Information und Analyse

ICG: Jemaah Islamiyah in South East Asia: Damaged but Still Dangerous

Information und Analyse, 01. Oktober 2003

von Martin Huber

Lgo_icgAm 6. September erklärte der Vorsitzende der Nahdlatul Ulama (NU), Hasyim Muzadi, dass Jemaah Islamyia (JI) in Indonesien nicht existiere, womit er wohl nur die Meinung vieler Indonesier zum Ausdruck brachte. Im Gegensatz dazu lässt die Lektüre des neuen Berichtes der International Crisis Group (ICG), „Jemaah Islamiyah in South East Asia: Damaged but Still Dangerous“, keinen Zweifel daran, dass JI existiert und dass darüber hinaus klare Beziehungen von JI zu Al Qaida bestehen. Demnach ist JI sogar weitaus größer und verfügt über wesentlich mehr Zellen als bisher angenommen. Die Mitgliedschaft könnte in die Tausende gehen.

Sidney Jones, die Verfasserin des Berichtes, benutzte vor allem Verhörprotokolle, vertrauliche Interviews sowie das JI-interne Buch „General Guidelines for the Jemaah Islamiyah Struggle“ (Pedoman Umum Perjuangan al-Jamaah al-Islamiyah, PUPJI) von Abdullah Sungkar als Quellen für ihre Untersuchung. Im Folgenden gebe ich ein Resümee ihrer Hauptthesen. Alle Informationen stammen aus dem ICG-Bericht (eigene Kommentare in Klammern).

Eine zentrale Rolle innerhalb der Organisation kommt den Afghanistan-Veteranen zu. Nachdem Abdullah Sungkar und Abu Bakar Ba’asyir, die 1971 gemeinsam die Pondok Ngruki Pesantren in Solo gegründet hatten, 1985 ins Exil nach Malaysia fliehen mussten, entschieden sie sich dafür, den Krieg in Afghanistan zu unterstützen und auf diese Weise den bewaffneten Arm ihrer Bewegung auszubilden. Dem kam entgegen, dass Sungkar den Mujahedinführer Abdul Rasul Sayyaf offenbar gut kannte, der wiederum eng mit Osama bin Laden zusammenarbeitete.

Im Zeitraum von 1985-95 schickte Sungkar mehr als 200 Indonesier nach Afghanistan. Er bekam dabei finanzielle Unterstützung von saudischen Stiftungen, vor allem von der Rabitat al-Alam al- Islami (Muslim World League). Die erste Station der Indonesier war das „services centre“ (Maktab al-Khidmat) in Peshawar, das von niemand geringerem geleitet wurde als Abdullah Azzam, dem Mentor von Osama bin Laden. Von dort wurden die Rekruten ins Camp Saddah von Sayyaf geschickt.

Die Teilnahme an den Kämpfen gegen die sowjetischen Besatzer war jedoch nur zweitrangig. Sayyaf betonte schon damals, dass es wichtiger für die Kämpfer sei, den Jihad in ihre Heimatländer zu tragen (die Ironie dieser Aussage mag man ermessen, wenn man berücksichtigt, dass gerade Sayyaf massive Unterstützung von der CIA erfuhr; vgl. Robert Baer, Sleeping with the Devil, New York 2003, S.144). Dennoch gab es eine signifikante indonesische Beteiligung an der Schlacht von Jaji, der entscheidenden des Afghanistan-Krieges.

Die Strategie von Sungkar war von Anfang an darauf ausgerichtet, eine Elite von Kadern zu schaffen (der Islamismusexperte Olivier Roy hat in anderem Zusammenhang auf die Ähnlichkeiten von Islamismus und Leninismus hingewiesen): „Sungkar appears to have been highly selective about the first Indonesians he sent. Most were well-educated, several from prestigious colleges such as Gajah Mada University in Yogyakarta or the Surabaya Institute of Technology, and they were fluent in Arabic or English“ (ICG-Bericht, S.5).

Nur solche Veteranen, die durch die Lager von Sayyaf gegangen sind, wurden zu Mitgliedern der JI, als sie 1992 gegründet wurde. Zu diesem Zeitpunkt erlaubte Sayyaf der Gruppe auch, ein eigenes Camp in Torkham einzurichten.

Aufgrund der Kontakte, die JI-Aktivisten in Afghanistan zur Moro Islamic Liberation Front knüpften – außerdem war die Haj regelmäßiger Anlass für Treffen zwischen Sungkar und MILF Chef Salamat Hasyim -, erhielt JI die Erlaubnis, zunächst Camp Abu Bakar auf Mindanao zu nutzen und dann ein eigenes Lager (Camp Hudaibiyah) einzurichten. Von 1996 bis 2000 wurden dort weit mehr als 200 Kämpfer ausgebildet. Die Ausbildung war jedoch offen für andere Gruppen und auch die Auswahl der Rekruten wurde nicht mehr so streng gehandhabt. Teilweise, vor allem im Zusammenhang mit den Unruhen auf den Molukken, kam es sogar zur Zusammenarbeit mit Schlägern (preman), durch die Kontakte zum Militär hergestellt und Waffen beschafft werden konnten.

Neben den Afghanistan-Veteranen stellen Pesantrenschüler das Gros der Mitglieder von JI. Von den mehr als 14.000 registrierten Pesantren unterhält jedoch nur eine Handvoll direkte Beziehungen zur JI. 8.900 Pesantren stehen dem Salafismus nahe (wahrscheinlich aus saudischen Quellen finanziert, meines Erachtens eine bedrohliche Entwicklung für den traditionell so toleranten Islam in Indonesien und für das Ansehen der anderen Pesantren) – Sidney Jones spricht von der „JI Ivy Leage“, an erster Stelle Pesantren al-Mukmin/Pondok Ngruki, in Ngruki, Sukohardjo, Solo; außerdem Al-Muttaqien in Jepara und Dar us-Syahadah in Boyolali, Pesantren al-Islam in Lamongan, sowie die bereits geschlossene Lukmanul Hakiem in Johore. Von großer Bedeutung ist außerdem die Al-Ikhlas Foundation in Gading, Solo, die eine islamische Universität mit dem Namen Mahad Ali al-Ikhlas unterhält. Dort soll sich auch das Zentralkommando (markaziyah) der JI befunden haben. Kontakt zur JI haben außerdem das Hidayatullah Netzwerk von 127 Pesantren um die gleichnamige Schule in Gunung Tembak, Balikpapan, Ost-Kalimantan, sowie einzelne andere Pesantren.

Die Beziehung der JI zu Al Qaida geht über persönliche Kontakte und die Ähnlichkeit der Ideologie hinaus. Durch finanzielle Unterstützung wirkte Al Qaida direkt an Bombenanschlägen der JI mit. „One source familiar with JI described its relationship to al-Qaeda as similar to that of an NGO with a funding agency“ (ICG-Bericht, S.30). Sidney Jones betont jedoch, dass die Entscheidungen über konkrete Aktionen bei der JI blieb und auch ein Großteil der Finanzierung aus der Region selbst stammt.

Die Beziehung zur Al Qaida bestand im weiteren darin, dass im Verlagshaus Pustaka al-Alaq, das mit der Pondok Ngruki in Verbindung steht, viele der radikalen Schriften von Abdullah Azzam und auch von Mustafa Mashur, einem führenden Mitglied der ägyptischen Muslimbrüder, übersetzt und veröffentlicht wurden. Nach dem Tode von Sungkar 1999 nahm Abu Bakar Ba’asyir die Rolle des „amir“ in der streng hierarchischen Organisation der JI ein. Im Jahr 2002 soll ihn dann der Afghanistan-Veteran Thoriqudin alias Abu Rusdan abgelöst haben, der im April 2003 verhaftet wurde. Für die Planung der konkreten Aktionen soll jedoch das Zentralkommando zuständig gewesen sein und vor allem der militärische Chef Zulkarnaen, der sich noch immer auf freiem Fuß befindet.

Sidney Jones analysiert ausführlich, wie die Organisation durch ein Netzwerk von internen Heiraten zusammengehalten und gefestigt wurde, „that at times makes JI seem like one large extended family“. In dieser Hinsicht dürfte sich JI jedoch kaum von allen anderen sozialen Netzwerken in Indonesien unterscheiden. JI unterhält symbiotische Beziehungen zu anderen Organisationen mit gleicher Zielsetzung, an erster Stelle zu Darul Islam, aus der JI ja hervorgegangen ist und zu Wahdah Islamiyah und Laskar Jundullah in Süd-Sulawesi, die für die Bombenanschläge in Makassar vom 5. Dezember 2002 verantwortlich sind.

Als positiven Umstand weiß Sidney Jones noch zu berichten, dass in jüngster Zeit Friktionen und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Organisation festzustellen sind, vor allem nach dem Anschlag auf das Mariott-Hotel in Jakarta, bei dem nicht mehr „buleh“ (Weiße), sondern hauptsächlich Indonesier die Opfer waren.

Der Bericht enthält interessante Anhänge, so eine Liste der an Bombenanschlägen der JI Beteiligten, gekennzeichnet als Afghanistan-Veteranen oder Pesantrenschüler; eine Liste von 15 wichtigen Kadern der JI, die noch nicht festgenommen werden konnten; eine Liste der verschiedenen Jahrgänge der Absolventen der Terror-Akademie in Afghanistan, die später zur JI gegangen sind; und schließlich einen Index von 117 Personen aus dem Umfeld der JI, komplett mit Kurzbiographien. In diesen findet sich so manche interessante Information, z.B. dass Wan Min, der im September 2002 verhaftet wurde, nach eigener Aussage von dem geplanten Anschlag auf Bali wusste. (Daraus ergibt sich die Frage, ob durch ein rascheres Handeln der Behörden Bali hätte verhindert werden können.)

Ein anderes interessantes Detail ist, dass Abdullah Sungkar 1987 in Berlin war und auch gleich Anhänger gewonnen hat, nämlich Ferial „Ferry“ Muchlis, einen TFH Studenten, der jetzt in Malaysia einsitzt, und Edy Setiono, ebenfalls Student in Berlin, der sein Studium daraufhin in Afghanistan an der Seite Hambalis fortsetzte … und gestanden hat, in mehrere Bombenanschläge verwickelt zu sein.

Als einzigen Kritikpunkt kann man gegen die ansonsten ausgezeichnete Untersuchung vorbringen, dass die Gründe für das islamistische Engagement nicht untersucht werden, seien es nun soziologische oder psychologische. Wir erfahren, wer nach Afghanistan gegangen ist – ein ziemlich drastischer Schritt immerhin – aber wir erfahren nicht, warum. Es bleibt bei der Sicht „von außen“, die wirklichen Beweggründe und die Weltsicht werden nicht analysiert, wobei der ICG-Bericht allerdings hervorragendes Material für eine soziologische Analyse liefert.

Wichtig wäre es auch gewesen herauszustellen, dass diese neuen Islamisten kein wirkliches Konzept für den Aufbau einer Gesellschaft entwickeln – daher auch der Rekurs auf den Terror – weshalb Olivier Roy in bezug auf sie von „Neofundamentalismus“ spricht, wobei der Islam- und Indonesienspezialist Martin van Bruinessen darauf hingewiesen hat, dass es im indonesischen Fundamentalismus ein solch ausgearbeitetes Gesellschaftskonzept nie gab.

Die Studie lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Problem, das gerade durch die Toleranz aufgeworfen wird, die den indonesischen Islam doch auszeichnet: die Duldung, die so symphatischen Erscheinungen wie dem sufistischem Synkretismus entgegenbebracht wird, erstreckt sich genauso auch auf so erschreckende Phänomene wie die Ibn Taymiyya-Linie der Islaminterpretation. In den betroffenen Pesantren können die Demagogen ungehindert Kindern den Kopf verdrehen und später deren Loyalität für ihre üblen Machenschaften ausnutzen.

Aber der radikale Jihadismus ist eben nicht nur noch eine mögliche Interpretation, die beliebig neben allen anderen ihre Berechtigung hätte. „Keine Toleranz für die Feinde der Toleranz“ – wenn das Popper-Wort je seine Berechtigung hatte, dann hier.

 

International Crisis Group Asia Report N°63, 26 August 2003
http://www.intl-crisis-group.org/projects/showreport.cfm?reportid=1104


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