Die neue Antiguerilla-Kriegführung der TNI in Aceh eröffnet Einblicke in die militärische Zukunft Indonesiens
02. April 2001
von Ingo Wandelt
„Bewahrt die Einheit der indonesischen Nation!“, das verkündet unübersehbar ein Banner auf der Website des indonesischen Verteidigungsministeriums <http://www.dephan.go.id> dem interessierten Besucher, und stellt damit den selbstgestellten Auftrag der indonesischen Streitkräfte Tentara Nasional Indonesia (TNI) eindeutig klar: den Erhalt Indonesiens.
Auf das Wie? geht die Website nicht ein. Die angekündigte militärische Operation in Aceh vermag dazu vielleicht einen tieferen Einblick vermitteln. Eines ist jedoch sicher anzunehmen: die Einheit Indonesiens soll mit Waffengewalt erreicht und gesichert werden.
Zwar ist die mit Beginn des Monats März 2001 angekündigte begrenzte Militäroperation (Operasi Militer Terbatas, PMT) mittlerweile (29. März) in ihrer Bezeichnung zu einer „Operation der Sicherheit und der Aufrechterhaltung des Rechts“ (Operasi Keamanan dan Penegakkan Hukum) mutiert, was jedoch an ihrer grundsätzlich militärischen Ausrichtung nichts ändern wird. Sie ist bei Abfassung dieser Zeilen noch nicht offiziell angelaufen, jedoch lassen die umfangreichen Vorankündigungen einen gewissen Einblick in ihren geplanten Ablauf zu.
Die angekündigte Operation ist eine Antiguerilla-Operation mit dem Ziel der militärischen Zerschlagung der separatistischen Bewegung in Aceh. Die im März neu geschaffene Wortwahl der indonesischen Regierung spricht von der Bekämpfung des „bewaffneten Separatismus“ (separatisme bersenjata). Der Erfolg oder Misserfolg der angekündigten Militäroperation wird über ihren Beispielcharakter für künftige Operationen der TNI gegen den bewaffneten Separatismus in anderen Landesteilen entscheiden.
Die vorangegangene Operation „Operasi Cinta Meunaseh“ wurde hauptsächlich von der nationalen Polizei (POLRI) mit Unterstützung von Einheiten der TNI vollzogen und galt als eine Sicherheitsoperation. Nach einer aktuellen Meldung (Kompas, 30.3.01) wird die Polizei zeitgleich zur Militäroperation die „Operasi Cinta Meunaseh II“ anlaufen lassen, an der über 10.000 Polizisten, davon 7.327 aus den in Aceh stationierten Polizeieinheiten teilnehmen sollen.
Das Beispiel Aceh hat belegt, dass die reine Präsenz von großen Zahlen von Militär und Polizeieinheiten, wie auch einschüchternden Säuberungsmaßnahmen des „sweeping“ („Säuberung“) den Handlungsspielraum der GAM nicht wesentlich einschränken konnten.
Das erkennbare militärische Muster der Operasi Keamanan dan Ketertiban Hukum ist die Fortführung einer bereits seit längerer Zeit eingeleiteten Bestrebung, die wesentlichen Aufgaben der Antiguerilla-Kriegführung den Spezialtruppen zuzuweisen.
Zum Stand der Vorbereitungen lässt sich zur Zeit folgendes aussagen:
Kopassus
In der Analyse der zur Zeit in allen Landesteilen vollzogenen militärischen Operationen und Einsätze der TNI kommt den Spezialtruppen des Heeres, Kopassus (Komando Pasukan Khusus), eine zweifache Vorreiterrolle zu. In verbundenen Operationen (operasi gabungan, Opsgab), die vor allem auf Ambon stattfinden, besitzen sie offenbar eine gewisse Befehlsgewalt über die Spezialtruppen anderer Teilstreitkräfte; das Ausbildungszentrum der Kopassus, die Grup III in Batujajar bei Bandung, bildet seit Jahresbeginn der Kopassus vergleichbare andere Sondereinheiten des Heeres aus. Die Heeresreserve Kostrad wie auch die Infanteriedivisionen der Wehrbereiche (Kodam) haben mit der Aufstellung von Gefechtsaufklärungseinheiten (Peleton Pengintai Keamanan) in Zugstärke (peleton) begonnen. Ausbilder der Kopassus übernehmen Aufgaben ihrer Ausbildung (vgl. Watch Indonesia! Information und Analyse, 12. März 2001).
Kopassus selbst durchläuft zur Zeit eine Runderneuerung, die sie zu einer von 7.000 auf 5.000 Mann verkleinerten, aber schlagkräftigeren Truppe machen soll (vgl. Watch Indonesia! Information und Analyse, 24. Januar 2001).
Verbundene Bataillone
Vorzugsweise auf den Molukken werden seit einigen Monaten verbundene Bataillone (Batalyon Gabungan, Yongab) eingesetzt. Aktuell befinden sich zwei dieser Verbände, Yongab I und II, auf Ambon, und ein dritter wird dorthin verlegt werden. Die Yongab bestehen aus Einheiten der Eliteverbände des Heeres (Kopassus), der Marine (Korps Marinir, Kormar) und der Luftwaffe (Pasukan Khas, Paskhas) und unterstützen reguläre Bataillone in den Nord-Molukken (Anzahl fünf) und auf Ambon (Anzahl zehn) (lt. Meldung der Jakarta Post vom 28. März 2001).
Verbundene Einsätze (joint operations) von Einheiten verschiedener Teilstreitkräfte sind in der TNI seit der großen Armeereform von 1985 vorgesehen und somit kein neues Phänomen.
Neu hingegen ist eine erkennbare Aufgabenteilung von Polizei, territorialen und eingeflogenen Sondereinheiten der Streitkräfte im Sinne einer militärischen Krisenreaktion, die in der hier vorgestellten Weise zumindest für Aceh zutreffend erscheint:
– Die Polizei stellt die Sicherheit unterhalb der Schwelle einer militärischen Auseinandersetzung her. Formen des Eingreifens sind Polizeipräsenz und „sweeping“, das Durchkämmen von Wohngebieten.
– Die territorialen („organischen“) Verbände des örtlichen Wehrbereiches reagieren, wenn die regionale Sicherheit über einen polizeilichen Rahmen hinaus gestört ist, d.h. die Polizei die Lage nicht mehr beherrschen kann.
– Bewegliche („nicht-organische“) Territorialverbände werden bei weitergehender Bedrohungseskalation eingeflogen. Wie über die vergangenen Monate erkennbar wurde, handelt es sich dabei um Verbände der Wehrbereiche II bis VII, d.h. aus Süd-Sumatra, Java und Sulawesi, in deren Territorien zur Zeit keine sicherheitsbedrohenden Risiken präsent sind und die deshalb in Krisenregionen entsandt werden können.
– Der stärkste Heeresverband, das Strategische Heereskommando Kostrad, scheint seit Monaten hauptsächlich mit der Sicherung der Landgrenzen im östlichen Indonesien (West-Papua zu Papua Neuguinea, West-Timor zu Timor Lorosae) beauftragt zu sein. Es bleibt abzuwarten, ob Kostrad-Einheiten in Aceh eingreifen werden.
Aufrüstung der Spezialverbände der Marine
In einer Meldung von Kompas vom 24. März wird die Vergrößerung des Korps der Marineinfanterie (Korps Marinir, Kormar) und ihre strukturelle Angleichung an die Spezialverbände des Heeres angekündigt.
Der Chef des Marinestabes, Admiral Indroko Sastrowiryono, gab an jenem Tag die Einrichtung eines neu gefassten Verbandes der Kormar, der Pasukan Marinir 1 (Pasmar-1) bekannt. Die Pasmar (Marineinfanterietruppe) 1 umfasst zur Zeit 6.500 Mann der Marineinfanterie und soll in den kommenden Jahren zu einer Division (divisi), wie sie der Heeresverband Kostrad besitzt, ausgebaut werden. Vergleichbar der Kostrad sollen zwei Divisionen bzw. Pasmar mit Aufgaben in West- bzw. Ostindonesien aufgestellt werden. Pasmar I ist in Karangpilang, Surabaya, stationiert und für Ostindonesien zuständig (und wird deshalb wohl nicht in Aceh eingreifen), und die noch aufzustellende Pasmar II soll im Jahre 2004 in Piabung, in der Provinz Lampung, ihr Hauptquartier haben.
Zeitgleich mit der Pasmar I wurde eine „eigenständige Brigade der Marineinfanterie“, Brigmar-BS (Brigade Marinir – Berdiri Sendiri) eingerichtet, die direkt dem Kommando des Marinestabes untersteht. Laut Angaben der Generalkommandeurs des Marineinfanteriekorps, Generalmajor Harry Triono, ist die Brigmar-BS für den schnellen Einsatz zur Sicherung der Hauptstadt Jakarta gedacht. Ihr Stützpunkt ist Cilandak bei Jakarta. In ihrem Auftrag und ihrer kompakten Mannschaftsstärke von 3.500 Mann ähnelt die Brigmar-BS der Kopassus. Es liegt auf der Hand, in ihr den Embryo einer künftigen „Kopassus der Marine“ zu sehen.
Zur Zeit besteht das Marineinfanteriekorps Kormar aus zwei Infanteriebrigaden zu jeweils drei Bataillonen. Ihre gemeinsame Mannschaftsstärke wurde im Februar 2000 mit 15.000 Mann angegeben (Jakarta Post, 12.02.2000). Damals gab der Befehlshaber der Streitkräfte, Admiral Widodo AS, vor der Kommission I des indonesischen Parlamentes die geplante Vergrößerung der Einsatzstärke der Marine von 32.000 auf 70.000 innerhalb von fünf Jahren bekannt.
Die Vergrößerung der Marineinfanterie folgt offensichtlich dieser Langzeitplanung. Die bestehenden Infanteriebrigaden werden schrittweise zu Pasmar umgebildet. Am Ende stünde ein auf ca. 25.000 Mann vergrößertes Marineinfanteriekorps (The Jakarta Post, 12.02.2000).
Defizite und Hindernisse
Der Mangel an Transport- und Verlegungskapazitäten verringert entscheidend den strategischen Nutzen der indonesischen Eliteeinheiten. Verteidigungsminister Mahfud M.D. teilte am 26. Februar der Weltöffentlichkeit mit, dass von den 26 zur Truppenverlegung vorgesehenen Herkules-Transportflugzeugen aufgrund des Rüstungsembargos der Vereinigten Staaten im Februar und März nur zwei Lufttransporter verfügbar waren.
Was Mahfud als Anklage an die Vereinigten Staaten formuliert hatte, mit ihrem Waffenembargo die Sicherheit Indonesiens akut zu gefährden, weil die TNI mangels verfügbarer Transportmittel die Unruhegebiete in Kalimantan nicht habe erreichen können, offenbarte andererseits das entscheidende Defizit der angestrebten Kriegführung der TNI: Heer und Luftwaffe mögen vielleicht in der Lage sein die neuen Eliteverbände aufzustellen, jedoch mangelt es ihnen (noch) an den Kapazitäten, diese rasch in die Einsatzgebiete zu verlegen. Die Spezialtruppen sind zur Zeit nichts wert. Möglicherweise wird aus diesem Grund der Beginn der Militäroperation in Aceh herausgezögert. Militärisch macht es wenig Sinn, den seit Wochen veröffentlichen Ankündigungen keine militärischen Taten folgen zu lassen.