Indonesien braucht mehr als symbolische Reformen!
Redebeitrag von Watch Indonesia! auf der Kundgebung des „Forum Masyarakat Indonesia di Berlin“ am 2. Juni 1998 an der Berliner Gedächtniskirche
Die deutsche Presse reagierte überwiegend kritisch auf die Amtseinführung des indonesischen Übergangspräsidenten Habibie. Durch die Nähe zu Suharto sei Habibie selbst vom Virus der Korruption und Vetternwirtschaft infiziert, er sei politisch unerfahren und neige zu ehrgeizigen, aber kostspieligen Prestigeprojekten und abenteuerlichen wirtschaftlichen Theorien, hieß es.
Die indonesischen StudentInnen, die durch wochenlange – überwiegend friedliche – Demonstrationen Suharto zum Rücktritt bewegen konnten, sehen in Habibie nichts weiter als einen Repräsentanten des verhaßten alten Systems, dem sie jede politische Legitimation absprechen. Sie fordern baldige Neuwahlen.
Der erzielte Teilerfolg der StudentInnen wäre kaum möglich gewesen ohne die Beihilfe des IWF und einiger westlicher Regierungen, allen voran die der USA, denen der einstige Verbündete Suharto auf dem Weg zur Globalisierung der Wirtschaft hinderlich geworden war. Mit der erfolgten Abdankung Suhartos dürften sich allerdings die gemeinsamen Interessen der StudentInnen und der Banker weitestgehend erschöpft haben. Künftige Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert.
Die internationale Kritik an Habibie ist bereits leiser geworden, seit dieser sich daran gemacht hat, die wildesten Auswüchse der Herrschaft Suhartos zu beschneiden. Bislang vier von über 200 politischen Gefangenen wurden freigelassen, weitere sollen folgen. Bisher nicht anerkannte Organisationen wie die freie Gewerkschaft SBSI wurden legalisiert, das Versammlungsverbot wurde aufgehoben. Kinder und Verwandte von Suharto mußten einen Teil ihrer Posten in der Wirtschaft räumen, ebenso wie Verwandte von Habibie selbst. Der notorische „Mann für’s Grobe“ der Streitkräfte, Suhartos Schwiegersohn General Prabowo, wurde auf einen unbedeutenden Posten versetzt. Dies sind nur einige der bislang durchgeführten Schritte, deren Bedeutung keineswegs geringgeschätzt werden sollte. Sie sollten jedoch auch nicht überbewertet werden.
Keine dieser Reformen ist geeignet, das alte System der „Neuen Ordnung“ Suhartos grundsätzlich in Frage zu stellen und damit den Weg zu weisen für einen glaubwürdigen demokratischen Neuanfang. Die bisher durchgeführtem Reformen sind typische Begleiterscheinungen einer politischen Übergangsphase, ohne jede Garantie auf langfristig wirksame Verbesserungen.
Noch immer ist das Militär unangefochten die entscheidende politische Kraft in Indonesien. Der starke Mann hinter dem Übergangspräsidenten Habibie, der über keine eigene Hausmacht verfügt, ist der Verteidigungsminister und Oberbefehlshaber der Armee, Wiranto. Wirantos derzeit recht moderate Töne und sein bedachtes Auftreten scheinen geeignet, das Vertrauen des Auslands in den Reformkurs der Regierung zu stärken. Es darf aber bezweifelt werden, daß sich beispielsweise sein beherztes Vorgehen gegen seinen persönlichen Widersacher, General Prabowo, auf die Einsicht in die Notwendigkeit der Achtung der Menschenrechte gründet.
Prabowo werden zahlreiche Vergehen angelastet, von der Bildung von Todesschwadronen in Ost-Timor bis zur Entführung und Folter von Oppositionellen in Jakarta. Ist dies das Resultat der Ausbildung, die Prabowo bei der deutschen GSG 9 bekam? Doch Prabowo ist nur einer von vielen.
Es wäre zu einfach, ihn alleine für alle Menschenrechtsverletzungen, die durch das Militär begangen wurden, verantwortlich zu machen.
Alleine schon um die Verantwortlichkeiten anderer Militärs aufzudecken ist deshalb zu fordern, daß Prabowo – wie auch andere Militärs – vor Gericht gestellt wird, um sich einem freien, fairen und öffentlichen Verfahren zu stellen.
Echte Reformen sind daher nur möglich, wenn sich das Militär von seiner Doppelfunktion (Dwifungsi) verabschiedet, die ihm neben der Landesverteidigung eben diese gewichtige politische Rolle zuteilt. 75 von 500 Sitzen im Parlament sind bislang für nicht vom Volk gewählte Militärs reserviert. Der Verteidigungshaushalt muß von einem demokratisch legitimierten Parlament verabschiedet und kontrolliert werden und darf sich nicht länger in Form eines Schattenhaushaltes aus wirtschaftlichen Aktivitäten des Militärs finanzieren. Die Polizei darf nicht länger als vierte Teilstreitkraft unter dem Kommando des Militärs stehen.
Solange das Militär die alles entscheidende Kraft in Indonesien bleibt, wird es immer wieder zu Machtmißbrauch und im schlimmsten Falle zur Anwendung physischer Gewalt kommen.
Solange sich daran nichts grundlegendes ändert, verbietet sich jede Form von Waffenlieferungen oder militärischer bzw. polizeilicher Zusammenarbeit mit Indonesien. Es ist ein Skandal, daß der Berliner Senat noch im Frühjahr dieses Jahres erwogen hat, im Rahmen der Städtepartnerschaft mit Jakarta der indonesischen Polizei Ausbildungshilfe zu gewähren!
Die bedingungslose Freilassung ALLER politischen Gefangenen sowie deren Rehabilitation und Entschädigung ist eine weitere Vorbedingung für echte Reformen. Unzählige Menschen sitzen im Gefängnis, weil sie sich beispielsweise in ihrer Verzweiflung gegen unrechtmäßige Landenteignungen durch das Regime Suharto nur dadurch zu helfen wußten, daß sie Bauwagen in Brand gesteckt haben. Auch sie sind nach unserer Überzeugung politische Gefangene, die umgehend freigelassen werden müssen. Das selbe gilt für viele Gefangene des ost-timoresischen Widerstandes, darunter Jakartas prominentester Häftling, Xanana Gusmao. Hohe Politiker der USA, Kanadas, Großbritanniens und Australiens haben sich bereits für dessen Freilassung eingesetzt. Nur von der Bundesregierung vernehmen wir wie so oft nur Schweigen.
Inwieweit Indonesiens neue Regierung in der Lage ist, den Bruch mit dem alten Regime zu vollziehen, wird sich auch am Umgang mit den Gefangenen der Generation von 1965 zeigen. Mindestens 13 Häftlinge, denen die Mitwirkung am angeblichen kommunistischen Putschversuch von 1965 zur Last gelegt wurde, sitzen noch heute in Indonesiens Gefängnissen, einige von ihnen in Todeszellen. Schon aus humanitären Gründen müssen diese Leute nach 33 Jahren freigelassen werden. Sie müssen des weiteren Gelegenheit erhalten, erstmals ihre Version der Ereignisse von 1965 darzulegen, die möglicherweise ein anderes Licht auf Suhartos Machtergreifung wirft als die bislang einzig gültige offizielle Geschichtsschreibung.
Die Verantwortung Suhartos für die in Indonesien und Ost-Timor während der letzten drei Jahrzehnte begangenen Menschenrechtsverletzungen muß ebenso untersucht werden, wie die persönliche Bereicherung seiner Familie auf Kosten des Volkes. Ihr Vermögen muß offengelegt werden! Für den Neuaufbau einer Wirtschaft, die frei von Korruption und Vetternwirtschaft ist, ist es unabdingbar, die Ursachen der immensen Staatsverschuldung zu erforschen.
Im selben Sinne ist ein Prozeß, in dem sich Suharto für seine Verbrechen verantworten muß, keine Frage der „Rache“, sondern notwendige Vorbedingung einer politischen Kultur, die jeglicher Form von Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung eine Absage erteilt.
Mit dem von Suharto mißgestalteten Justizapparat Indonesiens läßt sich jedoch kein rechtsstaatliches Verfahren führen – auch nicht gegen den Ex-Diktator selbst. Eine weitere vordringliche Aufgabe einer zukünftigen Regierung muß es daher sein, die Grundlagen für eine freie und unabhängige Gerichtsbarkeit zu schaffen. Erst dann kann Schritt für Schritt das Unrecht all der Jahre seit 1965 aufgearbeitet werden. Nur eine konsequente Aufarbeitung wird es dem Volk ermöglichen, zwischen „Reformern“ und „Wendehälsen“ unterscheiden zu können.
In der nun beginnenden Post-Suharto-Ära drängen viele Probleme nach einer baldigen Lösung:
- die Wirtschaft muß neu reguliert werden, um die anhaltende Finanz- und Versorgungskrise zu überwinden,
- eine längst überfällige Landrechtsreform muß rasch angegangen werden, bevor sich – wie auf den Philippinen geschehen – die Leute desillusioniert von der Demokratie abwenden,
- der Raubbau an natürlichen Ressourcen, z.B. in Form der immer noch brennenden Regenwälder, muß umgehend gestoppt werden,
- die zentralistischen Kommandostrukturen müssen entflochten und die Rechte von Minderheiten gestärkt werden,
uvm. Keine Regierung ist um diese Aufgaben zu beneiden. Lösungsansätze haben nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie vom überwiegenden Teil der Bevölkerung mitgetragen werden können. Somit ist es unmöglich, daß die Übergangsregierung Habibie tragfähige Lösungen findet. Ihre einzige Aufgabe kann es daher nur sein, möglichst schnell den Weg für Neuwahlen zu ebnen, um eine demokratisch legitimierte Regie~ rung mit den genannten Aufgaben zu betrauen.
Zur Vorbereitung von Neuwahlen bedarf es neben der Außerkraftsetzung der restriktiven politischen Gesetze (5 UU Politik) der Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte. Das neue Kabinett Habibies ist alles andere als ein Abbild der gesellschaft~ lichen Pluralität Indonesiens. Wir fordern daher die umgehende Bildung eines „Runden Tisches“, an dem VertreterInnen der Opposition, der Studentenbewegung, der Religionsgemeinschaften, der Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen paritätisch beteiligt sind. Frauen sowie Vertreter der Regionen außerhalb Javas und der ethnischen Minderheiten müssen entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung mit an diesem Tisch sitzen.
Die Bundesregierung verweigerte monatelang jegliche Stellungnahme zu den Ereignissen in Indonesien. Als vor wenigen Wochen mehrere Oppositionelle entführt und gefoltert wurden, war aus Bonn kein Kommentar zu vernehmen. Als in Jakarta friedlich demonstrierende Studenten kaltblütig erschossen wurden schwieg Bonn. Kein Wort des Bedauerns unserer Regierung, nachdem mehrere hundert Menschen bei den folgenden Unruhen ums Leben kamen.
Die StudentInnen, die zur Durchsetzung ihrer Forderungen nach demokratischen Reformen die moralische Unterstützung des Auslandes erbeten hatten, fühlen sich von der deutschen Regierung betrogen. Erst vor wenigen Wochen gewährte Finanzminister Waigel dem bereits schwer angeschlagenen Regime Suharto noch einen dreistelligen Millionenbetrag an Hilfsgeldern. Eine Woche vor Suhartos Abdankung erklärte Außenminister Kinkel in der Tagesschau mit Blick auf Suharto: „Wir haben keine Veranlassung, uns von jemand abzuseilen, der im Moment in Not ist.“ Nachdem sich Kohl und Kinkel nun doch schweren Herzens von ihrem Freund Suharto trennen mußten, wäre es wohl zuviel verlangt, wenn sie nun gegenüber ihrem anderen langjährigen Freund Habibie kritischere Töne anschlagen sollten.
Das völlige Scheitern der deutschen Außenpolitik sollte auch Anlaß sein,
für die deutsche Wirtschaft, die durch die jüngsten Unruhen und Evakuierungsmaßnahmen immense Verluste in Kauf nehmen mußte und nun um ihre ehemaligen Kooperationspartner bangt, für die deutschen Experten und Angestellten, die vorerst keine berufliche Zukunft mehr in Indonesien sehen und für die deutschen Steuerzahler, die für die Millionen in Sand gesetzter Kredite, Hermes-Bürgschaften und anderer Hilfsgelder an das Suharto-Regime geradezustehen haben, sich ihre „Interessenvertreter“ in Zukunft etwas genauer anzuschauen.
Alex Flor, 2. Juni 1998