Offener Brief

Terror in Osttimor macht schnelles Handeln erforderlich

Berlin, Heidelberg, den 18. April 1999

An die Deutsche Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Sehr geehrte Damen und Herren,

All that is left-10

Alles, was übrig blieb

Foto: Anna Voss, 1999

Terror, Rechts- und Gesetzlosigkeit haben in Osttimor eine neues Ausmaß angenommen: seit gestern läuft die Operation Clean-Up, wie sie von ABRI, den indonesischen Streitkräften, genannt wird. Laut Mario Carrascalão, dem politischen Berater Habibies in Sachen Osttimor und früheren Gouverneur des besetzten Gebietes, ist der Drahtzieher der Aktion General Zaki Anwar, der ehemalige Chef des Geheimdienstes in Osttimor.

Die in Osttimor stationierten Einheiten der Streitkräfte bedienen sich paramilitärischer Schlägertrupps, die sie bezahlen, trainieren und bewaffnen und als sogenannte Integrationisten ins Feld führen. Diese Banden sind in den letzten Wochen aufstockt worden, nicht zuletzt auch durch Timoresen aus dem indonesischen Teil der Insel, Westtimor.

Damit versucht das Militär, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen, Präsident Habibies Vorstoß zu einer politischen Lösung des Osttimorkonflikts ins Leere laufen zu lassen. Dem gilt es entschieden entgegenzuwirken: Dem Terror der paramilitärischen Banden und dem tatenlosen Zusehen der Sicherheitskräfte muß schnellstens Einhalt geboten werden!

Der Angriff der paramilitärischen Banden kam keineswegs unerwartet. Bereits vor Tagen war dieses Vorgehen in einer weitverbreiteten Bekanntmachung der Banden angekündigt worden. Dennoch wurden von Seiten der indonesischen Regierung bzw. der Sicherheitskräfte keinerlei Anstrengungen unternommen, diese terroristischen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung zu unterbinden.

Wie die Bilder gestern in CNN und BBC zeigten, ziehen die Banden mordend und brandschatzend durch Dili, schießen mit Schnellfeuergewehren um sich und kontrollieren die Straßen. Militär und Polizeikräfte sehen dem tatenlos zu. Ziel der Angriffe sind anerkannte Persönlichkeiten und engagierte Menschen, die sich für eine politische Lösung des Konfliktes einsetzen. Beim Angriff auf das Anwesen von Manuel Carrascalão, einem Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung und Bruder des Präsidentenberaters Mario Carrascalãos, kam sein 18 Jahre alter Sohn ums Leben. Auf dem Anwesen der Carrascalãos campierten seit Wochen Hunderte von Flüchtlingen, die vor dem Terror der Banden aus ihren Dörfern sich hier her geflüchtet hatten. Die Flüchtlinge wurden zum Teil verschleppt.

Die Büros der Rechtshilfeorganisation Yayasan Hak, des nationalen Widerstandsrates und der Caritas wurden ebenso angegriffen und verwüstet. Die dort tätigen Menschen konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Doch wo ist Sicherheit in Osttimor in diesen Tagen? Wie hoch die Zahl der Toten und Verletzten ist und wie groß das Ausmaß der Verwüstung, ist noch nicht bekannt.

Die Menschen in Osttimor sind dem Terror hilflos ausgesetzt. Es gilt schnellstens zu handeln. Manuel Carrascalão und seine Tochter, sowie weitere Personen, die zur Zielscheibe der Banden geworden sind, haben in der Residenz von Bischof Belo Zuflucht gesucht. Der Anführer der Milizen brüstet sich damit, selbst vor der Residenz des Friedensnobelpreisträgers nicht halt machen zu wollen und alle, die für die Unabhängigkeit Osttimors eintreten, ein für alle mal auszurotten.

Es steht zu befürchten, daß die Sicherheitskräfte erst dann einschreiten, wenn die Osttimoresen sich dem Terror der Milizen entgegenstellen. Zu fordern, die in Osttimor stationierten indonesischen Sicherheitskräfte sollten für Ruhe und Ordnung sorgen, hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Das Militär kann das Problem nicht lösen, es ist Teil des Problems. Allein der Rückzug der indonesischen Streitkräfte aus Osttimor kann den paramilitärischen Banden den Boden entziehen und wäre Voraussetzung für ein Klima der Entspannung und des Friedens, das zur Durchführung eines Referendums über die Zukunft der von Indonesien 1975 annektierten ehemaligen portugiesischen Kolonie notwendig ist.

Noch am vergangenen Freitag forderten Abgeordnete des Deutschen Bundestages nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Osttimor, die Entsendung einer internationalen Friedentruppe in Betracht zu ziehen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Angesichts der immer weiter eskalierenden Lage scheint eine solche Maßnahme jetzt unabdingbar. Eine solche Friedenstruppe sollte vorzugsweise eine multinational zusammengesetzte Polizeieinheit sein, deren Aufgabe es sein muß, umgehend die Entwaffnung aller am Konflikt beteiligten Kräfte vorzunehmen.

Des weiteren unterstreichen diese Vorfälle wie dringlich es ist, daß Vertreter der Vereinten Nationen ungehinderten Zugang nach Osttimor erhalten und dort durch Präsenz an Ort und Stelle gemeinsam mit den politischen Vertretern und den Vertretern der Kirchen ein friedenserhaltendes Klima schaffen.

Wir appellieren an die Bundesregierung, die Parteien und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages umgehend alle nur erdenklichen Hebel in Bewegung setzen, um dem Terror in Osttimor Einhalt zu gebieten. Die bedrohliche Situation, der die Menschen ausgesetzt sind, erfordert umgehendes Handeln und eine deutliche Intensivierung der bisherigen Bemühungen um eine friedliche Beilegung des Konfliktes.

Insbesondere fordern wir die Bundesregierung und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf, jegliche bilateralen und multilateralen Kredite und andere Hilfsmaßnahmen an Indonesien mit sofortiger Wirkung ruhen zu lassen, bis von Seiten der indonesischen Regierung ernstzunehmende Schritte zum Rückzug und zur Entwaffnung aller militärischen und paramilitärischen Kräfte aus Osttimor erkennbar sind.

Des weiteren fordern wir die internationale Staatengemeinschaft eindringlich auf, die laufende 55. Sitzung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf zu einer deutlichen Verurteilung des indonesischen Vorgehens in Osttimor zu nutzen.

Mit freundlichen Grüßen,

Alexander Flor & Dr. Monika Schlicher

 


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