Ein paar Monate nach dem Fall der Berliner Mauer, dem Niedergang der Sowjetunion und der Unabhängigkeitserklärung ihrer Satellitenstaaten besuchte die Musikgruppe "Scorpions" Indonesien. Zu dieser Zeit bekam die Gruppe mit ihrem Hit "Wind of Change", der die Zukunft verkündet, überall einen enthusiastischen Empfang. Als ob sie beschreiben könnte, was mit den Menschen in Zukunft geschehen würde. Als der Sänger der Gruppe, Klaus Meine, gefragt wurde "what next after wind of change?", antwortete er, die nächste Dekade werde Chaos und Unbestimmtheit bringen. Das bedeutet, alle Werte wie Status Quo und Stabilität werden in Frage gestellt. Nun befinden wir uns in der von Klaus Meine vorausgesagten Dekade, wo der Druck nach Revision oder zumindest Infragestellung der Werte, Auffassungen oder Einsichten, an die wir glauben, größer geworden ist. Alle diese Werte sind nicht ewig, weil ihre Existenz von den [äußeren] Veränderungen abhängig ist.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion, der die Entstehung von neuen Nationen folgte, verursachte eine grundlegende Revision der Auffassung von Nationalismus. Die vom Staat produzierte alte Auffassung des Nationalismus kann nicht aufrecht erhalten werden. Es gibt einige Gründe, warum solche Auffassungen veraltet sind.
Erstens, die Existenz des Staates, der die Auffassung des Nationalismus geschaffen hat, befindet sich in der Krise; er reagiert nicht auf die Globalisierung. Zweitens, die Gesellschaft erlebt ein neues Bewusstsein, so dass sie die Veränderungen der globalen Ordnung wahrnimmt. Eine Veränderung der Paragdigmen der Polarisation ideologisch-politischer Kräfte zu den Kräften mit neuen Werten hat die Gesellschaft zumindest beeinflusst.
Drittens, die alte Auffassung von Nationalismus ist nicht mehr attraktiv, da sie oft als politische und kulturelle Waffe benutzt wurde, um den Prozess der kulturellen Interaktion zu verhindern. Die Gesellschaften in der 3. Welt treten jetzt ins Zeitalter der Globalisierung von Werten, Auffassungen und Einsichten ein.
Wenn der Nationalismus nicht mit der globalen Auffassung in Konflikt geraten ist, wird sich seine Entwicklung zu einer heiligen Auffassung, die politisch benutzt werden kann, bewahrheiten. Erich Fromm, eine der Persönlichkeiten der Frankfurter Schule, hat gesagt, dass Nationalismus die moderne Gottheit ist (The Sane Society, 1955), die die Gesellschaft in Ketten fesselt, damit sie die andere Welt nicht kennen lernt. Als eine moderne Gottheit - die die Opfergabe verlangt, die verehrt wird und deren Vorschriften befolgt werden müssen - verlangt sie das Blut der Gesellschaft als Opfergabe für die Aufrechterhaltung des Ansehens. Diejenigen, die gegen den Nationalismus sind, werden gestempelt als Staatsbürger, die keine Vaterlandsliebe besitzen. Das Risiko ist: sie werden von der Gesellschaft verdächtigt oder isoliert.
Solcher Nationalismus ist nur das Spiegelbild der Antiglobalisierung, die alle Formen der Intervention zurückweist. Sogar die Einmischung der UN als Schiedsrichter in internationalen Angelegenheiten wird als ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten gebrandmarkt. Beispielsweise in Ost-Timor richten sich die Augen nur auf die ausländische Einmischung in interne indonesische Angelegenheiten. Über Jahre hinweg wurde die Auffassung über den starren Nationalismus in die Köpfe der Gesellschaft eingepflanzt, so dass die Gesellschaft Probleme hat, zu wissen, was eigentlich in Ost-Timor geschah.
Die Ablenkung vom Unabhängigkeitsstreben der Ost-Timoresen auf den Nationalismus verschleierte zu-mindest die chronologischen Fakten. Zur damaligen Zeit versuchten die Politiker und zugleich die Architek-ten der Ost-Timor-Annexion, die Aufmerksamkeit des indonesischen Volkes und der internationalen Gemeinschaft abzulenken. Aber die geschichtlichen Fakten des Ost-Timor-Konfliktes sind nicht manipulierbar. Dem Nationalismus ist es nicht gelungen, diese Fakten zu verschleiern. Nun, wo die Zeit gekommen ist, die vergangene Politik, die voll mit Nationalismus besetzt war, mit kritischen Augen zu bewerten, gibt es komischerweise keinen Menschen, der die Verantwortung der Architekten der Neuen Ordnung für die Annexion über Ost-Timor fordert. Und mit der Mobilisierung der Massen im Zeichen des Nationalismus wird erneut manipuliert. Die Massen werden in eine Richtung gesteuert, sich mit der ausländischen Intervention zu konfrontieren. Nationalismus wird als Waffe benutzt. Die Emotionen der Gesellschaft werden damit angeheizt, dass ausländische Soldaten in das Gebiet der Republik Indonesien einmarschieren werden. Die Stimmung wird systematisch angeheizt, sodass der Eindruck entsteht, die Reaktion der aufgebrachten Massen sei natürlich. Andererseits werden die Wur-zeln des Problems in Ost-Timor nie analysiert.
Mit der Lenkung des Augenmerks auf die ausländische Intervention auf indonesisches Gebiet scheint es gelungen zu sein, unsere Aufmerksamkeit für die Wirklichkeit dessen, was in Ost-Timor geschehen ist, abzulenken. Die Politisierung des Nationalismus hat den Blick dafür verschleiert, wie die internationale Gemeinschaft den Ost-Timor-Prozess seit der Integration nach Indonesien bewertet. Die unterschiedliche Auffassung in dieser Frage bedeutet doch, dass es eine grundlegende Meinungsverschiedenheit zwischen Indonesien und der internationalen Gemeinschaft gibt. Unserem Nationalismus ist es gelungen, die historischen Fakten über Ost-Timor und die internationalen Appelle zu verschleiern, so dass daraus später ernsthafte Probleme entstanden waren.
Es ist zu beobachten, dass aus dem Ost-Timor-Problem eine ideologische Krise entsteht, die als Krise des utopischen Nationalismus zu verstehen ist. Die Spannung entsteht zwischen zwei Polen, nämlich zwischen Nationalismus und Internationalis-mus. Die beiden vertragen sich schwer, obwohl zur Zeit die Fakten zeigen, dass der Internationalismus sehr stark ist.
Das Verständnis von Nationalismus ist durch die Veränderung
der Welt in ernste Schwierigkeiten geraten. Nach Perestroika und Glasnost
in der Sowjetunion trennten sich viele Republiken aus der Konföderation
der Sowjetrepubliken. Jede dieser Republiken versucht einen freiheitlichen
Staat zu formieren, der ihrer ethnokulturellen Identität entspricht.
Die UN konnte diesen Prozess nicht verhindern, weil der Wunsch nach Unabhängigkeit
entsprechend der Zielsetzungen der UN respektiert werden muss. Vielleicht
sind die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten ein Experiment dafür,
wie die Veränderung eines kulturellen Nationalismus zu einem politischen
Nationalismus stattfindet. Die Gemeinschaft, die auf-grund einer Vielfalt
von historischen Hintergründen bestand, wurde gezwungen, sich der
sakralisierten Doktrin des Politbüros anzupassen. Eine erzwungene
Einheit produziert Zwangssituationen. Ähnliches gilt auch für
die Balkanstaaten. Die globalen Veränderungen seit Anfang der 90er
Jahre zwingen uns, mit kritischem Blick eine Neubewertung des Nationalismus
zu suchen. <>
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