Indonesien-Information Nr. 1/2003 (Militär)

 

„Happy Birthday TNI/POLRI“

Zur Lage der Streitkräfte an ihrem 57. Geburtstag

Eine Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung, Oktober 2002


Die Geburtstagsfeierlichkeiten der indonesischen Streitkräfte (TNI) anlässlich ihres 57. Jahrestages waren überschattet von dem blutigen Konflikt, der sich am 30. Oktober 2002 in Binjai/Nordsumatra zugetragen hat. Hier hatte es bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Armee und der Polizei mindestens 11 Tote und zahlreiche Verletzte gegeben. Diese „Schlacht von Binjai“ war die bisher schlimmste in einer Reihe von mindestens 12 solcher Zusammenstösse seit Januar 2001. Nach der organisatorischen Trennung von Militär (TNI) und Polizei (POLRI) gab es eine Reihe von Spannungen zwischen den ehemals integrierten Einheiten in verschiedenen Landesteilen. Die meisten fanden in oder nahe der Konfliktgebiete von Aceh, Ambon, Sampit, Palu u.a. statt. Hier waren die Konkurrenzbedingungen im ökonomischen Wettbewerb und im Streit um die Vormacht in der Region am stärksten.

Auslösende Ereignisse, die anlässlich des Binjai-Vorfalles intensiv diskutiert werden, wie die „Arroganz der Polizei, die die TNI verärgert“ und illegale Geschäfte beider Sicherheitsorgane, die sich zum überwiegenden Teil selbst aus illegalen und legalen Geschäften finanzieren, werden genannt und sind durchaus richtig. Hinreichend für eine solche intensive Feindseligkeit können diese Erklärungen jedoch kaum sein.

Wichtig wäre zunächst einen Blick auf die reformbedürftigen Strukturen und gesetzlichen Grundlagen der Sicherheitskräfte zu werfen. Beide, TNI und POLRI nehmen für sich in Anspruch,  die wahren Verteidiger des Landes, seiner Einheit und seiner internen Sicherheit zu sein, obwohl ein Beschluss der Beratenden Volksversammlung (MPR) bereits in 2000 klärte, dass TNI für die äußere Sicherheit (Verteidigung) und POLRI für die innere Sicherheit zuständig ist. Im Ausnahmefall, wenn die Polizeisicherheit nicht ausreichend ist einen Konflikt zu bekämpfen, darf sie die TNI um Hilfestellung bitten. Die TNI hat jedoch diese strikte Trennung niemals öffentlich akzeptiert. Sie erklärte sich zuständig für die Erhaltung des Einheitsstaates und damit für alles, was diesen gefährden könnte: Sezessionsbewegungen, ethnische und religiöse Konflikte, die potenziell zur Separation führen könnten, Terrorismus, Extremismus u.a.m.

Das Sicherheits- und Verteidigungssystem  kann nur auf der Basis völliger Klarheit über die Zuständigkeiten funktionieren. Der Binjai-Konflikt zeigt einmal mehr, wie dringend die Reformen sind.

Die Beteiligung der Sicherheitseinheiten an legalen Geschäften durch wirtschaftliche Einheiten in Form von Kooperativen, Stiftungen und Kapitalgesellschaften sowie an illegalen Geschäften und organisierter Kriminalität wie Rauschgifthandel, Prostitution, Unterhalt von Casinos, illegalem Holzeinschlag und Handel, Organisierung von regionalen Monopolen, Erpressung von Schutzgeldern und Lizenzvergaben gehören zu den Einnahmen schaffenden Aktivitäten von TNI und POLRI. Der Vorfall in Binjai entzündete sich durch die Rivalität von TNI und POLRI um die jeweilige Dominanz beim Drogenhandel in dem Grenzgebiet zwischen Aceh (Drogenanbau, Vermarktung zur Finanzierung der Waffen der GAM) und Nordsumatra. Der Hinweis Beteiligter, dass eine große Menge Marihuana (1,5 Tonnen) während der Schießereien abhanden gekommen sei, unterstützt die Vermutung, dass konkurrierende Einheiten der Sicherheitskräfte um ihre Pfründe im illegalen Geschäft kämpfen. Die Degradierung des lokalen Kommandanten wird allgemein als Maßnahme zur Gesichtswahrung der Militärs/Polizei angesehen. Letztlich geschehen solche „Geschäfte“ mit Billigung der Generäle, die selbst Nutznießer des Geldes sind. Rechtfertigend wird hervorgehoben, dass die staatlichen Budgets, für TNI/POLRI nicht hinreichend seien. Kommt es zur Benennung konkreter Verbrechen durch Angehörige des Militärs, definiert man dies als Einzelfälle, begangen durch „unscrupulous members“ of the security forces (oknum).

Die drei „R“ der TNI im Rahmen ihrer Reformen, „redefinition, reactualization and reposition“, mit der sie den Paradigmenwechsel schlagwortartig verkünden, bleibt wirkungslos, denn noch immer gilt ein großer Teil ihrer Bemühungen der Wiedererlangung politischen Einflusses und der Sicherung einer bequemen materiellen Existenz, wozu eben das Militärgeschäft dient. Solange einerseits Straflosigkeit der Militärs für ihre Verbrechen weiter besteht, andererseits die Aufhebung der Doppelfunktion (Dwifungsi, Verteidigungs- und sozialpolitische Funktion) nicht nachhaltig durchgesetzt wird, bleibt das Militär ein Staat im Staat. Die gewählten Parlamentarier und Regierungsmitglieder haben bisher den Mut nicht aufbringen können (mit Ausnahme von Gus Dur, der dies versuchte und Anfangserfolge zu verzeichnen hatte), die Militärs zu zwingen, sich dem Willen der Zivilgesellschaft unterzuordnen. Sie unterstreichen in ihren Reden das Primat der Politik, in praxi fügen sie sich dem aber nicht.

Der an dieser Stelle gewöhnlich geäußerte Hinweis, durch das 4. Amendment des Grundgesetzes habe man die Militärs/Polizei doch aus der formalen Funktion der Politikbestimmung entfernt, zieht keineswegs: Die MPR stellt sich nach 2004 als einflusslose, eigentlich überflüssige Institution dar, denn Präsident und Vizepräsident werden direkt vom Volke gewählt, Verfassungsänderungen wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben und die neu entstehende zweite Kammer der Provinzvertreter (Dewan Perwakilan Daerah, DPD) übernimmt die Rolle der Delegierten der Provinzen, die früher eine eigene Fraktion des Hauses bildeten. Die Tatsache der enormen Schwächung der MPR war auch das eigentliche Argument der TNI/POLRI Fraktion klar zu machen, dass ihr Verbleiben dort in jedem Fall ohne Bedeutung sein werde. Insofern war es leicht, sich demokratisch zu geben und auf die Mitgliedschaft zu verzichten.

Die Konzentration der Militärs auf die ihr übertragene Aufgabe, nämlich die Sicherung der äußeren Grenzen, erfordert eine andere Militärstruktur. Der Befreiungskrieg von vor 1945 findet nicht mehr als Dschungelkrieg statt. Die Landesverteidigung muss dort erfolgen, von wo ggf. Gefahr droht, nämlich von See. Der Archipel bräuchte Schutz durch eine gut ausgerüstete Seestreitmacht. Die gegenwärtige Militärstruktur dient anderen Interessen als eine externe Bedrohung abzuwenden. Die gegenwärtige Struktur, die das Land mit territorialen Kommandostrukturen (KOTER) sowie KODAMs und anderen Einheiten flächendeckend überzieht, diente und dient weiterhin der politischen Kontrolle der Bevölkerung und als Instrument der Ausübung ökonomischer Macht, statt der Verteidigung nach außen. Die Auflösung dieser Strukturen steht deshalb nicht auf dem selbstgeschriebenen Reformprogramm der TNI. Der politische Wille der Regierung ist nicht vorhanden, die Militärs in die Schranken zu verweisen, wie Frau Megawati am Beispiel Gus Durs gesehen hat. Der Schmusekurs mit dem Militär und GOLKAR sichert ihr das politische Überleben – zumindest bis 2004 – und den Sicherheitskräften weiter ihren wirtschaftlichen und politischen Einfluss. Die Rechtfertigung für die Stagnation in diesem Bereich (überfällige Reform der TNI-Doktrin und Organisation) ist die Erhaltung der Einheit der Republik, die nur durch das Militär garantiert werden könne. Als Nationalistin stimmt die Sukarnotochter Megawati diesem allemal zu und die Mittel der TNI zur Durchsetzung erscheinen ihr  angemessen zu sein, auch wenn diese Bürgerkrieg, Menschenrechtsverletzungen und Mord (Papua, Aceh, Ambon, Sulawesi) einschließen.

Kurz gesagt: Gegenwärtig ist die zivile Führung nicht zur Militärreform fähig und kaum willig. Die militärische Führung ist zwar rhetorisch reformfreudig, in praxi jedoch für den Erhalt der alten Ordnung, die hier Orde Baru (Neue Ordnung) heißt.

Die Hoffnung liegt in einer jüngeren Führungsschicht des Militärs, die bereits ein wenig vom Demokratiebazillus beeinflusst ist und die erkennen könnte, dass es eine längere Perspektive für ein Militär nach dieser alten/neuen Ordnung nicht gibt. Ob  auf Seiten der zukünftigen politischen Führung sich eine reformwillige Ebene an die Macht katapultieren kann, ist äußerst fraglich, denn es ist auch am fernen Horizont noch niemand sichtbar, der/die eine nachhaltige Veränderung einleiten könnte. <>
 
 

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