Die Rolle des Militärs in den Parlamentswahlen, mit besonderer Beachtung der militärischen Präsidentschaftskandidaten
28. Mai 2004
Beitrag von Dr. Ingo Wandelt
Südostasienwissenschaftler, Experte zu Sicherheit und Militär Indonesiens, Hürth
Kontakt: ingo.wandelt@t-online.de
auf der Veranstaltung:
2004 – Das Wahljahr in Indonesien, Ergebnisse der Parlamentswahlen und Vorschau auf die Präsidentschaftswahlen, Donnerstag, den 13. Mai, 20:00 Uhr, Carl Duisberg Centren / CDC, Köln, Veranstalter: Deutsch-Indonesische Gesellschaft e.V., Köln, in Zusammenarbeit mit dem Asienhaus Essen
Nachträglich ausformuliertes Redemanuskript zur Veranstaltung
Wenn in einigen Wochen die am 5. April 2004 durch eine allgemeine Wahl (Pemilihan Umum, abgekürzt „Pemilu“) gewählten indonesischen legislativen Institutionen zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammentreten, werden unter ihnen keine Abgeordneten aus den Reihen von Streitkräften und Polizei mehr vertreten sein. Damit endet eine lange undemokratische Tradition der indonesischen Volksrepräsentanz, die seit der Ausrufung der „Gelenkten Demokratie“ (Demokrasi Terpimpin) im Jahr 1959 gesetzlich festgelegte, aber nicht durch freie Wahlen bestimmte Kontingente von Vertretern der Sicherheitskräfte in den Volksvertretungen Indonesiens gesehen hat. Dieser Rückzug aus den Parlamenten, den sich die Streit- und Sicherheitskräften ab 2000 selbst verordnet hatten, bedarf jedoch der Kontrastierung durch die Tatsache, dass für die beiden anstehenden Runden der Präsidentschaftswahlen am 5. Juli und 20. September 2004, bei denen erstmals das Volk die Möglichkeit zur demokratischen Wahl ihres Regierungschefs und Staatspräsidenten (dem Presiden) und seinem Stellvertreter (dem Wakil Presiden) hat, von den insgesamt zehn Bewerbern sich drei aus den Streitkräften rekrutieren. Die fünf für die Präsidentschaft (linke Spalte) und Vizepräsidentschaft antretenden Bewerberpaare sind:
General (i.R.) Susilo Bambang Yudhoyono – Jusuf Kalla
General (i.R.) Wiranto – Solahuddin Wahid
Megawati Sukarnoputri – Hasyim Muzadi
Amien Rais – Siswono Yudo Husodo
Hamzah Haz – Generalleutnant (i.R.) Agum Gumelar
Die drei Kandidaten aus den Reihen der Streitkräfte haben in ihren militärischen Karrieren bereits Führungspositionen inne gehabt und weisen politische Erfahrungen in führenden politischen Ämtern aus. Hier kurzgefasst einige biografische Angaben zur Person und ihren Karrieren:
General (i.R.) Susilo Bambang Yudhoyono (sein Name wird häufig abgekürzt zu „SBY“), geboren am 9. September 1949 in Pacitan, Ostjava, in einer militärischen Familie. Militärakademie-Abgangsjahrgang 1973, verheiratet mit Kristani Herawati (dritte Tochter des Heeresgenerals Sarwo Edhie Wibowo, der als Kommandeur der Heeresfallschirmjäger RPKAD in den Jahren 1966 und 1967 zu trauriger Berühmtheit gelangte durch die von ihm geführte Massenverfolgung und Vernichtung von Anhängern der Kommunistischen Partei Indonesiens, PKI), zwei Kinder. Ausgebildeter Truppenkommandeur der Kostrad (das Strategische Heeresreservekommando), Einsätze in Osttimor, zahlreiche militärische Ausbildungen in den USA, höchste militärische Position 1997 – 1999 als Kassospol / Kaster (Chef des sozio-politischen Stabes der Streitkräfte, 1999 umbenannt zu Territorialstab der Streitkräfte), Menko Polkam (Koordinierungsminister für Politik und Sicherheit, das höchste Ministeramt für staatliche Sicherheit) in den Regierungen Abdurrahman Wahid und Megawati Sukarnoputri. Nominiert für die Präsidentschaftskandidatur durch die Partai Demokrat, einer speziell für ihn aufgebauten Partei.
General (i.R.) Wiranto, geboren am 7. April 1947 in Yogyakarta, Zentraljava, in einer militärischen Familie. Militärakademie-Abgangsjahrgang 1968. Verheiratet mit Rugaiya Usman, drei Kinder. Ausgebildeter Truppenkommandeur, der hohe militärische Führungspositionen inne gehabt hat. So u.a. persönlicher Militäradjutant des Präsidenten Suharto (1989-1993), Befehlshaber des Territorialkommandos Jakarta (1993-1994), Befehlshaber der Kostrad (1996-1997), Befehlshaber der Streitkräfte und Verteidigungsminister im letzten Kabinett Suharto (1998) und im Kabinett Habibie (1999); Menko Polkam im Kabinett Abdurrahman Wahid (1999 – 2000). In außerdienstlichen Ämtern war er Vorsitzender der nationalen Vereinigungen für Bridge und Karate. Aufgestellt für die Präsidentschaftskandidatur durch die Partai Golkar.
Generalleutnant (i.R.) Agum Gumelar, geboren am 17. Dezember 1945 in Tasikmalaya, Westjava. Verheiratet mit Linda Amaliasari (Tochter des ehemaligen Ministers für Post und Telekommunikation Achmad Tahir), zwei Kinder. Militärakademie-Abgangsjahrgang 1968 (Klassenkamerad von Wiranto). Erfolgreiche Militärkarriere in verschiedenen Aufgabenbereichen mit Einsätzen im militärischen Nachrichtendienst, Kommandeur von mehreren Territorialkommandos und der Kopassus (Spezialkräfte des Heeres, 1993-1994). Minister für Verkehr und Telekommunikation im Kabinett Abdurrahman Wahid, kurzzeitig Menko Polkam und Verteidigungsminister, im Kabinett Megawati als Verkehrsminister tätig. Zahlreiche Ehrenämter im nationalen Sport (Fußball) und in Vereinigungen pensionierter Militärangehöriger. Kandidat für die Vizepräsidentschaft als Partner von Hamzah Haz, dem Vorsitzenden der PPP (Partai Persatuan Pembangunan).
Die drei Präsidentschaftskandidaten mit militärischen Hintergrund sind sog. purnawirawan oder pensionierte Militärangehörige. Wiranto und Agum Gumelar sind mit Erreichen der Dienstaltersgrenze von 55 Jahren aus dem aktiven Dienst ausgeschieden, während SBY, der die Altersgrenze noch nicht erreicht hat, mit Übernahme der Position des Menko Polkam am 11. November 2000 nach den geltenden Bestimmungen des Sicherheitsgesetzes des Jahres 2000 die Streitkräfte verlassen hat.
Die purnawirawan
Die indonesischen Streitkräfte – ab 1966 mit der Bezeichnung ABRI (Angkatan Bersenjata Republik Indonesia), bestehend aus Heer, Marine, Luftwaffe und Polizei, seit April 1999 nach organisatorischer Ausgrenzung der Polizei (Polri, Kepolisian Republik Indonesia) umbenannt zu TNI (Tentara Nasional Indonesia, „Indonesische Nationalarmee“) – weisen eine Besonderheit auf, die bisher kaum eine besondere politische Aufmerksamkeit verlangte: Die Institution der Offiziere und Generäle im Ruhestand, die sog. purnawirawan (wörtlich ungefähr „Nachdienstler“). Die Basis dieser Einrichtung ist das Prinzip, dass ein Offizier und General der militärischen Sicherheitskräfte (1) mit der Beendigung seines aktiven Dienstes nicht wirklich aus den Streitkräften ausscheidet, sondern in seinem zivilen Leben außerhalb der Truppe post-service duties (nachdienstliche Verpflichtungen) für seine militärische Gemeinschaft übernimmt und deshalb niemals wirklich seinen Dienst quittieren kann. Er bleibt sein Leben lang ein loyales Mitglied der Streitkräfte. In seinem nachdienstlichen Leben übernimmt der einzelne purnawirawan die Position, die ihm entsprechend seines letzten Dienstgrades zukommt. In der militärischen Ruhestandshierarchie ist also ein pensionierter General mit vier Sternen einem Generalleutnant (mit drei Sternen), einem Generalmajor (zwei Sterne) und einem Brigadegeneral (ein Stern) vorgesetzt. Diese Dienstgradhierarchie bezieht auch die Ehefrau des Pensionärs in der parallelen Ehefrauenhierarchie der purnawirawan ein, was ein Prinzip in der aktiven militärischen Diensthierarchie fortführt und so beschrieben werden kann: Die Ehefrau des Kommandeurs, „Frau Kommandeur“, steht den Ehefrauen der Stabsoffiziere ihres Mannes in einem außerdienstlichen Sinne vor, und sie übernimmt in für die Frauen reservierten Aufgaben die Kommandoverantwortung. Frauen von Offizieren ist z.B. die soziale Ausgestaltung von militärischen Zeremonien und Feierlichkeiten vorbehalten, auf denen ihre Männer in militärischen Funktionen auftreten. Auch die Kinder von aktiven und ausgeschiedenen Militärangehörigen gehören zur „Großen Familie der Streitkräfte“, auch wenn sie nicht oder noch nicht gedient haben. Dieses Selbstverständnis der Streitkräfte als einer Großfamilie (keluarga besar), die alle originären Bindungen ihrer Mitglieder wie ethnische, soziale und religiöse Herkunft übersteigt, ist in vielfältigen Organisationsformen der Keluarga Besar TNI (bis 1999 Keluarga Besar ABRI) manifestiert. Die purnawirawan sind in einer fast unüberschaubaren Vielzahl von Organisationen organisiert, von denen die Pepabri (Persatuan Purnawirawan Angkatan Bersenjata Republik Indonesia, „Vereinigung der purnawirawan der Streitkräfte Indonesiens) die größte ist und so etwas wie einen Dachverband darstellt. Die Ehefrauen der purnawirawan sind u.a. in der Perip (Persatuan Istri Purnawirawan TNI/Polri, „Vereinigung der Ehefrauen der purnawirawan von TNI und Polizei) zusammengefasst, der zur Zeit Linda Agum Gumelar, die Ehefrau von Agum Gumelar, vorsteht. Der größte und finanziell potenteste Verband der Kinder von ex-Militärangehörigen ist das FKPPI (Forum Komunikasi Putra-putri Purnawirawan TNI/Polri, das „Kommunikationsforum der Söhne und Töchter der purnawirawan der Streitkräfte und Polizei“). Ein führendes Mitglied der FKPPI ist z.B. der Zivilist Surya Paloh, einer der größten Medienmogule des Landes. Er war niemals ein aktives Mitglied der Streitkräfte, gehörte aber zu den Begründern der FKPPI. Im April dieses Jahres war er einer der fünf für die parteiinterne Wahl des Präsidentschaftskandidaten, aus der Wiranto siegreich hervorging. Surya Paloh ist somit keineswegs ein Zivilist ohne militärische Beziehungen. Ganz im Gegenteil gehört er zu den „zivilen“ Militärangehörigen der Großen Familie der indonesischen Streitkräfte.
Die purnawirawan-Organisationen dürfen jedoch nicht als ein homogener Block verstanden werden. Abgesehen von den großen Einrichtungen besteht eine verwirrende Vielzahl von kleinen, um Führungspersönlichkeiten, Gruppenloyalitäten, Funktionen und Interessen herum aufgebauten Organisationen, die oft als informelle forum komunikasi („Kommunikationsforen“) gegründet und wieder aufgegeben werden. Die großen Organisationen hingegen gelten als Ormas („Gesellschaftliche Organisationen“) und werden von den Streitkräften als ihr onderbouw (Niederländisch für „Unterbau“) bezeichnet. Sie besitzen Zugriff auf Gelder und Finanzen, die ihnen ein hohes Maß an Einfluss auf die Streitkräfte und die Staatspolitik gewähren. Ihr politischer Einfluss war historisch immer den äußeren Gegebenheiten angepasst. Ursprünglich als Veteranenorganisationen gegründet für die materielle Altersversorgung der Pensionäre, wurden sie in der Suharto-Zeit eng mit der Staatspartei Golkar verwoben. Die politisch-organisatorische Symbiose mit der damaligen Staatspartei zerbrach nach dem Abgang Suhartos, hat sich aber in den letzten Jahren zu revitalisieren vermocht. Heute können die Pensionärsorganisationen, obgleich nominell parteipolitisch unabhängig, als ein gesellschaftlicher militärpolitischer Arm der Partai Golkar gelten. Die einzelnen Mitglieder der Organisationen bringen ihre vielfältigen sozialen Beziehungen zu zivilen Organisationen und Gruppen in der Gesellschaft mit ein. So sind purnawirawan von Wirtschaft bis hin zu Kunst und Sport in führenden Ämtern und Funktionen präsent und tragen ihren Teil zur Verankerung des Militärs in der Gesellschaft bei.
Auch die politischen Spitze haben purnawirawan erfolgreich für sich erschließen können. Beginnend mit dem Jahr 2001, in dem neue gesetzliche Bestimmungen den aktiven Generälen eine politische Aktivität zu untersagen begannen, traten ganze Gruppen von pensionierten Generälen in Gruppen in inszenierten Masseneintritten in die großen politischen Parteien ein, von deren Führungen sie im Zeichen der gegenseitigen Nützlichkeit freudig aufgenommen wurden.
Die Zeitung Kompas quantifizierte am 5. Februar 2004 die legislativen Kandidaten (Caleg) mit purnawirawan-Status für die anstehenden Parlamentswahlen am 5. April:
Generäle (3), Generalleutnante (6), Generalmajore (28), Brigadegeneräle (10), Oberste (0), Oberstleutnante (2); Die Partei PKP (Partai Keadilan dan Persatuan) des ehemaligen Viersterne-Generals Edy Sudrajat darf de facto als reine purnawirawan-Partei gelten. Sie führt in ihren Kandidatenlisten mit 23 purnawirawan den höchsten Anteil aller Parteien an pensionierten Generälen auf und hat am 18. Mai SBY ihre Unterstützung erklärt. General i.R. Edy Sudrajat wurde in die Wahlkampfleitung Susilos berufen.
Obgleich der den indonesischen purnawirawan vergleichbare Strukturen und Organisationen in fast allen Streitkräften dieser Welt vorzufinden sind, liegt die Besonderheit des indonesischen Falles im Prinzip der Keluarga Besar, die jedem ihrer Angehörigen, gleich ob Vater, Ehefrau oder Kind, die oberste und lebenslange Loyalität zu den Streitkräften als ihrer originären Identität in Staat und Gesellschaft abverlangt, und die eben deshalb nicht den Staatsbürger in Uniform idealisiert, sondern den Uniformträger und Militärangehörigen als Akteur im Staat. Die indonesischen purnawirawan sind hoch politische Hintergrundakteure ihrer Großfamilie.Keine unbekannten Kandidaten
Wie die neuere indonesische Geschichte im Rückblick zeigt, begann der Fall des Präsidialdiktators Suharto mit dem politischen Aufstieg von Megawati Sukarnoputri, einer Tochter des Staatsgründers und ersten Präsidenten Indonesiens, Sukarno. Als 1993 eben jene Megawati die Führung der PDI (Partai Demokrasi Indonesia) übernahm und binnen kurzer Zeit einen so erheblichen politischen Einfluss gewann, dass das Regime sich 1996 genötigt sah, sie mit Gewalt aus ihrer Position zu entfernen, war es eine Fraktion der Streitkräfte, die das baldige Ende Suhartos gekommen sah.
Es waren dies der Kreis der als Fraksi Merah Putih (die „rot-weiße Fraktion“) bezeichneten Generäle um den vormaligen Armeebefehlshaber „Benny“ Murdani (1983-1988), die in den Streitkräften künftiges Führungspersonal für eine Armee der nach-Suharto Zeit zu fördern und aufzubauen begannen. Ab 1996 bis kurz vor dem Sturz Suhartos im Mai 1998 kursierten in Armee und Golkar die Namen der Pendawa Lima („die Fünf Pandawa“) in den Streitkräften, benannt nach den Heldenbrüdern im indo-javanischen Epos Mahabharata, welche nach dem Abgang Suhartos und in enger Anlehnung an Megawati, die Streitkräfte wieder zu altem Glanz führen sollten. Folgende fünf Persönlichkeiten wurden damals als Pendawa Lima identifiziert:
- Generalmajor Susilo Bambang Yudhoyono: der “Politikgeneral” und strategische Kopf.
- Generalmajor Abdullah Makhmud Hendroporiyono: der führende Kopf im Nachrichtendienst und Führungsperson für verdeckte sicherheitspolitische Aufträge.
- General Wiranto: der Senior, Truppenkommandeur (Befehlshaber des Militärs) und der Vertraute Suhartos mit direktem Zugang zur Macht.
- Generalleutnant Agum Gumelar: Der „Springer“ mit Nachrichtendiensterfahrung und dem Stallgeruch der special forces (Kopassus), und ein Kontrahent des Suharto-Schwiegersohnes und Kopassus-Mannes Prabowo Subianto.
- Generalmajor Farid Zainuddin: Chef des militärischen Nachrichtendienstes BIA (1996-1997)
Vier von ihnen ist nach Suhartos Rücktritt der Aufstieg in die politische Führung gelungen. Hendropriyono wurde 2001 von Megawati zum Chef des staatlichen Nachrichtendienstes BIN (Badan Intelijen Negara) im Range eines Kabinettsministers erhoben. Allein Farid Zainuddin wurde 1997 das Opfer der rivalisierenden Fraksi Hijau („Fraktion grün“) im Militär, der Generäle mit islamischer Ausrichtung. Seine Karriere versank in der Bedeutungslosigkeit.
Der Aufstieg der letztlich vier Pendawa lässt auf einflussreiche Förderer schließen, denen an ihrer langfristig angelegten Karriereführung an die politische Spitze des Staates gelegen war. Mit einiger Wahrscheinlichkeit würden wir diese Förderer in den Kreisen der merah-putih Fraktion vermuten. Der Fraktion innerhalb der militärischen Führung, die zur Zeit als dominant gelten kann. Aber obwohl drei der ehemaligen Pendawa Lima vor dem Sprung an die Staatsspitze stehen, lässt ihre gemeinsame Kandidatur zwei Folgerungen zu:
- Waren die Pendawa vor zehn Jahren angetreten für die Regelung der post-Suharto Nachfolge zugunsten von Megawati, so streben sie heute die Megawati-Nachfolge an.
- Sie treten heute als Konkurrenten an und vertreten ihre jeweiligen Interessen- und Machtgruppen. Die Einheit der Pendawa Lima darf nach dem jetzigen Kenntnisstand als zerbrochen gelten. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Wahlverlierer nach Gewinn der Wahl durch einen ihrer Bewerber in seinem Ministerkabinett wiederfinden werden.
Alle drei Kandidaten haben sich seit langem auf ihre politische Karriere vorbereitet. Sie haben deshalb zu lange den direkten Kontakt zu den Kommandeuren und Offizieren in den Stäben verloren, um ausschließlich als Kandidaten des (aktiven) Militärs gelten zu können. Aber zweifellos sind sie Kandidaten, die ihre abgeschlossene militärische Karriere aktiv in ihre Kandidatur einbringen.
Die Wahlen und das Militär
Die Streitkräfte verordneten sich eine strikte politische Ungebundenheit und Neutralität und verboten ihren aktiven Mitgliedern qua Befehl die Inanspruchnahme des aktiven und passiven Wahlrechts. Damit folgten sie den Bestimmungen des geltenden Wahlgesetzes, welche es aktiven Mitgliedern der Streitkräfte und der Polizei untersagte, als Kandidaten aufzutreten, am Wahlkampf teilzunehmen und ihr Wahlrecht auszuüben.(2)
Das Verständnis der Streitkräfte von der Demokratie wurde in einer Vielzahl von Äußerungen durch den Chef des Heeresstabes, General Ryamizard Ryacudu, dargelegt. Er begreift die junge Demokratie Indonesiens als ein Schlachtfeld, auf dem zivile politische „Heerführer“ ihre parteipolitischen Truppen in eine Schlacht aller gegen alle führen und in der die TNI um jeden Preis nicht zu einem politischen Instrument degradiert werden will. Der demokratischen Prozess stellt in den Augen Ryamizards eine akute Gefährdung des inneren Zusammenhalts der TNI dar, der sie durch weitest mögliche Distanzierung zu entziehen hat. Die Armee als demokratiekritischer Distanzbeobachter soll kein Feind der Demokratie sein, worauf Ryamizard immer wieder verweist. Jedoch schließt diese Positionierung des Militärs nicht ein politisches Veto seitens der Streitkräfte aus, sollte der Schlachtencharakter der Demokratie in Zukunft in ihren Augen einmal Überhand nehmen.
Die Neutralität der Streitkräfte gilt nur für das aktive Militär- und Polizeipersonal, nicht für die Pensionäre. Sie besitzen weiterhin das aktive und passive Wahlrecht und begannen es zu nutzen. Kaum waren Anfang Mai die Kandidaturen der militärischen Präsidentschaftsbewerber bekannt, wurde in kritischen Teilen der Gesellschaft die Gefahr eines neuen „militerisme“ beschworen. Erst später (mehr als eine Woche nach Halten dieses Vortrages) wurde in der nationalen und internationalen Presse das Phänomen der purnawirawan als einer politischen Kraft erkannt und in ersten Ansätzen analysiert. Welche unmittelbaren und mittelbaren Gefahren der jungen Demokratie durch Präsidialkandidaten mit purnawirawan-Status drohen könnten, ist zur Zeit noch wenig spezifiziert verbalisiert worden. Das demokratische Bedrohungsspektrum eines militerisme hat bisher nur vage in einem Spektrum Visualisierung gefunden, das von der politischen Instrumentalisierung militärischer Sekundärtugenden wie den Prinzipien von Befehl, Gehorsam und soldatischer Disziplin im Zeichen eines neuen Autoritarismus, bis zur Revitalisierung der Neuen Ordnung, ihrer Kräfte und Strukturen als einer neuen Form von Militärherrschaft im demokratischen Gewand reicht.
Welche langfristigen Folgen eine durch pensionierte Militärpolitikakteure geleitete Remilitarisierung auf Staat und Gesellschaft Indonesiens haben wird, ist im Moment noch nicht prognostizierbar. Ein langfristiger Begleitfaktor in der Führung des Militärs selbst muss jedoch hinzugezogen werden, wenn auch in diesem Rahmen nur kurz auf ihn eingegangen werden kann. Dieser Faktor ist der anstehende Generationenwechsel in den Führungsstäben der Streitkräfte.
Eine neue Generation militärischer Führer
General i.R. Susilo Bambang Yudhoyono (SBY) als Absolvent der Jahrgangsklasse 1973 der Militärakademie in Magelang (Zentraljava) steht für eine neue Generation militärischer Führer der indonesischen Streitkräfte, die in ihrer Ausbildung und Karriere nur die Zeit der Neuen Ordnung unter dem General i.R. Suharto kennen. SBY wurde junger Kadett, als der aus dem Dienst ausgeschiedene General Suharto 1969 die ersten Wahlen unter den Bedingungen der Neuen Ordnung ausrichten ließ und damit ein Wahlverfahren installierte, dass ihn in den folgenden dreißig Jahren immer wieder zum Präsidenten bestimmen sollte. Susilos Junioren an der Militärakademie, die Absolventen der Jahrgangsklassen von 1974 und 1975, haben mit Ryamizard Ryacudu (1974) und Djoko Santoso (1975) bereits die Positionen des Chefs und des stellvertretenden Chefs des Heeresstabes eingenommen. Ihre Junioren haben bereits Dienstgrade von Brigadegenerälen und Obersten erreicht, und sie werden in drei bis vier Jahren ihrerseits ihre Senioren der Generationen von 74 und 75 in den Ruhestand verabschieden. Was Indonesien von diesen neuen Generationen von Offizieren erwarten kann, die nur die Neue Ordnung kennen und deren Persönlichkeiten in den militärpädagogisch Einrichtungen der Suharto-Zeit geformt worden sind, sind offene Fragen. Werden sie vergleichbar politisch sein wie ihre Vorgänger? Werden sie Demokraten sein, oder werden sie die Zeit zurückzudrehen trachten? Es ist aber bereits heute eine unabwendbare historische Realität, dass die militärischen Kinder Suhartos das Militär – ihr Militär – in die zweite Phase der jungen Demokratie führen werden.
Die Kandidaten und die Zukunft Indonesiens
Allein der im September bei der zweiten Stichwahl öffentlich gewählte Kandidat wird die Ausblicke auf die kurz- und mittelfristig zu erwartenden Entwicklungen Indonesiens erlauben. Ein Blick auf die Charaktere der Kandidaten als Politiker ist deshalb sinnvoll. Jedoch zeigen alle drei kein eigenständiges Politikprofil. Wie bereits bei den Legislativwahlen vom April dominieren Image, Emotionen und Versprechungen über politische Inhalte.
Susilo Bambang Yudhoyono tritt an mit dem Image des erfahrenen Politikers und Staatsmannes. Er weiß die von finanziell potenten, aber unbekannt gehaltenen Gönnern und Finanziers aufgebaute Wahlmaschine der Partai Demokrat hinter sich – der ersten ein-Persönlichkeits-Parteien der jüngeren Geschichte des Landes. Er ist die momentan perfekte Kreuzung aus Zivilpolitiker und, in einem positiven Sinne, Militär. Er kann auf perfekte Imageberater zurückgreifen, die ihm kultur- und zielgruppenspezifisches Auftreten nahe gebracht haben: vor Indonesiern erscheint er hölzern, aber wohltuend zurückhaltend, selbstbewusst aber nicht arrogant. Gerade so, wie es sein Publikum von Militärs der Suharto-Zeit gewohnt sind: Sein Aussehen ist attraktiv und strahlt physische Fitness aus, was seinen potentiellen Wähler ein Vertrauen auf eine ausreichend lange Präsidentschaft vermittelt. Ihm werden seit langem die besten Wahlchancen attestiert.
Vor ausländischem Publikum lässt er seine Kenntnisse des Englischen glänzen, gibt sich als der gut zuhörende, dem Westen verständnisvoll zugeneigte professional für Sicherheit, der das von ihm erwartete Wort findet und ausspricht. Nicht zuletzt dieses Image im Kontrast zu seinen direkten Konkurrenten macht ihn zum Hoffnungsträger des Auslands.
Seine Schwächen sind ein seinem Image konträr entgegenstehendes zögerliches Handeln in vielen Phasen seiner militärischen und politischen Laufbahn. Er zeigte sich inkonsequent, als er im Dezember 2002 für die Regierung und die Streitkräfte Waffenstillstandsverhandlungen mit der GAM vereinbarte, um in den folgenden vier Monaten schweigend das mediale Bombardement der Informationsstellen des Heeres geschehen zu lassen, um im Mai 2003 der größten Militäroperation der TNI, der „Integrierten Operation“ in Aceh zuzustimmen. Auch in den von ihm eingeleiteten und getragenen Schritten zu Frieden in Poso (Zentralsulawesi) und Ambon (Molukken) verschwand er von der Bühne der politischen Entscheidungen, als die Gewalt wieder Oberhand gewann und andere an seiner Stelle für Maßnahmen zur Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden treffen mussten. Bei den Bruchlinien zwischen Gewalt und Frieden blieb er ohne festen Standpunkt, ein Mann des Sowohl-als-auch, der erst die politische Windrichtung abzuwarten schien, bevor er seinen politischen Kurs setzte.Auch seine Militärkarriere ist nicht ohne dunkle Flecken. Er war in seinen jungen Jahren in Osttimor als Kommandeur verantwortlich aktiv, obgleich es unbekannt geblieben ist, für welche Aktionen er damals konkrete Verantwortung getragen hat. Seine bis heute ungeklärte Rolle als Chef des Wehrbereichsstabes Jakarta im Jahr 1996, als die Erstürmung der Zentrale der PDI durch verdeckt vom Militär geführte Banden von Kriminellen zur Entmachtung Megawatis innerhalb der PDI führte, macht ihn für viele Angehörige und Sympathisanten der Partei suspekt.
Fazit: SBY ist das mediale Produkt einer gut geölten Wahlmaschine, das als Hoffnung für eine bessere politische Zukunft präsentiert wird. Seine politische Persönlichkeit ist aber eine weitestgehend unbekannte Größe.
Wiranto ist der Kandidat des trotzigen Nationalstolzes. Auf den ersten Blick überwiegen seine politischen Defizite: Wie kaum ein anderer personifiziert er die Gewalt und das Chaos der letzten Jahre der Suharto-Zeit. Er trug die Verantwortung für die Sicherheit Osttimors im Jahre 1999, als nach dem Referendum für die Unabhängigkeit die von Jakarta verdeckt geführte osttimoresischen Milizen den damals noch zu Indonesien gehörigen Landesteil im Chaos versinken ließen und Tausende von Osttimoresen mit Waffengewalt über die Grenze nach Westtimor zwangen. Er war der Befehlshaber der Streitkräfte, als im Mai 1998 Jakarta gebrandschatzt wurde und mehr als Tausend Menschen der Gewalt zum Opfer fielen. Die Ordnungskräfte waren nicht präsent, als Hunderte von chinesisch-stämmigen Frauen Opfer von Massenvergewaltigungen wurden. Seine Verantwortung für das Vorgefallene, für seine Unterlassungen hat er nie bekundet, Fehler niemals eingestanden und jegliche Schuldzuweisungen mit dem selbstgefälligen Gestus des von der Richtigkeit seines Tuns überzeugten Militärführers zurückgewiesen.
Für seine Befürworter steht Wiranto für die gute alte Zeit, die nicht nur von einem zunehmend idealisierten Suharto verkörpert wird. Wiranto ist für sie der altjavanische Ritter, der ksatriya, dessen Ehre durch seine Taten für seine schutzbefohlene Gemeinschaft erwächst und durch tadelnswerten Aktivitäten nicht ernsthaft diskreditiert werden können. Die wahre Persönlichkeit eines Ritters zeigt sich in dem, was er für seine Familie (die Streitkräfte) und die seinem Schutz unterstellten Personen (wie Suharto nach dessen Rücktritt) getan hat, und nicht in dem, was er im Verfolgen dieser einzig tugendhaften Taten seinen Feinden zugefügt hat. Die Macht Wirantos im gegenwärtigen Indonesien zeigt sich an der Folgenlosigkeit, mit der auch ernsthafte internationale Beschuldigungen – wie der Antrag auf einen internationalen Haftbefehl durch die Staatsanwaltschaft Osttimors – an ihm abprallen. Er kann immer auf Unterstützer setzen, die sich für ihn einsetzen. Zu denen zählt auch die Präsidentin Megawati, die beim Präsidenten Osttimors, Xanana Gusmão um Aufhebung des Haftbefehls bat. Wiranto erfährt mittlerweile auch die offene Unterstützung durch die Familie des vormals ersten Mannes im Staate, Suharto. Was sein Prestige nicht mindert. Ganz im Gegenteil.
Wirantos Image ist auch das eines Edelmannes javanischer Prägung, eines Sängers und Entertainers mit Talent zum socialising, der zugleich ein erfahrener Mann der Macht und der ewig von missliebigen Intriganten und Neidern hintergangene edle Kommandeur ist, der nur Gutes wollte und es auch immer tat.
Fazit: Wiranto ist eine selbstgerechte Figur der Zeit der alten Strukturen der Macht. Er arbeitet mit polarisierenden Emotionen und ist international eine Belastung, was ihm bei der gegebenen Abhängigkeit Indonesiens vom Ausland letztendlich die Präsidentschaft verwehren kann.
Agum Gumelar ist ein Periphärakteur, der lange Zeit als Kandidat für die Vizepräsidentschaft gehandelt wurde. So galt er noch im Februar als möglicher Partner von Megawati. In letzter Konsequenz hat er aber nur beim amtierenden Vizepräsidenten, Hamzah Haz, eine Kandidatur erhalten können. Sein realistisches Ziel kann nur ein Ministeramt im kommenden Kabinett sein, wofür er sich z.B. als Nachfolger des Nachrichtendienstchefs Hendropriyono anbietet. Seine zentrale Stellung unter den purnawirawan machen ihn jedoch zu einem unverzichtbaren Partner für jeden Präsidenten.
Eine vorläufige zusammenfassende Bewertung
Indonesiens unmittelbare politische Zukunft wird in einem erheblichen Maß von den Streitkräften geprägt sein, wobei die purnawirawan als neue Akteure im politischen Vordergrund (als Präsidentschaftskandidaten), aber auch als Hintergrundakteure der Beachtung bedürfen. Das Militär als neu erstarkter politischer (Veto-?)Akteur muss in seiner umfassenden Komplexität als Keluarga Besar TNI begriffen werden.
Hürth, den 21. Mai 2004
Anmerkungen
(1) Im Verständnis der Organisationen der purnawirawan rekrutieren sich ihre Mitglieder immer noch aus den pensionierten Angehörigen von Heer, Marine und Luftwaffe als den drei militärischen Teilstreitkräften, die gemeinsam die TNI (Tentara Nasional Indonesia) bilden, als auch den Pensionären der Polizei (Polri, Kepolisian Republik Indonesia), obwohl die Polizei im April 1999 per Gesetz aus den Streitkräften ausgegliedert wurde. Die purnawirawan, und unter ihnen insbesondere die Organisation Pepabri, berufen sich bis zum heutigen Tage auf die Streitkräfte der Neuen Ordnung, ABRI, die aus vier Komponenten / Teilstreitkräften – Heer, Marine, Luftwaffe und Polizei – bestand.
(2) Die gesetzlichen Bestimmungen sind Teil des Gesetzes 12 / 2003 (Undang-Undang Nomor 12 Tahun 2003), die Paragraphen 64 (Aussage: aktive Mitglieder von TNI und Polri müssen aus dem Dienst ausscheiden, wenn sie sich als Kandidaten zur Wahl aufstellen lassen wollen), Paragraph 75, Absatz 3 (Aussage: Mitgliedern von TNI und Polri ist die Teilnahme am Wahlkampf untersagt), und Paragraph 145 (Wortlaut: „Bei der Wahl des Jahres 2004 benutzen die Mitglieder der Tentara Nasional Indonesia und der Kepolisian Republik Indonesia ihr Wahlrecht nicht“). Ich danke Dr. Petra Stockmann, Watch Indonesia!, für die Hinweise auf die Rechtslage.Einige Nachträge
(mit Stand vom 21. Mai 2004):
Jugendliche Angehörige der FKPPI stürmen in Medan, Nordsumatra, einen Posten von Studenten, die gegen Präsidentschaftskandidaten mit militärischen Hintergrund protestieren. Acht Studenten werden dabei verletzt („TNI officers‘ children attack Medan students“, May 15, www.thejakartapost.com).
Die veröffentlichten Listen der Wahlkampfteams der Präsidentschaftsanwärter verzeichnen die Namen hochrangiger ehemaliger Generäle im engen Umfeld fast aller Bewerber (Meldungen vom 18. Mai).
Susilo Bambang Yudhoyono und Wiranto stellen sich etwa 500 in der Pepabri organisierten purnawirawan in Jakarta vor und präsentieren ihre Ziele und Programme. Beide erhielten die offizielle Unterstützung der Organisation für ihre Kandidaturen. Die Pepabri betont, dass sie keine Präferenzen für einen der beiden Kandidaten ausgesprochen hat: „Wir unterstützen die Präsidentschaftskandidaten aus den Reihen der purnawirawan der TNI. Wer letztlich gewählt werden wird, ist den einzelnen Mitgliedern, ihren Hoffnungen und Wünschen überlassen.“ Agum Gumelar wurde nicht eingeladen, und seine Kandidatur erhielt nicht die Unterstützung der Pepabri (Meldungen vom 18. Mai).
Einige Dutzend von jugendlichen Angehörigen der FKPPI zerschlagen eine Demonstration von etwa 50 Studenten der Udayana-Universität in Denpasar, Bali. Die Studenten protestierten gegen Präsidentschaftskandidaten mit militärischem Hintergrund. Die Angreifer trugen militärische Tarnanzüge und waren auffallend körperlich durchtrainiert. Mehrere Studenten wurden verletzt, eine Studentin wurde von den Angreifern entführt und nach den Organisatoren und Hintermännern der Demonstration „befragt“ (21. Mai). http://www.detiknews.com/index.php/detik.read/tahun/2004/bulan/05/tgl/21/tim