„Wettbewerb der Hilfszusagen“
analyse + kritik, 21.01.2005
Indonesisches Militär behindert Hilfsmaßnahmen
Von Alex Flor
Die Folgen der Katastrophe sind noch immer unüberschaubar. Die Zahl der Todesopfer bricht täglich neue traurige Rekorde. 106.000 werden nun alleine aus Aceh gemeldet. 400.000 Menschen leben dort in Flüchtlingslagern. Wahrscheinlich 1 Mio. haben durch das Beben und die Flutwelle ihr Obdach verloren.
Aber auch internationale Hilfszusagen und Spenden erreichen neue Rekorde. Die gegenüber den Organisationen der Vereinten Nationen abgegebenen Hilfszusagen belaufen sich auf rund 5 Mrd. $. Die Zahl umfasst Schenkungen und Kredite. Die Bundesregierung übernahm letzte Woche kurzzeitig die Spitzenposition auf der Liste der Geberländer, nachdem sie ihre Hilfszusage von 20 Mio. Euro auf stolze 500 Mio. Euro aufstockte. Rechnet man in Aussicht gestellte Schenkungen und Kredite zusammen wurde Deutschland kurz darauf von Australien überflügelt. Die EU warnte bereits vor einem „Wettbewerb der Hilfszusagen“ und forderte, zunächst den tatsächlichen Bedarf zu erkunden. Hinzu kommen private Spenden an Hilfswerke in Millionenhöhe. In Deutschland kamen bereits 350 Mio. Euro zusammen – das größte Spendenaufkommen in der Geschichte der Bundesrepublik. Ärzte ohne Grenzen musste bereits dazu aufrufen, keine für Südasien zweckgebundenen Spenden mehr zu leisten, da die Organisation sich kaum mehr in der Lage sieht, die eingenommenen Gelder dort sinnvoll zu verwenden. Mindestens 50 internationale Hilfswerke leisten nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) medizinische Hilfe in Aceh. Zahlreiche weitere indonesische und internationale Organisationen verteilen Hilfsgüter, beteiligen sich an Bergungsarbeiten oder der Versorgung mit Trinkwasser und ähnlichem mehr.
Zweifelsohne besteht enormer Bedarf. Doch selbst bei guter finanzieller Ausstattung ist es nicht immer einfach, dort zu helfen, wo es am dringendsten benötigt wird. Hilfsgüter stapeln sich in Depots am Flughafen, weil nicht ausreichend Fahrzeuge und Personal zur Weiterverteilung zur Verfügung stehen. Andernorts sind Dutzende Freiwillige zum Nichtstun verdammt, weil sie nichts zum Verteilen haben. Transport- und Kommunikationsprobleme aufgrund der zerstörten Infrastruktur behindern die Hilfsaktionen massiv. Darüber hinaus scheint ein wesentliches Problem in der mangelnden Koordination der vielen Einzelaktivitäten zu liegen. Und immer deutlicher zeichnet sich ab, dass das mit der Koordinierung der Hilfe beauftragte indonesische Militär eigene Interessen in den Vordergrund stellt und die Organisationen bei der Ausübung ihrer Arbeit behindert.
Am 6. Januar fand in Indonesiens Hauptstadt Jakarta die erste internationale Geberkonferenz statt. Eine zweite Konferenz folgte am 11. Januar in Genf und weitere wichtige Treffen wie die Tagung des Pariser Clubs und das Jahrestreffen des Geberkonsortiums für Indonesien CGI (Counsil of Governments on Indonesia) stehen unmittelbar bevor. Bemerkenswert war die Prominenz der in Jakarta vertretenen Teilnehmer. Neben UN-Generalsekretär Kofi Annan und US-Außenminister Colin Powell, waren die Premierminister von Australien, Japan, China und Neuseeland angereist, um nur einige zu nennen. Wäre die Tagesordnung nur von der Diskussion über eine effizientere Organisation humanitärer Hilfe bestimmt gewesen, hätte wohl ein Treffen der für Entwicklungszusammenarbeit zuständigen Fachminister ausgereicht. Die Liste der Teilnehmer lässt erkennen, dass dieser Konferenz erheblich größere Bedeutung zugerechnet wurde.
Schon im Vorfeld der Konferenz gab die Präsenz eines US-amerikanischen Flugzeugträgerverbandes vor der Küste Acehs und die Beteiligung des australischen Militärs an den Hilfsmaßnahmen in dem bis vor 14 Tagen hermetisch abgeriegelten Kriegsgebiet Anlass zu Spekulationen. Es sei dahingestellt, ob die Versorgung der Not leidenden Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser vom Flugzeugträger USS Abraham Lincoln eher als weltpolitische Symbolik, als Zeichen der Annäherung der US-Streitkräfte an Indonesien oder gar als Warnsignal zu deuten ist. Zwei Dinge sind klar: Hilfsmaßnahmen dieser Größenordnung sind nicht frei von politischen Interessen. Und unabhängig davon, ob sie dem gewünschten Ziel dienlich oder möglicherweise sogar schädlich sind, werden sie politische Auswirkungen haben.
Die Wahrnehmung politischer Interessen ist nicht per se verwerflich. Auch Imagepflege oder Pflege und Ausbau guter Beziehungen können ein politisches Interesse darstellen. Zumindest die USA machen kein Geheimnis daraus, welchen Nutzen sie sich von ihrer Mission versprechen. Humanitäre Hilfe wirke der Unzufriedenheit entgegen, die eine Wurzel von Terrorismus sein könne, sagte Powell am Dienstag. „Ich hoffe, dass als ein Ergebnis unserer Bemühungen unser Wertesystem gestärkt wird.“
Erwartungen, dass die Geberkonferenz in Jakarta auch zum Austragungsort einer neuen Runde im Kräfteringen zwischen den USA und den Vereinten Nationen werden würde, haben sich nicht bestätigt. Die USA erklärten im Gegenteil, ihre Hilfe der Koordination der UN unterstellen zu wollen und sammelte somit weitere Sympathiepunkte. Wenige Tage nach der Tsunami-Katastrophe hatte ein UN-Sprecher geäußert, einige Staaten beteiligten sich in weit geringerem Maße an den Hilfsaktionen als sie zu leisten im Stande wären. Obgleich nicht namentlich genannt, fühlten sich die USA auf die Füße getreten. Die Hilfszusagen wurden deutlich erhöht, zunächst jedoch verbunden mit der klaren Absage an den Führungsanspruch der UN. Nach dem Modell der „Koalition der Willigen“ bastelten die USA daraufhin an einem Einsatzbündnis mit den Partnern Japan, Indien und Australien.
Ein Blick auf die Liste der übrigen Geberländer und die von ihnen bereitgestellten Hilfen zeigt, wie eng Solidarität und politische Interessen auch bei ihnen miteinander verknüpft sind. So verwundert es beispielsweise nicht, dass Japan als größter Investor und wichtigster Handelspartner Indonesiens mit 500 Mio. $ ganz oben auf der Liste der Geberländer steht. Dem gegenüber steht das auf gute Beziehungen zum großen Nachbarn angewiesene bitterarme Osttimor, das symbolische 50.000 $ zur Verfügung gestellt hat. Geld ist aus Dili nicht zu erwarten; was hier zählt ist die nette Geste. Ähnliches gilt für die Staaten der Afrikanischen Union, die sich zusammen mit 100.000 $ beteiligen. Der neue asiatische Riese China musste sich zunächst Kritik gefallen lassen, weil die ersten Hilfszusagen unter den Erwartungen lagen. China sah sich genötigt seine Zusagen auf 62 Mio. $ zu erhöhen.
Bemerkenswert ist auch die von Indien geleistete Hilfe. Selbst schwer von der Flutkatastrophe getroffen, demonstriert der Subkontinent Stärke. Als ob die Verwüstungen in Südindien nur ein kleiner Kratzer seien, sieht sich Indien lieber auf der Seite der Hilfe leistenden Staaten als auf der Seite der bedürftigen Empfängerländer. Indien gewährte 1 Mio. $ finanzielle Hilfe für Indonesien und entsandte einige Schiffe der Marine nach Sumatra, während es gleichzeitig internationale Einsätze auf den schwer getroffenen zu Indien gehörenden Inselgruppen Andamanen und Nikobaren behindert. Die politische Arithmetik Südasiens gebietet es, dass auf einen Vorstoß Indiens Pakistan umgehend ähnliche Schritte ergreift. Auch Islamabad schickt Geld und Schiffe.
Hoffnungen, die Öffnung Acehs und die Präsenz tausender ausländischer Militärs könnte zu einer Entspannung des seit 1976 andauernden bewaffneten Konfliktes beitragen, scheinen sich nicht zu erfüllen. Es mehren sich die Anzeichen, dass Indonesiens Streitkräfte (Tentara Nasional Indonesia – TNI) versuchen, den Status Quo beizubehalten und den Krieg gegen die Unabhängigkeitsbewegung GAM (Gerakan Aceh Merdeka – Bewegung Freies Aceh) fortzusetzen. In den letzten Tagen wurde die Kontrolle über die Hilfsorganisationen massiv verschärft. Sie dürfen sich ab sofort nur noch in den zwei besonders schwer von der Flutkatastrophe getroffenen Städten Banda Aceh und Meulaboh frei bewegen. Sämtliche Einsätze außerhalb der beiden Städte bedürfen der Genehmigung und Begleitung durch das indonesische Militär. Begründet wird dieser Schritt von Seiten der TNI offiziell mit drohenden Angriffen der Unabhängigkeitsbewegung GAM auf Hilfstransporte und ausländische Helfer. Als Beleg für die Gefährdung der ausländischen Helfer führt die TNI den Schusswechsel vor einigen Tagen in einem Warenlager der UN in Banda Aceh an. Dies, obgleich Sozialminister Alwi Shihab inzwischen erklärte: „Ich verfüge über einen Bericht des Militärs, dem zufolge ein Soldat unter Stress das Feuer eröffnete. Die GAM war daran nicht beteiligt.“
Deutsche Medien beklagen die massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Hilfsorganisationen: Sie berichten einvernehmlich, dass bislang keine konkrete Bedrohung erkennbar sei. Die EinwohnerInnen Acehs selbst zeigen sich pragmatisch und haben keine Probleme mit der vom Ausland gelieferten Hilfe. Die GAM begrüßt die Anwesenheit tausender HelferInnen aus dem Ausland, einschließlich der Militärs, die nach der Flutkatastrophe anreisten. Eine Presseerklärung der GAM trug den Titel „Thank You World“. Es wäre widersinnig, wenn die GAM nun Angriffe auf Ausländer starten sollte.
Das Misstrauen der TNI gegenüber den Hilfsorganisationen und die daraus resultierenden Reglementierungen ist nur durch die Sorge über deren schwindenden Einfluss zu erklären. Auf die Anwesenheit australischer Militärs gemünzt warnte auch Minister Alwi Shihab: „Wir müssen wachsam sein. Wir wollen kein zweites Osttimor.“ Canberra verfolge unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe das Ziel, die Souveränität Indonesiens zu unterminieren. „Sie sollten nicht das islamische Scharia-Recht in Aceh verderben. Wir wissen, dass diese fremden Soldaten gerne Prostituierte mitbringen. Und sie trinken auch gerne Alkohol, was in Aceh streng verboten ist.“ Schon lange vor der Ankunft der Fremden hatte Banda Aceh eine der höchsten Bordell-Dichten in ganz Indonesien – Dank der TNI.
Der Autor ist Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia!, Tel./Fax +49-30-698 179 38 , Planufer 92 d, 10967 Berlin, e-mail: watchindonesia@watchindonesia.org, https://www.watchindonesia.de, Konto: 2127 101 Postbank Berlin (BLZ 100 100 10)
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