Jenseits des Rechts – Urteil gegen ehemaligen Gouverneur von Osttimor ist Rechtsbruch
14. August 2002
Mit Spannung hatte man auf das erste Urteil in den Menschenrechtsprozessen gewartet, die derzeit wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen, die 1999 in Osttimor begangen wurden, stattfinden. Menschenrechtsorganisationen, darunter auch Watch Indonesia!, bezweifelten von Anbeginn, dass Indonesiens Justiz die Fähigkeit und den notwendigen Willen für eine sachgerechte juristische Aufarbeitung dieser Verbrechen aufbringen würde. Die Forderung nach einem internationalen Tribunal, die auch von einer eigens eingerichteten UN-Untersuchungskommission nahegelegt wurde, fand jedoch international keine nennenswerte Unterstützung. Immerhin war der internationale Druck aber stark genug, um Indonesien dazu zu bewegen, ein nationales Ad-Hoc-Menschenrechtsgericht einzurichten und gegen eine Anzahl von Verdächtigen Anklage zu erheben.
Bereits in den Anklageschriften machte die Staatsanwalt jedoch deutlich, dass sie keineswegs dazu beitragen wollte, die Geschichte der fast 25 Jahre andauernden Gewaltherrschaft Indonesiens in Osttimor zu hinterfragen, die mit der Invasion durch indonesische Truppen 1975 ihren Anfang genommen hatte. Die Eskalation der Gewalt vor und nach dem Referendum 1999, die ohne jeden Zweifel vom indonesischen Militär geplant und mittels der vom Militär rekrutierten, finanzierten und ausgerüsteten Milizen begangen wurde, wurde von der Staatsanwaltschaft als bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung zwischen zwei verfeindeten Parteien dargestellt. Eine Interpretation, der das Gericht in seinem heute ergangenen ersten Urteil folgte.
Staatsanwaltschaft und Gericht waren sich bewusst, dass Freisprüche oder Verfahrenseinstellungen von der internationalen Gemeinschaft nicht ohne weiteres hingenommen würden. Zur Disposition steht unter anderem die Normalisierung der militärischen Beziehungen mit den USA. Andererseits sahen sich Anklage und Gericht unter dem Druck des Militärs und der nach wie vor starken nationalistischen Kräfte in der Politik des Landes, die nicht gewillt waren, den Prozessen mehr als eine rein kosmetische Bedeutung einzuräumen und möglicherweise „verdiente“ hochrangige Beamte und Militärs für Jahre hinter Gitter zu bringen. Zahlreiche Verfahrensmängel sind Zeugnis dieses Interessenkonfliktes
Das von der Staatsanwaltschaft für den ehemaligen Gouverneur Osttimors, José Abilio Osorio Soares, geforderte Strafmaß von 10 1/2 Jahren überstieg das gesetzliche Mindeststrafmaß um lediglich 6 Monate und kann daher übersetzt werden mit „wir befinden auf irgendwie schuldig“. Ein geringes bis mittleres Strafmaß, wie es bei der Urteilsfindung in anderen Prozessen oft als für Mittelweg, verhängt wurde, der es beiden Seiten erlaubt das Gesicht zu wahren, schien in diesem Fall aufgrund der gesetlichen Mindeststrafe von 10 Jahren Haft nicht möglich. Der „Schwarze Peter“ befand sich somit nun in den Händen des Gerichts.
Dass sich das Gericht mit seinem heutigen Urteil nun doch auf einen solchen Mittelweg eingelassen hat, grenzt an offenen Gesetzesbruch. Wenn es nach Recht und Gesetz gegangen wäre, hätte der Angeklagte entweder freigesprochen werden oder aber zu einer Haftstrafe von 10 Jahren oder mehr verurteilt werden müssen. Die Schwäche des gesamten Verfahrens offenbart sich somit anhand dieser Urteilsfindung
Wie es in der Begründung hieß, habe ein Brief des Präsidenten von Osttimor, Xanana Gusmão, zu dem milden Urteil beigetragen. Xanana hatte im Interesse gut nachbarschaftlicher Beziehungen zum großen Nachbarn Indonesien kürzlich das Gericht in einem Schreiben dazu aufgefordert, von einer harten Bestrafung des Angeklagten abzusehen. Als Osttimorese sei José Osorio Soares bereits zur genüge damit bestraft, jetzt im Exil leben zu müssen, erklärte der Präsident, der selbst von Indonesien zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war, von denen er 7 Jahre in einem Gefängnis in Jakarta absitzen musste, bevor er nach dem Referendum 1999 freigelassen wurde. Das Gericht folgte Xananas Argumentation und erklärte, ein hartes Urteil sei dem angestrebten Versöhnungsprozess nicht dienlich. Die Bildung einer zu diesem Zwecke vorgesehenen Wahrheitskommission lässt jedoch auf sich warten und deren Leitlinien zu bestimmen ist nicht Aufgabe des Gerichts. Man darf gespannt sein, welche mildernden Umstände das Gericht in den für morgen zu erwartenden Urteilen gegen nicht-timoresische Angeklagte, u.a. den ehemaligen Polizeichef Osttimors, Timbul Silaen, einräumen wird.
José Abilio Osorio Soares war keineswegs nur das kleine Rädchen im Getriebe, als das er sich darzustellen versuchte. Eine aktive Mitwirkung des Gouverneurs bei der Aufstellung der Milizen, die auf dem Hof seines Gouverneurspalastes in Dili vereidigt wurden, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit leicht zu beweisen gewesen, wenn die Behörden dies versucht hätten. Bereits vor der Invasion 1975 machte Soares als Führer der pro-indonesischen Splitterpartei APODETI von sich reden. Schon damals setzte der Hardliner auf Einschüchterung und Gewalt seitens pro-indonesischer Milizen (s. angehängte Quelle). Ein neutrales Verhalten Soares´ darf auch im Falle des Angriffs auf das Anwesen von Manuel Carrascalão bezweifelt werden, bei dem 1999 laut Anklage mindestens 12 Menschen getötet wurden, darunter Carrascalãos jüngster Sohn Manelito. Seine Einstellung zu Carrascalão und der von ihm geleiteten Organisation GRPRTT (Versöhnungsbewegung zur Einigung des osttimoresischen Volkes) machte Soares bereits 1997 – lange bevor ein Referendum über die Unabhängigkeit Osttimors auch nur in Erwägung gezogen wurde – deutlich. Damals erklärte Soares: „GRPRTT is a separatist organization, […] they have to be punished.“ (MateBEAN, 16.12.97).
Die Wahrheit ist auf der Strecke geblieben. Sie wurde der Abwägung politischer Interessen geopfert. Das Gericht hat es versäumt, die Verantwortung der Täter aufzudecken und auch nur den Versuch zu wagen, die bis in die Hauptstadt Jakarta zurückreichenden Befehlsketten offen zu legen. Für die Opfer der Gewalt in Osttimor ist dieses Urteil ein Schlag ins Gesicht. Gerechtigkeit haben sie dadurch nicht erfahren.
Anhang:
José Ramos-Horta on the role of José Osorio Soares and his APODETI party prior to the invasion by Indonesian troops in 1975:
„Associação Popular Democratica Timorense (APODETI) never had any popular appeal and was anything but democratic. APODETI was founded by Jose Osorio Soares. Its initial name was Associação para Integração de Timor na Indonesia (…) It brought together a „who is who“ of corrupt incompetents and marginals. (…) The intellectual force behind APODETI was José Osorio Soares, a Portuguese colonial official who had been fired over a rape charge. Moving to Dili, Osorio was given a minor administrative job and again fired after three years because of fraud. Osorio claimed to have been framed by the Portuguese authorities because of his pro-Indonesian sympathies. (…) On more than one occasion, Osorio told me, half serious, half joking: „I cannot understand you, Timor is going to be Indonesian wether you want it or not! You are killing yourself with all this bullshit for nothing.“ (…)
APODETI’s favorite tactic was intimidation. Rumors were planted that Indonesian warships were already landing troops somewhere on the island, and that anyone who opposed integration would be „disposed of“. The campaign was not only limited to rumors. APODETI began recruiting Timorese along the border with Indonesian West Timor for military training in Atambua. Sent back to East Timor, they began to burn houses, kill at random, and coerce people to move to West Timor. This was part of a calculated campaign by Jakarta.“
from: José Ramos-Horta, FUNU – the unfinished saga of East Timor, 1987, p.32,33 <>