahnlosen Debattierklub degradiert – ein Schritt, der mir dem Konfliktlösungsprozess in Papua wenig dienlich scheint. Genannte Proteste und Kritik zeugen davon, dass dies in Teilen der Papua Gesellschaft genauso verstanden wird. Die Sonderautonomie ist bereits ein Konzept, das nicht allzu viele Papua zu überzeugen vermag. Sollte diese auch weiterhin nicht adäquat umgesetzt werden, wird dieser Weg nur immer weiter diskreditiert werden. Auch wird es immer mehr Menschen in die Arme derjenigen Gruppen treiben, die für Unabhängigkeit eintreten. Die Papua brauchen keine Kado Natals, sondern Rechtsstaatlichkeit und dass ihre Rechte respektiert werden.
Ich danke Dr. Siegfried Zöllner, Alex Flor, Dr. Monika Schlicher und Esther Heidbüchel für Kommentare.
Quellen
Entwurf des Sonderautonomiegesetzes (bes. Art. 10):
Indonesisch: http://www.westpapua.net/cases/autonm/otsus.htm
Englisch: http://www.westpapua.net/cases/autonm/otsusbe.htm
Sonderautonomiegesetz (Gesetz Nr. 21/2001) (bes. Art. 5, 14, 20, 29, 32, 76):
Indonesisch: http://www.ri.go.id/produk_uu/datar_isi-2.htm
Englisch: http://www.gtzsfdm.or.id/documents/laws_n_regs/laws/2001/Law21_2001.pdf
https://www.watchindonesia.de/AfP2003docum.htm
Regierungsdekret Nr. 54/2004 über den Papua Volksrat (indonesisch):
http://www.gtzsfdm.or.id/documents/laws_n_regs/regulations/2004/PP_54_2004_Majelis%20Rakyat%20Papua.pdf
Strafgesetzbuch (bes. Art. 87, 106):
Indonesisch: http://www.moj.gov-rdtl.org/tlaw/IndonesianLaw/undang/kuhp.htm
Offizielle englische Übersetzung:
http://www.moj.gov-rdtl.org/tlaw/IndonesianLaw/english/codes/Penal-Code-E.pdf
Online Versionen der Zeitungen: Cenderawasih Pos, Sinar Harapan, The Jakarta Post
Homepage der Papua Provinzregierung, Nachrichten: http://beritautama.papua.go.id/