Warnungen vor den „Vaterlandsverrätern“
Neues Deutschland, 02. November 1995
ND-Serie AUSLÄNDER IN DEUTSCHLAND: Oppositionelle INDONESIER werden von den Suharto-Behörden isoliert
Von KRISTINA VAILLANT
Beim Betreten ihrer Schöneberger Wohnung ist ein jeder sogleich umhüllt von den Düften des südostasiatischen Archipels. Auf dem Herd bruzzeln original indonesische Speisen und die einzigartigen Nelkenzigaretten verbreiten großzügig ihren Wohlgeruch. Aber nicht allein diese besondere Atmosphäre ist der Grund, weshalb das Zuhause von Reni Isa und Pipit Kartawijaja seit den siebziger Jahren ein beliebter Treffpunkt ist.
Bis Mitte der achtziger Jahre trafen sich hier hauptsächlich politisch aktive Studenten. Pipit war damals Redakteur der indonesischen Studentenzeitung. „Zu dieser Zeit war Opposition in der indonesischen Studentenvereinigung (PPI) noch möglich,“ erinnert er sich. Besonders in West-Berlin sei das kritische Potential der indonesischen Studenten groß gewesen, denn hier versammelten sich zum größten Teil junge Indonesier, die bereits in Indonesien als Außenseiter gegolten hatten.
Sie kamen, im Gegensatz zu denjenigen, die sich ein Auslandsstudium in den USA leisten konnten, aus weniger wohlhabenden Familien und zeigten hier – angesteckt von der hiesigen Studentenbewegung – besonderen Mut zur Kritik an der Regierung ihres Heimatlandes: „Das Studium in Deutschland und der Kontakt mit der Studentenbewegung haben mir die Augen geöffnet. Dazu haben auch viele tolerante Deutsche beigetragen“, erzählt Pipit; der schon bald als Drahtzieher der indonesischen Studentenbewegung in Berlin galt.
Studenten und politisch Verfolgte
Laut Statistischem Jahrbuch (1994) leben derzeit über 2.000 Indonesier in Deutschland, davon etwa die Hälfte in Berlin. Die meisten von ihnen sind Studenten und Studentinnen, von denen etwa 700 bis 800 in Berlin leben.
Die ältere Generation der in Deutschland ansässigen Indonesier suchte vor allem während der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Asyl. Der Putsch durch General Suharto 1965 und die blutige Jagd auf Kommunisten und solche, die dafür gehalten wurden, machte sie zu Flüchtlingen. Dazu gehörten auch diejenigen, die sich als Studenten oder aus beruflichen Gründen in der DDR aufgehalten hatten.
Zum größten Teil wurden sie ausgewiesen, nachdem die DDR mit Indonesien Anfang der siebziger Jahre wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen hatte. Auch viele Indonesier, die zu Ausbildungszwecken in andere sozialistische Länder wie die Sowjetunion, China oder die Tschechoslowakei geschickt worden waren, suchten in den siebziger Jahren Asyl in der Bundesrepublik.
Seitdem versuchten die indonesische Regierung und ihre Gesandten in Deutschland diese Aktivitäten systematisch zu bekämpfen und Pipit und seine Familie innerhalb der indonesischen Gemeinde zu isolieren. Als es anläßlich des Besuchs des indonesischen Präsidenten Suharto in Dresden im vergangenen Jahr zu einer Protestdemonstration kam, wurde er wiederum von offizieller indonesischer Seite beschuldigt, einer der Verantwortlichen gewesen zu sein. Alle neuankommenden Studenten werden vor dem „Vaterlandsverräter“ gewarnt.
Diese Isolierungspolitik hat dazu geführt, daß von der heutigen Studentengeneration nur noch Vereinzelte den Weg in die Schöneberger Wohnung finden. Verwaist ist sie dennoch nicht. Reni und Pipit halten engen Kontakt mit indonesischen Oppositionellen in ganz Europa. Intellektuelle, Künstler und politische Aktivisten aus Indonesien sind hier zu Gast, um aus der Heimat zu berichten.
Die kritische Haltung, die Pipit gegenüber der indonesischen Regierung an den Tag legte, führte schließlich auch dazu, daß er seinen Paß und damit das Aufenthaltsrecht in seinem Heimatland verlor. Danach wurde ihm von den deutschen Behörden ein sogenanntes Reisedokument als Ersatzpaß ausgestellt.
Das Schicksal des Exils teilt er mit seiner Frau Reni. Ursprünglich als Tochter des indonesischen Kulturattaches in Prag nach Europa gelangt, konnte die Familie Isa nach Errichtung der Militärdiktatur unter Suharto wegen zu befürchtender Repressionen nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die sechsköpfige Familie fand zunächst Aufnahme in der DDR, mußte sie aber 1976 verlassen, und suchte in Westberlin Asyl.
Am Spätnachmittag, wenn Pipit den langen Weg von seinem Arbeitsplatz als Sachbearbeiter im brandenburgischen Arbeitsministerium zurückgelegt hat, dann ist er mit Sicherheit zu Hause an seinem Computer anzutreffen. Das Schreiben ist für ihn in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Mit seinen Texten, die mythologische Themen mit politischen Kommentaren verbinden, will er unterhalten. Kürzlich ist eine Sammlung von Kurzgeschichten unter Pseudonym in Indonesien veröffentlicht worden. Das Buch erschien – ganz unauffällig – in einer humoristischen Buchreihe. Neue Veröffentlichungen sind jedoch – seitdem im Sommer 1994 eine Zeitschrift aus dem gleichen Verlag (u. a. wegen kritischer Berichterstattung über den Ankauf von Kriegsschiffen aus ehemaligen NVA-Beständen durch die indonesische Regierung) verboten wurde – in weite Ferne gerückt.
Die Familie würde gerne wieder in ihr Heimatland zurückkehren, wenn die Verhältnisse dies zulassen würden. Die Voraussetzung wäre eine Ablösung der jetzigen Militärdiktatur unter General Suharto. Doch auch das Regime, das diesem folgen könnte, erwarten beide mit einiger Skepsis. Es sei nicht garantiert, daß sich strukturell etwas an den Machtverhältnissen ändere.