Indonesische Puppenspieler
Blätter für deutsche und internationale Politik Nr. 7/2003, Juli 2003
Petra Stockmann
Wenige Tage nach Beginn der Militäroffensive in Aceh, der ressourcenreichen Konfliktregion im Nordwesten des indonesischen Inselreiches, wurde dort die Menschenrechtsaktivistin Cut Nur Asikin verhaftet. Wie ein Polizeisprecher in Aceh erklärte, könnte Cut Nur wegen Verletzung der Antiterrorgesetzgebung angeklagt werden. Hier zeigt sich im momentanen Spotlight internationaler Aufmerksamkeit auf die Krisenregion deutlich, wovor Menschenrechtsorganisationen schon lange gewarnt haben: Die nach den verheerenden Bali-Attentaten verabschiedete Antiterrorgesetzgebung wird genutzt, um gegen unliebsame Oppositionelle vorzugehen. 1
Seit geraumer Zeit zeigen sich in Indonesien restaurative Kräfte vornehmlich im Bereich der Sicherheitskräfte im Aufwind. Für das Wiedererstarken des Militärs ist der augenfälligste Ausdruck die Tatsache, dass mit der Intervention gegen die Bewegung Freies Aceh (GAM) die größte Militäroperation seit der indonesischen Besetzung Osttimors 1975 begonnen wurde. Und auch hinter der konflikteskalierenden Entwicklung in der gleichfalls ressourcenreichen Provinz Papua scheinen Sicherheitskräfte sowie der Staatliche Nachrichtendienst (BIN) treibendes Moment zu sein. Hier forciert die indonesische Regierung derzeit – entgegen anders lautenden Bestimmungen im neuen Gesetz zur Sonderautonomie für Papua – ihre divide et impera-Politik in Form einer unilateral angeordneten Teilung der Provinz. 2
In einer autoritären Interpretation des in der Verfassung postulierten Rechtsstaates hat es in Indonesien Tradition, auch solche Vorschriften in Gesetzesform zu gießen, die staatliche Willkür legitimieren. Es ist daher aufschlussreich, den Blick auf neuere Gesetze und Gesetzesinitiativen zu richten, mit denen der Machtausbau von Geheimdiensten, Militär und Polizei vorangetrieben wird. Dies ist vor allem in der erwähnten Antiterrorgesetzgebung sowie in den Gesetzentwürfen zu den Geheimdiensten und dem Militär der Fall.
Nach geltendem Recht musste die Militärführung für die Intervention in Aceh das Dekret von Präsidentin Megawati Sukarnoputri abwarten. Dies könnte sich in Zukunft ändern. Denn Artikel 19 des umstrittenen Entwurfs des Militärgesetzes würde dem Oberkommandierenden der Streitkräfte 3 die Befugnis erteilen, diese in einer Notsituation – in der die Souveränität des Staates, die territoriale Integrität und die Sicherheit der Nation gefährdet sind – einzusetzen. Der Präsidentin als Oberbefehlshaberin der Streitkräfte müsste er über einen derartigen Schritt nur innerhalb von 24 Stunden Bericht erstatten. Diese Ausweitung der Befugnisse des Militärs widerspricht derzeit geltendem Recht: Laut Verfassung verhängt die Präsidentin den Notstand. Zudem bestimmt das vor einem Jahr verabschiedete Verteidigungsgesetz, dass ein Truppeneinsatz nur auf Befehl der Präsidentin erfolgen kann und darüber hinaus der Zustimmung des Parlaments bedarf. Der Vorstoß des Militärs, unabhängig von demokratisch legitimierten politischen Institutionen zu agieren, wird vielfach als Grundlage für einen Coup d’Etat gewertet. Eine solche Interpretation verkennt jedoch, dass eine demokratische Fassade, hinter der das Militär als dalang 4 agiert, eine weitaus günstigere Option für die Streitkräfte darstellt. 5
Potentieller Missbrauch
Entwürfe zu einer neuen Antiterrorismusgesetzgebung wurden schon lange vor den Bali-Attentaten kontrovers diskutiert: Sie riefen nicht nur harsche Kritik von zivilgesellschaftlichen Organisationen hervor, sondern stießen auch unter Parlamentariern auf große Ablehnung. Nach den Anschlägen verlieh die Regierung Megawati in prompter Reaktion just jenen Antiterrorentwürfen per Notverordnung Gesetzeskraft, auf die sie sich zuvor mit dem Parlament nicht hatte einigen können. Das Parlament beugte sich dem Regierungswillen wenige Monate später und erkannte die Notverordnungen im März 2003 als ordentliche Gesetze an. 6
Das Potential für den Missbrauch der Antiterrorgesetzgebung liegt vor allem in deren allgemeiner Definition von terroristischen Straftaten begründet. Diese ist so weit gefasst, dass von Anbeginn die Sorge bestand, sie könnte beispielsweise auch gegen tatsächliche oder vermeintliche Anhänger separatistischer Bewegungen zur Anwendung kommen. Die Befürchtungen haben sich in vieler Hinsicht bestätigt: So werden gegenwärtig unter anderem gegen fünf führende GAM-Mitglieder, die an den gescheiterten Verhandlungen mit der indonesischen Regierung beteiligt waren und vor kurzem verhaftet wurden, Anklagen wegen Verstößen gegen die Antiterrorgesetze vorbereitet.
Für Terrorismusverdächtige gelten strafprozessuale Sonderbestimmungen, die in einigen Fällen erheblich von anderen indonesischen Rechtsgrundlagen abweichen. So können – anders als in der Strafprozessordnung vorgesehen – im Falle eines Terrorismusverdachts auch nachrichtendienstliche Berichte Grundlage für eine Verhaftung sein. Ob diese als vorläufige Beweise für eine Verhaftung ausreichen, soll laut Gesetz vom jeweils zuständigen Richter entschieden werden. Der dreitägige gerichtliche Untersuchungsprozess findet dabei unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Stärksten Protest rief die Regelung hervor, nach der die Polizei autorisiert ist, Beschuldigte ohne richterlichen Haftbefehl oder formelle Anklage bis zu sechs Monate in Haft zu nehmen. Da in der Strafprozessordnung nicht als generelles Prozedere geregelt ist, einen Beschuldigten nach seiner Verhaftung umgehend einem Richter vorzuführen, bedeutet diese Bestimmung, dass es tatsächlich bis zu einem halben Jahr dauern kann, bis ein Beschuldigter vor den Richter tritt.
Die Antiterrorgesetzgebung enthält nur allgemeine Bestimmungen zur Rolle neuer Institutionen. Konkreteres wurde per Präsidialinstruktion nachgereicht: So beauftragte Megawati beispielsweise den Staatlichen Nachrichtendienst BIN, nachrichtendienstliche Aktivitäten aller relevanten Institutionen zu koordinieren – eine Anweisung, die seine Rolle beträchtlich aufwertet.
BIN hat in der Vergangenheit verschiedene Vorstöße unternommen, seine Macht auszubauen: Schon während der parlamentarischen Debatten zur Umwandlung der Antiterror-Notverordnungen in ordentliche Gesetze drängte der Nachrichtendienst darauf, in den entsprechenden Gesetzentwurf einen Passus aufzunehmen, der ihm Verhaftungsbefugnis überträgt. Diesem Vorschlag zufolge hätte BIN Beschuldigte bis zu vier Tagen zu Vernehmungszwecken festhalten dürfen und wäre gegebenenfalls zu weiteren Ermittlungen autorisiert gewesen. In die Antiterrorgesetze flossen diese Wünsche jedoch nicht ein.
Zur selben Zeit gingen Berichte durch die Presse, dass ein weiterer Gesetzentwurf betreffend die Nachrichtendienste in Vorbereitung sei, der noch nicht im Parlament diskutiert wird. Dort taucht die erwähnte Befugniserweiterung des Staatlichen Nachrichtendienstes in dramatisch erweiterter Form wieder auf: So soll dieser die Ermächtigung erhalten, Verdächtige im Rahmen von geheimdienstlichen Ermittlungen bis zu 90 Tagen in Haft zu halten, wobei diese Frist bei Bedarf drei mal verlängert werden kann. Des Weiteren legt der Entwurf fest, dass BIN im Rahmen seiner Ermittlungen verschiedenste Maßnahmen gegen Personen ergreifen kann, die im Verdacht stehen, in die nationale Sicherheit bedrohende Aktivitäten verwickelt zu sein. Unter anderem sollen folgende Rechte von Beschuldigten außer Kraft gesetzt werden können: das Recht auf anwaltliche Begleitung, auf Aussageverweigerung bei Verhören sowie auf Kontaktaufnahme zu Personen außerhalb der Haftanstalt.
In Zusammenhang mit der Antiterrorgesetzgebung und dem Entwurf zum Geheimdienstgesetz wird von Menschenrechtlern immer wieder auf Ähnlichkeiten mit dem berüchtigten Anti-Subversionsgesetz der Suharto-Zeit verwiesen. Dabei äußern sie die Befürchtung, das berüchtigte Operationskommando für die Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung (KOPKAMTIB) bzw. dessen direkte Nachfolgeorganisation, die Koordinationseinheit zur Unterstützung der Aufrechterhaltung Nationaler Stabilität (BAKORSTANAS), könnten wieder auferstehen. KOPKAMTIB, 1965 unter dem Kommando von General Suharto gegründet, spielte nicht nur eine führende Rolle bei der Verfolgung und Ermordung von (tatsächlichen und vermeintlichen) Kommunisten, sondern blieb auch nach dem Ende dieser dunkelsten Periode der indonesischen Geschichte für die Bekämpfung jedweder „subversiver Aktivitäten“ zuständig und genoss dabei eine schier unbegrenzte Machtfülle. Als juristische Basis wurde in den meisten Fällen das 1963 geschaffene Anti-Subversionsgesetz herangezogen. Zu den positiven Entwicklungen in der Reformasi-Ära gehörte, dass 1999 das Anti-Subversionsgesetz für ungültig erklärt und BAKORSTANAS im März 2000 aufgelöst wurde.
Die Befürchtung, dass mit der Antiterrorgesetzgebung und noch viel mehr mit dem Geheimdienstgesetz – sollte es denn verabschiedet werden – menschenrechtsverachtende Instrumente der Suharto-Zeit wiederbelebt werden, ist begründet: So weist beispielsweise die erwähnte Definition terroristischer Straftaten frappierende Ähnlichkeiten mit Teilen der früheren Definition von Subversion auf. Und auch die Autorisierung der Polizei, Beschuldigte ein halbes Jahr in Haft nehmen zu können, zeugt vom Geist jenes Willkür legitimierenden Gesetzes, das für diese Art Inhaftierung sogar ein Jahr vorsah. Wie erwähnt, ist im Geheimdienstgesetzentwurf ein solcher Haftzeitraum wieder vorgesehen. Darüber hinaus steht dieser Entwurf insofern in der Tradition des Anti-Subversionsgesetzes, als er Institutionen, die nicht im normalen Strafverfahren beteiligt sind, eine maßgebliche Rolle zuteil werden ließe, nun mit dem Staatlichen Nachrichtendienst als Hauptakteur.
Im Windschatten des weltweiten „Kampfes gegen den Terror“ ist in Indonesien bereits mit der neuen Antiterrorgesetzgebung den Bemühungen hin zu mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz ein schwerer Schlag versetzt worden. Sollten zudem die Entwürfe zum Geheimdienst- und zum Militärgesetz Gesetzeskraft erlangen, bestünde die Gefahr, dass die demokratisch legitimierten Institutionen weiter entkernt und zu einer Fassade für ein autoritäres, vom Militär dominiertes Regime entwertet werden.
1 Vgl. das Kapitel zu Indonesien in: Human Rights Watch, In the Name of Counter-Terrorism: Human Rights Abuses Worldwide, 25.3.2003.
2 Vgl. „Jakarta Post“, 27.5.2003, www.thejakartapost.com.
3 Der Oberkommandierende der Streitkräfte wird von der Präsidentin ernannt und muss vom Parlament bestätigt werden.
4 Dalang ist der Puppenspieler im indonesischen Schattentheater.
5 Vgl. hierzu auch Alex Flor, Indonesiens Militär will mehr Macht, in: „Indonesien-Information“, 1/2003, 3f.
6 Für eine detaillierte Analyse der Antiterrorgesetzgebung und Quellenangaben vgl. meinen Artikel: Die langen Schatten der Suharto-Zeit. Neue Antiterrorismus-Gesetzgebung als später Ersatz für das abgeschaffte Anti-Subversionsgesetz?, in: „Indonesien-Information“, 1/2003, S. 58-69, https://www.watchindonesia.de.Erschienen in: Blätter für deutsche und internationale Politik Nr. 7/2003, S. 788-791. Siehe auch http://www.blaetter.de