Indonesien-Information Nr. 1/2 2000 (Ost-Timor)

Zwei Paar "Augen der Welt" für immer geschlossen

In memoriam Sander Thoenes und Agus Mulyawan

von Petra Stockmann

Gibt es eine Rechtfertigung dafür, eines oder zwei der Opfer des Terrors in Ost-Timor besonders hervorzuheben? Ich denke nicht. Ich weiß es nicht. Und trotzdem tue ich es hier. Eines der beiden Opfer, über die ich schreibe, der niederländische Journalist Sander Thoenes, hat jedoch für diejenigen im Westen, die nicht Freunde, Verwandte oder Bekannte durch den Terror verloren haben, aufgrund der breiten Berichterstattung über seinen Tod ein Gesicht, einen Namen bekommen. Die anderen unzähligen Opfer der Gewalt hingegen werden den meisten nur als horrende, aber abstrakte Zahl im Gedächtnis bleiben - namenlos, gesichtslos: Über 200.000 Menschen sind seit der indonesischen Invasion 1975 der Gewalt, dem Terror in Ost-Timor zum Opfer gefallen, ein Drittel der damaligen Bevölkerung. Die Zahl der Toten des letzten Jahres kann bislang nur geschätzt werden.

Wenn ich hier nur über die beiden ermordeten Journalisten und dabei besonders über Sander Thoenes schreibe, so geschieht dies in memoriam aller Opfer der Gewalt in Ost-Timor und Indonesien ebenso wie im Gedenken aller JournalistInnen, die den Einsatz für ihre Arbeit mit dem Leben bezahlt haben, nach Angaben der International Federation of Journalists 40 an der Zahl weltweit allein in diesem Jahr.

Auch die internationale Presse Ziel der Terrorkampagne

Die Welle des Terrors in Ost-Timor vor und besonders nach dem Referendum am 30. August 1999 hat auch dazu geführt, dass wenig später fast alle JournalistInnen Ost-Timor verlassen mussten. Wenn man die Presse entfernt, so Lin Neumann vom Committee to Protect Journalists in der International Herald Tribune, entfernt man die Augen der Welt. Neumann macht darauf aufmerksam, dass viele Journalisten nicht nur berichteten, dass Militär und Polizei zusahen, wie die Milizen Korrespondenten einschüchterten, sondern auch, wie diese dann einschritten, um der Gewalt Einhalt zu gebieten, kurz bevor es Todesopfer gab /International Herald Tribune, 11.9.99/. Das war vor der Ankunft von Interfet.

Mit den Interfet-Truppen kamen auch die "Augen der Welt" nach Ost-Timor zurück. Die Gewalt auch gegen Journalisten ging jedoch weiter und eskalierte, zwei Journalisten haben den Einsatz für ihre Arbeit mit dem Leben bezahlt. Nur vier Tage nach Sander Thoenes Ermordung wurde Agus Mulyawan, Mitarbeiter der japanischen Asia Press International, ebenso wie die Gruppe von Nonnen, Priestern und anderen Kirchenmitarbeitern, mit denen er unterwegs war, ermordet. Ihr Wagen kam unter Beschuss - nach Angaben einer Quelle zitiert von AFP - von indonesischem Militär, alle Insassen starben /AFP 28.9.99/. Im Gegensatz zur breiten Berichterstattung über Sander Thoenes ist jedoch nur wenig über Agus Mulyawan geschrieben worden. Soviel ist bekannt: Der 26jährige, aus Bali stammende Journalist Agus Mulyawan war seit Februar in Dili und hatte an einer Dokumentation über die Falintil gearbeitet /Committee to Protect Journalists´ Brief an Habibie, 30.9.99/. Andere Journalisten kamen knapp mit ihrem Leben davon: Am 21. September, dem Tag, an dem Sander ermordet wurde, wurden auch zwei weitere ausländische Journalisten angegriffen - auf derselben Straße, die wenig später Sander entlang fahren sollte: Jon Swain von der Londoner Sunday Times und Chip Hires, Fotograf für die Zeitschrift Gamma, konnten gerade noch dem Schlimmsten entfliehen /The Independent, 23.9.99/.

Kofi Annan: "an outstanding young journalist"

Sander Thoenes war Jakarta-Korrespondent für die Financial Times, schrieb aber auch für Christian Science Monitor und Vrij Nederland. Erst 30 Jahre alt, hatte er schon als Journalist in Moskau und seit 1996 in Zentralasien gearbeitet. Wie seine Kollegen von der Financial Times berichten, entschloss er sich dann plötzlich, in die Niederlande zurückzukehren und auf eigene Kosten Bahasa Indonesia zu lernen, "um unter Beweis zu stellen, dass er der richtige Mann" für einen Job in Jakarta war /Financial Times, 22.9.99/. Seit September 1997 war er Korrespondent in Indonesien. Seine letzten Handlungen seien typisch für ihn gewesen, charakterisiert ihn ein anderer Kollege: Da es keine kommerziellen Flüge nach Dili gab, fragte Sander kurzerhand per e-mail bei verschiedenen Journalisten an, ob sie Interesse hätten, nach Dili zu fliegen, er würde dann ein Flugzeug chartern: "You only get on the list if you put down $476. If there are 78 or 100 seats the price goes down to possibly $420," schrieb er den KollegInnen /The American Reporter, 23.9.99/. Der erste Anlauf wurde aus Sicherheitsgründen wieder abgesagt, aber als dann Interfet-Truppen nach Dili kamen, flogen auch Sander und seine KollegInnen in einem gecharterten Flugzeug nach Ost-Timor, um vor Ort zu recherchieren und direkt aus Timor zu berichten.

Kaum die Sachen im Hotel abgestellt, machte Sander sich schon auf den Weg, engagierte einen Motorradfahrer und fuhr los. Nur wenige Stunden nach seiner Ankunft in Ost-Timor war er tot. Ermordet, sein Körper verstümmelt: die Täter hatten ihm ein Ohr abgeschnitten, makaberes Souvenir ihrer eigenen Grausamkeit /Sydney Morning Herald 23.9.99/.

Der Fahrer des Motorrads, Florindo da Conceiao Araujo, berichtete später, wie sie von sechs bewaffneten Männern in Uniformen des indonesischen Militärs angegriffen wurden. Er hatte fliehen können. Sanders Leiche wurde 12 Stunden später von Interfet-Truppen entdeckt /American Reporter 23.9.99, Sydney Morning Herald 23.9.99/.

Viele Spekulationen über mögliche (Hinter-)gründe des Mordes

Über Sanders Ermordung ist viel geschrieben und auch spekuliert worden: War er ein weiteres willkürliches Opfer der nackten Gewalt, die in Ost-Timor regierte? Ist sein Tod Resultat der gezielten Einschüchterung und der Angriffe gegen "Weiße", Resultat der Umsetzung der Politik von Paramilitärs und Kopassus "to kill [those white men] and put them in the river" /abgehörtes Gespräch zwischen Kopassus und Miliz, IFET/? Journalisten als schwächste Gruppe unter "den Weißen"? Auch Spekulationen über einen Zusammenhang zwischen der Ermordung von Sander und seinen Veröffentlichungen und Recherchen hat es gegeben, die allerdings vielfach auch zurückgewiesen werden. So hatte Sander erst kürzlich den Skandal aufgedeckt, dass in einer Firma, kontrolliert von Prabowo Subiantos Bruder Hashim Djojohadikusumo, eine Summe von rund 200 Millionen Dollar verschwand /Business Day, 13.8.99; Straits Times, 23.9.99/. Es wurde spekuliert, dass dies nun gerade zu einer Zeit geschah, da die Milizen Cash gut brauchen konnten. Zur Erinnerung: Generalleutnant Prabowo Subianto, Schwiegersohn Suhartos, war u.a. Chef der berüchtigten Spezialtruppe Kopassus und wird für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, u.a. für das Initiieren der Mai-Ausschreitungen 1998, für Folter und Ermordung von politischen Aktivisten. Für das "Verschwindenlassen" von politischen Aktivisten im Frühjahr 1998 hat er die Verantwortung übernommen. Prabowo war nach den Mai-Ausschreitungen zunächst von seinem Konkurrenten Wiranto auf einen anderen Posten abgeschoben worden, bevor er im August letzten Jahres ehrenhaft aus der Armee entlassen wurde. Seitdem soll er sich vornehmlich in Jordanien aufgehalten haben. Inzwischen ist Prabowo jedoch mehrfach wieder in Indonesien, u.a. in Kupang/West-Timor, gewesen und lebt seit einiger Zeit ungestört wieder in Jakarta. Ob ein Zusammenhang zwischen Sanders Ermordung und seinen Berichten und möglichen weitergehenden Recherchen besteht, darüber kann z.Zt. tatsächlich wohl nur spekuliert werden.

Es ist zudem von verschiedener Seite darauf hingewiesen worden, dass die Männer in TNI-Uniform, die Sander töteten, nicht Paramilitärs, sondern tatsächlich Angehörige des indonesischen Militärs waren /International Federation of Journalists, Press Release/, was von Militärsprecher Sudradjat heftigst bestritten wurde /Jakarta Post, 24.9.99/. Generalmajor Peter Cosgrove, Kommandeur der internationalen Friedenstruppe Interfet, versprach, dass Vermutungen, TNI sei in die Ermordung von Sander verwickelt, nachgegangen würde /Jakarta Post, 23.9.99/.

General Wiranto hatte zwar eine Untersuchung der Ermordung zugesagt /Jakarta Post, 23.9.99/, auf Cosgroves wiederholte Forderung gegenüber der indonesischen Militärführung, vier TNI-Soldaten zu überstellen, um sie im Zusammenhang mit Sanders Ermordung und den Angriffen auf Swain und Hires zu befragen /AFP 8.10.99/, kam allerdings keine Antwort. Cosgrove warnte, dass, sollten die indonesischen Generäle seine Forderung weiterhin ignorieren, die Angelegenheit an eine höhere Ebene weitergegeben werden müsse. Am 28. Januar 2000 wurde in Darwin, Australien, wo Toenes Leiche untersucht wurde, der Autopsiebericht des Forensikers Greg Cavanagh publik gemacht. Nach Ansicht Cavanaghs "ist es wahrscheinlich, dass ein oder mehrere Mitglieder des Bataillons 745 der indonesischen Armee (TNI) den Verstorbenen erschossen haben." Da es aber an verlässlichen Zeugenaussagen mangele, könne dieser Verdacht nicht mit letzter Bestimmtheit erhärtet werden, erklärte Cavanagh. /IFEX u. Sydney Morning Herald, 28.1.2000/

Macht es letztlich einen Unterschied, wer die Journalisten getötet hat? Für sie und diejenigen, die um sie trauern, wohl kaum. Wohl aber für die weiteren politischen Entwicklungen in Indonesien - wo eine nie gekannte Pressefreiheit zu den wenigen positiven Entwicklungen der letzten zwei Jahre zählt - und natürlich in Ost-Timor selbst. Es ist nur zu hoffen, dass die Täter nicht einmal mehr mit Straflosigkeit davon kommen.<>
 

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