Recht nach Kolonialherrenart
Menschen Machen Medien, 04/2004
Schadenersatzklagen in Millionenhöhe brechen Zeitungen das Genick
Von Anett Keller
Im April wird in Indonesien ein neues Parlament gewählt. Drei Monate später folgen die ersten direkten Präsidentschaftswahlen. Schon jetzt versuchen Politiker und ihnen nahe stehende Geschäftsleute, kritische Journalisten einzuschüchtern. Ex-Diktator Suharto hatte oppositionelle Medien einfach geschlossen. Heute, in der Reformära, sind die Mittel subtiler. Man besinnt sich auf alte Gesetzesparagrafen.
„Die Freiheit der Medien ist ein Bürgerrecht. Zensur oder Sendeverbote finden nicht statt.“ Diese Grundsätze sind nachzulesen im 1999 verabschiedeten, indonesischen Mediengesetz. Soweit die Theorie. In der Praxis sehen sich indonesische Pressevertreter derzeit einer Klagewelle ausgesetzt, die beispiellos in der Geschichte des erst seit sechs Jahren aus der Diktatur entlassenen Landes ist.
Das bislang spektakulärste Urteil erging, von der westlichen Presse beinahe unbemerkt, am 20. Januar in Jakarta. Eine der größten Tageszeitungen, „Koran Tempo“ (Koran heißt Zeitung) wurde zu einer Schadenersatzzahlung von 1 Million US-Dollar verurteilt. Der Kläger, ein Firmen-Tycoon mit besten Verbindungen zu Politik und Militär hatte die Zeitung wegen Verleumdung verklagt. „Koran Tempo“ erscheint im Verlag, der auch die wöchentliche Zeitschrift „Tempo“, Indonesiens kritischstes und unter Ex-Präsident Suharto verbotenes Nachrichtenmagazin, herausgibt.
„Koran Tempo“ hat in einem Artikel den Eindruck erweckt, Tomy Winata habe eine Spielhölle eröffnen wollen, so die Anklage. Glücksspiel ist in Indonesien zwar überall verbreitet, aber offiziell verboten – was den Geschäftsmann um seinen guten Ruf fürchten ließ. „Besagter Artikel ist verleumderisch und stellt eine Beleidigung eines respektierten Mitgliedes unserer Gesellschaft dar“, so die Richter in der Urteilsbegründung. Neben der Millionenstrafe muss die Zeitung in acht anderen Tageszeitungen und sechs Magazinen sowie 12 Fernsehsendern an drei aufeinander folgenden Tagen Entschuldigungen schalten. Verhandelt wurde nach einem Paragrafen des Strafgesetzbuches, der noch aus der holländischen Kolonialzeit stammt. „Diese Entscheidung ist der definitive Versuch von einflussreichen Geschäftsleuten, unsere Medien mundtot zu machen. Wir alle wissen, wie bestechlich unsere Gerichte sind.“, so der „Tempo“-Journalist und Generalsekretär der unabhängigen Journalistenvereinigung (AJI), Nezar Patria. Auch international löste das Urteil Protest aus: „Eine so drakonische Strafe gefährdet die wirtschaftliche Existenz der Zeitung. Damit wird eine Klagepraxis befördert, die alle Journalisten in Indonesien bedroht“, so das in New York beheimatete Committee to protect journalists (CPJ).
Offene Drohungen
Auch wenn im besagten Fall wegen der Berufung beider Seiten eine endgültige Entscheidung noch aussteht, sind diese Befürchtungen berechtigt. Zwar gehen viele Beobachter davon aus, dass sich in der Post-Suharto-Ära indonesische Journalisten einer im asiatischen Vergleich einzigartigen Freiheit erfreuen. Doch kommt zu dieser Einschätzung nur, wer die vielen kleinen Vorfälle übersieht, die es im ganzen Land immer wieder gab und gibt. Nur eine Minderheit der Journalisten weist die mit Geld gefüllten Umschläge zurück, die von Politikern und Firmen zu Pressekonferenzen oder an Feiertagen überreicht werden. Reicht diese gewaltlose Form der Beeinflussung nicht, wird offen gedroht. Die jährlich erstellten Listen der AJI über gewaltsame Übergriffe auf Journalisten sind lang.
Neu ist die Qualität der Klagen gegen große, landesweit publizierende Medien – und die Höhe der Strafen. Gegen die „Tempo“-Gruppe sind sieben weitere Klagen anhängig, fünf davon ebenfalls von Tomy Winata. Von ihm allein kämen auf „Tempo“ Schadenersatzforderungen in Höhe von insgesamt 40 Millionen US-Dollar zu, sollten auch die anderen Richter ähnlich wie ihre Kollegen im Bezirksgericht Jakarta Süd entscheiden. „Das würde den Bankrott für Tempo bedeuten“, so „Tempo“-Chefredakteur Bambang Harymurti.
Im vergangenen Herbst hatten die Gesetzeshüter schon einer anderen Klägerin gegen die Pressefreiheit zu ihrem fragwürdigen Recht verholfen. Es handelte sich um niemand Geringeres als Präsidentin Megawati Soekarnoputri. Die Landesmutter hatte sich von mehreren Schlagzeilen der Tageszeitung „Rakyat Merdeka“ (Freies Volk) gestört gefühlt. Im Zuge der Proteste gegen geplante Benzinpreiserhöhungen hatte das Blatt Slogans von Demonstranten zur Titelzeile erhoben. Die zwei umstrittensten „Verfehlungen“: „Mega lebih kejam dari Sumanto“ (Mega ist grausamer als Sumanto – ein wegen Kannibalismus verurteilter Javaner); „Mulut Mega berbau solar“ – „Mega stinkt aus dem Mund nach Diesel“. „Warum gerade Diesel“, hatte der Richter gefragt, nachdem er sich über die Unhöflichkeit des Redakteurs Supratman echauffiert hatte. „Warum haben Sie nicht gleich geschrieben, dass die Präsidentin nach Kartoffeln oder verfaulten Früchten aus dem Mund riecht?“. Er vergaß dabei leider, dass der Gatte der Präsidentin eben keinen Obstladen besitzt, sondern mehrere Tankstellen. Supratman wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt, ausgesetzt auf zwölf Monate Bewährung. Der Journalist dürfte also bis zu den Wahlen „ruhig gestellt“ sein.
Die Gesetzesbasis ist bei all diesen Fällen die Gleiche. Obwohl Journalisten und Presserat immer wieder fordern, das Presserecht zur Grundlage zu machen, wird nach dem Strafgesetzbuch verhandelt. Die angewandten Paragrafen, die zum Beispiel die Verleumdung der Regierung unter Strafe stellen, stammen aus einer Zeit, in der die holländische Kolonialmacht aufkeimende Unabhängigkeitsbestrebungen und ihre Protagonisten im Zaum halten wollte. Einer von ihnen war Soekarno, späterer erster Präsident der Republik Indonesien, und Vater der heutigen Präsidentin. „Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen! Megawati hat wohl vergessen, dass ihr eigener Vater mit Hilfe der gleichen Gesetze vor Gericht gebracht wurde“, hatte Redakteur Supratmanim im Gerichtssaal seiner Fassungslosigkeit Ausdruck verliehen.
Veraltete Paragrafen gehören abgeschafft
Es ist nicht die Freiheit, Menschen nach Belieben beleidigen zu können, die die Journalisten fordern. Sie mahnen nur an, für Fälle dieser Art ein Prozedere anzuwenden, wie man es von einem Land erwarten könnte, das sich Demokratie nennt. Gegendarstellungen, Leserbriefe, Beschwerden vor dem Presserat zum Beispiel. Dieses Gremium existiert zwar in Indonesien. Die versprochene Hälfte seines Budgets, die der Presserat aus dem Staatssäckel bekommen soll, ist aber seit Gründung des Rates vor vier Jahren noch nicht eingetroffen. Für die Vertreter des Presserates ist das ein klares Indiz, dass die Regierenden überhaupt kein Interesse daran haben, die rechtmäßige Freiheit der Medien zu unterstützen. Sonst würden sie reagieren, wenn Human Rights Watch und andere internationale Organisationen fordern, die veralteten Paragrafen abzuschaffen, mit deren Hilfe bereits mehrere Demonstranten hinter Gitter wanderten und die nun inflationär gegen Journalisten angewendet werden.
Justitias Sympathien
Auch der Chefredakteur von „Rakyat Merdeka“ war im Herbst zu fünf Monaten Haft, ausgesetzt auf zehn Monate Bewährung, verurteilt worden. Karim Paputungan hatte eine angeblich verleumderische Karikatur veröffentlicht. Die Zeichnung zeigte den damals wegen Veruntreuung von 4,8 Millionen US Dollar zu drei Jahren Haft verurteilten Parlamentspräsidenten Akbar Tanjung, ohne Kleider und vor Schweiß triefend. Die Richter begründeten das Urteil mit dem „Angriff auf den guten Ruf [von Akbar] mittels eines unpassenden Bildes“. Akbar Tanjungs Beziehungen zu Justitia waren offensichtlich bessere. Er wurde Anfang Februar im Revisionsverfahren des Obersten Gerichtshofs von allen Vorwürfen frei gesprochen. <>